02 • 3 | Kaira
"Bleibst du dort liegen bis jemand über dich stolpert oder hast du auch mal wieder vor aufzustehen?"
Mein geschwächter Körper konnte nicht zu einer Reaktion bewegt werden, weswegen ich weiterhin zusammengekrümmt liegen blieb. Ich wollte nichts mehr hören, nichts mehr sehen, nichts mehr fühlen. Es war mir egal, wer gerade mit mir redete. Noch immer meinte ich die rauen Finger des Soldaten auf meinem Körper zu spüren, seinen stinkenden Atem in meinem Gesicht zu riechen und sein lustvolles Stöhnen zu hören.
"Ich soll dir sagen, was du alles machen musst, weißt du? Das geht schlecht, wenn du heulend auf dem Boden liegst."
Noch immer konnte ich nicht genug Energie zusammenkratzen, um auch nur den Kopf zu heben. Inzwischen waren meine Tränen getrocknet und ich war zu ausgelaugt, um weitere zu vergießen, doch ich fühlte mich, als könnte ich nicht genug weinen, um meine jetzige Situation gebührend darzustellen.
"Sollten Prinzessinnen nicht stark und beherrscht sein? Wusstest du, dass man euch Lazaliv nachsagt, sehr stolz zu sein? Sieht nicht so aus, wenn du mich fragst. Wie ein Mann, dem man in die Weichteile getreten hat, auf dem Boden zu liegen, ist nicht sehr majestätisch."
Diese stichelnden Worte brachten mich nun doch dazu, mich langsam aufzurichten und aufzusehen. Die rothaarige Dienerin, die sich eben noch stöhnend über den Tisch gelehnt hatte, stand nun vor mir und grinste spöttisch auf mich herab. Ihr graues Kleid war halb angezogen, die Schnüre an der Brust hingen ungebunden zu Boden.
"So so, sie lebt doch noch. Hey, Leute, die Lazaliv ist leider nicht an ihrem ersten Mal verblutet", rief sie hinter sich in den Raum. Gelächter war zu hören.
Mit zusammengebissenen Zähnen stand ich auf und begann mich wieder anzuziehen, während die Rothaarige sich von einer weiteren Dienerin mit bemerkenswert hellblauen Augen die Bänder ihres Kleides schnüren ließ.
"Weißt du, wir haben schon Wetten abgeschlossen. Wie lange es wohl dauert, bis du versagst und der König dich umbringt. Hinrichtungen sind ziemlich spannend, findest du nicht?"
Auch die blauäugige Dienerin grinste nun süffisant, während sie wie selbstverständlich begann die roten Haare ihrer Kollegin in einen einfachen Zopf zu flechten. Ich mühte mich damit ab, mir das Kleid selbst zu schnüren.
"Wie hoch waren die Tipps?", fragte ich säuerlich und musterte die beiden Frauen. Wie gerne ich ihnen dieses Grinsen mit dem Schwert aus dem Gesicht wischen würde.
"Zwischen zwei Stunden und zwei Tagen." Das Lächeln der Rothaarigen wurde noch ein wenig breiter, als ihr Zopf fertig war und sie einen tiefen Knicks vor mir machte. "Thenia. Sehr erfreut, solch hohe Bekanntschaft zu machen."
Mit verschränkten Armen beobachtete ich, wie nun alle Diener voll Hohn vor mir knicksten und sich verneigten und sich dann lachend in Gruppen zusammenstellten. "Kaira", sagte ich kühl. "Sollte bekannt sein, denke ich."
"Ja. Ist bekannt. Die Prinzessin, die zur Dienerin gemacht wurde, kennt man", sagte Thenia, was erneutes Gelächter bei den anderen hervorrief. "Davor kannte man dich auch schon. Als das hochnäsige, verwöhnte Töchterlein des grausamen Königs."
Bei dieser Beleidigung verkrampfte ich mich und war kurz davor, auf Thenia loszugehen. Wie konnte sie es wagen, mich so abwertend zu behandeln! Ich hatte ihr nichts getan und ich musste hier gerade definitiv am meisten erleiden!
"Deswegen habe ich mich schon die ganze Zeit darauf gefreut, wenn die Soldaten kommen. Du solltest dich daran gewöhnen, die machen das gerne. Das war dein erstes Mal, oder?", Sie machte ein mitleidiges Gesicht. "Dann hast du sicher genauso versagt, wie du es bei der Arbeit tun wirst. Der arme Mann. Dir sollte klar sein, dass du das natürlich niemandem gegenüber erwähnst. Wobei dir ja auch niemand glauben würde."
Mein Kiefer schmerzte, so fest biss ich die Zähne aufeinander, um mich von einer wütenden Erwiderung abzuhalten. So tief würde ich nicht sinken, nun eine Dienerin zu beleidigen, weil sie sich ein paar Sticheleien erlaubte.
"Thenia!"
Sofort drehte die Dienerin sich in die Richtung, aus der die herrische Stimme kam. Auch ich blickte dorthin und sah eine weitere Caraliv, ebenfalls im grauen Kleid der Bediensteten, doch offensichtlich befehlshabend. Ihre Ausstrahlung war die einer autoritären Persönlichkeit, etwas, was ich so bis jetzt nur äußerst selten bei Frauen bemerkt hatte. Sogar die Zofen wurden bei uns von einem Mann koordiniert und befehligt, damit auch ja keine Frau eine höhere Position besetzen konnte.
"Wenn ich mich recht erinnere, sollst du die Neue herumführen und ihr sagen, was sie tun soll. Das sieht mir hier nicht nach einer Unterweisung aus. Du hast nicht das Recht, sie zu beleidigen", wies die ältere Angestellte sie zurecht.
"Schon klar, Jehiana", murmelte Thenia und warf mir einen unfreundlichen Blick zu, als wäre ich Schuld an ihrer Rüge.
Auch Jehiana musterte mich für einen Moment abschätzend, bevor sie uns beide aus dem Raum scheuchte. "Ich erfahre, wenn du es nicht ordentlich machst, Thenia!", rief sie uns hinterher. Ich war dankbar, der Situation zu entkommen, wenn auch nicht Thenia selbst.
Die Dienerin ging mit langen Schritten voraus, durch die schmalen, dämmerigen Gänge, die so oft abzweigten, dass ich das Gefühl hatte, in einem Labyrinth gefangen zu sein. Immer wieder befanden sich links und rechts schmale Türen, doch wir gingen zunächst durch keine davon.
"Diese Gänge führen zwischen den Räumen des Palastes entlang", erklärte Thenia mit gedämpfter Stimme. "Alle sind miteinander verbunden, du kommst so von jedem Ort im Gebäude zu jedem anderen. Wir Angestellten dürfen nicht die ausgebauten Korridore benutzen, außer wir putzen sie oder sind von unserem Vorgesetzten begleitet."
Für einen Moment überlegte ich, wie diese Regelung bei uns war und auf einmal fiel mir auf, dass ich Zofen tatsächlich nie auf den Gängen gesehen hatte. Und das, obwohl mir allein sechs unterstellt gewesen waren und insgesamt mindestens hundert im Palast arbeiteten. Noch nie hatte ich mir darüber Gedanken gemacht.
Zügig führte Thenia mich durch die Gänge, zeigte mir den Speiseraum und die Küchen für die Bediensteten, die Räume, in denen man die Wäsche wusch und einen Ausgang, der in einen winzigen Innenhof mit zahlreichen Wäscheleinen führte. Danach gingen wir eine Weile weiter durch die schmalen Korridore mit den ungestrichenen Wänden und der spärlichen Beleuchtung. Viele Treppen führten uns nun weit nach oben, ohne Fenster war die tatsächliche Höhe jedoch schwer abzuschätzen.
Überrascht hielt ich inne, als Thenia stehen blieb und wieder eine der Türen öffnete. Als ich hindurchtrat und sie hinter mir schließen wollte, stellte ich fest, dass auf dieser Seite keine Tür zu sehen war. Sie verschmolz mit der Wand, hatte auch keine Klinke. Ein dünner Spalt war das einzige, was darauf hindeutete, dass dort überhaupt etwas anderes als die Wand war.
Als ich mich zum Raum drehte, wurde mir klar, dass ich mich in luxuriösen Gemächern befand, die niemand Unbedeutendem gehören konnten.
Das große, beinahe quadratische Bett mit dem Gestell aus dunklem Palisander fiel mir zuerst ins Auge, dann eine Wand, die zum großen Teil von einer Fensterfront eingenommen wurde, bei der man durch breite Glastüren auf einen ausladenden Balkon mit kunstvoll verzierter Balustrade gelangen konnte. Ein großer, prunkvoller Kamin stand gegenüber des Bettes. Abgebrannte Asche lag darin, ein Stapel trockenes Holz und Zunder daneben. Fünf Türen, die auch als solche zu erkennen waren, führten in weitere Räume. Ein Kronleuchter hing von der Decke, mehrere Kerzen standen auf den verfügbaren Flächen bereit.
Die Wände waren in einem reinen Weiß gestrichen, wurden aber von Adern aus Gold und Blau durchzogen und verziert. Auch der Boden war aus weißem Marmor, durchsetzt von goldenen Linien. Unter dem Bett lag ein kunstvoll gewebter Teppich. Die seidenen Vorhänge um das Bett und am Rande der Fenster waren ebenfalls von einem dunklen Blau.
Mir fiel wieder ein, dass die Caraliv sehr viel Wert auf Farben legten. Jede einzelne bedeutete etwas, gerne wurden sie zur Erkennung oder Demonstrierung von Positionen und Macht benutzt. Blau war nicht nur die Farbe des Friedens, sondern auch die der Könige, eine edle, machtvolle Farbe.
"Du wirst alle Aufgaben hier alleine übernehmen", ergriff Thenia wieder das Wort und ihr Grinsen machte mich etwas misstrauisch. Alleine, mit einem so riesigen Gemach? Auch mein Schlafzimmer hatte in etwa diese Größe gehabt, und ich hatte sechs Dienerinnen für die Arbeit zur Verfügung gestellt bekommen. Ich ahnte, dass auch das dazu diente, mich zum Versagen zu bringen.
"Das bedeutet, du wirst Wäsche waschen, Boden und Fenster putzen, jeden Morgen das Bett machen und die Kerzen vor dem Untergang der Sonnen entzünden. Wenn sie nicht mehr benötigt werden, löscht du sie auch wieder. Außerdem wirst du für jeden Wunsch deines Vorgesetzten zur Verfügung stehen."
Unwillkürlich kam mir wieder das Gefühl von schwieligen Händen auf meinem entblößten Körper in den Sinn. Meine Hände ballten sich zu Fäusten, um das Zittern zu verbergen.
Thenia lächelte, als wüsste sie ganz genau, was mir durch den Kopf ging. "Wenn jemand hochgestelltes mit uns im Raum ist, knicksen wir, senken den Blick und stehen. Es ist unhöflich, wenn wir sitzen und sie nicht. Nur nach ihrer Erlaubnis dürfen wir Platz nehmen", erklärte sie knapp.
Sie führte mich durch eine der fünf Türen in einen kleineren Raum mit einigen Bücherregalen, außerdem einem bequem aussehenden Sessel mit blauem Samt und einem Hocker für die Füße. Auch hier standen viele Kerzen, um nach Sonnenuntergang noch lesen zu können. Der Boden war von einem mitternachtsblauen Teppich bedeckt.
Nach einigen Sekunden Stille, in denen ich den Blick kurz über die Bücher schweifen ließ, fiel mir eine feine Linie in der Wand auf. Thenia trat darauf zu und drückte die verborgene Tür auf. "Hier schläfst du und bewahrst deine Sachen auf. Sofern du welche besitzt natürlich."
Ihre Worte stachen in mein Herz, doch ich ließ mir nichts anmerken. Vermutlich ahnte sie, dass ich nicht einmal mehr so etwas einfaches eine Haarnadel besaß. Nichts mehr konnte ich mein Eigentum nennen. Vor wenigen Tagen noch hatte ich alles besessen, nun nichts mehr. Ein Kloß bildete sich in meiner Kehle, den ich energisch hinunterschluckte.
Erneut erfüllte mich Wut auf meinen Vater. Seine älteste Tochter hatte er verbannt und zu einem Leben als Dienerin geschickt. Und das, ohne öffentlich zu machen, woher mein schwarzes Blut kam. Zu groß wäre die Demütigung für den großen König Zokaar.
Seufzend sah ich mich in meinem neuen Schlafraum um. Kein Fenster erhellte das kleine Zimmer, ein schmales Bett stand neben einer Kommode mit einer einzelnen Kerze und einem einfachen Kleiderschrank. Es hätte schlimmer sein können, doch schon jetzt vermisste ich mein mit Kissen bedecktes Himmelbett, das helle Gemach und die bequeme Sitzecke.
"Viel Spaß", wünschte Thenia mir mit einem süffisanten Grinsen und schon war sie wieder in die Bedienstetengänge verschwunden.
Mit eher mäßiger Laune erkundete ich den Rest der Räume. Mir wurde bewusst, dass ich noch nicht erfahren hatte, wem ich nun dienen musste. Doch der Luxus, mit dem diese Gemächer ausgestattet waren, ließen auf einen hochgestellten Mann schließen.
Ein begehbarer Kleiderschrank und ein riesiges, helles, wunderschönes Bad befanden sich hinter zwei der anderen Türen. Ein unordentliches Arbeitszimmer mit einem großen Schreibtisch, unzähligen Pergamentbögen und einigen Tintenfässchen war hinter der dritten. Die größte und letzte Tür hatte ich noch nicht geöffnet, in der Annahme, dahinter in den normalen Teil des Palastes zu kommen.
Gerade, als ich doch nachsehen wollte und auf dem Weg dorthin war, öffnete sich diese Tür jedoch von außen und jemand trat ein.
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