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Alina's Sicht
"Soll ich rein gehen? Lenke ich dich irgendwie ab?", fragte Damian vorsichtig.
Ich lachte nur als Antwort. Er wirkte sehr unsicher, weil er keine Ahnung hatte, wie er mit der Situation umgehen sollte. Ich grinste ihn an und sagte schließlich: "Wenn du willst, kannst du auch hier draußen bleiben. Solange du nichts sagst, stört es mich nicht."
Er nickte einmal und ließ sich dann auf dem Boden nieder. Damian schaute jedoch nicht mich an, sondern drehte den Kopf stattdessen seitlich von mir weg, als hätte er Angst, sogar sein Blick könnte mich ablenken. Da ich Seelenverwandte aber auch noch nie vor Publikum verbunden hatte, wusste ich nicht, ob es mich vielleicht tatsächlich sogar stören würde. Deshalb war es ganz gut, wenn er auf Nummer sicher ging.
Ich nahm einen tiefen Atemzug, bevor ich meine Aufmerksamkeit dem Mond widmete. Ein zunehmender Mond strahlte mir ins Gesicht. Nicht perfekt, aber dennoch ausreichend, da mir meine Kräfte vollständig zur Verfügung standen und ich deshalb nicht allzu viel zusätzliche Hilfe vom Mond benötigte.
"Alles klar", murmelte ich leise. Ich war mir bewusst, dass Damian mich hören konnte, ignorierte das jedoch. "Mal schauen, ob ich jemanden für sie finde."
Ich ließ die Strahlen des Mondes und seine dazugehörige Kraft in mich hinein sinken und wartete auf eine Person, die ich mit jemandem verbinden konnte.
Tatsächlich wurde mir direkt Amelia vorgeschlagen. Beziehungsweise drängte sich eine Erinnerung in meine Gedanken. Amelias Erinnerung. Sie saß auf einem gräsernen Boden und war von drei kleinen Kindern umgeben, die sie angrinsten. Eines davon erkannte ich sogar. Es war der rothaarige Junge, der beim Angriff so mutig gewesen war.
Ein Mädchen mit zwei geflochtenen Zöpfen begann übermütig zu lachen, wobei man ihre Zahnlücke erkennen konnte. In der nächsten Sekunde schmiss sie sich auf Amelia. Beide zusammen rollten ein wenig umher und schließlich warfen sich alle Kinder auf sie, um sie durchzukitzeln.
Das Bild verblasste und wurde von einem gelb gestrichenen Zimmer ersetzt. Auf dem mir bekannten Bett lag Delia mit wachen blauen Augen. Auf der Bettkante vor ihr hockte ihre Enkelin, die die runzlige Hand der alten Frau sanft in ihren Händen hielt. Amelia wirkte besorgt und beobachtete die Bewegungen ihrer Großmutter genauestens.
Eine weitere Erinnerung wurde sichtbar. Amelia stand in einem mir dieses Mal unbekannten grauen Zimmer mit Aurora und einem fremden Mann. An der vertrauten Art, wie sie miteinander umgingen, schlussfolgerte ich, dass es sich hierbei um ihren Vater handelte. Der Mann mit dem schulterlangen braunen Haar streckte die Hand zu seiner Tochter aus und zog sie in eine enge Umarmung, die von ihrer Mutter vervollständigt wurde. So erstand ein liebliches Familienbild.
Ich lächelte und sah zu, wie auch diese Erinnerung langsam verblasste.
"Okay", sagte ich, "wer passt denn zu ihr?" Ich lächelte den Mond hoffnungsvoll an. Die Verbindung zwischen uns, die durch die Verknüpfung unserer Macht entstanden war, begann zu vibrieren, bis sich eine Person in meine Gedanken schob, die mir nicht unbekannt war.
"Ehrlich?" Diese ungewollte Frage kam mir über die Lippen, bevor ich den Gedanken richtig zu Ende fassen konnte. Er wurde durch meinen Unglauben nur noch verstärkt. Besonders, als ich Niklas noch einmal fixierte.
Eine seiner Erinnerungen schob sich vor das Bild, welche meine Skepsis nicht verschwinden ließ. Niklas ärgerte mal wieder einen Menschen. Einen Jungen, wie ich feststellte. In der Hand hielt der schmächtige Junge etwas, das wie ein Test aussah. Eine rote Eins war mit einem fetten Kreis eingezeichnet worden. Niklas schubste ihn herum und lachte ihn aus, aus einem Grund, der mir völlig unbekannt war.
Der Junge rannte davon und prompt verzog sich Niklas' Mund zu einer starren Linie. Aus seiner Hosentasche zog er einen zusammengeknüllten Zettel. Er entfaltete ihn - so gut es ging - sodass ich erkannte, dass es ebenfalls ein Test war. Im Gegensatz zu dem Jungen war hier aber eine rote Fünf eingekreist worden. In der nächsten Sekunde landete der Test im Mülleimer. Hatte Niklas den Jungen geärgert, weil er neidisch auf ihn war? Oder wollte er sich einfach besser fühlen?
Das Bild verblasste und wurde von einer vertrauten Situation ersetzt. Es war der Moment gewesen, nachdem Niklas und seine Freunde uns im Wald angegriffen hatten. Alle Jungen saßen auf Stühlen. Niklas' Aufmerksamkeit lag aber auf mir. Beziehungsweise auf der Art, wie Damian und ich uns in diesem Moment anschauten.
Ich saß auf dem Sofa, während Damian genervt zu Niklas sah. Dann fixierte er jedoch wieder mich. Unsere Blicke von einer außen stehenden Person zu sehen, war mir mehr als unangenehm, vor allem weil mir nun bewusst wurde, wie liebevoll unsere Blicke waren. Niklas sah das scheinbar auch so, denn unter seinen Ärger und Missmut schlich sich abermals Neid. Neid, auf die Verbindung, die Damian und ich besaßen.
Bevor ich weiter darüber nachdenken und eventuell sogar philosophieren konnte, sah ich eine grausame Szene vor mir. Eine Frau mit blonden Haaren lag auf dem Boden. Auf ihrer weißen Weste prangerte ein runder Blutfleck und das scheinbar dazugehörige Blut sammelte sich auf dem Boden. Vor ihr lag in Wolfsgestalt ein weiterer Toter. Das Maul war aufgerissen und der Körper lag halb auf der Frau, so als hatte er sie beschützen wollen. Warum er gestorben war, konnte ich nicht erkennen.
Ich bemerkte aber Niklas, der den Schock über seine toten Eltern in einem markerschütternden Schrei zum Ausdruck brachte, bevor er fluchtartig verschwand. Niklas war zu dem Zeitpunkt vielleicht elf oder zwölf Jahre alt gewesen, weshalb ich von einer solchen Tat nichts gehört hatte. Zu dem Zeitpunkt war ich nicht in der Stadt gewesen.
Er rannte immer weiter und weiter. In den Wald hinein, wo er sich im Rennen verwandelte und vor seinen Dämonen zu fliehen schien. Im nächsten Moment hockte Niklas in einem kleinen Zimmer, in welchem sich eine dreckige Küche und ein kleiner Sessel befanden. Sein Zuhause, realisierte ich. Sein neues Zuhause. Seit dem Tod seiner Eltern wohnte er dort, allein. Ohne, dass es je einer mitbekam. Kein Wunder, dass er Damians Angebot, dem Rudel beizutreten, so schnell angenommen hatte. Es war das erste Zuhause, was er seit seinem schrecklichen Erlebnis hatte.
Amelia war eine lebensfrohe Person, die ihre eigenen Bedürfnisse immer hinter die ihrer Mitmenschen stellen würde. Sie war besorgt um ihre Familie und wollte irgendwann ebenfalls eine Familie wie die ihrer Eltern gründen.
Niklas hatte seit dem Tod seiner Eltern keine Ruhe gefunden. Er war andauernd auf der Suche nach einem Zuhause und versuchte sich selbst zu beweisen, dass er nicht schlecht war. Sein Neid auf andere fraß ihn innerlich auf und er wünschte sich jemanden, der ihn verstehen würde und ihn akzeptierte wie er war.
Ich schluckte schwer und ließ diese Erkenntnis in mir ruhen. Es war erstaunlich, denn scheinbar würden sich beide wirklich ergänzen. Sie konnten sich das geben, was der jeweils Andere brauchte. Ich konnte nur hoffen, dass beide ihrem Bedürfnis nachgeben würden. Wenn ich aber an Niklas' Blicke und Taten, was Amelia anging, dachte, würde wohl eher sie der sich weigernde Part sein.
Ich schloss meine Augen und hielt meine Handflächen von mir gestreckt. Ein altbekanntes Prickeln breitete sich dort aus und ich legte meine Hände aufeinander. Ein Ziehen entstand, bevor ich sie langsam voneinander löste. Silberne Fäden umspielten meine Finger und restliche Hand. Nun spürte ich auch Damians Blick auf mir.
Als ich mir sicher war, dass sich die Fäden vervollständigt und ineinander verwoben hatten, öffnete ich meine Augen und beobachtete, wie sich die Fäden entfernten und als kurz aufblitzender Stern am Nachthimmel sammelten. Dass sich die beiden nicht auf unterschiedlichen Kontinenten befanden, musste ich dieses Mal ja glücklicherweise nicht hoffen.
Kurz wartete ich noch auf ein neues Bild vor meinen Augen, für den Fall, dass es noch mehr Werwölfe gab, die ich verbinden konnte, als jedoch nichts kam, löste ich die Verknüpfung unserer Kräfte und der Mond ließ mich noch einmal seine Strahlen spüren, bevor mich beides verließ und mein Leuchten abnahm.
Ich sah noch kurz in den Nachthimmel, wandte mich dann aber Damian zu.
Er sah mich ausdruckslos an, meinte dann jedoch: "Das war unglaublich."
Ich lächelte und stand auf. Damian streckte ich meine Hand hin und zog ihn auf die Beine. Zusammen betraten wir das Zimmer.
"Und hattest du Erfolg?"
"Ja, aber ich bin mal gespannt, ob Amelia sich darüber freuen wird."
"Wirst du mir verraten, wer es ist?", fragte er unschuldig lächelnd.
"Nein", antwortete ich. "Das wirst du aber schon bald sehen können."
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Wieder mal eine kurze Anmerkung, beziehungsweise eher eine Entschuldigung. Dieses Kapitel sollte sich eigentlich nicht nur um dieses Thema drehen. Jedoch war ich total im Schreiben gefangen und hab dann erst, als ich fertig war, gesehen, wie viel ich bereits geschrieben hatte.
Im nächsten Kapitel wird es aber um Damian und Alina gehen und es wird vielleicht auch etwas "romantische Interaktion" passieren ;)
Ich wünsche euch frohe Ostern :)
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