09 • 1 | Kaira
Wir ritten langsamer zurück, als wir gekommen waren. Der Wald war getaucht in rotes Licht, die Schatten dunkel. Kleine Tiere raschelten im dichten Unterholz, die Blätter wisperten leise über uns.
Entspannt lehnte ich mich an Azvar, spürte seine Muskeln an meinem Rücken und seinen Atem auf meinem Haar. Noch immer schmeckte ich ihn auf meinen Lippen, spürte seinen Körper dicht an meinem. Ein Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus, gegen das ich weder etwas tun konnte noch wollte.
"Ich glaube nicht, dass ich das gerade zu einer lazalischen Dienerin sage", murmelte Azvar nach einer Weile, "aber wenn wir allein sind, kannst du mich jetzt natürlich duzen."
Mein Lächeln wurde noch ein wenig breiter und ich nickte. "Danke."
Doch eine Sache hing unausgesprochen in der Luft, die wir beide nicht aussprechen wollten. Schließlich nahm ich mich aber zusammen und stellte das fest, was uns beiden unsere Freude dämpfte.
"Du wirst dich verloben."
Ich spürte, dass Azvar sich etwas verspannte, und strich mit der Hand sachte über seinen Arm, um die Muskeln dort zu lockern.
"Nicht freiwillig."
Schon bereute ich es wieder, die Sache angesprochen zu haben. Azvars entspannte Präsenz hatte sich verändert. Er war nun wieder verkrampft und in seiner Stimme lagen die vielen Sorgen, die ihn beschäftigten. Mir hatte die vorherige Stimmung besser gefallen.
"Das weiß ich", versicherte ich. "Aber du wirst trotzdem eine Frau haben."
Nur mit Mühe beherrschte ich meine Stimme und ließ die Verbitterung, die bei diesem Gedanken mein Herz ergriff, nicht durchscheinen. Eifersucht legte mir einen Stein in den Magen, den ich in der Stille nach meinen Worten nur zu gut spürte.
"Ich muss mich nicht an eine Frau halten." Azvars Stimme war hart und klang selbst nicht so ganz überzeugt von seinen Worten.
"Du wirst deiner Gemahlin das Herz brechen, wenn du es nicht tust", erwiderte ich und stellte mir vor, die Ehre zu haben, einen Prinzen zu heiraten, nur um dann in seiner Gunst hinter einer Bediensteten zu stehen.
"Morgen bin ich mit der Tochter eines der Mitglieder im Rat verabredet, doch ich glaube nicht, dass sie es weit bringen wird. Eljina hat das Wohlwollen meines Vaters und ihr ist bewusst, dass sie als Frau des Thronfolgers nicht meine einzige bleiben wird. Sie hat es mir selbst gesagt."
Ein Stich durchbohrte mein Herz, als er so beiläufig von einem Treffen mit einer anderen Frau erzählte. Auf einmal konnte ich verstehen, wieso jede der Bediensteten eifersüchtig war auf die Damen, die auch nur die geringste Chance hatten, die zukünftige Königin zu werden.
"Das heißt, sie würde es akzeptieren, wenn du sie betrügst?", fragte ich skeptisch und konnte nicht recht glauben, dass Eljina die Möglichkeit, Azvar für sich allein zu haben, einfach so ignorieren würde.
"Erstens hätte sie theoretisch gar keine Wahl. Es ist allgemein bekannt, dass der König sich nimmt, wen er haben will. Ich bezweifle, dass mein Vater seit dem Tod meiner Mutter jede Nacht allein in seinem Bett verbracht hat. Zweitens erspart es ihr wohl einiges an Schmerz, wenn sie es einfach akzeptiert und nicht dagegen kämpft", erklärte Azvar, "Und drittens weiß sie, dass ich jemanden habe, seit ich sie gefragt habe, wie man Frauen am besten besänftigt."
Überrascht drehte ich den Kopf zu ihm und sah ihn an. "Du hast mit ihr über mich gesprochen?"
"Sie wusste natürlich nicht, dass es du bist. Aber ja, indirekt schon." Er lächelte belustigt und musterte mich aus seinen schwarzen Augen. "Sie hat mir gesagt, ich soll dir einen Gefallen tun."
"Wenigstens gibt sie guten Rat", murmelte ich und wollte mich gerade wieder nach vorne drehen, als Azvars Blick sich veränderte. Er sah starr geradeaus, das Schwarz wurde glasig, seine beherrschten Gesichtszüge entglitten ihm und verzogen sich zu einer entsetzten Grimasse.
Erschrocken drehte ich mich wieder nach vorne und sah, was den Prinzen so schockierte.
Samalfar war zwischen den Bäumen erschienen, die Wiese trennte uns noch von der Stadtmauer. Dunkle Gestalten schossen über der Stadt durch die Luft, Flammen züngelten zwischen den Häusern hervor und ein heller Schein erleuchtete den rötlich-dunklen Nachthimmel. Immer wieder stürzten die Flügelwesen hinab, stiegen wieder auf, feuerten Pfeile ab und wichen den Geschossen vom Boden aus.
"Die Lazaliv greifen die Stadt an", flüsterte ich leise und sprach das aus, was Azvar mit eigenen Augen sehen konnte. Ich spürte seinen Oberkörper an meinem Rücken, die angespannten Muskeln, der beinahe zittrige Atem.
Für ein, zwei, drei Sekunden hielt er die Zügel des Ihashe locker in der Hand, rührte sich nicht. Wir beide starrten voller Entsetzen auf die Stadt, die vor unseren Augen von meinen Artgenossen niedergebrannt wurde. Dann schien Azvar aus seiner Schockstarre zu erwachen. Ruckartig trieb er das Tier an, das in einem schnellen Galopp auf die Stadtmauer zupreschte. Azvar beugte sich tief über den Sattel und so lehnte auch ich mich nach vorn, ließ mir die Haare ins Gesicht fallen, als wir uns dem Tor näherten. Zwei Soldaten standen davor und bewachten es, doch hätten sie unnötiger nicht sein können. Keines der Himmelsgeschöpfe würde am Boden angreifen.
"Öffnet das Tor!", brüllte Azvar, als wir uns weiterhin in vollem Tempo näherten, und scheinbar war seine Stimme deutlich genug, um erkannt zu werden. Sofort wurde das Tor so weit geöffnet, dass unser Ihashe durchkam.
Azvar drosselte das Tempo kein bisschen, als wir durch die Stadt auf den Palast zu preschten. Als Mitreiter hatte ich Zeit, mich flüchtig umzusehen und die Lage einzuschätzen.
Caraliv rannten durch die Straßen, einige konnten nur knapp den Hufen unseres Ihashe ausweichen. Kinder weinten, Eltern riefen, Verletzte schrien und Tote sackten zu Boden. Ein unangenehm beißender Geruch nach Rauch hing in der Luft und stach in Nase und Kehle.
Lazaliv glitten lautlos durch die Luft, landeten im dichten Rauch der Feuer und töteten, bevor man sie bemerkte. Nur wenige ließen sich in den Nahkampf verwickeln, der Großteil erhob sich wieder in die Luft, noch bevor ihr jüngstes Opfer auf dem blutverschmierten Boden aufgekommen war.
Von der Stadtmauer und einigen Wachtürmen wurde Pfeil um Pfeil in die Luft gefeuert, doch nur wenige fanden ihr Ziel. Die Lazaliv, die tödlich getroffen wurden, rasten schreiend zu Boden und schlugen mit einem knirschenden, schmatzenden Geräusch auf die Pflastersteine auf.
Hier und da brannte ein Feuer, das starken Rauch verströmte, und nur wenige Caraliv nahmen sich die Zeit, diese zu löschen. Wenige Häuser standen bis jetzt in Flammen, doch je weiter wir uns dem Palast näherten, desto häufiger wurden die Brandherde und desto dichter der Rauch.
Auch das Tor der Mauer um das riesige Palastgelände wurde für uns geöffnet, und dann wurde mir klar, was die Taktik der Lazaliv sein musste.
An der Mauer entlang waren mehrere Feuer gelegt und als wir hindurch ritten, sah ich, dass auch an der Palastwand zahlreiche Flammen leckten. Die ganze Stadt war voll von kleinen, stark rauchenden Feuern, die nicht gelegt waren, um möglichst viel Schaden damit zu machen.
Sie wollten, dass die Caraliv nichts mehr sahen. Dass der Rauch ihnen Deckung gab, dass sie unbemerkt eindringen und töten konnten. Als ich einen Blick in den Himmel warf, musste ich feststellen, dass sie damit nicht allzu schlecht aufgestellt waren. Dicht hing der Qualm in der Luft und wurde von Kaluur bestrahlt, sodass das rote Licht in Streifen durch den Rauch drang. Hier und da blitzte eine Schwinge oder eine Silhouette auf, doch mehr war nicht zu erkennen.
Die Eingangstüren des Palastes waren verschlossen, die Wachen hatten ihren Posten verlassen. Azvar stieg von dem keuchenden Ihashe ab, noch bevor es ganz zum Stillstand gekommen war, und schlug mit den Fäusten gegen die breite Pforte. Etwas vorsichtiger ließ ich mich von unserem Reittier gleiten und sah mich wachsam um.
Niemand öffnete, auch nicht nach fast einer Minute, in der wir reglos im Rauch standen, den beißenden Geruch in der Nase und das Knistern des Feuers in den Ohren.
Ein weiteres Mal schlug Azvar ans Tor, drehte sich dann mit verbissenem Gesichtsausdruck um. "Wir versuchen einen anderen Eingang!", rief er über ein lautes Krachen hinweg. Steine bröckelten irgendwo zu Boden. Der Palast wurde beschossen.
"Das bringt nichts!", entgegnete ich und kam ihm näher, damit wir uns besser verstanden. "Der Palast wird dicht gemacht worden sein. Sie versuchen einzudringen, man wird nicht öffnen. Schau dich um, Azvar! Sie räuchern uns aus wie ein Insektennest! Wir müssen anders in den Palast kommen."
Azvars Blick war misstrauisch und wenig überzeugt, doch ich hatte eine Idee und, mangels besserer Möglichkeiten, auch vor diese umzusetzen. Ohne auf seinen überraschten Blick zu achten, trat ich nahe auf ihn zu, sodass wir uns beinahe berührten. Seine Augen waren gerötet vom Rauch, eine tiefe Sorgenfalte durchschnitt seine Stirn und seine Gesichtszüge waren hart und angespannt.
"Vertraust du mir?", fragte ich leise und griff nach seiner Hand.
Er zögerte nur einen winzigen Augenblick, dann nickte er und drückte meine Finger kurz.
"Halt dich fest", wies ich ihn an, schlang einen Arm fest um seinen Oberkörper und entfaltete meine Schwingen. In derselben Bewegung schlug ich kraftvoll mit ihnen, während Azvar sich an mir festhielt. Meine Flügel waren stark genug, uns beide zu tragen, doch kamen wir nun langsamer voran.
Der dichte Rauch nahm mir die Sicht und ließ meine Augen tränen, doch ich hoffte, dass so auch wir unbemerkt blieben. Mein Plan war, durch eine der Schießscharten in den Palast zu gelangen, doch sobald ich die erste sah, wurde mir klar, dass aus diesem Plan nichts wurde. Die Lücken in der Mauer waren zu schmal selbst für mich, geschweige denn Azvar. Vorsichtshalber hielt ich mich nun davon fern, falls die Lücken noch besetzt waren und wir für Eindringlinge gehalten wurden.
Nun machte sich doch Verzweiflung in mir breit. Mit Azvar konnte ich nicht allzu lange fliegen, untrainiert wie ich war, doch wir mussten irgendwie in den Palast gelangen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand von den Caraliv auf uns schoss oder jemand der Lazaliv den Prinzen erkannte.
Nur mit Mühe konnte ich ein Husten unterdrücken. Der Rauch wurde dichter, kratzte in der Kehle und füllte meine Lungen.
Angespannt ließ ich meinen Blick über den kleinen Mauerabschnitt gleiten, den ich durch den Qualm sehen konnte, während wir weiter aufstiegen. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich eine Unreinheit und unwillkürlich flog ich dieser entgegen.
Nun war die Ursache für das Krachen klar, das vorhin beinahe Azvars Worte übertönt hätte. Ein Loch war in die dicke Mauer des Palastes geschlagen worden, ein Eingang mit einem Durchmesser von mindestens zwei Metern hatte sich für die Lazaliv geöffnet, die durch den Rauch vor den ziellosen Pfeilen der Caraliv geschützt waren.
Nicht ganz so elegant wie sonst landete ich in dieser Öffnung und setzte Azvar ab. Teile von Ziegeln und Putz lagen im Korridor verstreut, der sich nicht weit weg von den königlichen Gemächern befand. Der Rauch war hier nicht ganz so dicht, hing an der Decke und verhüllte die Feuerschalen, die von dort die Gänge erhellten. Endlich konnte ich dem Bedürfnis nachgeben und hustete, wischte mir über die tränenden Augen, sodass ich wieder mehr erkennen konnte.
Caraliv und Lazaliv gleichermaßen lagen verstreut auf dem Boden, alle tot oder kurz vor dem Verbluten. Hier kämpfte niemand mehr und ich fragte mich, ob meine Artgenossen sich hier zurückgezogen hatten, oder ob sie tiefer in den Palast vorgedrungen waren.
Azvar hatte sein Schwert gezogen und sah sich ebenfalls um, sein Blick wurde von einem am Boden liegenden, halbtoten Caraliv angezogen. Langsam sank er neben ihm zu Boden und ich erkannte einen seiner beiden engsten Freunde. Rednir. Ich mochte ihn nicht unbedingt, doch der Ausdruck von Schmerz auf Azvars Gesicht erweckte meine Sympathie.
Um in diesem Moment kein unerwünschter Eindringling zu sein, wandte ich mich ab und suchte mir eine Waffe von den Leichen. Ich fand ein langes, verhältnismäßig leichtes Schwert, das mir gut in der Hand lag. Als ich wieder zu Azvar blickte, erhob er sich gerade wieder, sein Gesicht eine ausdruckslose Maske.
"Die Lazaliv sind im Palast, keiner weiß, was genau sie wollen. Rednir ist tot. Nimm dir ein Schwert und komm mit." So beherrscht Azvars Gesicht auch war, für seine Stimme reichte es nicht ganz. Ein kaum merkliches Zittern lag darin, ein Zeichen davon, dass ihn diese Situation mehr mitnahm, als er zulassen wollte.
Ohne auf meine Antwort zu warten, wandte er sich ab und ging weiter in den Palast hinein, das Schwert mit der linken Hand fest umklammert. Schon nach wenigen Schritten hatte ihn der Rauch beinahe vollständig verschluckt.
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