08 • 1 | Azvar
Funken stoben auf, als Kaira einen neuen Holzscheit in die Glut legte. Flammen züngelten wenige Sekunden später am trockenen Holz hoch, leckten an der Rinde und färbten es nach kurzer Zeit schwarz.
Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wie Kaira ihre Aufmerksamkeit wieder dem Buch zuwandte, das sie in ihrem Schoß liegen hatte. Meinen Blick hielt ich weiter in die Flammen gerichtet, die heute das erste Mal nach dem Sommer wieder mein Schlafzimmer wärmten.
Den ganzen Tag über war ich nicht mehr bei der Sache gewesen, obwohl nicht gerade wenig geschehen war.
Das festliche Mahl am Abend hatte sich über Stunden gezogen, doch ich hatte kaum auf die sieben vielfältigen, kunstvoll angerichteten Gänge geachtet. Der Speisesaal war voll gewesen, der Tradition nach waren die Familien aller Prüflinge für diesen Abend in den Palast eingeladen worden. Drei lange Tafeln waren für sie und für die reichen Caraliv, teilweise extra für diesen Anlass angereist, gedeckt worden. Die vierte Tafel, am Kopfende des Saals und quer zu den anderen gestellt, war wie immer für die Königsfamilie und die Mitglieder des Rates gewesen.
Normalerweise war mein Platz zur Rechten des Königs und Enlaya bestand darauf, dass sie neben mir sitzen konnte. Heute jedoch waren wir zu beiden Seiten unseres Vaters gesessen und Eljina hatte ihren Platz neben mir gefunden. Ich hatte den Eindruck, dass Amroth seine Finger im Spiel gehabt hatte, denn Eljina war eine Frau, mit der er mich gerne verloben würde. Wohlhabend, aus einer angesehenen Familie, Mitglied des Königsrates, schön und gebildet. Und dreizehn Jahre älter als ich, doch das konnte Amroth ja egal sein. Sie würde eine gute Königin abgeben, für ihn war das wichtiger.
Um höflich zu sein, hatte ich mich während des Abends mit ihr unterhalten und mich zu einem kurzen Tanz überreden lassen. Meine Meinung zu ihr hatte sich nicht geändert. Sie sprach steif und gezwungen mit mir, mit ausgesuchten und formellen Worten. Diese kühle, amtliche Umgangsform konnte ich nicht ausstehen und meine Freude darüber, dass ich mich morgen mit Eljina zu einem Ausritt verabredet hatte, hielt sich stark in Grenzen.
Doch die einzige Frau, die nicht meine Schwester war und mit der ich mich ungezwungen unterhielt, war eine lazalische Verstoßene, die für mich arbeitete.
Ich konnte nicht zählen, wie oft meine Gedanken heute bei wichtigeren Dingen hätten sein sollen, aber immer wieder zu Kaira gewandert waren und dort verweilt hatten. Heute Nachmittag, als ich gesehen hatte, wie sie von den anderen Zofen traktiert wurde, hatte ich nicht gezögert, ihr zu Hilfe zu kommen. Ich wollte nicht, dass sie misshandelt wurde, nur weil ihr ein paar Federn aus dem Rücken sprossen.
Außerdem blieb ich oft bei der Tatsache stecken, dass es mir nicht gefallen hatte, von diesem Küchenjungen zu hören. Von irgendeinem anderen männlichen Wesen, das Interesse an meiner Dienerin zeigte.
Nur freundschaftlicher Beschützerinstinkt. Nur das. Natürlich war es nur das. Nichts weiter. Rein gar nichts.
Seufzend sah ich ins Feuer. Das Holz knackte und helle Funken stoben auf.
Mein Vater hatte mir fünf Tage gegeben, um mir selbst eine Frau zu suchen, ansonsten würde er eine auswählen, die seinen Wünschen entsprach, und meine Verlobung bekannt geben. Ich konnte nicht sagen, dass ich mich darauf freute.
Das Problem der Frau beschäftigte mich so sehr, dass ich kaum daran gedacht hatte, was Amroth zu Beginn des Festmahls verkündet hatte. Nicht mehr als einen Gedanken hatte ich daran verschwendet, dass ich schon bald das Oberhaupt des gesamten Heeres sein würde. Der Erste General, der Oberbefehlshaber.
Die Absichten meines Vaters waren klar. Sie waren mir schon klar gewesen, als er noch gesprochen hatte, einen aufgesetzt stolzen Ausdruck im Gesicht und seinen schwarzen Blick direkt auf mich gerichtet. Als Erster General würde ich wenig mit den einfachen Fußsoldaten zu tun haben, praktisch keine Außeneinsätze haben und so wie bisher auch mein Leben im Palast verbringen, unter seinem wachsamen Blick. Mit noch sehr viel mehr Arbeit, denn ich würde nun auch der sein, der die Zügel des Krieges in der Hand hatte, verantwortlich für die Entscheidungen über Truppenverschiebungen, Angriffe und Rückzüge.
Diesen Posten hatte bisher ein älterer Caraliv innegehabt, ein alter Freund meines Vaters mit viel Erfahrung auf dem Schlachtfeld. Amroth hatte beteuert, dieser Machtwechsel sei mit allen Beteiligten abgeklärt, doch ich war mir nicht sicher, ob der Rücktritt des bisherigen Generals vollständig aus freien Stücken gewesen war.
Die Reaktion des Volkes auf diese Ankündigung konnte ich mir nur allzu deutlich vorstellen. Jeder würde jubeln, die Entscheidung des Königs akzeptieren, den Prinzen unterstützen. Doch hinter vorgehaltener Hand würde geredet werden, diskutiert, gestritten. Soweit die Bürger wussten, war ich immer derselben Meinung wie mein Vater. Mit mir als Ersten General hatten wir als eine Stimme die größte Macht, die man innehaben konnte. Zwar würde ich genauso wie mein Vorgänger alle größeren Entscheidungen vom König absegnen lassen müssen, doch hatte ich nun ein großes Maß an Entscheidungsfreiheit. Außerdem war ich unerfahren, hatte mir den Respekt der Leute nur durch die Tatsache verdient, der Sohn des Königs zu sein. Das Volk würde jeden meiner Schritte beobachten und mich gnadenlos zerfleischen, sollte ich einen Fehler machen, bei dem ihre Freunde, ihre Eltern, ihre Kinder ums Leben kamen. Niemand konnte es ihnen verdenken.
Gerade befanden wir uns in einer kritischen Phase des Krieges. Die Vorräte waren zu beiden Seiten über den Sommer aufgestockt worden, Kräfte gesammelt, Verluste verkraftet. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Angriff kam und eine Frage des Zufalls, wer das Opfer davon wurde. Ich hatte den Eindruck, dass Amroth etwas in Planung hatte, doch wenn, hatte er mir davon nicht berichtet. In Zukunft würde er darum nicht mehr herumkommen, der einzige Vorteil, den meine Position als Erster General haben würde.
Theoretisch hätte ich nun auch die Möglichkeit, alle Truppen abzuziehen und den Krieg zu beenden. Ich könnte Rückgrat beweisen und mich im Sinne des Friedens gegen meinen Vater auflehnen.
Noch während ich den Gedanken im Kopf hatte, war mir klar, dass das nicht geschehen würde.
"Azvar?"
Ich sah auf und begegnete Kairas silbergrauem Blick. Jedes Mal, wenn ich sie ansah, hatte ich das Bild von ihr am heutigen Vormittag vor Augen. Lange hatte ich danach gesucht, doch war mir kein anderes Wort eingefallen: Schön. In diesem Moment hatte sie einfach nur schön ausgesehen und das Lächeln, das sie mir geschenkt hatte, noch viel mehr. Die Tatsache, dass ich eine Frau der Lazaliv schön fand, verwirrte, erschreckte und faszinierte mich zugleich.
Kairas Stimme brachte mich wieder in den Moment zurück. "Wie viel wisst Ihr über die lazalische Königsfamilie?" Sie biss sich verlegen auf die Unterlippe, als sie meinen irritierten Blick bemerkte. "Ich meine ... Aktuelles. Ich würde gerne wissen, wie es meinem Bruder geht. Und meiner Mutter."
Zögernd sah ich wieder ins Feuer, das langsam herunterbrannte. Wir redeten nahezu nie über ihre Familie, da ich wusste, dass es nur schmerzhaft für sie war. So verschwieg ich ihr auch einiges und bisher hatte sie nie nachgefragt. Doch als ich zu einer Antwort ansetzte, merkte ich, dass ich sie nicht anlügen wollte. Sie war bis jetzt immer ehrlich zu mir gewesen und ich zu ihr und ich wollte dieses Vertrauen nicht missbrauchen.
"Es gab einen Anschlag auf das Leben deines Bruders", gab ich schließlich zu.
Ruckartig drehte Kaira den Kopf zu mir und starrte mich entsetzt an. "Was?"
"Er hat überlebt", versicherte ich hastig. "Er wurde nur verletzt. Sie haben den Verantwortlichen gefangen genommen."
Ich sah, wie sie sich ein wenig entspannte, mich aber immer noch unverwandt ansah. Es dauerte einige Sekunden, bis sie die nächste Frage stellte. "Habt Ihr diesen Anschlag veranlasst?"
Ihr Ton war beiläufig, doch ich wusste, dass ihr die Antwort darauf nicht gleichgültig war. Nun sah auch ich ihr wieder in die Augen. "Nein. Es war die Idee eines anderen Ratsmitgliedes und ich habe mich an der Organisation nicht beteiligt. Doch ich habe bei der Vorstellung des Plans für die Durchführung gestimmt."
Sie wandte den Blick den Bruchteil einer Sekunde zu spät ab und ich sah den verletzten Ausdruck in ihrem Gesicht. Natürlich konnte ich es ihr nicht verübeln und ich wusste nicht, ob ich ihr sagen sollte, dass ich während der Abstimmung an sie gedacht und an mir gezweifelt hatte.
"Ich gehe zu Bett", murmelte sie leise und bevor ich darüber nachdenken konnte, was ich ihr sagen konnte, um sie zu besänftigen, war sie aufgestanden und in ihrer Kammer verschwunden.
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