08 • 3 | Kaira
Am Morgen ging ich Azvar aus dem Weg, bis er zu seinem Treffen mit Eljina aufbrach. Dann wollte ich eigentlich Wäsche waschen, eine Aufgabe, die ich gerne bis zum letzten Drücker aufschob, doch Enlaya lief mir über den Weg und fragte mich nach einem Spaziergang mit ihr.
Als ich zögerte, schickte sie eine ihrer Dienerinnen, um meine Arbeit zu machen, und zog mich mit ihr in den Palastpark, der noch innerhalb der Mauern um das Gelände lag und mit gezüchteten Pflanzen und künstlichen Bächen und Teichen einen angenehmen Grünflecken bildete.
Die Prinzessin trug ein schönes, blaues Kleid und ein Diadem mit dem Zeichen der caralischen Könige. Zwar beschwerte sie sich alle zwei Minuten über die nicht vorhandene Bequemlichkeit des Kleides, doch grinste sie eine Weile vor sich hin, als ich ihr versicherte, dass sie bezaubernd wie eine Königin aussah.
Inzwischen gingen wir seit einer ganzen Weile, das Wetter war schön und für diese Zeit im Jahr noch warm. Athkazr stand schon tief, während Kaluur gerade aufgegangen war.
"Habt ihr in Rokthan auch einen Park?", fragte sie neugierig, während wir an einem schmalen, plätschernden Bachlauf entlang gingen und auf der anderen Seite des Weges von penibel zurechtgeschnitten Büschen flankiert wurden.
"Ja. In einer Art Schlucht zwischen zwei Gipfeln. In den Felswänden befindet sich der Palast, darunter der angelegte Park. Die Schlucht öffnet sich nach Westen hin in eine Ebene. Dort ist ein großer See mit einem riesigen Baum in der Mitte. Danach erhebt sich wieder eine Hügelkette aus dem Boden und dahinter liegt in einem Tal die eigentliche Stadt", erzählte ich.
"Wie kann ein Baum in der Mitte des Sees stehen?" Enlayas Neugierde war grenzenlos wie immer. Inzwischen hatte ich jegliche Vorsicht abgelegt, was Informationen über die Lazaliv anging. Sie hatte nicht vor, mich auszunutzen.
"Die Wurzeln wachsen im Wasser senkrecht und vereinen sich dann zu einem breiten, geraden Stamm", erklärte ich. "Der spaltet sich dann auf einer Höhe in ungefähr ein Dutzend Äste auf, die sich dann wieder alle auf einer Höhe verzweigen und so weiter. Dieser Baum ist der Einzige seiner Art, deswegen ist er so wertvoll und das Zeichen unserer Königsfamilie. Er repräsentiert das Leben und die Stärke des Königs. An der Stelle, an der sich der Stamm aufspaltet, hat sich eine recht gerade Ebene gebildet. Dort habe ich von meinem Bruder nachts den Schwertkampf gelernt."
"Wieso nachts und wieso dort? Habt ihr keine Trainingsfläche?", fragte sie neugierig.
"Natürlich. Aber ich habe dir doch erzählt, dass Frauen unseres Volkes nicht lernen, wie man kämpft", stellte ich geduldig fest. "Aber Najik wollte, dass ich mich verteidigen kann."
Es schmerzte, an ihn zu denken, wenn ich wusste, dass er verletzt war. Jeder Gedanke an ihn war mit einem Stich im Herzen verbunden, obwohl ich wusste, dass er lebte. Ich nahm mir vor, Azvar zu fragen, wie genau das Attentat abgelaufen war, bis mir einfiel, dass er die Verantwortung dafür trug und ich sauer auf ihn war.
Mir war klar, dass ich das nicht für lange sein konnte. Ich musste ihm noch immer dienen und so ganz würde ich um die Gespräche auch nicht herumkommen. Doch er könnte zumindest so tun, als würde es ihm leidtun. Natürlich war Najik ein Konkurrent und sein Feind, doch war ich inzwischen davon ausgegangen, dass ihm mein Wohlbefinden nicht mehr ganz egal war.
"Woran denkst du?", fragte Enlaya und ich bemerkte, dass sie mich aus ihren hellen Augen intensiv musterte.
"An ... unsere Brüder", fasste ich knapp zusammen. "Wir sollten langsam wieder zurück zum Palast gehen. Sonst kommst du zu spät zum Essen."
Die Prinzessin nickte und wir schlugen den Weg zurück ein. "Azvar wird heiraten", stellte Enlaya fest und legte leicht den Kopf schief. "Hast du das mitbekommen?"
"Ja, er hat es mir erzählt", sagte ich seufzend und vertrieb Najik aus meinen Gedanken. "Er ist nicht glücklich darüber."
"Die Frauen schon. Jede von ihnen wird heute im Speisesaal ihr prachtvollstes Kleid tragen und ihr schönstes Lächeln aufsetzen, in der Hoffnung, dass der große Prinz sie bemerkt." Enlaya schnaubte leise. "Ich denke, er wird sich für Eljina entscheiden, weil Vater sie bevorzugen würde."
In ihrem Ton lag etwas, das mich kurz stocken ließ, doch ich brauchte einige Sekunden, bis ich meinen Finger darauflegen konnte. Nach diesen Worten hatte ich den Eindruck, dass Enlaya mehr über das Verhältnis zwischen ihrem Vater und ihrem Bruder wusste oder ahnte, als Azvar ihr zeigen wollte. Er selbst hatte mir erzählt, dass seine Schwester aus der Sache zwischen ihm und Amroth rausgehalten wurde.
"Auch die Diener tuscheln untereinander", stellte ich fest und erinnerte mich an das Gespräch zurück, das ich am gestrigen Abend in den Küchen unfreiwillig belauscht hatte, während ich mein Abendbrot zu mir genommen hatte. "Alle Bediensteten. Die Frauen stellen sich vor, wie es wäre, würde der Prinz sie erwählen. Die Männer schließen Wetten ab, wer es sein wird." Wenigstens redeten sie nun ausschließlich über Azvar und hatten keine Zeit, auch noch über mich herzuziehen.
"Und? Stellst du dir das auch vor?", fragte Enlaya und grinste mich an.
"Klar. Ich träume jede Nacht und jeden Tag davon, wie es wohl wäre, eine Prinzessin zu sein", meinte ich sarkastisch.
Enlaya lachte und setzte dann wieder einen Blick auf, den ich nur zu gut kannte. Sie hatte ein Detail gefunden, das ich ihr noch nicht über mich erzählt hatte, und war im Begriff dieses Unwissen zu verbessern.
Ich wurde nicht enttäuscht.
"Wärst du lieber hier eine Prinzessin oder in Thazanur?"
Während wir uns dem Palastgebäude wieder näherten, dachte ich darüber nach. "Schwer zu sagen. Hier, allein weil die Regeln hier nicht ganz so streng sind und ich wenigstens Mitspracherecht bei der Wahl eines Gemahls hätte. Doch könnte ich hier niemals vollkommen glücklich leben. Mir fehlen die Berge um die Stadt, die Sicherheit, dass niemand eindringen kann. Und vor allem das Fliegen."
"Das kann ich mir gut vorstellen. Du redest oft davon und es klingt, als würdest du es wirklich vermissen."
Ich lächelte ein wenig wehmütig und nickte. "Allerdings. Ich würde viel dafür geben, endlich wieder fliegen zu können."
Enlaya blieb stehen und strich mit einer Hand sachte über meine Schwinge. "Wenn ich könnte, würde ich dir diese Freiheit geben", sagte sie leise und zupfte eine abstehende Daune zurecht.
Dankbar lächelte ich sie an. Auch, wenn sie das wohl nie würde tun können, wusste ich diese Worte zu schätzen. Vergeblich suchte ich nach einer passenden Antwort, doch sie schien mich auch so zu verstehen, denn sie lächelte ebenfalls und setzte dann ihren Weg zum Palast fort. Ich folgte ihr und versank dabei in Tagträumereien, zwischen weißen Wolken und über schneebedeckten Bergen.
So sehr vergaß ich meine Umwelt, dass ich nicht sah, wer im Schatten des Palastes auf uns wartete und uns dann in den Weg trat. Als ich bemerkte, dass jemand vor mir stand, verschwanden die Gedanken an den kalten Wind hoch oben im Himmel und das Gefühl von Freiheit und ich sah langsam auf.
Schwarze, durchdringende Augen trafen meinen Blick.
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