09 • 3 | Kaira
Wortlos folgte ich Azvar durch den wieder schwächer werdenden Rauch. Adrenalin rauschte durch meine Adern, ließ meinen Puls in die Höhe schnellen, beschleunigte meine Atmung und versorgte mich mit Energie, die ich dringend gebrauchen konnte.
Auch Azvar sprach nicht. Ich wusste, dass ihm dieses Anzeichen von Schwäche von gerade eben unangenehm war und dass er wütend werden würde, sollte ich ihn irgendwann einmal darauf ansprechen. Doch ich konnte ihn verstehen. Verantwortung lastete auf seinen Schultern, so schwer, dass unter diesem Gewicht jeder straucheln würde. Ich war froh, dass ich ihm hatte helfen können und er nun wieder die Fassade des starken Thronfolgers aufrechterhielt.
Im Korridor von Amroths Gemächern trafen wir auf den Kampf. Der Rauch war hier wieder beinahe vollständig verflogen und man konnte deutlich erkennen, was vor sich ging.
Zwei Lazaliv kämpften gegen eine Übermacht an Caraliv und gerade, als Azvar und ich auf sie zutraten, wurde einer davon getötet. Leblos sackte er zu Boden, hellgraues Blut durchnässte seine Kleidung. Der zweite Lazaliv wollte fliehen, doch er wurde am Kragen zurückgezogen und eine Klinge durchtrennte seine Kehle.
Das Ganze war so schnell passiert, dass ich erst, als beide tot waren, erkannte, wer genau da kämpfte. Unter den fünf Caraliv waren vier Soldaten in Uniform und Rüstung, doch die fünfte Gestaltwandlerin war niemand anderes als Enlaya. Die Prinzessin trug ein leichtes Nachtgewand und war bewaffnet mit einem langen, schmalen Schwert, an dessen Klinge graues Blut haftete. Sie hatte eine Wunde am Oberschenkel, von der tiefrotes Blut austrat und die weiße Seide ihrer Kleidung färbte. Doch in ihren Augen lag ein Feuer, ein Hass, eine Entschlossenheit, die sie erstaunlich ähnlich zu ihrem Bruder und ihrem Vater aussehen ließ.
Mit langen, schnellen Schritten schritt Azvar nun auf die Gruppe zu und obwohl ich ihn nur von hinten sah, hatte ich seinen funkelnden Blick vor Augen und spürte die Wut in pulsierenden Wellen von ihm ausgehen. Nicht ganz so überstürzt folgte ich ihm und hielt sicherheitshalber genug Abstand von seiner Klinge.
"Enlaya!" Seine Stimme donnerte durch den Korridor und brachte die vier Soldaten dazu, sich respektvoll vor ihm zu verneigen und den Blick vor ihm gesenkt zu halten.
Enlaya jedoch hob das Kinn und sah ihrem Bruder stolz entgegen. "Wir waren gerade auf dem Weg in den Schutzraum", behauptete sie. "Die Lazaliv standen hier herum und sahen nicht so aus, als würden sie hierhergehören. Wir haben sie beseitigt."
"Das sehe ich auch", schnappte Azvar. "Du bist verletzt! Wie kannst du nur so töricht sein und in einen Kampf rennen? Und ihr!" Sein glühender Blick richtete sich auf die Soldaten, die darunter zu schrumpfen schienen. "Wie könnt ihr es zulassen, eure Prinzessin in Gefahr zu bringen! Eure Aufgabe ist es, sie sicher nach unten zu geleiten und dort Wache zu halten!"
Unruhig trat ich von einem Fuß auf den anderen. Ein Gefühl hatte sich in meiner Magengegend breitgemacht. Ein ungutes Gefühl, das mir ganz und gar nicht gefiel. Etwas stimmte hier nicht. Etwas hatten wir übersehen.
"Die Lazaliv standen hier nur herum?", hakte ich nach und unterbrach die gestammelte Antwort eines Soldaten.
"Ja." Enlaya nickte bestätigend. "Jetzt stehen sie erstmal nicht mehr." Ein zufriedenes Grinsen zierte ihre Lippen, das ich nicht erwidern konnte.
Mit Absicht sah ich nicht auf den Boden, sah nicht in die Gesichter der getöteten Flügelwesen, aus Angst, einen von ihnen zu erkennen. Doch die leichte Übelkeit in meinem Magen wurde davon nicht besser. Mir wurde auf einmal bewusst, dass wir uns direkt neben den breiten Türen befanden, die in die Gemächer des Königs führten. Sie waren verschlossen, die zwei Wachen, die Tag und Nacht die Türen flankierten, lagen mit durchschnittener Kehle am Boden.
Langsam drehte ich mich zu den mit kunstvollen, vergoldeten Schnitzereien verzierten Holztüren und trat darauf zu. Ich spürte die Blicke aller Anwesenden auf mir, als ich eine Hand ausstreckte und nach dem Knauf greifen wollte.
Bevor ich das dunkle Holz berühren konnte, wurde die Tür von innen aufgestoßen und traf mich direkt ins Gesicht. Mein Gleichgewicht suchend taumelte ich aus dem Weg, eine Hand fuhr zu meiner Stirn, auf der sich der seichte Schmerz einer geringfügigen Wunde ausbreitete.
Es dauerte einen Moment, bis ich wieder klar sehen konnte und in diesem Moment passierten mehrere Dinge gleichzeitig.
Reflexartig wichen Azvar und die Soldaten vor den aufgestoßenen Türen zurück, aus denen nun vier Lazaliv gestürmt kamen. Ein, zwei Sekunden starrten sich beide Parteien überrascht an, niemand hatte mit der plötzlichen Anwesenheit von Feinden gerechnet. Dann reagierte einer meiner Artgenossen zuerst und packte Enlaya, die sich nicht rechtzeitig verteidigen konnte. Azvar, die vier Soldaten und ich machten gleichzeitig eine Bewegung nach vorne, um ihr zu helfen, und gleichzeitig zuckten wir wieder zurück.
Ein kleiner Dolch lag in der Hand des Lazaliv und drückte sich gegen die helle, makellose Kehle der Prinzessin. Ihr Schwert lag auf dem Boden, ihr Arm wurde verdreht auf dem Rücken gehalten.
Im gleichen Moment erkannte ich den Mann, der Enlaya so gewaltsam festhielt und wie ein Feuer breitete sich diese Erkenntnis in meinem Körper aus. Meine Knie wurden weich, trugen mein Gewicht beinahe nicht mehr. In meinem Kopf begann es sich zu drehen. Bilder zuckten vor meinem inneren Auge umher und ich verlor den Draht zum Hier und Jetzt.
"Jetzt ganz, ganz ruhig bleiben." Wie ein Schlag ins Gesicht holte mich die leise, beinahe sanfte Stimme meines Bruders wieder zurück in den Moment.
So verzerrt meine Wahrnehmung eben noch gewesen war, jetzt schienen sich meine Sinne zu verschärfen. Ich sah wieder klar und gestochen scharf, konnte jede kleinste Bewegung erkennen. Meine Ohren nahmen die Schreie, Rufe und Befehle wahr, die von draußen bis hierher drangen. Ich roch den beißenden Geruch des Rauchs, der auch hier noch präsent war, ebenso wie der stechende Gestank von frisch vergossenem Blut. Jeden einzelnen Muskel in meinem Körper schien ich zu spüren, angespannt und verkrampft wie ich war.
Langsam bewegte sich Najik, ohne seinen Griff um Enlayas Arm und Oberkörper zu lockern. Er schob sich nach links, weg von den Türen zu Amroths Gemächern, hin zum nächsten Fenster. Seine weißen Schwingen waren gesprenkelt von rotem Blut. Er sah älter aus, als ich ihn in Erinnerung hatte, doch ein kaum sichtbares, siegessicheres Lächeln lag auf seinen Lippen. All seine Aufmerksamkeit lag auf Azvar, ich glaubte nicht, dass er mich gesehen hatte, stand ich doch hinter der Tür und hatte mich seit seinem Auftauchen keinen Millimeter bewegt.
"Lass die Waffe fallen", befahl mein Bruder und verstärkte seinen Griff, als Enlaya begann sich zu wehren. Der Dolch an ihrer Kehle hinterließ einen kleinen Schnitt. Ein einzelner, hellroter Tropfen Blut trat aus.
Ich sah zu Azvar und konnte sehen, wie es in ihm kämpfte. Doch wusste ich auch, wie er sich entscheiden würde. Zu gut kannte ich ihn und zu groß war seine Fürsorge.
Klirrend traf sein Schwert auf dem Boden auf.
Najiks Lächeln wurde breiter. "Schön. Sehr schön." Er wich weiter zurück, noch immer die Klinge an Enlayas schweißbedeckter Kehle. Die Tränen in ihren Augen schienen mir heller als jedes Sonnenlicht entgegenzublitzen.
"Wir haben, was wir wollten, Najik." Einer seiner Begleiter trat näher zu ihm und sprach so leise, dass vermutlich außer ihnen beiden nur ich es hören konnte. "Wir müssen uns zurückziehen. So war der Plan."
Das Gesicht des lazalischen Prinzen blieb ausdruckslos, zumindest für Außenstehende. Ich kannte seine Gesichtzüge, seine Launen, konnte die kleinsten Veränderungen einer Reaktion zuordnen. Er überlegte. Kaum merklich biss er die Zähne zusammen. Die gefällte Entscheidung gefiel ihm nicht. Seine Lippen verformten sich zu schmalen Strichen.
Er hatte einen Plan.
Ganz leicht nickte er und seine drei Soldaten zogen sich weiter zurück, in Richtung des Fensters, das ihnen den schnellsten Fluchtweg ermöglichen würde. Doch Enlaya war weiterhin in seinem Griff. Ich sah, wie Azvars Blick sich auf seine Schwester heftete und wusste, dass hinter seinem beherrschten Gesichtsausdruck Todesangst lauerte.
"Du tust mir fast schon leid, Azvar", sagte Najik und seine Stimme war leise, doch in der Stille des Korridors verstand man jedes Wort. Das Lächeln wich allmählich von seinem Gesicht, wie Regentropfen, die langsam von einer glatten Oberfläche abperlten. "Immerhin weiß ich, wie es sich anfühlt, eine Schwester zu verlieren."
Es war eine einzige, kurze Bewegung mit der rechten Hand. Scharlachrot ergoss sich das Blut über Najiks Finger auf das weiße Seidengewand, tropfte zu Boden, spritzte an die Wand und in sein Gesicht. Ein beängstigender Ausdruck von Verngügen lag auf seinem Gesicht, als er den leblosen Körper Enlayas zu Boden fallen ließ.
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