Verrückt machen
Nach vielen Tränen vergießen genieße ich letztendlich den Sonntag mit ein paar Serien schauen. Mutter und Vanessa haben das ganze Haus geputzt und die Wände gestrichen. Doch was mich gewundert hat war, dass Mutter mich das erste mal nicht um Hilfe gebeten hat.
Ich hätte ehrlich gesagt auch keine Kraft dafür. Obwohl, Mama ist schon eine starke Frau. Sie hatte vorgestern eine Trennung hinter sich und hat nicht viel rum geheult wie ich. Sie hat die Nacht normal geschlafen und am zweiten Tag im Laden ihre Arbeit verrichtet. Und heute ist sie weiterhin aktiv und hat sogar Kraft die Wände zu streichen.
Vanessa hat all meine Nachrichten von Enzo gelöscht und ihn auf meine Blockliste gesetzt. Davon habe ich sie nicht abgehalten, denn ich bin im Moment wirklich sauer auf Enzo. Ich hätte nie mit ihm was anfangen dürfen. Vanessa hat es gut, sie hat richtig gehandelt und nichts mit Kris angefangen. Denn was wäre heute gewesen? Sie hätte so wie ich Liebeskummer.
Ich werde damit klar kommen. Ich bin stark und kann auch ohne Enzo leben. Ich brauche generell Abstand von Jungs bis ich auf jemanden Erwachsenen, der weiß wie er eine Frau zu behandeln hat stoße.
Ja, Gott hat für mich jemanden bestimmten aufgehoben, da bin ich mir sicher.
Ich schiebe ab sofort meine schlechten Gedanken zur Seite und denke nur noch an Gutes.
—
Eine Woche später:
Es wird an die Tür geklopft und Mutter öffnet sie.
„Hallo! Wir sind gestern hergezogen und wollten unsere Nachbarn grüßen", höre ich eine freundliche Frauenstimme.
„Wirklich? Das freut mich sehr. Ich heiße Mariana. Ich wohne hier mit meinen zwei Töchtern", sagt Mutter und Vanessa zieht mich aufgeregt an meinem Handgelenk zur Tür.
„Ah da sind sie auch", blickt Mutter zu uns.
Die neue Nachbarin überreicht uns einen kleinen Kuchen und Mutter nimmt sie ihr entgegen. „Das habe ich selbst gebacken für euch. Ich heiße übrigens Sophie und ich bin hier her gezogen mit meinem Mann und meinem Sohn", redet sie aufgeregt mit breitem Lächeln und reicht Mutter ihre Hand. Mutter legt den Kuchen auf den Kasten und schüttelt ihre Hand.
„Dankeschön für diesen tollen Kuchen. Komm rein, trink doch mit uns Tee."
So kommt die Frau, also unsere neue Nachbarin rein und ihr hinterher auch ihr Sohn. Verwirrt starren Vanessa und ich zu ihm.
„Omg, Omg! Gott hat für mich einen Freund geschickt! Vera, er gehört mir!", flüstert Vanessa zappelnd in meinen Ohr.
Okay dieser Junge sieht gut aus, aber niemals so schön wie mein Enzo. Enzo übertrifft niemand.
Verdammte Gedanken! Wieso denke ich überhaupt noch an Enzo. Was für schön? Er ist nichts mehr für mich. Und meins war er schon lange nicht. Grinsend blickt dieser Junge zu uns und bewegt sich nicht vom Fleck, obwohl Mutter und Sophie bereits ins Wohnzimmer verschwunden sind.
Dieser junger Mann hat dunkelbraune Haare, schwarze Augen und normale Lippen. Nichts besonderes, er ist einfach normal. Einen gut gebauten Körper hat er schon und wie es aussieht ist er schüchtern, nicht so wie Enzo unverschämt und arrogant.
Ahhh Enzo... obwohl ich all seine Fotos von meinem Handy gelöscht habe, kann ihn mir vorstellen als wäre er hier bei mir. Echt traurig, dass ich immer noch so empfinde.
Vera?! Was denkst du schon wieder? Schon vergessen? Enzo und schlechte Gedanken auf die Seite schieben und nur an Gutes denken.
„Vera? Kommst du?", reißt mich Vanessa von meinen Gedanken und ich blicke rauf. Sie steht da plötzlich neben diesem Jungen und redet etwas grinsend. Mir ist gar nicht aufgefallen das sie sich nach vorne marschiert hat. Ich nähere mich zu ihnen und schon blickt dieser Junge mir tief in die Augen, dann zeigt er sein kurzes Grinsen und ich meine langweilige Miene.
„Das ist Tim, Tim das ist meine kleine Schwester Vera!", stellt Vanessa uns vor. Auch einander vorstellen haben sie schon geschafft, während ich in meinen Gedanken vertieft war.
Und der Name Tim ist echt bescheuert.
„Deine Schwester redet wohl nicht viel", bemerkt er.
„Wenn sie anfängt zu reden, dann glaub mir redet sie wie ein Wasserfall. Also freu dich nicht zu früh", meint Vanessa lachend. Die beiden flirten, das ist definitiv nicht übersehbar.
Ohne ein Wort gehe ich ins andere Zimmer und die beiden folgen mir, obwohl ich gerade echt alleine sein wollte. Sie setzen sich zur Couch und lachen, weil er einen schlechten Witz raus gebracht hat.
Und so vergeht die ganze Stunde. Einfach nur langweilig.
„Vera, hast du schon gehört? Tim wird auch bei uns im Laden arbeiten. Er will ein wenig Geld verdienen und es ist auch gut für uns einen Mitarbeiter einzustellen", sagt Mutter als wir die neuen Nachbarn zur Tür begleiten.
Echt Toll. Am liebsten könnte sie mich da raus lassen und diesen Jungen einstellen.
„Ja ist wirklich toll", gebe ich leise von mir.
Als ich zu Tim hinblicke starrt er mich amüsiert grinsend an. Ich hasse es wenn mich jemand so anschaut. Nur zu Enzo passt es, mich so anzusehen.
ENZO ENZO ENZO ENZO....mein Kopf platzt gleich mit lauter Enzo. Werde ich verrückt nur wegen Enzo? Macht er mich verrückt?
—
Dennoch überlebe ich eine weitere Woche und lenke mich mit der Schule, lernen, Bücher lesen und Serien ab.
Wo ich mir dachte es würde schlimmer werden, war es Gott sei dank doch nicht so. Ich kämpfe mit mir selbst, damit ich über Enzo hinweg komme. Mir ist bewusst, dass es nicht so schnell gehen wird, deswegen lasse ich mir viel Zeit. Und wer weiß, nach zwei Monaten soweit ich es ausgerechnet habe, werde ich ihn vergessen können.
Nach knapp 3 Wochen lässt mich Mutter mit Tim alleine im Laden, weil sie zu einem wichtigen Termin gehen muss. Tim und Vanessa verstehen sich gut und Vanessa redet fast jeden Tag nur von diesem Tim, wie toll er ist. Er besucht uns auch oft. Er versucht mit mir Freundschaft zu schließen, aber er ist der Meinung, dass ich zu kalt zu ihm bin. Das eigentliche Problem dabei ist nur, dass er nur dumme Sachen redet, ohne Sinn dahinter. Er denkt er ist witzig und lacht auch über seine eigenen Witze. Keine Ahnung was falsch bei ihm ist. Er hat oft Angst was falsch zu machen. Meistens, wenn meine Mutter mich mit ihm alleine lassen will, warnt sie ihn. Sie sagt er soll auf mich aufpassen und mich nicht aus den Augen lassen, weil ich angeblich oft tollpatschig bin. Und so fühle ich mich von ihm oft beobachtet und als wäre das nicht genug, erzählt er meiner Mutter alles, wenn sie ihn mal ausfragt.
„Vera, du hast die Äpfel wieder in den falschen Karten gelegt", höre ich ihn beim hinteren Regal.
„Tja dann mach dich an die Arbeit, kannst sie ja dann richtig ordnen. Ich kann nicht an alles denken, ich habe auch ein paar andere Sachen zu erledigen, die nicht ständig mit dem Laden zu tun haben."
„Glaub mir ich auch! Es ist auch nicht leicht für mich nach der Uni für zwei Stunden her zu fahren...", redet er.
„Du hast es leichter als ich, weil du ein eigenes Auto hast!"
Langsam gehe ich zur Kasse und schlichte dort ein paar Kaugummi Packungen. In dem Moment betritt jemand den Laden. So missgeschickt ich ja bin, rutscht mir eine kleine Box neben dem Tisch auf den Boden. Ich glaube ich habe aus Versehen meinen Arm dagegen gestoßen. Ich bücke mich runter, lege die Schokoladen Tafel in die Box und stelle sie wieder rauf auf den Tisch. Ich hasse diese Ordnung von Mama. Die meisten Sachen sind vor dem Kassentisch geordnet. Der Kunde stellt zwei Redbull Dosen auf den Tisch.
Ich scanne sie.
„4,80€", sage ich zu den Redbull Dosen blickend.
300€ wird vor mir auf den Tisch gelegt. 3 Hunderter Scheine.
Das erinnert mich damals wie mir mal Enzo mit dem Wort ‚Schmerzensgeld' so die 3 Hunderter Scheine auf die Hand gedrückt hatte. Das war sogar bei unserer ersten Begegnung.
Warte mal...
Ich sage 4,80€ und er gibt mir 300€?
Keine 100€ weil er kein Wechselgeld hat, nein genau die drei Scheine!
Noch immer verwirrt starre ich die Scheine an.
Ich schlucke und blicke als allererst zu seinen Füßen. Schwarze Nike Sportschuhe.
Mein Blick wandert langsam rauf.
Blaue Jeans.
Weißes Shirt und eine schwarze Lederjacke mit Kapuze.
Dann diese braunen funkelnden Augen die tief in meine schauen und mein Blick fest hält.
Mein Herz fängt an wie wild zu pochen und ich halte kurz inne.
Seine männlichen Gesichtszüge bis hin zu seinen vollen perfekten Lippen. Seine zerzausten Haare sind ein Zeichen der Perfektion.
Es ist wie ein Traum für mich, dass er hier und jetzt vor mir steht. Drei Wochen lang habe ich nach ihm gesehnt und hier steht er nun. Genauso wie ich kann er nicht aufhören zu starren.
Als meine Gehirnzellen wieder beisammen finden blicke ich wieder runter zu seinen Getränken und nehme das Wechselgeld für den eine 100ter Schein raus.
Mit zittrigen Händen blicke ich wieder rauf zu ihm und entdecke auch hinter ihm Tim.
„Wollen Sie auch eine Plastik Tasche?", frage ich und versuche diesmal nicht in Enzos Augen zu blicken.
Ich bin sehr nervös und weiß nicht was ich machen soll. Ich zittere leicht am ganzen Körper und mein Herz schlägt noch immer verrückt. Immer wieder blickt Tim in meine Richtung, weil er mein Verhalten wahrscheinlich auch seltsam findet.
„Ich hätte lieber gefragt: ‚darf es sonst noch was sein?' aber wie es aussieht ist die Kassiererin nur eine Anfängerin!", sagt Enzo. Ich spanne meinen Kiefer an und blicke etwas selbstbewusster in seine Augen.
Er grinst mich schief an, so wie er das damals gemacht hat. Und wie sauer ich auf ihn bin, er sieht einfach heiß aus mit seinem benehmen.
Ich fühle, wie sehr ich ihn vermisst habe und gerade mit seiner Anwesenheit werde ich wieder von neu anfangen müssen ihn zu vergessen.
„Ich nehme noch das!", sagt er und legt eine Packung Kaugummis zu seinem Redbull.
Ich nicke und lege die Sachen in die Tasche.
„Hast du noch immer nichts daraus gelernt?", fragt er mich und steckt seine Hände in die Hosentaschen. Will er mich gerade mit seinen Aussagen ärgern?
„Darf es sonst noch was sein?", frage ich und zeige mein gezwungenes Grinsen. Amüsiert mustert er mich an und nickt grinsend.
„Ich will noch eine Packung Schokolade dazu!", sagt er. Ich atme tief ein und lege ihm auch die in die Tasche.
„Sonst noch was?"
„Ja! Zwei Packungen Chips!", redet er und ich spüre seinen Blick noch auf mich ruhen.
So geht es weiter bis die Tasche ganz voll ist. Ich musste die ganzen Sachen für ihn zusammen räumen, weil der Kunde ja der König ist und dieser scheiß Pisser Tim mich beobachtet. Obwohl, wüsste Mama wer hier zu Besuch ist, müsste ich doch gar nicht so nett sein.
Ich zähle alles zusammen und strecke Enzo das Restgeld zu ihm. Er kommt zur Kassa näher, greift absichtlich an meinem Handgelenk an und nimmt sein Geld viel zu langsam aus meiner Hand, wobei unsere Hände sich lange berühren. Selbst nur von seiner Berührung kribbelt es in meinem Bauch und meine ganzen starken Gefühle kommen wieder, die ich versucht habe zu verdrängen. Ich schlucke und er bewegt sich nicht von der Stelle, bis ich ihn in die Augen schaue. Er schaut mich ernst an, so als hätte er mich sehr vermisst, wie ich ihn.
„Auf Wiedersehen, das ist das Stichwort, damit der Kunde zufrieden aus dem Laden geht!", sagt er leise und lächelt mich warm an.
„Ich hab's mit Leb wohl lieber!", gebe ich kalt von mir.
Ohne noch was zu sagen, verschwindet er dann aus dem Laden.
Ich schließe meine Augen und atme durch.
Er hat auf Wiedersehen gesagt und nicht leb wohl. Soll das heißen?
Nein. Kommt gar nicht in Frage!
Hast du schon vergessen was er dir angetan hat?
Aber wieso ist er ausgerechnet zu unserem Geschäft gekommen? Dort bei ihm in der Nähe gibt es doch viel bessere Läden als unseres.
...
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