13. Türchen
Ich hatte mir vorher keine Gedanken gemacht, wie es dort aussehen würde, wo Cornel mich hinbrachte.
Wir waren ganz kurz an seiner Umkleide vorbeigegangen. Dort hatte er meinen Mantel über die Heizung gehangen und mir eine Jacke von ihm gegeben, die mir überraschend gut passte.
Die Jacke war aufwendig bestickt. Vorne auf der linken Seite stand Cornel und hinten am Rücken war das Logo einer großen Reiter Association. Cornel erzählte mir stolz, dass er die Jacke bei einem Wettbewerb gewonnen hatte und sie mit eines seiner größten Heiligtümer war. Dadurch fühlte ich mich in der warmen Jacke gleich noch besonderer. Nicht nur, dass sie Cornel gehörte. Nein, sie war ihm auch noch wichtig und trotzdem gab er sie mir.
Zumindest fühlte ich mich solange wohl, bis wir in das Stüberl traten, aus dem man schon zahlreiche Stimmen hören konnte. Der Geruch nach Rauch und Glühwein hing schwer in der Luft, gleichzeitig roch es penetrant nach Pferd und ich war mir sicher, dass meine Nase recht bald verstopft sein würde, so staubig wie es hier war. Es würde nicht lange dauern, bis meine Stauballergie sich hier melden würde.
Ich fühlte mich in dem Raum alleine schon nicht wohl. Die Blicke, die gleich auf uns fielen, kaum dass wir durch die Tür gekommen waren, und die Gespräche, die sofort verstummten, machten das nicht besser.
Zwar fingen die meisten gleich wieder an zu reden, ignorierten dabei unsere Ankunft einfach, aber einige musterten vor allem mich mit skeptischem Blick. Dabei entging mir nicht, dass ihre Blicke einer nach dem anderen an Cornels Jacke an meinem Körper hängen blieb.
„Wo ist der Glühwein?", fragte der Eigentümer meiner Jacke und machte sich ebenso wenig etwas aus begrüßenden Worten.
Das Stüberl war relativ klein. Direkt neben der Tür war eine Garderobe, die so vollgehängt war, dass man nicht einmal mehr die Haken, geschweige denn das Gestell sehen konnte. An der Wand daneben stand eine provisorisch wirkende Küche, die Cornel in dem Augenblick ansteuerte und zwei Tassen aus einem wackligen Schrank zog. An den restlichen freien Wänden standen Bänke, sodass es für den kleinen Raum doch recht viele Sitzplätze gab. Einen Tisch gab es nicht. Deswegen standen auch sämtliche Tassen auf dem Boden, direkt neben Handys, Geldbeuteln, Schlüsseln und Zigarettenschachteln.
Dass dieser vom Schnee nass war, schien dabei kaum jemanden zu stören.
Sie unterhielten sich weiterhin in einer Lautstärke, die noch mehr zunahm als die, die mich so intensiv gemustert hatten, auch wieder mit einstiegen und mich nun nicht mehr beachteten. Auch auf Cornels Frage antwortete niemand.
„Hier", lächelte der Schauspieler und reichte mir eine dampfende Tasse Glühwein. Zumindest roch es wie Glühwein.
Stan sollte leider Gottes recht behalten. Der Glühwein, den sie da hatten, war wirklich nicht anders zu beschreiben als als Plörre. Er war dünn, pappsüß und irgendwie war die Farbe eher braun als dunkelrot. Wenigstens war er heiß und mein Körper eiskalt, deswegen würgelte ich das Getränk trotzdem irgendwie hinunter.
Dass ich mich hier auch noch furchtbar unwohl fühlte, half mir auch nicht dabei, das Getränk zu genießen.
„Setzen wir uns", lächelte Cornel und drehte sich zu den vollen Bänken um. Es gab zwar viele Sitzplätze, aber die waren alle belegt. Cornel würde sich doch nicht auf den Boden setzen wollen, oder? Mein Blick fiel skeptisch auf den nassen, etwas sandigen Boden, während ich weiterhin spekulierte, wo er sich hinsetzen wollte.
In dem Moment machte er zwei jünger aussehenden Männern mit einem einzigen Nicken zur Seite deutlich, dass sie Platz machen sollten. Ich zweifelte schwer, dass das funktionierte, doch die zwei erhoben sich. Nicht unbedingt freiwillig und mit einem gemurmelten Schimpfwort auf den Lippen, aber sie standen auf und überließen uns ihre Plätze.
Cornel ließ sich auf einen davon fallen und sah mir abwartend entgegen. Ich konnte mich aber nur zögerlich dort niederlassen und fühlte mich auch unweigerlich schlecht, weil wir den beiden nun ihre Plätze geklaut hatten.
Cornel streckte seine Beine entspannt von sich, nippte ein weiteres Mal an seiner Tasse und legte im nächsten Augenblick seinen Arm ungeniert um meine Schultern.
Das lockte sofort wieder zahlreiche Blicke auf uns. Oder besser gesagt, auf mich.
Keiner davon war wohlwollend. Sie sahen mir entweder skeptisch, missgünstig oder fast schon verachtend entgegen. Während Cornel das nicht zu stören schien, fühlte ich mich einfach nur furchtbar und wäre am liebsten sofort wieder gegangen.
Da das aber sicherlich noch mehr Aufmerksamkeit auf mich gezogen hätte und ich mich ehrlich gesagt in Cornels Arm auch gut aufgehoben fühlte, entschied ich mich dazu, es lieber noch etwas durchzustehen. Das Gewicht seines Armes fühlte sich angenehm an und gaukelte mir eine gewisse Sicherheit vor. Gleichzeitig schaffte es das warme Gefühl, das bei jeder von Cornels Berührungen in meinem Magen aufkam, kurzzeitig gegen das schlechte Gefühl anzukommen.
Vielleicht ihr Verhalten mir gegenüber, das Mustern und regelrechte Inspizieren sowie das gekonnte Ignorieren, auch nur die anfängliche Unsicherheit gegenüber Fremden. Immerhin war ich eine außenstehende Person, die einfach in ein funktionierendes Gefüge gekommen war.
„Andreas? Geht das Glühweingeschäft gut?", fragte mich plötzlich die Brünette, die ich diesmal erst auf den zweiten Blick erkannte. Sie spielte eigentlich das Christkind, saß nun aber in Leggins und in einen dicken Pullover gekleidet im Schneidersitz auf der Eckbank. In ihrem Schoß lag eine Tüte gebrannte Mandeln und in ihrer Hand hielt sie ebenfalls eine Tasse, die wohl auch Glühwein beinhaltete.
„Du hast hier eine Glühweinbude?", fragte daraufhin gleich eine andere, ebenfalls brünette Frau.
Ich nickte auf die zweite Frage hin und wollte dem brünetten Christkind gerade antworten, als einer der Männer sich einmischte. „Versuchst du ihn in die Kiste zu bekommen, damit du kostenlosen Glühwein bekommst?", spottete er. Dabei war die Verachtung deutlich aus seiner Stimme zu hören.
Ich hatte in meinem Leben schon mit einigen Homophoben zu tun, was aber nicht bedeutete, dass ich mich deshalb daran gewöhnt hatte. Ich wusste nicht, warum ich mir so sicher war, dass seine Verachtung damit zu tun hatte, aber mein Bauchgefühl bestätigte mir diese Annahme irgendwie.
Auch diesmal zuckte ich zusammen.
Nicht nur wegen seiner Worte, sondern auch wegen den Gedankenkarussell, das sie anstupsten.
War Cornel nur auf Sex aus? War das seine Masche, um wirklich an kostenlosen Glühwein zu kommen?
Und ich Idiot hatte ihm natürlich nicht nur einen, sondern gleich mehrere ausgegeben. Aber andererseits konnte ich mir das kaum vorstellen. Warum sollte er mir dann Trinkgeld geben? Und dann auch gleich noch so viel?
Oder war das vielleicht auch eine Masche? Damit ich genau das dachte?
Ich schluckte und nippte, um meine Verunsicherung vor den neugierigen Augen, die unserem Gespräch folgten, zu verstecken, an meiner Tasse.
„Ha ha", brachte Cornel daraufhin trocken heraus. „Witzig." Das Wort kam so hart über seine Lippen, dass selbst ich, der nicht angesprochen war, zusammenzuckte. Auch die anderen Gespräche verstummten für einen Augenblick. „Wie wärs, wenn du dich einfach mal verpisst?", fragte Cornel scharf nach und sah den Kerl, der uns schräg gegenüber saß, finster an. Offenbar hatten die beiden in der Vergangenheit schon Differenzen gehabt.
„Wär doch langweilig", war die einzige Antwort des Blonden, der noch dazu mit den Schultern zuckte.
„Du bist langweilig", kam es vom Christkind, die ihm im gleichen Zug noch die Zunge zeigte. Er streckte daraufhin ebenfalls die Zunge heraus und wirkte bei ihr deutlich gelassener als noch im Gespräch mit Cornel. Also hatte er offenbar wirklich ein Problem mit Homosexuellen. Oder wahrscheinlich mit jedem, der auf irgendeine Art und Weise dasselbe Geschlecht anziehend fand.
„Dann bekommt er keinen Glühwein für den Sex?", fragte aus dem Nichts eine Schwarzhaarige mit einem überdimensionalen Ausschnitt. Sie meinte ihre Frage offenbar ernst, während die anderen daraufhin augenblicklich in gackerndes Lachen ausbrachen.
„Ich bekomme nichtmal Sex." Cornels Stimme klang amüsiert und ein zartes Lächeln zierte seine Lippen, dennoch war der Spott deutlich aus seiner Stimme zu hören.
„Kein Sex und keinen Glühwein?", hinterfragte die Schwarzhaarige und wieder begannen alle samt Cornel zu lachen. „Dann ist er ein schlechter Fang", urteilte sie und ließ mich damit noch schlechter fühlen, als ich es hier ohnehin schon tat. Als sie mich dann auch noch offensichtlich von Kopf bis Fuß musterte und dabei erneut an Cornels Namen an meiner Jacke hängen blieb, wollte ich mich am liebsten hinter meiner Begleitung verstecken.
„Aber er ist süß", kicherte das Christkind zu meiner Verteidigung. Oder konnte ich das überhaupt als Verteidigung sehen?
Im nächsten Moment ging ein ablehnendes Raunen durch die Runde aus gut zehn Leuten, das mich erneut angestrengt schlucken ließ. Ein schwerer Klumpen hatte sich längst in meinem Hals gebildet, während die anderen regelrecht mündliches Pingpong über meinen Kopf hinweg spielten.
„Er ist süß", unterband Cornel das Raunen mit Nachdruck und drückte mich mit seinem Arm um meine Schultern etwas an sich. Das fand ich wiederum echt lieb. Seine Worte beruhigten mich zumindest ein klein wenig. Im Endeffekt war es ja auch egal, was seine Kollegen zu mir sagten.
„Außerdem geht nicht immer nur alles um Sex", hing Cornel dann an und machte das etwas bessere Gefühl gleich wieder zunichte. Bedeutete das, dass Cornel gar kein Interesse an mir hatte? Das ich nicht sofort mit ihm ins Bett hüpfen würde, war mir schon klar, aber in der Zukunft irgendwann hätte ich mir das schon vorstellen können. Er nicht? Oder war das einfach so daher gesagt?
Egal wie, fühlte ich mich dadurch auch mit ihm an meiner Seite hier nicht mehr sonderlich gut aufgehoben.
„Das sind ja ganz neue Töne", lachte die zweite Brünette, die nicht das Christkind spielte. „Bist du noch Cornel?"
Daraufhin rollte meine Begleitung nur mit den Augen. Das Grinsen auf seinen Lippen wurde aber nicht kleiner. Das schlechte Gefühl in meinem Bauch dafür jedoch umso größer.
Die pappsüße Plörre beruhigte das Unbehagen dabei nicht sonderlich.
„Was macht er dann hier, wenn es nicht um Sex geht? Normalerweise gibst du doch auch immer mit uns an?", fragte ein anderer Kerl, der eine graue Schiebermütze trug, die etwas schief auf seinem Kopf saß.
„Mit euch kann man nicht angeben", erwiderten Cornel und das brünette Christkind fast synchron, woraufhin schlagartig wieder lautes Gelächter ausbrach. Aber auch diesmal konnte ich nicht mitlachen.
„Er ist ein ganz schöner Spießer", grinste die Schwarzhaarige von zuvor. „Er kann über unsere Witze gar nicht lachen." Dabei lag ihr Blick stur auf mir, während mich der Spott in ihren Augen regelrecht verhöhnte.
„Weil es nicht lustig ist", antwortete ich kühl und drückte Cornel im nächsten Moment meine Tasse in die Hand, der daraufhin etwas überfordert reagierte, da er selber seine Tasse hielt und sein anderer Arm noch über meine Schultern lag.
Wo war ich hier bitte gelandet? Das war doch kein zivilisierter Umgang unter Erwachsenen und erst recht kein niveauvoller Humor. Das war einfach nur beleidigend und auf so vielen Arten primitiv. Das wollte und konnte ich mir nicht länger antun. In nur zehn Minuten fühlte ich mich so erniedrigt, wie in meinem ganzen Leben noch nicht.
Meine Reaktion auf die Schwarzhaarige hatte offenbar Wirkung gezeigt, denn plötzlich waren alle still. Sie sahen mir nur beinahe verwundert entgegen. Offenbar hatte keiner von ihnen gedacht, dass ich etwas sagen würde.
„Wo gehst du hin?", fragte Cornel alarmiert mit einem Hauch Panik in der Stimme, als ich mich aus seinem Arm wandte und aufstand.
„Nach Hause", antwortete ich genauso kühl wie zuvor.
„Warum?", entfloh es ihm, ehe er ebenfalls aufstand. Er wirkte so, als wollte er nach meiner Hand greifen, aber mit den beiden Tassen in den Händen hatte er keine frei, weshalb er nur das Gesicht angestrengt verzog. Er wusste offensichtlich nicht, wie er reagieren sollte.
Das konnte ich deutlich in seinen Augen sehen. Mit ihnen flehte er mich regelrecht an, nicht zu gehen. Den Mund bekam er aber nicht auf.
Bevor ich mich überhaupt darüber wundern konnte, dass Cornel anscheinend wirklich nicht verstand, warum ich gehen wollte, spuckte der Blonde von vorhin ein spöttisches „Warum?" aus.
„Er kann mit unseren Späßchen nicht umgehen. Deswegen geht er." Dann hing er noch ein leises „Großes Crybaby" hinterher.
Kurz war ich soweit ihm und allen Anwesenden an den Kopf zu werfen, wie pietätlos sie doch waren, aber bei ihrem Humor war ich mir sicher, dass sie nicht einmal wussten, was pietätlos bedeutete. Mal ganz davon abgesehen, dass sie sich sowieso ganz bestimmt über jedes meiner Worte lustig machen würden.
Das brauchte ich mir nicht antun.
Deswegen schüttelte ich nur sprachlos den Kopf und trat im nächsten Moment mit aufrechter Körperhaltung aus dem stickigen Raum.
„Andreas!", hörte ich Cornels Stimme noch, ehe die Tür hinter mir zufiel und ich wieder in dem noch immer nicht schwächer gewordenen Schneesturm stand. Ich schnaubte, als Cornel nicht direkt hinter mir her aus der Tür kam, das verschlimmerte das schlechte Gefühl gleich nochmal hundert Mal, und machte mich dann mit eiligen Schritten auf den Weg in Richtung Parkplatz.
Das waren also die Leute, mit denen sich Cornel umgab.
Was sagte das über ihn aus?
Warum ging er auf ihre geschmacklosen Witze und Gesprächsthemen ein, wenn er offenbar die Möglichkeit hatte, sie aufzuhalten? Immerhin konnte er die anderen zwei auch mit einem einfachen Nicken von der Bank entfernen. Das bedeutete doch, dass er irgendwie etwas zu sagen hatte, oder? Warum nutzte er das dann nicht?
Mal ganz davon abgesehen, dass ich offenbar nicht der Einzige war, den er in letzter Zeit mit hergebracht hatte. Die armen Kerle, die vor mir das schon durchstehen mussten und davor vielleicht sogar mit Cornel schon weiter gegangen waren. Ich wüsste nicht, wie ich mich jetzt fühlen würde, wenn ich vorher tatsächlich schon mit ihm geschlafen hätte.
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