18 • 2 | Kaira
"Er darf."
"Was?"
"Najik. Er darf."
"Er darf?"
"Ja. Er darf."
Einen Moment brauchte es, bis die Neuigkeit in mein noch halb schlafendes Bewusstsein drang. Azvar hatte sich noch bis zum nächsten Morgen Zeit genommen und ich war gerade erst aufgewacht, sodass ich nicht sofort mit einer Antwort gerechnet hatte. Ein Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus. "Er darf?"
Azvar schüttelte amüsiert den Kopf und richtete sich im Bett halb auf. "Wie oft willst du das jetzt noch hören?"
"Wieso?"
"Weil du mich darum gebeten hast?"
"Ich dachte..." Grinsend legte ich den Kopf auf seiner Brust ab. Wenn ich ehrlich war, hatte ich nicht damit gerechnet, diesen Wunsch gewährt zu bekommen. "Danke."
"Er wird unter Bewachung stehen und nur für diesen einen Tag hier sein. Niemand außer die absolut Nötigen werden davon erfahren, sonst kann ich auch gleich die Revolution ausrufen. Wenn er einen Kommentar über Enlaya macht, schlage ich ihm höchstpersönlich den Kopf ab", erklärte Azvar in sachlichem Tonfall.
Nun wieder ernst nickte ich. "In Ordnung. Er wird die Maßnahmen verstehen."
"Willst du ihm schreiben? Ein Bote kann den Brief zur Grenze bringen. Mach ihm diese Einschränkungen klar, wenn er damit nicht einverstanden ist, wird er nicht kommen."
"Ich würde den Brief gerne selbst zur Grenze bringen", erwiderte ich vorsichtig und beobachtete ihn dabei, um seine Reaktion mitzubekommen. Wie immer beherrschte er seine Gesichtszüge.
"Das ist eine Reise von fünf Tagen, wenn man jedes Ihashe bis zur Erschöpfung durchtreibt und von morgens bis abends im Sattel sitzt. So lange lasse ich dich ganz sicher nicht gehen." Er schüttelte den Kopf und zauberte mir damit ein Lächeln ins Gesicht. Irgendwie war er ja schon niedlich.
"Wenn ich fliege und mich beeile, schaffe ich Hin- und Rückweg in jeweils einem Tag und bin nicht gefährdet für Überfälle", warf ich ein. "Dann kann der Brief nicht abgefangen werden und in falsche Hände gelangen und ich bin schnell wieder da. Eine Nacht musst du auf mich verzichten."
Azvar legte die Stirn in Falten und schien darüber nachzudenken. "Was, wenn dir etwas passiert?"
"Wird es nicht. Ich liefere nur den Brief ab und fliege wieder zurück. Mich wird man nicht so leicht umbringen wie einen Boten von euch."
Seufzend musterte er mich und ich hielt seinem Blick stand. "Ich kann dir keinen Geleitschutz gewähren, wenn du fliegst."
"Das ist besser so. Wenn ich hoch fliege, über den Wolken, dann wird man mich nicht einmal als Lazaliv erkennen. Bitte, Azvar."
Er schien die Idee abzuwägen, legte den Kopf von einer Seite auf die andere und nickte schließlich seufzend. "An der Grenze wirst du dich nicht länger aufhalten als unbedingt nötig und dich niemandem zeigen, der dich nicht unbedingt sehen muss. Nimm Bestechungsgelder mit. Und sei vorsichtig."
Ich sah ihm an, dass er nicht sonderlich begeistert davon war, doch ich nickte, fuhr Azvar einmal durch die Haare und küsste ihn dann sachte auf die Lippen. "Danke. Das bedeutet mir viel."
"Ich weiß", murmelte er und sah mich mit einem Ausdruck an, den ich nicht lesen konnte. Für einen Moment wirkte es, als wollte er nochmal etwas sagen und als wäre es ein unheilvolles Thema, doch dann wandte er den Blick ab und der Moment war vorbei.
"Wirklich, danke, Azvar. Ich weiß das zu schätzen."
"Na hoffentlich", grummelte er, lächelte aber leicht, als ich mich an ihn lehnte und die Augen schloss. Sein Duft umhüllte mich und gab mir das unverwechselbare Gefühl von Geborgenheit.
-'-
Noch am selben Tag schrieb ich den Brief, den ich Najik bringen sollte. Lange saß ich an den Formulierungen, strich vieles durch und verbesserte es, sodass ich den ganzen Text dann noch einmal ins Reine schrieb und anschließend Azvar geben wollte, dass er seine Unterschrift darauf setzte. Doch ich sah ihn den ganzen Tag nicht mehr und als er abends ins Bett kam, war ich schon halb am Schlafen.
Mir war klar, dass der Grund für die viele Arbeit von ihm zu einem großen Teil ich war. Seit unserer Verlobung musste er verstärkt seine Führungsqualitäten beweisen und das Land mit harter Hand regieren, um mögliche Rebellion im Keim zu ersticken. Ich wusste, dass ihm die Entwicklung gegen ihn nicht gefiel und dass er gerne etwas daran ändern würde, doch die effizienteste Methode dafür wäre vermutlich meine Hinrichtung - und glücklicherweise schien das nicht zur Debatte zu stehen.
Zumindest nicht für Azvar. Die Anzahl der Hassbriefe, die ich bekam, erreichte einen neuen Rekord und ich konnte die Worte nicht einmal im Kamin vernichten, weil es inzwischen zu warm war, um noch ein Feuer zu entzünden. Eigentlich hatte ich aufgehört, die Papiere überhaupt zu öffnen, doch nun lag der Stapel zwischen Unterlagen für die Hochzeitsplanung auf meinem Schreibtisch und schien meine Blicke magisch auf sich zu ziehen. Mit einiger Überwindung schaffte ich es, alles in die Küchen zu bringen und dort für den guten Zweck einzusetzen - als Zunder für das Feuer, das mein Abendessen kochen würde.
Trotzdem konnte ich es nicht vermeiden, die Verachtung zu spüren, die man mir entgegenbrachte. An jeder Ecke fing ich mir feindselige Blicke ein, die ich zwar äußerlich ignorierte, die innerlich aber wie Säure in mein Herz tropften und mich langsam verätzten. Azvar war zu beschäftigt, um sich rund um die Uhr um mich zu kümmern, und ich wollte ihm nicht meine Probleme aufdrängen, die nichts waren im Vergleich zu seinen.
Also blieb ich still und schluckte die Pfeile, die man mir entgegenschoss, sodass sie nur mein Inneres verletzten und ich äußerlich völlig unberührt blieb.
Vielleicht war ich gerade deswegen so froh, als ich zwei Tage nach Verfassen des Briefs früh am Morgen, noch vor Athkazrs ersten Strahlen auf den Balkon trat und mich mit einem Kuss von Azvar verabschiedete.
"Pass auf dich auf. Wenn du übermorgen bei Sonnenaufgang nicht wieder da bist, widerrufe ich die Ausrede, dass du krank bist, und lasse das ganze Land nach dir absuchen", behauptete er und reichte mir den Beutel mit dem Brief, Proviant, Wechselkleidung und einigem Geld. "Bist du bewaffnet?"
"Natürlich", versicherte ich und versuchte ihn beruhigend anzulächeln, während ich eine Hand auf das Schwert an meiner Hüfte legte. Es juckte mich in den Schwingen, endlich lozufliegen.
"Versprich mir, dass du nichts anstellen wirst."
"Versprochen." Sanft griff ich nach seiner Hand. "Versprich du mir, dass du auch mal Pause machst."
"Pausen sind für Anfänger."
Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf und hängte mir den Beutel so um, dass ich ihn nicht verlieren würde. "Bis morgen."
"Sei vorsichtig, Kaira."
Ich ließ seine Hand erst los, als ich schon in der Luft war, und blickte noch einmal zurück. Azvar stand auf dem Balkon und blickte mir nach, bis ich nicht mehr als eine vogelartige Form vor dem heller werdenden Himmel sein konnte. Ich stieg noch höher, bis über die spärlichen Wolkenfetzen, und wandte mich dann gen Norden.
Es war ein schönes Gefühl, den feindseligen Palast zu verlassen. Hier im Himmel war ich alleine und frei und niemand konnte mich abwertend mustern oder mir geflüsterte Beleidigungen an den Kopf werfen. Ich flog durchgehend, bis ich mittags eine kurze Pause im Niemandsland machte und ein paar Bissen zu mir nahm, dann ging es weiter in Richtung Grenze.
Kurz nach Sonnenuntergang kam ich mit schmerzender Rückenmuskulatur und vom Winde verwehten Haaren an. Azvars Plan für mich wäre gewesen, die Grenze in der Nähe von Zintabur zu überqueren und nachts in der Stadt nach jemandem zu suchen, der sich ein wenig zusätzliches Gehalt verdienen wollte - in diesen Grenzstädten laut Azvar nicht selten. Doch mein Weg führte mich ein ganzes Stück weiter südlich an den Fluss, der die Grenze zwischen den beiden rivalisierenden Völkern bildete.
Kurz bevor dieser Grenzfluss in die große Bucht mündete, passierte er eine unübersichtliche Stelle zwischen einer Ansammlung von Felsbrocken. Ich wusste, dass ich am richtigen Ort war und dass mir nichts passieren würde. Dennoch spannte ich jede Muskelfaser an und ließ meinen wachsamen Blick immer wieder über die Umgebung schweifen, als ich mich auf der caralischen Seite der Grenze zwischen zwei Felsbrocken stellte.
Ich hatte damit gerechnet, nicht die Erste zu sein, trotzdem zuckte ich stark zusammen und meine Hand ruckte in Richtung meines Schwerts, als sich ein Schatten aus einer unübersichtlichen, vom Mond nicht beleuchteten Stelle löste und auf mich zutrat.
"Und?"
Ich blickte dem Schemen entgegen und nickte mit einem zufriedenen Lächeln. "Er hat zugestimmt. Der nächste Schritt ist deiner."
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