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Alina's Sicht
Sam oder Samuel reagierte auf meine Frage so, wie ich es erwartet hatte. "Auch schön dich wiederzusehen, Linchen."
"Ich hasse diesen Namen, das weißt du."
Er zuckte lediglich mit den Schultern, als wäre ihm alles egal, so wie es schon immer gewesen war.
"Ich glaube, du bist hier am falschen Ort. Wir wollen hier Leben beschützen und sie nicht vors Messer laufen lassen."
Sam rollte die Augen. "Sag bloß, du bist immer noch nicht darüber hinweg."
"Ich war in dem Moment drüber hinweg, als es mir gelang, dich vor deinem Vater wie den größten Vollidioten aussehen zu lassen."
"Ja, das habe ich nicht vergessen. Er ebenso wenig. Die Tatsache, dass du aber drei unserer stärksten Krieger einfach so getötet hast, hat ihn mehr gestört." Sam kicherte, so wie immer, wenn er etwas furchtbar amüsant fand. "Weißt du, es hat ihn fertig gemacht, nicht zu wissen, wie du das geschafft hast. Und mich auch, muss ich zugeben, aber nun ist ja alles klar."
Spöttisch zog sich sein Mundwinkel nach oben. "Eine kleine Göttin bist du. Wer hätte das gedacht?"
Das war der Moment, an dem ich genug hatte. Eben stand ich noch neben dem verwirrt dreinschauenden Damian und in der nächsten Sekunde schob ich Sam mit einer Hand um seinen Hals die nächstliegende Wand hinauf.
Ich fletschte die Zähne und flüsterte: "Was soll das alles? Was willst du hier?"
Sam war sich der Gefahr zwar bewusst, es schien ihn aber eher weniger zu interessieren. "Es macht so viel Spaß zu sehen, dass du einmal nicht alles weißt, wieso sollte ich das zerstören?"
Ich nahm im Hintergrund war, wie Damian sämtliche Leute davon abhielt, in unsere Nähe zu gelangen. Wir mussten das unter uns regeln.
Doch ich hatte Zeit. Und die Kraft, um ihn dort noch lange hängen zu lassen. Also lächelte ich ihn boshaft an, verstärkte meinen Griff und schob ihn mit einem Windstoß noch ein Stück weiter hinauf, sodass auch Sam nun verstand, dass ich es ernst meinte. Er trat mit den Beinen nach mir und griff mit den Händen nach meiner Hand, die seinen Hals umschlungen hielt.
"Ich will euch helfen. Und da ist es nicht wirklich hilfreich, wenn ich vorher an Luftmangel verende, meinst du nicht?"
"Oh, für diesen Anblick riskiere ich das."
Ich hörte Zabrina "Genau dafür bin ich hergekommen" flüstern, und stellte mir dabei ihr Grinsen vor.
Es brachte mich zurück zu mir selbst. Ich lockerte meinen Griff, ließ Sam aber noch nicht zu Boden. "Sag mir, was du hier machst."
"Wenn du mir mal zuhören würdest, hättest du es gehört. Ich werde euch helfen. Glaubst du etwa, ich habe meinen Vater umgebracht, um nun wie er weiterzumachen?"
Ich runzelte die Stirn und ließ ihn los. "Du hast Case getötet?"
Sam verzog den Mund und rieb sich den Nacken. Er antwortete: "Ja, habe ich. Irgendwann kommt man an einem Punkt im Leben an, bei dem man versteht, dass etwas gehörig schief läuft. Meiner war, als Case Sylle töten ließ."
Sylle war schon seit ich Sam kannte seine beste Freundin gewesen und meiner Meinung nach, war sein Geschmack an seiner besten Freundin auch das Einzige, was gut an ihm war. Das dachte ich zumindest, bevor ich erfahren hatte, dass er seinen Tyrannen-Vater getötet hatte.
"Das tut mir leid. Ich wusste es nicht."
"Das muss es nicht. Case war der Ansicht, Sylle würde mich schwach machen, also ließ er sie beseitigen. Ich schätze, das war der Moment, an dem mir der Kragen platzte." Er warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu, doch ich verstand auch so. Sam hatte Case als Folge auf diese Tat umgebracht und wurde so automatisch zum Alpha. Es gab da keinen Aufstand, auch wenn der ebenfalls sehr wahrscheinlich schien, wenn ich daran zurückdachte, wie Case die Kinder in seinem Rudel erziehen ließ.
Ich trat ein paar Schritte zurück, sodass Sam seinen Freiraum wieder zurück hatte.
Der war kurz still, sprach dann aber wieder: "Wir haben in der Vergangenheit beide viele Fehler gemacht. Case vermutlich größere als wir beide. Also bin ich dafür, dass wir unsere Meinungsverschiedenheiten beiseite schaffen. Zumindest für das, was uns bevorsteht."
Und danach würden wir uns aussprechen. Vielleicht auch davor. Aber das Wichtigste war nun unser Überleben. Dafür war Sam bereit, unser beider Verrat zu vergessen, jetzt war nur die Frage, ob ich seine Taten erst einmal vergessen konnte. Ich sah in seine braunen Augen. Sam hatte sich verändert, so wie ich es getan hatte. Und er hatte schon mal eine gute Grundlage für unser neues Verhältnis geschaffen, als er seinen Vater tötete.
Also nickte ich ihm zu. "In Ordnung."
Sam, plötzlich ganz ernst, wirkte erleichtert. "Sehr schön, dann können wir ja nun zu den wichtigeren Themen kommen." Er sah zu Eriens, der uns, wie auch alle anderen, genau beobachtet hatte. "Ich glaube, du willst uns etwas mitteilen."
"Richtig. Ich wollte nur sichergehen, dass ihr eure", er räusperte sich, "Meinungsverschiedenheit aus dem Weg geräumt habt."
Damian, der mich immer noch genau im Blick behielt und sich zweifellos gerade fragte, was zwischen Sam und mir vorgefallen war, deutete auf den großen Tisch, an dem wir schon mit Egbert gesessen hatten. "Setzt euch doch."
"Also", begann Eriens, "ich habe deine Nachricht schon vorher erhalten und hatte von Anfang an vor, mich dir anzuschließen - uns euch anzuschließen. Jedoch habe ich davor noch an etwas arbeiten wollen." Eriens griff in seine Jackeninnentasche und zog ein kleines Fläschchen hervor, das mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt war.
"Es ist ziemlich kompliziert zu erklären, deswegen würde ich es gerne vorführen." Er winkte nach einer Frau, die mit einem Handschuh aus einer braunen Tasche eine bekannte Pflanze zog. Krecanos. Eriens krempelte seinen linken Ärmel nach oben und legte seinen Arm frei. Die Frau hielt das Kraut von sich entfernt und lief auf ihren Alpha zu.
Plötzlich schritt Jones in das Geschehen ein und griff nach Eriens' Arm. Er schüttelte den Kopf und veranlasste die Frau so zum Stehenbleiben. Eriens runzelte die Stirn und sprach wahrscheinlich gerade über Mind-Link zu seinem Seelengefährten. Doch Jones schüttelte immer wieder den Kopf und befreite im Gegenzug seinen Arm. Dann nickte er.
Ob er auch noch was anderes konnte, außer mit Gesten sich zu verständigen?
Die Frau sah fragend zu ihrem Alpha, der immer noch den Mann neben sich ansah, schließlich aber nickte.
Fast glaubte ich, dass es eine absichtliche Show sein sollte, so unterhaltsam wie das hier gerade war, aber dann griff Jones nach dem Fläschchen, dessen Inhalt er in einem Atemzug trank.
Als Antwort darauf verzog er kurz den Mund, wartete ungefähr zwanzig Sekunden und nickte der Frau zu. Sie entfernte vorsichtig die Blüten des Krecanos' und rieb sie über Jones' Arm. Gespannt beugte ich mich nach vorne. Normalerweise hätte sein Arm als natürliche Reaktion sofort anfangen müssen zu brennen und er hätte eine ungesunde rote Farbe angenommen.
Es wäre sogar möglich gewesen, dass das Kraut so stark war, dass es zu einer kurzen Ohnmacht geführt hätte. Wie ein Körper auf das Kraut reagierte, war immer unterschiedlich und hing auch von der Gesundheit der jeweiligen Person ab. Doch nichts dergleichen geschah. Jones schien weder Schmerzen zu haben, noch begann sein Arm sich zu verfärben.
Fasziniert trat ich näher. "Ihr habt ein Heilmittel gegen Krecanos gefunden?", hauchte ich fragend.
"Nicht ganz", antwortete Eriens. "Wir haben nach einer Möglichkeit gesucht, die Wirkung des Krauts zu unterdrücken. Es hilft gegen die oberflächliche Wirkung. Und nach unseren Versuchen zu urteilen, wirkt es auch nicht stundenlang, aber nach einer anderen Möglichkeit oder Mischung zu suchen, dies zu verlängern, hätte zu lange gedauert. Wir wussten nicht, wie weit eure Pläne sind und wann ihr gegen sie vorgehen wolltet."
"Das ist super", mischte sich nun auch Damian ein und trat neben mich. "Wie viel habt ihr?"
Eriens sagte uns eine Menge und erzählte, dass er nicht alle Dosierungen mitgenommen hatte, der Rest jedoch unterwegs wäre. Daraufhin brach deutliche Erleichterung aus und Damian warf mir einen Blick zu. Ich nickte. Auch wenn wir die meiste Menge Krecanos zerstört hatten, war das hilfreich. Vielleicht könnten wir die Organisation sogar zu einem Gespräch überzeugen, dass es sinnlos wäre, gegen uns zu kämpfen.
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