15 • 3 | Azvar
Sie war verschwunden. Den ganzen Tag über blieb ich in meinen Gemächern und schreckte bei jedem Geräusch auf, doch Kaira ließ sich nicht mehr blicken und wenn ihr ehrlich war, konnte ich sie auch verstehen. Mein eigenes idiotisches Verhalten ließ in mir immer wieder den Drang aufkommen, mich selbst zu erwürgen und mich mehrmals bei Kaira zu entschuldigen - doch die war ja nicht auffindbar.
Auch am nächsten Tag tauchte sie nicht wieder auf, allerdings konnte ich mich nicht mehr vor meiner Arbeit drücken. Natürlich ließ ich mir nicht anmerken, wie aufgewühlt ich war, doch ging ich Eljina aus dem Weg und ertappte mich dabei, wie ich nach dem grauen Dienergewand Ausschau hielt. Wie zu erwarten gewesen war, entdeckte ich sie nicht. Wenn sie mich nicht sehen wollte, würde sie wohl kaum unerlaubterweise auf den Korridoren herumstromern.
Mir war klar, wie verletzt sie sein musste. Ich hatte ihr nicht alles erklären können, bevor sie die Flucht ergriffen hatte, und von ihrem Standpunkt aus musste es so aussehen, als wäre sie mir völlig egal und ich hätte diese Entscheidung leichtherzig und ohne ihr Einverständnis getroffen. Dabei wollte ich doch mit ihr reden, hatte schon nach den richtigen Worten gesucht, um dieses Thema einzuleiten. Ich hätte Eljina ja sogar wieder abgesagt, hätte Kaira sich komplett dagegen ausgesprochen. Doch nun war sie weg und ich konnte ihr nichts mehr erklären.
Zu allem Überfluss schien mich heute die ganze Welt nerven zu wollen. Unwichtige Kleinigkeiten, um die ich mich kümmern musste, unfähige Ratsmitglieder, die nicht das machten, was ich ihnen aufgetragen hatte, und als ich dann auch noch Architekt spielen musste, als ich die letzten Aufbauarbeiten am Palast begutachtete und man mich fragte, wie genau man dieses oder jenes nun hinbekam, riss mir der Geduldsfaden endgültig. Zum ersten Mal, seit ich König war, rastete ich wirklich aus, und danach tat es mir beinahe leid, wie kleinlaut und verängstigt die Verantwortlichen nun waren. Beinahe. Eigentlich hatte es zu gut getan, einmal Dampf abzulassen.
Mit der Laune im Keller ließ ich sie wieder allein. Draußen war das Wetter noch immer nicht besser geworden. Inzwischen wurde der Regen durch teils Schnee und teils Hagel ersetzt, sodass ich auch nicht an die frische Luft konnte, um mich wieder zu beruhigen. Vermutlich hätte dies auch ein gemütlicher Abend mit Kaira vor dem Kamin hinbekommen, doch auch das war natürlich nicht möglich.
Am vierten Tag nach ihrem Verschwinden begann ich mir Sorgen zu machen. Ich vernachlässigte zunehmend meine Pflichten, da ich auch kaum schlief und nie Appetit hatte, mehr als einige Bissen zu mir zu nehmen. Außerdem fiel mir immer mehr auf, wie sehr ich Kaira vermisste. Ihren Humor, ihre funkelnden Augen, ihre sanfte Stimme.
Wie hatte ich nur so dumm sein können, das, was wir hatten, zu zerstören? Und wie würde ich es schaffen, es wiederherzustellen? War dies überhaupt möglich? Vertraute Kaira mir noch? Auf Letzteres konnte ich zumindest antworten - Nein. Niemals würde sie mir jetzt noch so sehr vertrauen wie vor wenigen Tagen noch. Die Frage war, wie ich ihr Vertrauen wieder bekommen könnte.
Niedergeschlagen starrte ich in die rote Glut des Kamins, sank noch ein wenig tiefer in den Sessel. Es wäre ein Anfang, zumindest zu wissen, wo sie sich aufhielt. Immer wieder versuchte ich Möglichkeiten durchzugehen, doch die Wahrheit war, sie konnte überall sein. Der Palast war riesig und in nicht einmal der Hälfte war ich schonmal gewesen. Ein großer Teil des Gebäudes war nur für Bedienstete und in diesem würde sie sich aufhalten, weil sie sich dort sicher vor mir fühlte. Zurecht, denn ich kannte mich dort nicht im Geringsten aus und würde auch nie auf die Idee kommen, diesen Teil des Palastes zu betreten.
Meine Augen mussten zugefallen sein, denn sie öffneten sich schlagartig, als ich vor mir ein Geräusch vernahm. Doch es war nur der Diener, der vor dem Kamin kniete und Holz nachlegte, um das Feuer am Brennen zu halten.
Der Diener. Ich mochte ihn nicht, weil er mit Kaira befreundet war. Vielleicht ...?
"Krijan."
Er erhob sich und drehte sich sichtlich überrascht zu mir um. "Ar Mhlenae." Mit einer kurzen Verneigung erwies er mir Respekt, dann hob er jedoch den Blick und sah mich direkt an.
Für einen Moment war ich irritiert davon, hielten doch die meisten den Blick vor mir gesenkt. Allerdings sah ich ihm dann in die dunklen Augen und versuchte möglichst ruhig zu wirken. Ich hatte den Eindruck, dass wir beide genau wussten, welche Frage nun folgen würde.
"Weißt du, wo Kaira sich momentan aufhält?"
Er zögerte. Weiterhin musterte er mich, legte nun nachdenklich den Kopf schief. Schätzungsweise eine volle Minute verging, bevor er antwortete.
"Ja."
Ausnahmsweise ignorierte ich den Stich der Eifersucht bei der Erkenntnis, dass er sie sehen, mit ihr sprechen, sie vielleicht sogar trösten konnte, wenn ich keine Ahnung hatte, wo sie überhaupt war und wie es ihr ging.
"Wirst du mir sagen, wo sie ist?"
Diesmal wusste ich die Antwort, noch bevor er sie aussprach.
"Nein."
"Wieso nicht?"
Dumme Frage. Der Grund war offensichtlich, dennoch antwortete Krijan. Irgendwie schaffte er es trotzdem, respektvoll zu klingen. Seine tiefe, ruhige Stimme hatte die Eigenschaft, nicht provozierend zu wirken.
"Das Letzte, was sie gerade möchte, ist Euch zu sehen. Ohne respektlos sein zu wollen."
Langsam erhob ich mich und stellte mit Genugtuung fest, dass ich einige Zentimeter größer war als er. Weiterhin sahen wir uns direkt an, würden eine Lüge sofort in den Augen des Anderen erkennen. Doch Krijan wich nun einen Schritt zurück, weg vom Kamin.
"Und wenn ich dir befehle, es mir zu sagen?"
Diesmal schien er tatsächlich über die Frage nachzudenken, verlagerte sein Gewicht langsam von einem Fuß auf den anderen und wieder zurück. Irgendwie wurde sein Blick durchdringender, sodass ich tatsächlich kurz davor war, den meinen abzuwenden. Mein Stolz verbot es mir jedoch und so wartete ich auf seine Antwort, ohne wegzusehen.
"Dann werde ich zum ersten Mal in meinem Leben einen direkten Befehl des Königs verweigern."
Auch dieser Satz klang nicht provozierend. Es war keine Herausforderung an mich, ihn zu zwingen. Es war eine schlichte Feststellung, die jedoch so sicher war, dass ich an seiner Ehrlichkeit keinen Zweifel hatte.
Seufzend ließ ich mich erneut in den Sessel fallen und starrte in den Kamin, in dem nun die ersten Flammen an den frischen Holzscheiten empor züngelten. "Du kannst gehen", sagte ich knapp, als ich hörte, dass Krijan sich nicht bewegte. Natürlich könnte ich ihn zwingen, mir Kairas Aufenthaltsort zu verraten, doch er hatte ja recht. Sie wollte mich nicht sehen und ich sollte mich ihr nicht aufdrängen.
Noch immer bewegte der Diener sich nicht und so warf ich ihm einen scharfen Blick zu. "Ich habe gesagt, du sollst gehen."
Krijan schien mit sich zu hadern und machte schon einen Schritt in Richtung der Tür, ehe er sich scheinbar umentschied.
"Ihr habt sie tief verletzt." Wieder klang er nicht herausfordernd, doch hörte ich den leisen Vorwurf in seiner Stimme.
"Ich weiß." Wieso redete ich überhaupt noch mit ihm? Er sollte verschwinden. Am besten auch von Kaira.
"Wenn sie einen anderen Ort hätte und wenn der Sturm sie nicht sofort vom Himmel holen würde, wäre sie nicht mehr hier."
Nun sah ich doch wieder zu ihm auf und konnte nicht leugnen, dass mich diese Feststellung erschreckte. Wenn Kaira wirklich so wütend war, dass sie vom Palast floh, würde ich sie vermutlich erstmal nicht mehr wiedersehen. Wenn überhaupt jemals.
Krijan musterte mich so eingehend, dass ich mir sicher war, er konnte mir meine Gefühle ansehen. "Ich glaube nicht, dass sie das Herz dazu hätte, selbst wenn das Wetter es zulassen würde. Sie hat es angedroht. Aber es würde sie viel Überwindung kosten."
"Sie darf nicht gehen." Ich hörte mich an wie ein kleiner, verknallter Junge. Verlegen wandte ich den Blick ab und sah Krijans Lächeln nur aus dem Augenwinkel.
"Sie will auch nicht gehen. Aber Ihr müsst zugeben, dass Ihr diese Verlobung nicht unbedingt schlau eingefädelt habt. Kaira ist seit vier Tagen durchgehend in Tränen aufgelöst."
"Danke. Jetzt fühle ich mich gleich viel besser." Ich verdrehte die Augen und seufzte dann. Widerstrebend ignorierte ich meine Abneigung gegen ihn für den Moment. "Richtest du ihr etwas aus?"
"Wenn ich sie wiedersehe, ja. Aber sie wird so schnell nicht wiederkommen", warnte Krijan mich vor.
Es missfiel mir zutiefst, ihn jetzt auch noch willentlich zu ihr zu schicken, wenn ich selbst so gerne an ihrer Seite wäre. Doch momentan war er nunmal die einzige Möglichkeit, mit Kaira in Kontakt zu treten.
"Sag ihr ... dass es mir leidtut", meinte ich widerstrebend. "Dass ich sie liebe. Und dass Eljina sie nie ersetzen wird oder könnte und ich das auch nie vorhatte. Dass ich gerne mit ihr sprechen und ihr alles erklären würde."
Krijan neigte den Kopf. "Ich danke Euch, dass Ihr mich zu nichts zwingt und sie zu nichts drängt. Ich werde es ihr ausrichten."
"Dann kannst du nun gehen."
Diesmal gehorchte er, verneigte sich noch kurz, verschwand dann durch die verborgene Tür in die Bedienstetenkorridore und ließ mich wieder allein vor dem Kamin zurück.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro