10 • 2 | Kaira
Thenia brauchte eine Weile, was mich nur nervös machte. Je länger ich hier herumsaß, desto wahrscheinlicher wurde es, dass unerwünschte Soldaten hier auftauchten. Doch ich ließ mir davon nichts anmerken und konzentrierte mich eher darauf, meine Emotionen wieder in den Griff zu bekommen und nicht mehr an Enlaya zu denken. Im dämmerigen Licht der wenigen Kerzen meldete sich schon bald meine Erschöpfung wieder zu Wort und ich war kurz vor dem Dösen, als Thenia wiederkam, gefolgt von zwei Männern und zwei Frauen.
Inzwischen war ich es so gewohnt, immer aufzustehen, wenn jemand anderes den Raum betrat, dass ich mich automatisch von meinem Platz erhob und den Neuankömmlingen entgegensah. Alle vier waren recht jung und konnten nicht viel älter sein als ich.
Einer der Männer stellte sich als Mynar vor. Sein verschlossener, abschätzender Blick aus dunkelgrauen Augen passte zu seiner Erscheinung als hochgewachsener Mann mit raspelkurzem, hellen Haar und kantigem Gesicht. Er musterte mich mit unverhohlener Abneigung und sagte außer seinem Namen kein Wort.
Krijan, ein Mann mit sehr viel freundlicherem Gesicht, blinzelte mich aus dunklen Augen an, die beinahe so schwarz waren wie die Azvars. Auch sein Haar schimmerte in dieser Farbe, fiel ihm in Locken bis auf die Schultern und wurde im Nacken von einem einfachen Band zusammengehalten. Seine Wangenknochen saßen hoch in seinem hageren Gesicht und betonten das markante Kinn. Ich konnte nicht umhin festzustellen, dass er ziemlich attraktiv war. Mein Blick fing sich für einen Moment in seinem und er schenkte mir ein Lächeln, das mein Herz für einen Schlag zum Stolpern brachte, bis mir einfiel, dass ich einen König hatte, der eindeutig auf mich stand und der mindestens genauso gutaussah.
Hastig wandte ich meine Aufmerksamkeit von ihm ab und sah zu den beiden Frauen. Anaira war die älteste unter allen vieren. Auf den ersten Blick war mir klar, dass sie jemand war, der pragmatisch und ordentlich vorging, sich keine Fehler erlaubte und dabei nicht viel sprach. Sie begegnete mir nicht direkt feindselig, doch in ihren dunkelblauen Augen lag eine Vorsicht und eine Wachsamkeit, die mir zeigten, dass ich mir ihr Vetrauen erst würde verdienen müssen.
Ilira hatte einen aufgewecken Blick aus violetten Augen und strohblonde, ungewöhnlich kurze Haare. Schon in den ersten fünf Sekunden, nachdem sie sich vorgestellt hatte, waren mehrere Sätze aus ihr herausgesprudelt und sie plapperte so schnell, dass ich ihr kaum folgen konnte. Mühsam suchte ich nach einer Lücke in ihrem Redefluss, in der ich sie unterbrechen konnte, doch scheinbar kam sie ohne Luftholen und ohne Punkt oder Komma aus.
Schließlich tat Krijan mir den Gefallen, Ilira eine Hand auf die Schulter zu legen. Sie drehte sich zu ihm um und sobald ihr Blick den seinen traf verstummte sie und ihr Mund stand leicht offen. Ich konnte praktisch sehen, wie ihr Gehirn seine Arbeit verweigerte und sie völlig perplex in die amüsiert funkelnden Augen ihres Gegenübers starrte. Unwillkürlich musste auch ich schmunzeln. Scheinbar war Krijan sehr wohl bewusst, welche Wirkung er haben konnte, und wusste diese einzusetzen. Ein wenig verlegen räusperte ich mich und wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Diese Vier waren mir gleichrangig, gleichzeitig musste ich ihnen Anweisungen geben und ihre Arbeit koordinieren.
"Wir sind gerade fertig geworden mit Putzen", nahm Ilira mir das Wort ab und lächelte mich so herzlich an, dass ich kurz irritiert davon war. Seit wann war jemand so nett zu mir? "Das Bett muss noch bezogen werden und die Fensterscheibe wurde noch nicht ersetzt."
"Danke", sagte ich und nickte leicht. "Ich werde mir die Räume ansehen. Könnte jemand von euch waschen? Bitte?" Es fühlte sich seltsam an, wieder in der Position zu sein, anderen Befehle zu geben. Früher war es vollkommen normal gewesen, Bedienstete herumzukommandieren und meinen Willen erfüllt zu sehen. Jetzt kam es mir falsch vor, als sich Anaira sofort dazu bereit erklärte und dann den Raum verließ, um meinen Anweisungen nachzukommen.
"Ich komme mit dir nochmal hoch", bot Ilira an. "Das Bett bezieht sich schließlich nicht von selbst."
Einerseits war ich müde und wusste nicht, ob ich ausreichend Nerven für den Redeschwall der Caraliv hatte, doch andererseits war Gesellschaft vielleicht auch ganz schön und sie wirkte nicht, als hätte sie vor diese zu nutzen, um mich zu provozieren. Also stimmte ich zu und zu zweit gingen wir die Treppen nach oben in Richtung der königlichen Gemächer. Sobald wir allein waren, redete Ilira schon wieder drauflos.
"Hast du Mynars Blick gesehen, als er sich vorgestellt hat? Eigentlich ist er immer gut drauf, aber er kann Lazaliv nicht leiden. Seine Frau wurde von ihnen umgebracht und seitdem will er unbedingt Rache. Ich frage mich, wieso er dann nicht Soldat geworden ist und wieso er nach seinen drei Pflichtjahren wieder hierhergekommen ist. Vermutlich wollte seine Frau - na ja, damals noch Freundin - nicht, dass er sich in Gefahr bringt. Aber man hat ja gesehen, wie sicher es hier im Palast ist. Ich bin froh, dass wir gerade nicht da waren, als ... als es passiert ist. Krijan war gerade auf dem Weg dorthin, es war nichts als Glück, dass Jehiana ihn noch aufgehalten hat und er erst ankam, als die Lazaliv schon wieder weg waren. Jedenfalls, um Amroth ist es nicht schade. Du hättest mal sehen sollen, wie er uns behandelt hat. Ich wette, Azvar wird ein viel besserer König sein als er. Einer, der sich auch um die schert, die er regiert."
Ilira schien meinen überraschten Blick zu bemerken, denn sie hielt kurz inne und zuckte mit einem verschmitzten Grinsen mit den Schultern. "Alle denken es, wieso nicht aussprechen? Amroth war ein grausamer Mann und keiner mochte ihn. Ende. Erzähl mir nicht, Azvar wird besonders traurig sein über seinen Tod."
Nach kurzem Zögern erwiderte ich das Grinsen. Es war ungewohnt, jemanden schlecht über den verstorbenen König sprechen zu hören. Bei Azvar schon war es eine Unerhörtheit, ganz zu schweigen von einer Dienerin, die es wagte, schlecht über ihren Herrscher zu reden. Sofort stieg Ilira in meinem Ansehen und sie wurde mir sympathisch.
"Wird er nicht", bestätigte ich. "Doch der Tod seiner Schwester hat ihn tief getroffen."
"Verständlich. Die beiden standen sich schon immer nahe. Ihr Tod trifft das ganze Land", meinte Ilira seufzend, während sie die Tür zu den königlichen Gemächern aufstieß und noch vor mir eintrat.
Den kurzen Blick, den ich kurz nach dem Mord an Amroth von seinen Gemächern bekommen hatte, zeigte keinerlei Ähnlichkeit zu den prachtvollen Räumen, die ich nun sah. Allein das Bett war größer als meine jetzige Kammer, der Kleiderschrank ein eigener, riesiger Raum und das Bad war unterteilt in zwei Räume, einer davon beinhaltete lediglich eine in den Boden eingelassene Wanne, die so groß und tief war, dass man mit Leichtigkeit einige Züge darin schwimmen konnte. Mein erster Gedanke war nicht, wie luxuriös dieses Badezimmer war, sondern was für eine Teufelsarbeit es sein musste, diese Wanne zu füllen.
Während Ilira das Bett mit einem frischen Laken bezog und die Kissen alle mit einem neuen Bezug versah, erkundete ich jeden Winkel dieser Räume. Der König hatte eine eigene kleine Kammer für Waffen, einen direkten Zugang zu den Ratsräumen, ein großes Arbeitszimmer mit zwei Schreibtischen und einer Regalwand, in der sich Ordner und zusammengebundene Pergamentbögen aneinanderreihten. Ein Zimmer war mit einem Bücherregal und einem bequem aussehenden Sessel ausgestattet, wobei ich mir kaum vorstellen konnte, dass Amroth sich jemals mit einem Buch vor den Kamin gesetzt und gelesen hatte.
Ein weiterer Raum bot ein kleineres Bett und ein Sofa, außerdem ein weiteres, daran anschließendes Badezimmer, während der Raum, den man von den Korridoren als Erstes betrat, so aussah, als wäre er dafür gedacht dort Gäste zu empfangen und sich mit ihnen zu unterhalten. Ein kleiner Tisch stand in der Mitte mehrerer Sitzgelegenheiten und an der Wand befand sich eine Kommode mit Karaffen, die Wein und Wasser enthielten, und einigen Kleinigkeiten wie Obst. Der Balkon führte vom großen Schlafzimmer ab und trotz der zerbrochenen Scheibe eines der Fenster konnte ich das königliche Gefühl nur zu gut nachvollziehen, als ich durch die breiten Türen nach draußen trat, den polierten, weißen Marmor unter den Füßen, die verzierte Balustrade vor mir und dahinter einen Ausblick über die gesamte Hauptstadt.
"Wofür ist das zweite Schlafzimmer?", fragte ich, als ich meinen Rundgang beendete und wieder zu Ilira kam. Fasziniert beobachtete ich, mit welch präzisen Bewegungen sie die Arbeit erledigte, ungefähr dreimal so schnell wie ich und dabei um einiges ordentlicher. Man sah ihr an, dass sie viel Übung darin hatte und dies vermutlich seit Jahren täglich machte.
"Theoretisch für die Königin. Eigentlich wird aber erwartet, dass sie natürlich mit ihrem Mann in einem Bett schläft. Ich weiß nicht, wie das bei Amroth und seiner Gemahlin war, sie wurde getötet, bevor ich angefangen habe zu arbeiten", erklärte Ilira und arbeitete nebenbei seelenruhig weiter. "Die Tür hinter dem Arbeitszimmer führt zu unseren Schlafräumen", ergänzte sie dann und ich ging sofort wieder, um nachzusehen.
Eine der verborgenen Türen führte in einen kleinen Raum mit zwei Stockbetten und einem Einzelbett. Jedes davon hatte ein kleines Regal und eine Ablagefläche daneben. Durch eine weitere schmale Holztür gelangte ich in ein Zimmer mit einem kleinen Fenster, einem etwas größeren Bett und einem richtigen Schrank. Es dauerte einen Moment, bis mir auffiel, dass dies hier vermutlich mein Zimmer war und die anderen in einem Raum schlafen würden. Ich war froh darüber, denn nur selten schlief ich eine Nacht durch, ohne von einem Traum aufzuwachen, und erst jetzt, da ich es monatelang nicht gehabt hatte, wusste ich ein Fenster neben dem Bett zu schätzen, mochte es auch noch so klein sein.
Als ich zurück ins große Schlafzimmer trat, war Ilira gerade fertig und das riesige Himmelbett mit der weichen Decke und den zahlreichen Kissen, gestützt von kunstvoll geschnitzten Bettpfosten, sah so unfassbar einladend aus, dass ich mich zusammenreißen musste, mich nicht darauf fallen zu lassen.
"Du siehst aus, als würdest du gleich im Stehen einschlafen", stellte Ilira fest.
Seufzend nickte ich. "Es war eine lange Nacht und ich konnte danach nur wenig schlafen."
"Dann geh jetzt. Teste dein neues Bett. Wir kümmern uns schon", versprach sie und lächelte mich so ehrlich an, dass mir ganz warm ums Herz wurde. Wie schön es war, mal einen Gefallen getan zu bekommen.
"Danke", erwiderte ich und erwiderte das Lächeln so fröhlich ich konnte, bevor ich wieder in mein neues Schlafzimmer ging und es nicht einmal mehr schaffte, mein Kleid auszuziehen, bevor ich auf die Matratze fiel und augenblicklich eingeschlafen war.
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