21. Türchen
Ich war furchtbar nervös und strich mir nun schon zum hundertsten Mal durch die Haare. Jedes Mal aufs Neue lagen sie wieder total seltsam, was mich mit der Zeit wirklich frustrierte. Ich wollte für Cornel einfach nur gut aussehen, aber da machten meine Haare heute nicht mit. Und dass ich seit gestern Abend auch plötzlich einen übergroßen, roten Pickel an der Schläfe hatte, trug auch nicht dazu bei, dass ich mich schöner fühlte.
Schlussendlich griff ich notgedrungen nach einer Mütze und versuchte sie mit einer Hand über meinen Kopf zu ziehen, was sich als verdammt kompliziert herausstellte. Generell war das Anziehen alleine eine ziemliche Kraftanstrengung und beim Duschen ohne der Schlinge um den Hals meinen Arm ruhig zu halten, war auch gar nicht so einfach.
Irgendwie hatte ich es aber geschafft und stand nun abfahrtsbereit fünf Minuten vor der vereinbarten Uhrzeit in meinem Gang. Langsam wurde mir in meiner dicken Winterjacke und mit der Mütze viel zu warm, weshalb ich mich kurzerhand dazu entschloss einfach schonmal nach draußen zu gehen. Dann brauchte Cornel auch gar nicht aussteigen um zu klingeln.
Mit einem letzten Blick durch meine Wohnung überprüfte ich nochmal, ob alles an seinem Platz war und ordentlich aussah. Ich wollte Cornel später nicht in ein Chaos einladen. Er sollte sich hier wohlfühlen können.
„Das wird schön", murmelte ich mir im Spiegel noch selber zu, bevor ich mir aufmunternd entgegen lächelte, tief durchatmete und dann meine Wohnung verließ.
Zu meiner großen Überraschung stand davor bereits ein mir bekanntes Auto und erst auf den zweiten Blick sah ich auch Cornel darin. Er saß sichtbar nervös am Fahrersitz, trommelte mit den Daumen auf dem Lenkrad und starrte mein Garagentor wie hypnotisiert durch die Frontscheibe an.
Offenbar war nicht nur ich furchtbar nervös.
Ich atmete erneut durch, ehe ich an sein Auto heran trat und dabei hoffte, dass er mich schon bemerkte. Ich wollte ihn nicht erschrecken. Cornel sah mich aber nicht und zuckte sichtbar zusammen, als ich zaghaft gegen sein Beifahrerfenster klopfte. Nachdem er schnell realisierte, dass ich es war, begann er breit zu lächeln und betätigte die Zentralverriegelung, damit ich die Tür öffnen konnte.
„Hey", strahlte er.
„Hey", schmunzelte ich und ließ mich auf seinem Beifahrersitz nieder. Im Auto war es angenehmer Weise nur so warm, dass mir trotz meiner dicken Winterjacke nicht heiß wurde. Trotzdem zog ich den Reißverschluss etwas auf. Ich wollte verhindern, dass ich im Laufe des Abends irgendwann nach Schweiß stank.
„Ich hätte nicht erwartet, dass du schon da bist", lächelte ich und zog, dank meinem Arm, etwas umständlich den Anschnallgurt über meinen Oberkörper.
„Ich stehe schon etwas länger hier", gab Cornel dann mit rot werdenden Wangen zu und startete den Wagen. „Ich dachte irgendwie, dass ich länger bis zu dir brauche und war dann viel zu früh da. Da wollte ich noch nicht klingeln."
„Hättest du ruhig schon können", schmunzelte ich und lehnte mich gemütlich zurück. Die Sitzheizung, deren Wärme sich langsam durch meine Jeans schlich, ließ mich zufrieden stumm aufseufzen. „Ich bin schon viel zu lange fertig in meinem Flur gestanden und bin dann raus, bevor ich drinnen in der Winterjacke noch eingegangen wäre", gestand auch ich und spürte wie dabei nun auch meine Wangen rot wurden.
Cornel begann daraufhin leise zu lachen, worauf ich seltsamerweise sogar irgendwie stolz war.
„Bist du denn warm angezogen?", fragte mein Date dann und lächelte am Ende meiner Straße kurz zu mir hinüber, ehe er wieder Gas gab und links abbog.
„Ich denke." Ich trug ein T-Shirt, darüber einen Pullover, dann eine ärmellose Jacke und schlussendlich meine dicke Winterjacke. Dazu eine Mütze. Meine Füße steckten in warmen Winterschuhen, aber zur Sicherheit hatte ich über meine Sneakersocken noch Wollsocken gezogen, damit meine Füße auch nicht kalt werden würden, wenn wir länger irgendwo stehen würden.
Und Handschuhe hatte ich auch noch eingesteckt.
„Sehr gut. Es könnte nämlich etwas windig werden", warnte er mich vor und teaserte gleich etwas. Ich hatte ihn vorab per Nachricht gefragt, wohin wir fuhren. Doch Cornel hatte nichts außer einem Zwinkersmilie drauf geantwortet.
„Welchen Christkindlmarkt hast du ausgesucht?", versuchte ich es erneut, aber wieder bekam ich keine Antwort.
„Lass dich überraschen", schmunzelte mein Date und legte seine Hand auf meinem Oberschenkel ab, kaum dass wir die Hauptstraße erreicht hatten.
Diese kleine Geste ließ gleich die Schmetterlinge in meinem Bauch explodieren und ein breites Lächeln nahm auf meinen Lippen platz. So blieben wir die nächsten Minuten. Nur wenn Cornel schalten musste, nahm er seine Hand von meinem Oberschenkel. Sobald er sie aber nicht mehr brauchte, legte er sie dort wieder ab. Immer mal wieder schenkte er mir während der Fahrt ein sanftes Lächeln, welches ich jedes Mal erwiderte.
Irgendwann traute ich mich sogar und legte meine Hand auf seiner ab, was Cornel noch breiter lächeln ließ.
„Gleich sind wir da", schmunzelte er und drückte meinen Oberschenkel sanft, bevor er mir seine Hand wieder entzog und in eine Seitenstraße einbog. Langsam dämmerte mir auch, wo wir vielleicht hinfuhren und Vorfreude begann noch kräftiger in meinem Bauch zu brodeln.
„Und da sind wir schon", grinste Cornel und lenkte seinen Wagen auf einen gut gefüllten Parkplatz. Zu unserem Glück fanden wir jedoch recht nah am Eingang noch einen freien Platz, der wie ausgemessen für Cornels Auto passte.
„Hier wollte ich schon immer mal hin", strahlte ich begeistert und stieg gleich aus, kaum, dass Cornel den Motor ausgeschaltet hatte. Meine Jacke zog ich wieder zu, während mein Blick sich gleich auf die vielen blinkenden Lichter haftete.
Cornel hatte mich tatsächlich zur Waldweihnacht gebracht.
Ein süßer Weihnachtsmarkt, der mitten im Wald lag. Vom Parkplatz aus musste man erst ein Stück durch den Wald gehen, bevor man bei zahlreichen kleinen Hütten ankam. Von meinen Freunden und Bekannten wusste ich, dass es dort überwiegend Essens- und Glühweinstände gab und man dafür weniger einkaufen konnte, aber das war für mich völlig in Ordnung. Auch der Weg bis hin zum Markt sollte wunderschön geschmückt und mit vielen Lichterketten ausgeleuchtet sein.
Das Highlight war jedoch ein Aussichtsturm, der auch unterm Jahr als Touristenattraktion galt, von dem aus man den gesamten Wald und die kleinen Dörfer drumrum erblicken konnte. Zur Weihnachtszeit war auch der aufwendig geschmückt und wenn man den Aufstieg der gut vierhundert Stufen geschafft hatte, wartete oben sogar angeblich ein Glühweinstand auf einen.
„Dann war das die richtige Entscheidung?", lächelte Cornel, der längst um sein Auto herum getreten war und mir nun seine Hand entgegen hielt. Ich ergriff sie ohne zu zögern und nickte.
„Ich habe schon so viel Gutes über diesen Weihnachtsmarkt gehört, aber habe es nie geschafft selber hierher zu kommen", ließ ich ihn wissen und folgte ihm dann als er gleich den Weg in Richtung Eingang einschlug.
Der Eingang war durch einen großen, blinkenden Bogen gekennzeichnet, den einige Frauen gerade nutzten, um davor schöne Erinnerungsbilder zu knipsen. Links davon stand ein kleines Häuschen, bei dem man den Eintritt bezahlen musste.
Cornel spazierte aber direkt daran vorbei und hielt lediglich sein Handy mit einem QR-Code gegen die Drehtür, ehe diese uns mit einem grünen Licht zeigte, dass wir hindurchgehen konnten.
„Du hast die Ticket schon online gekauft?", fragte ich überrascht und konnte nicht anders als seine Hand etwas zu drücken. Das war wirklich lieb von ihm.
„Ja, ich hatte ehrlich gesagt bedenken, dass zum Schluss noch alle ausverkauft sind", gluckste Cornel und löste unsere Hände kurz, nur um sich dann an meinem Arm einhaken zu können. Dann lächelte er die wenigen Zentimeter, die er kleiner war, zu mir hinauf.
„Es freut mich, dass wir heute hier sind."
„Ich mich auch", erwiderte ich lächelnd und hauchte ihm dann einen sanften Kuss auf die Stirn. Und wie ich mich freute.
Nebeneinander passierten wir dann den wirklich sehr schön beleuchteten Weg bis zum Markt, der zwar gut gefüllt, aber nicht überlaufen war. Gemeinsam verschafften wir uns erst einen Überblick, bevor wir uns je eine Bratwurstsemmel holten und direkt im Anschluss daran zwei mit Nutella und Bananen gefüllte Crêpes. Dazu tranken wir beide einen alkoholfreien Orangenpunsch und teilten uns noch eine Tasse Kinderpunsch.
Dabei unterhielten wir uns durchgehend. Wir hatten zahlreiche Gesprächsthemen. Ernstere und alltägliche, aber auch lustige und fast schon alberne. Wir lachten viel.
Ich genoss seine Anwesenheit und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass er über einen längeren Zeitraum hinweg wirklich er selbst war.
Nicht ein Mal kam ein überheblicher oder spöttischer Kommentar und diesmal fühlte ich mich auch kein einziges Mal kleiner als er.
Das bestätigte mir nur meine Annahme, dass er lediglich in seiner Arbeit so ein überheblicher Kotzbrocken war und das nur eine Maske war.
Es war auf jeden Fall erfrischend ihn so zu erleben und ich genoss es in vollen Zügen.
„Bereit die Stufen zu erklimmen?", schmunzelte Cornel nachdem er unsere leere Tasse zurückgebracht hatte und hielt mir auffordernd seine Hand entgegen.
Bis jetzt waren wir an einer Heiztonne gestanden, die uns warm gehalten hatte, während man den Wind durch die Baumwipfel pfeifen hören konnte. Die Vorstellung jetzt diesen Turm zu erklimmen, ließ mich direkt erschaudern.
Andererseits wollte ich mir diese Chance mit Cornel nicht entgehen lassen, deswegen griff ich nach seiner Hand, schenkte ihm ein Lächeln und lehnte mich dann kurzerhand zu ihm hinüber, um meine Lippen auf seine zu drücken.
Es war nur ein kurzes Küsschen, aber es trieb uns beiden ein breites Lächeln auf die Lippen und mir ein warmes Gefühl in den Magen. Die kurze Berührung unserer Lippen erfüllte meinen Körper mit neuer Energie, sodass ich mit Elan die Stufen hinauf starten konnte.
Der Turm war so breit gebaut, dass Cornel und ich problemlos nebeneinander gehen konnten und die absteigenden Leute auch noch an uns vorbei passten. Cornel hatte sich wieder an meinem gesunden Arm eingehakt, während wir beide unsere Hände in den Jackentaschen hatten. Je weiter man nach oben kam, desto kälter und vor allem windiger wurde es. Desto schöner wurde aber auch die Aussicht.
Schon ab gut zwei Drittel der Strecke konnte man die ersten Dörfer und ihre Weihnachtsdekorationen erblicken und mit jedem Höhenmeter, den wir zurücklegten, wurde die Aussicht schöner.
So ätzend der Wind auch war, trieb er andererseits auch die Wolken weg, sodass wir fast einen wolkenlosen Himmel und damit eine gigantische Aussicht hatten.
Wir waren beide etwas außer Atem als wir auf der Aussichtsplattform ganz oben ankamen. Hier oben waren es nicht nur die vierhundert Stufen, die uns den Atem raubten, sondern auch die wunderschöne Aussicht, die sich uns bot. Die zahlreichen Dörfer, die wohl extra für diesen Aussichtsturm ein Lichterspektakel nach dem anderen aufgebaut hatten, und der Christkindlmarkt von oben, der mindestens genauso schön leuchtete. Die Dörfer an sich blinkten und glitzerten schon wunderschön, dazu kamen aber noch endlose Wiesen auf denen wohl meterhohe, leuchtende Renntiere stehen mussten, denn vor hier sah es aus, als würde der Weihnachtsmann mit seinem Schlitten gerade über die Wiese rasen.
Der Anblick war wirklich wunderschön.
„Wow", murmelte Cornel leise und trat noch näher an mich heran, ehe er seinen Kopf auf meiner Schulter ablegte. So mit ihm hier zu stehen, gefiel mir schon sehr gut.
„Wunderschön", antwortete ich ebenso leise.
Hier oben waren außer uns zwar noch mindestens zwanzig andere Leute, aber sie alle waren genauso sprachlos wie wir. Es war überraschend still und nur der Wind, der vorbei pfiff, machte überhaupt ein Geräusch. Obwohl wir gerade die Treppen nach oben gegangen waren und mir dabei schon sehr warm geworden war, sodass ich auf halbem Weg geglaubt hatte, keine Jacke mehr zu brauchen, ließ mich der kalte Wind hier bald frösteln. Gut, dass ich meine Jacke trotz meiner Hitze nicht geöffnet hatte. Andernfalls hätte ich mich jetzt nur verkühlt.
„Trinken wir hier noch einen Punsch und dann schauen wir, dass wir ins Warme kommen", ließ ich Cornel wissen, als ich nach gut zehn Minuten, in denen wir stillschweigend die Aussicht genossen hatten, spüren konnte, wie mein Date zu zittern begann.
„Das hört sich sehr gut an", antwortete Cornel angespannt. Offenbar war ihm kälter als er zugeben wollte.
Hier oben gab es keine Heiztonne, aber unter dem Vordach der kleinen Hütte, die den Punsch verkaufte, hing ein Heizstrahler, der das Warten auf das Heißgetränk etwas angenehmer machte. Zusätzlich dazu legte ich meinen gesunden Arm noch um Cornel, damit sich dieser etwas an mich lehnen konnte.
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