13 • 2 | Azvar
Während Kaira sich anzog, sah ich, wie nervös sie war. Ihre Finger zitterten ein wenig und sie blickte immer wieder zu mir. Ich war selbst zu aufgewühlt, um sie ordentlich beruhigen zu können.
"Kommt das öfter vor?"
Sie schien kurz zu zögern, nickte dann aber. "Ich denke schon. Ein paar der Diener sahen so aus, als hätten sie es nur schon aufgegeben, sich zu wehren."
Erneut durchfuhr mich eine Welle der Wut auf die Soldaten, die mir und dem Land treu dienen sollten und sich stattdessen die Zeit auf Kosten anderer vertrieben. Unwillkürlich ballte sich meine Hand zu einer Faust und ich war schon aus der Tür, als Kaira sich noch ihre Haare zu einem Zopf zurückband.
"Was hast du vor?"
Sie klang vorsichtig, als hätte sie Angst mich zu verärgern. Doch die brodelnde Wut in meinem Inneren richtete sich nicht auf sie.
"Ich will, dass du alle Bediensteten, die uns aus Samalfar begleitet haben, zusammentrommelst. Sie sollen hierher vor meine Räume kommen. Alle. Aber sag ihnen, dass sie nichts zu befürchten haben."
Kaira nickte langsam und schien nicht ganz sicher zu sein, was sie davon halten sollte. Aber sie gehorchte und eilte durch den Korridor davon. Kurz sah ich ihr hinterher, dann machte ich mich auf den Weg zu Eljina. Es gab zwei Dinge, die ich mit ihr besprechen wollte.
Ich fand sie, als sie gerade durch eine Tür gehen wollte, die vermutlich in ihr Schlafzimmer führte. "Eljina!"
Sie drehte sich um und legte die Stirn leicht in Falten, als sie mich sah. "Azvar." Ihre Stimme war recht distanziert, ihr Gesicht verschlossen, ein deutliches Zeichen, dass sie den gestrigen Abend nicht vergessen hatte.
"Ich würde gerne unser Gespräch beenden, bei dem wir unterbrochen wurden."
"Du meinst das Gespräch, das mit 'Ich will nichts mehr davon hören' geendet hat?", fragte sie kühl.
Seufzend neigte ich den Kopf. "Ja. Du kannst davon halten, was du willst, aber ich muss wissen, dass du es für dich behälst."
Eljina verschränkte die Arme und wir starrten uns gegenseitig an, beide in der Hoffnung, der andere würde nachgeben. Das Blau ihrer Augen hielt mich gefangen, drückte mich nieder und ich verstand, wieso sie solche Führungsqualitäten besaß. Doch schließlich war sie es, die den Blick abwandte und seufzend nickte.
"Nun gut. Es ist deine Sache. Aber ich kann trotzdem nicht glauben, dass du mit der Schwester von Enlayas Mörder sympathisierst. Das ist doch unter deiner Würde, Azvar!"
"Kaira ist nicht unter meiner Würde!", verteidigte ich sie und funkelte Eljina an. "Du hast kein Recht so über sie zu urteilen, wenn du noch kein Wort mit ihr gewechselt hast."
"Sie ist eine Lazaliv! Natürlich kann ich über sie urteilen. Mag ja sein, dass dir dieses kleine Detail entgangen ist, aber dein und ihr Volk liegen im Krieg gegeneinander. Wie stellst du dir diese Beziehung denn in Zukunft vor?"
Seufzend schüttelte ich den Kopf. Mir war ja klar, dass Eljinas Argumente durchaus begründet waren und dass Kaira und ich kaum schlechtere Voraussetzungen haben könnten. Doch musste sie mir das so unter die Nase reiben?
Sie schien zu bemerken, dass mein Widerstand bröckelte, denn ihr Bick wurde weniger schneidend, ihr Ausdruck weicher. "Ich kenne sie nicht, das stimmt. Und ich habe dir auch nicht vorzuschreiben, wie dein Liebesleben aussehen sollte. Aber ich mache mir Sorgen, Azvar. Bitte sei dir über die Risiken dieser ganzen Sache bewusst."
"Das bin ich", versprach ich und nickte leicht. "Aber ich kann nicht mehr ohne Kaira."
"Und ich kann dir nicht sagen, was du zu tun hast. Ich will nur, dass du vorsichtig bist. Das bist du doch, oder?"
"Selbstverständlich", meinte ich und neigte den Kopf.
"Gibt es noch etwas?", fragte sie und war schon wieder halb auf dem Weg durch die Tür.
"Ja. Ich möchte, dass du alle Soldaten im Großen Saal versammelst." Ihr überraschter Blick richtete sich wieder auf mich und sie blieb stehen. "Es gibt eine dringende Angelegenheit, die ich klären möchte. Diejenigen, die gerade im Dienst sind, sollen sich unter den örtlichen Wachen eine Vertretung suchen. Ich will jeden Einzelnen dort sehen, kontrolliere bitte, ob alle da sind."
Eljina wirkte durchaus zurecht irritiert, nickte jedoch und drehte wieder um, um meinem Befehl nachzukommen. Ich selbst nahm einen kleinen Umweg und schickte jeden Soldaten, den ich sah, ebenfalls in den Großen Saal, dann schlug ich den Weg zu meinen Gemächern ein.
Ein Meer aus Grau empfing mich dort, Kleider und Uniformen gleichermaßen, die sich murmelnd unterhielten und sofort verstummten, als ich in Sichtweite kam. Wie eine Welle sanken die Bediensteten in eine Verbeugung vor mir, erhoben sich erst wieder, als ich es ihnen mit einer Handgeste erlaubte. Natürlich entdeckte ich Kaira sofort unter ihnen, doch schenkte ich ihr mit Absicht nicht mehr Aufmerksamkeit als den anderen.
Die Beunruhigung hing wie eine Gewitterwolke über den Bediensteten, da keiner wusste, was ich von ihnen wollte. Eine solche Versammlung konnte gut auch Negatives bedeuten, vor allem, wenn der König selbst nach ihnen schicken ließ.
"Es gibt keinen Grund zur Sorge." Ein Teil der Anspannung fiel von den zahlreichen Gesichtern. "Ich habe euch alle nicht für eine Strafe holen lassen, sondern um euch an euer Recht zu erinnern."
Verwirrte Blicke wurden getauscht und ich hielt einen Moment inne, bevor ich weitersprach. "Vor wenigen Minuten wurde mir eine Geschichte zugetragen, die mich zutiefst bestürzt. Die Caraliv preisen mit ihrer Gleichberechtigung von Mann und Frau, mit dem Respekt, der zwischen allen Mitgliedern unseres Volkes herrschen sollte, mit der geringen Zahl an Verstößen gegen das Gesetz. Doch all dies ist nichtig, wenn sogar im Königspalast in Samalfar Gräueltaten begangen werden."
Langsam konnte ich sehen, wie einige zu ahnen begannen, worum es ging. Stille legte sich über den Korridor, fünf Dutzend Augenpaare gebannt auf mich gerichtet.
"Ich spreche von Vergewaltigung. Von sexualisierter Gewalt. Von der Ausnutzung höherer Positionen, um Schwächeren zu schaden. Solch katastrophales Verhalten wird in meinem Land unter meiner Herrschaft nicht geduldet und so bitte ich jeden, der einmal Zeuge oder Opfer solcher Taten geworden ist, nun die Hand zu heben."
Es dauerte einige Sekunden, bis meine Worte bei allen angekommen waren. Kaira hob als erste die Hand, wurde kurz von allen angestarrt, dann schlossen sich ihr weitere Angestellten an. Keiner sah so aus, als wäre sie sich besonders sicher bei dieser Sache, doch die Hände hoben sich trotzdem.
Es waren um einiges mehr, als ich gedacht hätte. Fast jede der Frauen meldete sich und auch unter den Männern hob gut ein Drittel die Hand.
"Alle, die sich nicht melden, gehen jetzt wieder zurück an die Arbeit", befahl ich und die Angesprochenen verließen sichtlich widerstrebend das Geschehen.
"Ich danke euch für eure Ehrlichkeit", begann ich. "Noch immer bin ich fassungslos gegenüber der Tatsache, dass so viele von euch ein solches Leid erfahren mussten. Doch lasst euch versichert sein, dass diese Ungerechtigkeit nun ein Ende hat. Ich lasse alle Soldaten im Großen Saal versammeln und ihr alle könnt diejenigen identifizieren, die euch diese Dinge angetan haben. Ich bitte euch um den Mut, eure Geschichte zu erzählen, doch werdet ihr selbstverständlich zu nichts gezwungen."
Vereinzelte lächelnde Gesichter stachen mir ins Auge, besonders das einer bestimmten Dienerin, in deren Blick tiefere Gefühle lagen als bloße freudige Überraschung, Dankbarkeit oder Erleichterung.
"Geht in den Saal und wartet dort." Es war ein Befehl, doch klang meine Stimme im Moment nicht unfreundlich. Mein Blick fand den Kairas und sie nickte kurz. Während die anderen schweigend in Richtung des Saals gingen, hing sie etwas zurück und lächelte mich dann an.
"Danke", sagte sie leise. "Das ist ... unglaublich."
"Es ist unglaublich, dass solche Maßnahmen überhaupt nötig sind", erwiderte ich. "Wenn schon so viele hier dabei sind, wie viele sind es dann insgesamt, die in Samalfar gebliebenen mitgezählt?"
"Nicht viel mehr", gab Kaira nach kurzem Zögern zu. "Die, die gegen diese Taten sind, melden sich als erste freiwillig für Reisen wie diese hier, um den Tätern zu entkommen. Gleichzeitig kommen die auch gerne mit, weil man als Soldat hier weniger Dienst hat. Heißt, die meisten von ihnen werden auch versammelt sein."
Mir entging nicht, wie sie ihre schwitzigen Hände immer wieder an ihrem Kleid abwischte. Ich konnte mir nur vorstellen, wie nervös sie sein musste.
Kurz sah ich mich um und nahm dann ihre Hand in meine, als ich sah, dass wir alleine waren. "Mach dir keine Sorgen. Niemand wird dir mehr etwas tun."
"Ich weiß", murmelte sie seufzend. "Es geht schon. Danke."
"Gehen wir. Inzwischen sollten ja alle auf mich warten."
Kaira lächelte schwach und setzte sich in Bewegung. "Du magst große Auftritte, kann das sein?"
"Ich bin der König. Natürlich mag ich große Auftritte. Außerdem mag ich es Eindruck zu machen", stellte ich fest und grinste sie an, in der Hoffnung sie ein wenig aufzumuntern.
Sie schmunzelte und schüttelte den Kopf. "Das erklärt Vieles."
"Was soll das denn jetzt heißen?", fragte ich gespielt beleidigt und verschränkte die Arme.
Kaira lächelte mich unschuldig an und sagte nichts. Ich freute mich zu sehen, dass sie nicht mehr so aufgewühlt und rastlos wie vor einigen Minuten war.
Wir schwiegen, bis wir vor den inzwischen geschlossenen Türen des Saals angekommen waren. Kaira und ich tauschten einen Blick, sie lächelte noch kurz und mit einem kraftvollen Stoß ließ ich die Pforten auffliegen.
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