12 • 3 | Azvar
Sprachlos starrte ich Kaira an. Tatsächlich hätte ich sie im ersten Moment kaum erkannt, wenn ich nicht wüsste, dass sie es war. Vor mir stand keine einfache, junge Angestellte in grauem Kleid, keine folgsame Dienerin. Diese Frau, die dort vor dem Spiegel stand und sich nun zu mir umdrehte, war stolz und unabhängig, blickte mich aus klugen Augen an und sah schöner aus, als ich es je für möglich gehalten hatte.
Die langen, rotblonden Haare waren zu einer hohen Frisur gesteckt, glitzernde Spangen hielten die welligen Strähnen an Ort und Stelle. Ihre silbergrauen Augen wurden von schwarzem Lidstrich betont, ihre vollen Lippen leuchteten in einem dunklen Rot. Silbern glänzende Ohrringe und eine filigrane Kette ließen Kaira aussehen wie die Frau von hoher Geburt, die sie in Wirklichkeit auch war. Ein freizügiges, weinrotes Kleid fiel ihr über die schmalen Hüften in einem weiten Rock bis zum Boden, unterstützte ihre Oberweite und zeigte die makellose Haut ihres Ausschnitts.
Mit einer knappen Handgeste schickte ich die anderen Dienerinnen aus dem Raum, ohne den Blick von Kaira zu nehmen. Wüsste ich es nicht besser, hätte ich gesagt, dass sie eine Caraliv mit ausgeprägtem gestaltwanderischen Talent war, die sich exakt nach meinem Geschmack darstellte.
Sie lächelte, als sie auf mich zutrat und einen sanften Kuss auf meine Lippen gab. "Danke. Das Kleid ist toll. Der Schmuck auch. Ich war schon lange nicht mehr so zurechtgemacht."
"Du siehst ... fantastisch aus", sagte ich leise, ließ die Finger sachte über ihre Wange wandern, weiter nach unten, über das Silber der Kette und die Gänsehaut, die sich auf Höhe ihres Brustbeins ausbreitete.
Ihr Lächeln wurde noch ein wenig breiter und ich sah ihr an, dass sie sich über das Kompliment freute. "Und du bist dir sicher, dass es keine Schwierigkeiten geben wird, wenn ich einfach so mitkomme?"
"Nein", gab ich zu. "Aber ein bisschen risikofreudig muss man ja auch mal sein. Bist du bewaffnet?"
Sie warf mir einen verwirrten Blick zu. "Nein. Sollte ich?"
"Nur für alle Fälle." Ich reichte ihr einen schmalen Dolch, den sie gut in einer kleinen Tasche im Kleid würde verbergen können. "Man kann nie wissen, was die Lazaliv sich so ausdenken."
Mit einem Nicken steckte Kaira den Dolch ein und zupfte etwas an ihrem Kleid herum, als es an der Zimmertür klopfte. "Man sollte dich nicht hier sehen. Bleib im Bad", wies ich sie an und wartete, bis die Zwischentür wieder verschlossen war, ehe ich den Besucher hereinbat.
Es war ein Bote, der mir mitteilte, dass alles soweit vorbereitet war und auch die Fürsten bereit waren, ihren Schwur zu leisten. Ich schickte ihn wieder zurück, mit der Nachricht, ich würde in einigen Minuten kommen.
"Ich muss gleich los. Wir beginnen mit der Zeremonie", meinte ich an Kaira gewandt. "Misch dich unter die Leute. Beim Bankett werde ich sowieso die Plätze wechseln, damit ich mich mit jedem mal unterhalten kann. Du kannst dich ja als Cousine von mir ausgeben oder sowas."
"Klar. Reicht ja nicht mich caralisch zu mogeln, ich muss gleich die Cousine des Königs sein", murmelte sie grinsend, während ich schon auf dem Weg zur Tür war. "Azvar?"
Ich drehte mich zu ihr um und begegnete ihren ruhigen, silbergrauen Augen und ihrem glücklichen Lächeln. "Danke."
"Immer gern." Flüchtig erwiderte ich das Lächeln, bevor ich den Raum verließ und die langen Korridore in Richtung des größten Saals des Anwesens entlang ging. Inzwischen war hier auf den Gängen wenig los, alle hatten sich versammelt und vermutlich wartete man hauptsächlich auf mich.
Vor den geöffneten Türen des Saals nahm die Zahl der Wachen stark zu, außerdem standen vereinzelt Paare oder kleine Grüppchen, nicht wenige schon mit dem ersten Weinglas in der Hand. Die, die mich bemerkten, verneigten sich oder knicksten vor mir, als Respektsbezeugung vor ihrem König. Früher, noch zu Lebzeiten meines Vaters, hatte ich das eher als störend und irritierend empfunden, inzwischen hatte ich mich längst daran gewöhnt.
Sobald ich in den Saal trat, wurde eine Gasse für mich gebildet und wieder erwiesen mir die Leute ihren Respekt. Ein gestresst wirkender Caraliv kam mir entgegen geeilt, vergaß beinahe die Verbeugung und wollte dann so schnell reden, dass er sich in den Worten verhedderte und keinen sinnvollen Satz zusammenbrachte.
Amüsiert beobachtete ich meinen Onkel und Gastgeber und wartete, bis er kurz innehielt, um seine Zunge zu entknoten. "Kein Grund zur Hektik, Lawar. Gibt es ein Problem?"
"Nein, nein, kein Problem", murmelte er zerstreut. "Ihr könnt Platz nehmen, dann können wir gleich beginnen. Es gab nur einige Schwierigkeiten mit ... gewissen Gästen."
"Lawar, du hast mich geduzt seit du als Zwölfjähriger den kleinen dreijährigen Prinzen geärgert und ausgelacht hast und um meinen Rang geschert hast du dich noch viel weniger. Fang jetzt bloß nicht damit an", wies ich ihn zurecht. Wer diese 'gewissen Gäste' waren, konnte ich mir denken, dem finsteren Blick nach zu schließen, den der Fürst gerade der kleinen Gruppe an Kindern zugeworfen hatte, die irgendwo in der Nähe des Buffettisches standen. Mir war ebenfalls klar, dass dieses Fest für Lawar eine solche Ehre war, dass er sich den geringsten Fehler nie verzeihen würde. So war es schon immer gewesen. Er hatte bei jedem Besuch eine Sache gehabt, in die er sein ganzes Herzblut steckte, die sein ganzes Leben beherrschte, bis es ihm langweilig wurde und er sich etwas Neues suchte. Mal war es das Malen gewesen, mal das Bogenschießen, mal das Trainieren von Ihashe. Und die letzten Wochen war es eben dieses Fest.
"Mhm", nahm er meine Aussage abwesend zur Kenntnis und ließ den Blick über die Leute schweifen. "Meine Frau sollte eigentlich hier sein, ich weiß nicht wo sie schon wieder hin ist."
"Sie steht draußen und redet mit zwei anderen Damen", erinnerte ich mich an seine füllige, vom Schmuck förmlich zusammengestauchte Frau vor den Pforten des Saals. "Sie wird kommen, wenn ich gleich anfange. Hör auf dich so zu stressen, Lawar. Alles ist gut."
"Wenn das nur so einfach wäre." Er tupfte sich mit einem weißen Tuch den Schweiß von der Stirn. "Aber ich denke, es ist alles vorbereitet. Willst du beginnen?"
"Ja. Sonst stehen wir hier ja noch eine Weile."
Lawar neigte den Kopf und deutete auf den thronartigen Stuhl, der am Kopfende des Saals hinter einer einzelnen Stufe aufgestellt worden war. Ich nickte dem Fürsten kurz zu, ehe ich mich dorthin begab und mich auf der gepolsterten Sitzfläche niederließ. Als ich den Blick über die Gäste schweifen ließ, bemerkte ich das weinrote Kleid Kairas nahe der Tür und blieb dort kurz hängen. Dann stimmten die Musiker eine kurze, signalartige Melodie an und die Aufmerksamkeit aller richtete sich auf mich. In der Menge bildete sich ein Mittelgang bis vor meinen Thron, die Caraliv, die draußen gestanden hatten, kamen in den Saal und die fünfundzwanzig Fürsten verließen ihn, um draußen zu warten, bis sie an der Reihe waren.
Aufrecht und mit der Hand am Knauf des Schwerts in meinem Gürtel wartete ich, bis bei den Leuten Ruhe einkehrte. "Lasst uns beginnen."
Mit langen, gemessenen Schritten kam wenige Sekunden später Lawar durch die Tür. Als Gastgeber hatte er die Ehre, den Anfang zu machen. Er trat die Stufe zum erhöhten Teil des Saals nach oben und ging dann vor mir auf ein Knie, hielt einen schmalen, aber langen Dolch an der Klinge mit dem Griff nach oben vor sich. "Ich, Lawar, Sohn von Khulum, Fürst der Stadt Dinarth und des umliegenden Landes, schwöre Euch, König Azvar, die Treue und Untergebenheit bis ans Ende Eurer Herrschaft. Euch allein biete ich die Waffe und das Blut meines Landes, in der Sicherheit, mit starker Hand und weisen Entscheidungen geführt zu werden."
Er hielt die rechte Hand mit der Fläche nach oben, als ich ihm den Dolch abnahm und einen kurzen, flachen Schnitt an seinem Handballen ansetzte. Einige Tropfen hellroten Bluts traten aus und ich hob seine Hand an meine Lippen, benetzte sie mit der metallisch schmeckenden Flüssigkeit. "Euer Blut sei mein Land, mein Volk und mein Reich, Euer Schwur meine Ausdauer, meine Unterstützung und meine Kraft. Erhebt Euch und tretet zurück als Herrscher über Euer Land und Untertan Eures Königs."
Langsam erhob sich Lawar aus seiner knienden Position, nahm seinen Dolch von mir entgegen und trat den Rückweg durch den Saal an. Wenige Sekunden später schritt Intalie mir entgegen, die Fürstin des östlichsten Regierungsbezirks, gekleidet in ein prachtvolles, dunkelgrünes Kleid, das sich auf dem Boden neben ihr ausbreitete, als sie vor mir auf die Knie sank.
Es wurde eine Geduldsprobe für alle Anwesenden, abzuwarten, bis alle fünfundzwanzig Fürsten an der Reihe gewesen waren. Nicht selten schweiften meine Gedanken ab und ich musste mich zur Konzentration zwingen, während ich Blutsschwüre besiegelte und meine Worte sprach. Doch schließlich hatte ich auch den letzten Eid hinter mich gebracht und die Fürsten traten alle wieder in den Saal.
Mit einem Lächeln breitete ich die Arme aus "Und nun lasst uns speisen und trinken und feiern, denn die Pflicht ist vollbracht und das Vergnügen wartet. Auf ein fröhliches Fest!"
Applaus brandete auf und ich trat die Stufe wieder nach unten. In faszinierender Geschwindigkeit brachte man zwei lange, gedeckte Tafeln in die Mitte des Saals, der thronartige Stuhl wurde nach hinten gerückt und ein dritter, kürzerer Tisch wurde quer zu den anderen beiden auf den erhöhten Teil des Saals gestellt. Dort in der Mitte war mein Platz und ich fand mich zwischen Eljina und Lawar wieder.
Mit einem kleinen Lächeln sah ich mich um, beobachtete, wie der Buffettisch in die Mitte des Saals verlegt wurde, wie die Leute wahllos ihre Plätze einnahmen und eine fröhliche Musik erklang. Es würde unheimlich guttun, mich mal wieder auf einem Fest ein wenig zu vergnügen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro