06 • 3 | Kaira
Jetzt, da ich einmal angefangen hatte zu erzählen, war es erstaunlich einfach. Zu lange hatte ich diese Ereignisse mit mir herumgetragen, zu lange alles in mich hineingefressen.
Die stille Präsenz des Prinzen neben mir war nicht unangenehm. Sein Blick ruhte auf mir, das spürte ich, aber ich wusste, dass er mir zuhörte. Er zwang mich nicht zu reden und deswegen erzählte ich ihm alles.
Beinahe spürte ich die kühle Nachtluft in meinem Gesicht, roch den Duft der Blumen, hörte die Stimme meines Vaters. Meine Stimme zitterte leicht, als ich nach einer kurzen Pause weitersprach und wieder in Erinnerungen versank.
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König Zokaar und Königin Ithana landen im Eingang zum größten Korridor des Palastes, der hoch gelegen in eine steile Felswand gehauen ist. Nicht weniger als vier Wachen flankieren den breiten Eingang, der von kunstvollen Feuerschalen erhellt wird. Das Königspaar wird nicht aufgehalten, als sie auf dem Vorsprung landen und sich nach links wenden, wo der Korridor wie ein Laubengang direkt an der Felswand entlang führt und so an der linken Seite mehrere Fenster nach draußen besitzt. Hier befindet sich der Teil des Palastes, der für Najik und Zokaar bestimmt ist, meine Mutter und ich hausen in einem anderen Teil des Berges.
Auch vor mir verneigen sich die Wachen und lassen mich passieren. Ich spüre die irritierten Blicke in meinem Rücken. Noch nie hat man mich mit einfachem Gewand und Schwertern in der Hand gesehen, und ich werde ihnen nachher verbieten müssen, diese Beobachtung weiterzugeben. Nun aber ist es mir wichtiger, meinen Eltern zu folgen.
Auf leisen Sohlen schleiche ich ihnen hinterher. Ich kann mir vorstellen, was passieren würde, sollte mein Vater herausfinden, dass ich ihn belauscht und verfolgt habe. Allerdings habe ich auch nicht vor, ihn das herausfinden zu lassen.
Die beiden schweigen nun und gehen still nebeneinander her. Ich wünschte, meine Mutter würde sich durchsetzen können. Jedes Mal knickt sie vor meinem Vater ein, sobald er anderer Meinung ist als sie. Das ganze Volk ergibt sich ihm ohne ihn zu hinterfragen. Ich kann nicht behaupten, dass ich es nicht verstehen würde. Mein Vater kann recht überzeugend sein, wenn er will.
Als wir uns den Gemächern des Königs nähern, verringere ich den Abstand zwischen uns ein wenig, um zu sehen, ob sie eintreten. Zokaar hält Ithana noch immer am Oberarm fest, als wäre sie eine Gefangene. Die Gesichter kann ich von hier nicht sehen, doch ich kann mir gut vorstellen, wie kühl der Ausdruck meines Vaters und wie mühsam beherrscht der meiner Mutter sein muss.
Die Wachen vor den breiten Türen verneigen sich tief vor dem König und seiner Gemahlin, öffnen dann die schweren Holztüren und lassen die beiden eintreten.
Erst ein einziges Mal bin ich in den Gemächern meines Vaters gewesen. Damals habe ich noch nicht verstanden, welch Tyrann sich mein Vater nennt. Ich weiß noch, dass das Schlafzimmer einen Balkon hat, einige Meter über dem Korridor, in dem ich gerade stehe. Neben mir befindet sich eines der größeren Fenster, das ich nun möglichst leise öffne und hinaus klettere. Sobald ich genug Platz habe, entfalte ich meine Flügel und steige langsam weiter auf.
In der Nähe des Balkons befindet sich eine der Wachnischen im Fels, in denen rund um die Uhr ein Soldat ein Auge auf den königlichen Teil des Palastes hat. Ich vertraue darauf, dass er meine weißen Flügel erkennt und weiß, dass ich ebenfalls ein Teil der Königsfamilie bin.
Lautlos lande ich auf dem Balkon und verberge meine Flügel wieder. Dann gehe ich so in Deckung, dass man mich vom Schlafgemach aus nicht sehen wird, und versuche zu lauschen.
Die Tatsache, dass dieses Vorhaben in mehreren Punkten verboten ist, lässt mich nervös von einem Fuß auf den anderen treten. Mein Ruf würde vollkommen zerstört werden, wenn ich hierbei erwischt werde. Doch meine Neugierde ist zu groß, genauso wie meine Besorgnis. Wenn meine Mutter sich doch wehrt, wer weiß schon, zu was Zokaar dann fähig ist.
Schon nach wenigen Sekunden treten die beiden ein. Ich höre die sich schließenden Türen, die das Schlafzimmer vom Eingangsbereich trennen.
"Muss das wirklich sein, Elyedan?" Die leise Stimme meiner Mutter ist in der Stille der Nacht deutlich bis zu meinem Versteck zu hören. Sie klingt niedergeschlagen.
"Willst du mich denn nicht?" Es überrascht mich, wie sanft Zokaar klingt. Er wirkt nicht mehr wütend, beinahe scheint es, als würde er seiner Frau wirklich zuhören. "Erinnerst du dich nicht an früher? An den Eid, den du geschworen hast?"
"Natürlich erinnere ich mich daran. Aber ich habe Angst, Zokaar. Ich habe Angst um das Kind, das ich gebären werde und ich habe Angst um mich. Mein Körper ist nicht mehr geeignet für eine Schwangerschaft." Die Niedergeschlagenheit in ihrer Stimme ist Verzweiflung gewichen und ich habe Mitleid mit meiner Mutter. Wir waren noch nie besonders eng miteinander, aber der Unterton in ihrer Stimme verursacht ein unangenehmes Ziehen in meinem Brustkorb.
"Und wenn Najik getötet wird? Dann werden wir keine Wahl haben, als dem Volk noch einen Sohn als Thronfolger zu geben. Lieber jetzt, als wenn es zu spät ist." Eine Spur von Ungeduld liegt in Zokaars Stimme. Das Bild eines Raubtieres schleicht sich in meinen Kopf, ein Raubtier, das auf der Lauer liegt, versucht seine Beute in falscher Sicherheit zu wiegen, bevor es mit tödlicher Präzision zuschlägt.
"Dann darfst du eben nicht zulassen, dass Najik getötet wird. Bitte, Elyedan. Ich will kein Kind mehr. Lass mich in meine Gemächer zurückkehren."
"Nein, Ithana." Jetzt ist keine Spur der Sanftheit und Ruhe mehr zu hören. Zokaar ist wieder der König, der seinen Willen bekommen wird. "Eine Königin mit nur zwei Kindern ist eine Schande für mich. Du weißt selbst, dass ich drei Brüder und eine Schwester habe. Das sind Kinderzahlen, die der Königsfamilie würdig sind!"
"Nennst du mich eine Schande für dich?"
Ich spähe vorsichtig um die Ecke. Meine Mutter steht mit erhobenem Kinn vor ihrem Gatten, hochgewachsen für eine Frau und gekleidet in ihr prachtvolles, golden schimmerndes Kleid. Die silbergrauen Augen, die ich von ihr geerbt habe, funkeln stolz und wütend zugleich.
Doch vor den breiten Schultern meines Vaters, seinen verschränkten, muskulösen Armen und seinem wütenden Blick wirkt sie klein und schmächtig. Der König strahlt Dominanz und Autorität aus und ich bewundere meine Mutter für ihre Sturheit.
"Ich nenne dich eine Schande, wenn du als meine Frau dich weigerst mir Kinder zu gebären, ja." Seine Stimme ist eisig. Eine Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen aus.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Eingreifen? Die Wut meines Vaters auf mich ziehen? Oder einfach geschehen lassen, was sicher geschehen würde, wenn ich hier weiter nur herumstehe? Mir ist klar, dass ich nicht dabei sein will. Es sind meine Eltern und ich kann auf diese Bilder verzichten. Doch sollte ich wirklich jetzt einfach wieder gehen?
"Dann kannst du sicher sein, dass ich kein weiteres Mal das Bett mit dir teilen werde." Auch meine Mutter klingt kalt und entschlossen und ich sehe die Königin in ihr, als sie sich von meinem Vater abwendet und auf die Türen zugeht.
Beinahe erlaube ich mir erleichtert aufzuatmen, als Zokaar einen Moment stehen bleibt und ihr hinterher sieht. Doch dann kann ich nur schwer einen erschrockenen Laut unterdrücken, als er mit zwei großen Schritten wieder bei ihr ist und sie am Arm herumreißt. Ihr Rücken schlägt gegen die Wand, seine Hände schließen sich fest um ihre Schultern. Sein Gesicht ist nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt, als er sie schweratmend anfunkelt und sie schließlich doch vor seinem Blick schrumpft.
Ich weiß, dass ich mir das nicht länger ansehen kann. Ein Plan muss her und zwar schnell, bevor noch etwas passiert. Eigentlich hatte ich vorgehabt, mir etwas zu überlegen, doch meine Muskeln arbeiten, ehe ich weiterdenken kann. Meine Hände verkrampfen sich um die Schwerter, die ich immer noch trage, und mit der Schulter stoße ich die bisher nur angelehnten Balkontüren auf.
Zokaar fährt reflexartig herum. Im ersten Moment scheint er mich nicht zu erkennen, denn er zieht in einer blitzschnellen Bewegung sein Schwert und tritt auf mich zu. Eine Sekunde später zeichnet sich Überraschung auf seinem Gesicht ab, als er erkennt, wer vor ihm steht.
Das Adrenalin nimmt mir die Angst und die Nervosität. Ich erwidere seinen Blick mit kühler Ruhe. "Das ist abscheulich", spreche ich meinen Vater direkt an und ignoriere meine Mutter, die sich die Hand vor den Mund geschlagen hat und von ihrer Tochter zu ihrem Gemahl und wieder zurück blickt. "Sogar für einen König, der rücksichtsvoll mit seinen Untergebenen umgehen sollte. Vor allem mit seiner Frau."
"Du wagst es?" Die Stimme meines Vaters ist so leise und so eisig, dass ich davon mehr verunsichert werde, als wenn er geschrien hätte. "Misch dich nicht in Dinge ein, die du nicht verstehst und die dich nichts angehen. Verschwinde jetzt sofort und du wirst keine Konsequenzen tragen."
Mit einem Seitenblick zu Ithana, in deren Augen Tränen glänzen, hebe ich das Kinn. "Das geht mich sehr wohl etwas an und ich verstehe recht genau, worum es geht. Ich werde ganz sicher nicht tatenlos daneben stehen, wenn mein Vater meine Mutter vergewaltigt."
"Was willst du schon dagegen tun, nichtsnutziges Kind? Mit diesen Zahnstochern auf mich losgehen, die du irgendeiner Wache geklaut hast und mit denen du dich eher selbst ausversehen erstichst? Du bringst dich hier in große Schwierigkeiten, ist dir das klar?"
"Lieber kämpfe ich gegen dich, als jetzt so zu tun, als wäre nichts", entgegne ich kalt. Meine Gedanken rasen in meinem Kopf, ich weiß nicht, was ich tun soll. Mein Stolz verbietet es mir, jetzt einfach so kleinbei zu geben, doch der vernünftige Teil von mir weiß, dass alles hier ein Riesenfehler ist. Meine Hände werden schwitzig und ich greife die Schwerter fester, während das Herz in meiner Brust immer schneller schlägt und meine Atmung sich verschnellert.
"Komm her."
Nun kann ich mir nicht mehr einreden, keine Angst zu haben. So wütend und einschüchternd sieht mein Vater selten aus und meine Beine gehorchen dem Befehl, ehe ich ihn verweigern kann. Bedrohlich ragt der König über mir auf und ich spüre, wie meine Entschlossenheit ins Wanken gerät.
"Du weißt, was niedere Eltern mit ungezogenen Kindern anstellen", sagt Zokaar kalt. "Da du dich scheinbar nicht wie eine Prinzessin verhalten kannst - so wie du im Moment aussiehst und wie unwürdig du dich verhälst - ist diese Strafe womöglich angemessen."
Ärger durchfährt mich bei diesen Worten und ich setze zu einer wütenden Erwiderung an. Er hat nicht das Recht, mich zu schlagen! Wie kann er es wagen, mir damit zu drohen, nur weil ich ihm meine Meinung sage!
"Elyedan", die leise Stimme meiner Mutter kommt mir zuvor. "Bitte nicht." Sie steht kurz vor den Tränen, das sehe ich ihr an. "Lass sie in Ruhe. Ich werde tun, was du von mir willst."
"Schweig!", zischt der König, Hass und Verachtung in der Stimme. Er wirbelt zu Ithana herum und funkelt sie aus seinen kalten Augen an. "Du hast zu schweigen, wenn ich spreche! Du hast dich mir zu unterwerfen, genauso wie unsere wertlose Tochter! Du bist nur ein vorlautes Eheweib, also verhalte dich -"
Weiter kommt er nicht. Meine Muskeln reagieren, bevor mein Gehirn es tut, und entladen all die Wut in einem Angriff. Seine Reflexe sind gut genug, um mit seinem Schwert meines abzuwehren, doch ich habe die Überraschung und eine Waffe mehr auf meiner Seite. Der Zorn auf meinen Vater treibt mich zu neuer Stärke und ungewohnter Geschwindigkeit. Zokaars Gesicht verzieht sich vor Wut, als er meinen Angriff abwehrt und gleich darauf den nächsten pariert. Ich sehe ihm an, wie irritiert er davon ist, dass ich scheinbar mit meinen Schwertern umgehen kann. Er unterschätzt mich. Er nutzt einfache Züge, um mich zu entwaffnen, und ist zu überrascht, um sich auf seine Überlegenheit in der Stärke zu berufen.
Der Kampf dauert keine zwei Minuten. Mit der Zeit fängt er sich und schafft es, mir ein Schwert aus der Hand zu reißen, doch danach nimmt er sich Zeit für einen triumphierenden Blick. Blitzschnell wirbele ich herum und schlage mit der Klinge der anderen Hand nach ihm.
Das glänzende Metall trifft sein Ziel und sinkt in die Hüfte meines Vaters.
Für mehrere Sekunden scheint die Welt stillzustehen. Sowohl meine Eltern als auch ich starren auf den sich langsam ausbreitenden Fleck in der dunkelgrauen Kleidung. Erst dann realisiere ich, was ich gerade getan habe, und mit einem entsetzten Laut lasse ich das Schwert fallen. Die Klinge gleitet aus der Wunde und fällt klirrend zu Boden. Silbernes Blut schimmert auf dem Metall und den Marmorfliesen.
Langsam sehe ich auf. Mein Blick trifft den meines Vaters und erst in diesem Moment wird mir das volle Ausmaß dieser Verletzung bewusst. Unwilllkürlich werfe ich einen Blick auf mein Handgelenk. Die silbern schimmernden Adern zeichnen sich deutlich unter meiner blassen Haut ab. Mit einem Mal verlangsamt sich mein Herzschlag wieder auf die gewöhnliche Frequenz, meine Atmung normalisiert sich und alle Kraft verlässt meinen Körper.
Mit dem Blick gefangen in den Augen meines Vaters rutsche ich langsam an der Wand nach unten zu Boden.
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