13 • 3 | Kaira
Sobald Azvar den Saal betrat, hatte er jegliche Aufmerksamkeit inne. Gespräche verstummten, Grüppchen wurden aufgelöst und jeder verneigte sich vor dem König, der nun kühle Indifferenz ausstrahlte und durch sein selbstbewusstes Auftreten recht einschüchternd wirkte. Ich schlüpfte hinter ihm durch die Türen, während er durch die Menge schritt und die Stufe erklomm, auf der gestern Abend auch sein Thron gestanden hatte.
Als er sich zum Raum umdrehte, loderte in seinem Blick ein Feuer, eine Wut, die auch dem letzten Unwissenden klarmachte, dass der Grund für diese Versammlung kein freudiger war.
"Soldaten", begann er. Seine Stimme war kühl und distanziert, doch verbarg sie die Wut, die in seinem Ausdruck lag. "Hüter der Sicherheit und des Gesetzes. In euren Händen liegt die Verantwortung, euer Land, eure Artgenossen und euren König zu schützen. Ihr seid die Schützer der Nation."
Ich konnte förmlich spüren, wie die Verwirrung sich unter den Soldaten ausbreitete. Sicher würde der König sie nicht so eilig herbestellen, um ihnen dann ein Loblied zu singen?
"Doch sollte man die Nation vor einigen von euch schützen." Laut und eindrucksvoll klang Azvars Stimme durch die Halle und ließ nicht wenige Zuhörer zusammenzucken. Ich fragte mich, ob die Schuldigen nun schon eine Ahnung hatten, worum es ging. Mein Blick traf den Azvars und er nickte mir zu. Mit einer Handgeste winkte er mich zu sich und ich kam der Aufforderung auf wackeligen Beinen nach. Erneut trocknete ich meine schwitzigen Hände an meinem Kleid ab, als ich auf die Stufe hinaufstieg und mich neben Azvar zum Saal drehte.
Unzählige Augenpaare waren auf mich gerichtet. Es dauerte keine zwei Sekunden bis ich meinen Peiniger in der Menge entdeckt hatte. Fest richtete ich meinen Blick auf ihn, zwang mich nicht wegzusehen. Es half, mir Azvars Präsenz hinter mir bewusst zu machen.
"Zu Beginn des Sommers kam ich nach Samalfar." Es gab keinen Grund, meine Identität verbergen zu wollen. "Ich war allein, einsam und sehnte mich nach einer Gesellschaft, die mich nicht misstrauisch und abwertend behandelte. Meine Hoffnung waren die anderen Angestellten und so fand ich mich im Gruppenraum dieser wieder, der einen Treffpunkt und Aufenthaltsort für Bedienstete des ganzen Palasts darstellen soll. Als ich dort war, stürmten einige Soldaten der Palastwache in den Raum und verteilten sich auf die anwesenden Diener. Nicht wenige von ihnen waren schon zu sehr daran gewöhnt, um noch Widerstand zu leisten. Widerstand gegen Entblößung, gegen Vergewaltigung. Ich versuchte zu fliehen, doch er warf mich zu Boden und zog mir das Kleid vom Leib."
Seine Kollegen bemerkten langsam, dass mein Blick unverwandt auf ihn gerichtet war und die, die um ihn herumstanden, wichen zurück, ließen ihn allein dort stehen. Auch er starrte mich an, seine Miene eine Mischung aus ungläubigem Entsetzen und tiefem Hass.
"Ohne Rücksicht und ohne meinen Fluchtversuchen Beachtung zu schenken, vergewaltigte er mich und ließ mich schmerzerfüllt auf dem Boden zurück." Ich konnte nicht verhindern, dass ein leichtes Zittern meine Stimme durchlief, doch fühlte es sich gleichzeitig auch befreiend an, endlich Vergeltung für diesen Tag zu bekommen. "Ich bin mir sicher, dass einige der hier Anwesenden meine Geschichte bezeugen können."
Ich blickte zu der Gruppe an Bediensteten, die sich am Rande des Saals versammelt hatten. Zwei Dienerinnen, die ich flüchtig vom Sehen kannte, hoben zwar zögerlich, doch mit einem bestätigenden Nicken die Hand.
Wie ein schwerer Vorhang legte sich die Stille über den Saal, erstickte alles und lastete schwer auf meinen Schultern. Unterbrochen wurde sie ebenso vom Donnergrollen und dem klatschenden Regen draußen, wie von den langsamen Schritten Azvars, der auf den Soldaten zutrat und direkt vor ihm stehenblieb.
"Wie ist Euer Name?"
"Ryetro, Sohn von Larnul, Ar Mhlenae", antwortete er. Seine raspelnde Stimme jagte mir einen eisigen Schauer über den Rücken. Für kurze Zeit sah ich ihn über mir, hörte seine genießenden Laute und spürte erneut den Schmerz. Mühsam holte ich tief Luft und hielt mich im Hier und Jetzt. Es war ein seltsames Gefühl, ihn jetzt benennen zu können. Ryetro. Es war nicht einmal ein abstoßender Name.
"Nun, Ryetro. Habt Ihr es getan?"
Ich wunderte mich für einige Sekunden darüber, dass er diese Frage stellte, bis mir auffiel, dass diese Taktik durchaus durchdacht war. Gestand der Soldat nun, könnte Azvar ihn bedenkenlos strafen und bezahlen lassen, ohne dass ihm jemand vorwarf, vorschnell zu handeln und dem Wort einiger Dienerinnen mehr zu vertrauen als dem eines ausgebildeten Soldaten. Doch war es auch ein Risiko - was, wenn er es wagen würde, seinem König direkt ins Gesicht zu lügen?
Doch dann wurde mir klar, dass Ryetro nicht lügen würde. Selbst von dieser Entfernung konnte ich die Wut spüren, die von Azvar ausging. Es war kein heißer, leidenschaftlicher Zorn, sondern eine eiskalte, auf seltsame Art ruhige und doch allumfassende Wut. Wie ein Schneesturm nahm sie den ganzen Saal ein, sorgte dafür, dass jeder vor Azvar zurückwich und das Ziel dieser Emotionen von spitzen Eisscherben durchbohrt wurde.
Demütig senkte der Soldat den Blick. Einige Sekunden schien er noch mit sich zu hadern, einen inneren Kampf auszufechten, doch jeder wusste, dass der König hier die Oberhand hatte.
"Ja, Ar Mhlenae." Wie ein Donnerschlag hallten die Worte durch den Saal und verklangen in der drückenden Stille.
"Wie viele Untergebene hast du wie oft vergewaltigt?" Azvars Worte glichen einem Messerschnitt, tödlich scharf und schneidend. Mir entging nicht, dass er vom respektvolleren Ihr nun ins Du gewechselt war. Der Schneesturm flaute nicht ab, eher im Gegenteil, nahm an Stärke zu. Selbst ich hätte in diesem Moment Angst vor ihm und ich kannte seine sanfte Seite besser als jeder andere.
"Fünf Frauen. Mehrere Male." Im Gegensatz dazu klang der Soldat wie ein Kind, ein Schwächling, die Stimme leise und brüchig.
"Wie oft?"
"Ich ... weiß es nicht mehr. Oft."
Die Spannung im Raum vertiefte sich. Ich konnte Azvars Ausdruck nicht sehen, doch Ryetros Gesicht war ein offenes Buch. Angst stand in Großbuchstaben darin geschrieben. Fast könnte ich Mitleid mit ihm haben, bis ich mich an meine eigene Angst erinnerte, die ich bei unserer ersten Bekanntschaft erlitten hatte.
Mehrere Sekunden lang geschah nichts. Jeder wartete auf die Reaktion des Königs, auf seine Entscheidung, was mit diesem verbrecherischen Soldaten nun geschehen würde.
Krachend traf Azvars Faust in sein Gesicht.
So unerwartet und so kraftvoll war der Schlag, dass Ryetro nach hinten taumelte, das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel. Seine Hand fuhr zu seiner Nase, aus der hellrotes Blut schoss, sein entsetzter Blick richtete sich auf Azvar. Würde er erneut zuschlagen? Der Soldat dürfte sich selbstverständlich nicht wehren - er wäre dem vor Wut brodelnden Herrscher gnadenlos ausgeliefert.
Doch Azvar schüttelte seine Hand aus, trat einen Schritt zurück und ich sah nun die Hälfte seines Gesichts. Sofort war mir klar, dass der Faustschlag ein ungeplanter Ausbruch von Emotionen seinerseits gewesen war und er ihn jetzt schon bereute.
"Mit sofortiger Wirkung wirst du aus deinem Amt entlassen." Nun wieder kalt und klar hallte die Stimme durch den angespannten Saal. "In Ketten wirst du nach Samalfar zurückkehren. Nach zwanzig öffentlichen Peitschenhieben und der Brandmarkung als Missbrauchstäter wirst du eine neue Arbeit erlernen können."
Ich war nicht die einzige, die nach diesen Worten scharf die Luft einsog und sprachlos zu Azvar starrte. Es war ein hohes Strafmaß, das Ryetro zu erleiden hatte und doch konnte ich nicht verhindern, dass es mich mit Genugtuung erfüllte, als ich ihn dort am Boden kauern sah, den König mit kaltem Gesichtsausdruck über ihm.
Innerlich machte ich mir eine Notiz, mir Azvar niemals zum Feind zu machen.
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