16 • 1 | Azvar
Als ich an diesem Abend wieder in meine Gemächer kam, saßen Krijan und Kaira gemeinsam vor dem Kamin und unterhielten sich mit leisen Stimmen. Der Diener erhob sich, als ich eintrat, und wartete darauf, dass ich ihm erlaubte, sich wieder zu setzen. Kaira hatte diese Gewohnheit schon lange aufgegeben - womit ich nicht das geringste Problem hatte - und sah bei meinem Eintreten nur kurz auf.
Krijan und ich sahen uns einen Moment direkt an. Ein fragender Ausdruck trat auf sein Gesicht. Es gefiel mir nicht, wie vertraut die beiden beieinander saßen und sich unterhielten, wie sie die Sessel nahe vor den Kamin gestellt hatten. Wie ein altes Ehepärchen. Ich war kurz davor etwas zu sagen, verkniff es mir dann jedoch. Ich vertraute Kaira genug, um ihr nicht vorwerfen zu müssen, wenn sie mit einem anderen Mann sprach. Egal, wie nahe die beiden sich standen und wie wenig ich diesen Mann ausstehen konnte. Wenn Kaira mir jemals wieder mit Eljina vertrauen sollte, musste ich ihr diese Freiheit lassen.
Dennoch würde ich gerne mit ihr sprechen, ohne dass der Diener mithörte. Mit dem Kopf nickte ich zur Tür. Er verstand die Aufforderung, tauschte einen Blick mit Kaira und verließ dann den Raum.
"Es ist schön, dich wieder hier zu sehen", stellte ich fest, als wir allein waren, und lächelte Kaira an.
Sie musterte mich und sah so aus, als wüsste sie nicht, ob sie das Lächeln erwidern sollte oder nicht. "Hast du mit Eljina gesprochen?"
"Ja." Ich neigte den Kopf und setzte mich in den Sessel, den der Diener soeben verlassen hatte. "Sie ist nicht begeistert, glaube ich, aber was will sie machen?"
"Gut." Kaira richtete ihren Blick wieder in die Flammen. "Wieso hast du Krijan weggeschickt?"
Weil ich die Gelegenheit nutzen wollte, um sie von ihm zu trennen. Eine Antwort, die ich natürlich nicht laut aussprechen würde. "Du bist die einzige lebende Person, die weiß, wie ich ohne meine Kräfte aussehe", sagte ich stattdessen. "Ich würde gerne sicher hören, dass du es niemandem erzählst. Auch keinem gutaussehenden Kollegen." Erst recht nicht ihm, ergänzte ich in Gedanken.
"Natürlich. Es ist deine Entscheidung. Ich werde es an niemanden weitergeben", versprach Kaira. "Auch wenn ich nicht verstehe, wieso du so viel Wert darauf legst. Es ist ja nicht so, dass du sonst hässlich bist."
"Ich sehe aber nunmal schon immer so aus. Meine Augen sind schon immer schwarz, weil mein Vater fand, das passt besser zu meiner Rolle. Die gebrochene Nase ist nicht unbedingt vorteilhaft und die Narbe? Das halbblinde Auge? Was soll ich denn sagen, wenn mich jemand fragt, woher ich diese Verletzung hatte?"
"Dein Vater ist tot, Azvar", sagte Kaira leise. "Du musst dich nicht mehr an das halten, was er dir vorgegeben hat. Wenn dich jemand fragen würde, könntest du auch einfach die Wahrheit sagen."
Seufzend wandte ich den Blick zu ihr und traf den ihren. "Ich weiß", murmelte ich. "Aber ich finde mich selbst ungewohnt, wenn ich die Maske abnehme. Ich habe noch mehr Narben, die ich verdecke. Hässliche Narben. Meine Augen sind viel zu auffällig."
"Deine Augen sind unfassbar schön, Azvar. Und faszinierend und einzigartig. Du solltest sie nicht verbergen."
Ich schwieg und sah wieder ins Feuer. Auch wenn mich diese Worte rührten, wusste ich, dass sie mich nicht umstimmen würden. Zu gewohnt war ich an mein Aussehen, an die schwarzen Augen, die dunklere Haut und gerade Nase.
"Wie hat das behütete Prinzlein es denn geschafft, sich die Nase zu brechen?", fragte Kaira nach einer Weile und lächelte mich neckisch an.
Ich brauchte eine Weile, bis ich antwortete. Zu sehr versank ich im Anblick ihres Lächelns, das ihr ganzes Gesicht aufhellte und meine Stimmung sofort ein wenig hob.
"Das war vor einer Ewigkeit an meinem Geburtstag. Es war der erste, bei dem Alkohol mit ins Spiel gekommen ist und den ich zweimal gefeiert habe. Einmal die offizielle Feier, die dem Prinzen würdig ist, und am Tag danach die Party, die Spaß macht. Ich habe mich mit Rednir ordentlich in die Haare bekommen, weil wir uns nicht einigen konnten, wer das hübsche Mädchen ansprechen darf, die keiner von uns kannte und die sich irgendwie dazugeschlichen hat. Wir waren nicht mehr ganz nüchtern und irgendwie ... hat das dann in einer Prügelei geendet." Ich lächelte bei dieser Erinnerung, doch mischte sich eine Spur Wehmut dazu, als ich an Rednirs Tod denken musste.
"Du kannst dich ja nicht allzu gut geschlagen haben", bemerkte Kaira und grinste mich spöttisch an. Irgendwie schaffte sie es damit, die Trauer zu vertreiben.
"Er hatte auch ein blaues Auge! Und ich würde das jeder Zeit wieder tun. Das Mädchen hat mich danach nämlich angesprochen", erzählte ich.
Kaira lächelte und sah kopfschüttelnd wieder ins Feuer. "Muss irgendwie ein schönes Gefühl sein, wenn sich zwei Männer so um dich streiten, dass sie sich gegenseitig die Köpfe einschlagen."
"Ich würde mir auch für dich den Kopf einschlagen lassen", rutschte es mir heraus. Verlegen räusperte ich mich und wandte peinlich berührt den Blick wieder ab. Hitze schoss mir in die Wangen und ich achtete bewusst darauf, dass meine Hautfarbe dieselbe blieb.
"Dafür ist der König doch viel zu alt und vernünftig. Ich nehme dich auch ohne gebrochene Nase", erwiderte Kaira und stand lächelnd auf. "Ich gehe schlafen. Bis morgen."
Für einen Moment ruhten ihre Fingerspitzen auf meiner Schulter, strichen dann über meinen Nacken, als sie hinter mir vorbei in Richtung ihrer Kammer ging. "Gute Nacht", erwiderte ich und genoss die Gänsehaut, die von ihrer Berührung aus einmal mein Rückgrat entlang lief.
Diese Nacht war die erste seit langem, in der ich wieder einigermaßen gut schlief. Entsprechend besser war auch meine Laune, als ich am nächsten Tag aufstand und mich einem ausgiebigen Frühstück widmete, trotz eines eher unangenehmen Punkt auf der heutigen Tagesordnung.
Zu Sonnenhoch ritt ich durch leichten Schneefall zum Marktplatz der Stadt, um den Strafen beizuwohnen, die die Vergewaltiger noch erwarteten. Es war kein schöner Anblick und normalerweise war ich kein Freund von Urteilen dieser Art - doch als ich dem Mann ins Gesicht blickte, der Kaira diese Gräueltaten angetan hatte, erhob ich mich selbst von meinem Platz, um diesen Männern das Brandzeichen auf die Haut zu setzen.
Soweit ich wusste, war es zwar ungewöhnlich, dass der König sich selbst die Hände damit beschmutzte, doch wieso nicht? Bei den Zuschauern würde es sicher gut ankommen. Ich wusste, dass Kaira irgendwo hinter mir in einer Gruppe von Angstellten des Palastes stand und ich hoffte, dass sie dieselbe Genugtuung verspürte wie ich, als ich das weiß glühende Eisen in die Haut des Mannes drückte, so weit oben an der Schulter, dass normale Kleidungsstücke das Zeichen nicht verdecken würden, aber weit genug vom Hals entfernt, dass keine Lebensgefahr bestand.
Der Schrei des ehemaligen Soldaten zerteilte die Luft wie ein Hieb mit dem Schwert und verklang in der absoluten Stille des gut gefüllten Platzes. Ich konnte mir nur vorstellen, wie sich der Kontrast anfühlen musste zwischen den eiskalten Schneeflocken auf seinem nackten, für die Peitschenhiebe entblößtem Oberkörper und dem glühenden Eisen auf seiner Haut. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn, seine Augen waren weit aufgerissen und panisch, konnten sich kaum auf mich fokussieren. Schwach riss er an den Seilen, die ihn mit ausgestreckten Armen zwischen zwei schweren Holzpflöcken festhielten. Der Geruch von verkohltem, verbrannten Fleisch erfüllte die Luft. Das leuchtende Rot der zackenförmigen, von einem einzigen Querstrich durchzogenen Wunde stach mir ins Auge.
Jeder, der diese Brandnarbe sah, würde wissen, was dieser Mann in der Vergangenheit getan hatte.
Nicht alle Soldaten schrien, als ich ihnen das lebenslange Zeichen in die Haut brannte. Einige verloren das Bewusstsein und hingen schlaff in ihren Fesseln. Einige gaben einen erstickten Laut von sich und unterdrückten den Rest. Die meisten stießen jedoch einen markerschütternden Schrei aus, der nicht selten auch mir einen Schauer über den Rücken laufen ließ.
Das Strafmaß unterschied sich von Soldat zu Soldat, je nachdem, wie oft er wie viele Frauen vergewaltigt hatte. Drei der Gepeinigten wurden nach dem Zufügen des Brandmals von den Seilen losgebunden und durften den Mittelpunkt jeglicher Aufmerksamkeit verlassen, ihre Oberkörper wieder bedecken. Einige bekamen fünf Peitschenhiebe, die meisten zehn, und vier der Vergewaltiger mussten zwanzig über sich ergehen lassen.
Ich sprach danach einige Worte zu den Anwesenden, doch war es nicht unbedingt die fesselndste Rede, die ich je gehalten hatte. In den letzten Tagen waren zu viele andere Dinge geschehen, die das Schreiben dieser Rede in den Hintergrund gestellt hatten. Von der Schande dieser Taten sprach ich, von der Reue, die diese ehemaligen Soldaten empfinden sollten, von der Hoffnung, sie würden nun daraus lernen und von der Aufforderung an alle, solche Gräueltaten nicht stillschweigend über sich ergehen zu lassen.
Danach kehrte ich in den Palast zurück und wärmte meine eingefrorenen Finger am Kamin.
Es schneite weiter, bis Athkazr unterging. Dann wurde es so bitterkalt draußen, dass ich unheimlich froh war über das lodernde Feuer im Kamin, meine warmen Wolldecken und das weiche Leinenhemd, das ich zum Schlafen trug.
Irgendwann nachts wachte ich von einem Geräusch auf. Wachsam setzte ich mich auf und erkannte einen Schemen vor dem Kamin. Der Glanz der rotblonden Haare war unverwechselbar.
"Kaira?"
Ich sah, wie sie zusammenzuckte und sich umdrehte. Mit der einzigen Lichtquelle hinter ihr konnte ich unmöglich mehr als ihre Silhouette ausmachen.
"Habe ich dich geweckt?"
Ich zögerte kurz und zuckte mit den Schultern. "Wieso bist du noch wach?"
Ein Seufzen. "Das Fenster in meiner Kammer hält die Kälte kaum ab. Diese zwei Wolldecken, die ich habe, bringen da auch nichts mehr. Es ist zu kalt, um zu schlafen."
"Du kannst ..." Ich räusperte mich und stellte fest, dass ich viel zu sehr hoffte, sie würde diesem Vorschlag zustimmen. "Wenn du möchtest, kannst du herkommen", bot ich zögerlich an. "Hier ist es warm genug."
Stille folgte auf diese Worte, so lang, dass ich schon beinahe mit einer Ablehnung rechnete. Wir waren uns nicht wirklich nahe gewesen, seit wir von der Reise wiedergekommen waren. Wollte sie schon wieder so weit gehen?
Ich sah auf, als sie sich langsam erhob. Das graue Alltagsgewand, das sie vermutlich gegen die Kälte getragen hatte, glitt ihr von den Schultern und sie trug nur noch ein leichtes Unterkleid, als sie neben meinem Bett zum Stehen kam.
Mein Herzschlag beschleunigte sich und ich fühlte mich aufgeregt wie ein Junge vor seinem ersten Treffen mit einem Mädchen. Sie wies mich nicht ab. Sie war hier.
Ihre Haut war kalt, als sie sich neben mich legte. Ich war bereit, auf die andere Seite des Bettes zu rutschen und ihr mehr Platz und Decke zu geben, doch sie machte diese Geste unnötig. Vorsichtig rutschte sie näher zu mir und legte den Kopf auf meinem Arm ab.
Langsam und tief atmete ich ein, versuchte mein aufgeregt klopfendes Herz zu beruhigen. Ihr Duft stieg mir in die Nase, den ich die letzten Tage so sehr vermisst hatte. Vorsichtig legte ich einen Arm um sie, als sie sich mit dem Rücken an meine Brust schmiegte. Ihre Finger verschränkten sich mit meinen und spätestens jetzt konnte ich das Triumphgefühl nicht mehr unterdrücken.
"Die anderen vier werden uns morgen früh so sehen", stellte sie leise fest.
"Und wissen, dass das, was in den königlichen Gemächern geschieht, auch in den königlichen Gemächern bleibt", ergänzte ich und strich mit dem Daumen über ihren kühlen Handrücken, der sich langsam mit ihrem restlichen Körper aufwärmte.
"Danke." Ich hörte das Lächeln in ihrer Stimme und fand es auch auf meinen Lippen wieder.
Es war ein unfassbares Gefühl, sie so in meinen Armen zu spüren und zu wissen, dass sie dort auch sein würde, wenn ich am Morgen die Augen öffnete. Dass ich sie dort sehen würde, mit ihrer rotblonden Mähne, ihrem silbergrauen Blick und der makellosen Haut. Vielleicht würde ich sie mit einem Kuss wecken. Vielleicht würde ich uns Frühstück ans Bett bringen lassen. Vielleicht wünschte ich mir gerade, für den Rest meines Lebens so mit ihr einzuschlafen.
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