96. Innere Kämpfe
Hehe. Vergebt mit bitte, das ist etwas lang geworden. Sonst hättet ihr 2 Kapitel bekommen!
Andererseits habe ich mir von einer anerkannten Quelle sagen lassen, dass es laut einer persönlichen, sechsjährigen Studie nicht schlimm ist, wenn man unregelmäßig neue Kapitel veröffentlicht. Vermutlich muss ich mich in Zukunft häufiger an diese Studie klammern - die Schule hat wieder begonnen ):
You'll never feel like you're alone
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Pov Franzi
,,Was möchtest du loswerden, Franzi?"
Tja. Wie wärs mit einem simplen ‚Komm mit nach Australien, damit du danach deinen Freund loswerden kannst'?
Würde sicher ganz schnell zum Ende dieses Gespräches führen.
Ach scheiße. Wo waren nochmal die zurechtgelegten Wörter?!
Harrys grüne Augen musterten mich mit jeder Sekunde aufmerksamer, die Trägheit schien aus ihnen hinaus zu fließen, wie es sonst nur bei Tränen der Fall war. Ich bewunderte den Jungen vor mir dafür. Er blendete grade seine eigene, ihn verschlingende Gedankenwelt, aus, weil er sich auf meine Worte, mein Problem und eine Lösung dafür konzertieren wollte.
Manchmal fielen mir nur eine Handvoll Adjektive ein, um Harry zu beschreiben. Immer waren zwei ganz bestimmte dabei. Stark und aufopferungsvoll. Die passten irgendwie immer. Ob Letzteres nun gut oder schlecht zu definieren war.
,,Franzi?", erkundigte sich mein bester Freund erneut, jetzt mit fast belegter Stimme. Er wirkte mit jeder Sekunde unruhiger und besorgter. Ich seufzte, immer breitete ich ihm Sorgen, nur, weil ich mit ihm sprechen wollte. Oops.
,,Ja, ähm...", stotterte ich herum und überlegte fieberhaft, wo verdammt ich hier anfangen sollte. Und wir standen auch immernoch auf dem Flur, der mir jetzt angenehm kühl und zwar menschenleer, aber nicht grade wie ein Ort für Gespräche vorkam.
,,Sollen wir aufs Zimmer gehen, ist das besser?", sprach Haz meine Gedanken aus und seine ruhige Stimme löste bei mir fast eine Gänsehaut aus. Wenn wir doch nur Rollen tauschen könnten...sicher wüsste er längst, was er sagen sollte, wo er ansetzen konnte. Andererseits würde mir dieser Tausch einen missbrauchenden Freund und Panikattacken bescheren...also war das vielleicht doch nicht so eine tolle Idee. Ich grunzte leise. Ich war mir sicher, dass ich nicht alles aushalten könnte, so wie Harry es tat.
,,Gute Idee."
Irgendwie schafften wir es ohne Worte, uns auf mein Zimmer zu einigen, denn nur ein paar Augenblicke später zog ich die Tür hinter mir zu und setze mich zu Harry aufs Bett. Mein eigenes, dieses Mal. Innerlich grinste ich kurz. Alle Gespräche in dieser Wohnung schienen im Bett stattzufinden, so wirkte es zumindest auf mich. Warum auch immer ich das grad lustig fand. Egal. Konzentration.
,,Was ist - ", setzte Harry ein weiteres Mal an, aber jetzt unterbrach ich ihn.
Ich musste hier mal die Gesprächsführung übernehmen, meine kribbeligen Finger zwangen mich quasi dazu. Und meine Kopfschmerzen. Ich wollte das hier jetzt über die Bühne bringen.
Warum war ich nur so schrecklich nervös? Wir hatten längst schlimmere Gespräche gehabt. Aber es schien nur schwerer zu werden, jedes Mal.
,,Ich...Hast du schon was vor? Über die freien Tage, meine ich. Die Studientage übernächste Woche."
Harry runzelte die Stirn, aber ich erkannte erleichtert, dass seine Schultern, die er vor Sorge bis an die Ohren gezogen hatte, jetzt wieder absackten. Seine Besorgnis war halt unbegründet gewesen. Mein Herzschlag verhielt sich trotzdem so, als würde er grade einen Weltrekord aufstellen wollen.
,,Ähm...nein? Ich wollte hierbleiben, lernen und so. Für die Prüfungen.", antwortete Harry mit einem fragenden Unterton in der Stimme. Wären wir in einem Cartoon, würden jetzt Fragezeichen über seinem Kopf tanzen und den Leser quasi dazu zwingen, sich dieselben Fragen zu stellen, die ihn quälten.
Aber er hatte nichts vor, das war doch schonmal ein Anfang. Lernen war nichts, was er nicht auch in Australien tun könnte, richtig? Solange er dass denn wirklich wollte, wenn das Meer in ein paar hundert Meter Entfernung in der Sonne glitzerte und der Geruch nach Salz und Freiheit einem ständig in die Nase kroch.
,,Gut.", fasste ich meine Gedanken simpel zusammen.
,,Gut?", echote Harry verwirrt und fuhr sich einmal durch die Locken. Ich seufzte, meine Güte, was stellte ich mich auch an.
,,Ich wollte fragen, ob du vielleicht Lust hättest, naja, mit mir und Nils nach Australien zu kommen. Zu mir nach Hause."
So, jetzt hatte ich es rausgehauen. Zwar standen mir bei Gesprächen mit Harry immer Liams eindringliche Worte nach unserem Küchengespräch, nachdem ich Harry wegen Derek konfrontiert hatte, vor Augen, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen, aber ich war mir ziemlich sicher, dass es so in Ordnung war. So fragte man doch jemanden, ob man gemeinsam verreisen wollte, wie denn sonst?
,,Nach...Australien?", wiederholte Harry, jetzt ziemlich irritiert. Ich nickte.
,,Da wohne ich. Ich würde dich gerne mitnehmen."
Harry zog die Augenbrauen zusammen und an seinem Blick konnte ich erkennen, dass sein Kopf auf Hochtouren arbeitete. Mit Sicherheit suchte er verzweifelt nach Gründen, wieso ich ihm das vorschlagen sollte, und vermutlich würde er verstehen, dass es mit Derek zusammenhing. Er war nämlich nicht grade auf den Kopf gefallen. Aber ich war mir auch sicher, dass Haz innerlich eine Pro und Contra Diskussion beginnen würde. Und die wollte ich ein kleines bisschen mit gestalten.
,,Weißt du, du bist mein bester Freund. Ich würde dich unglaublich gerne meiner Oma vorstellen...sie ist die liebste Seele, die ich kenne.", begann ich vorsichtig. Harrys Augen leuchteten kurz liebevoll auf, als meine Oma fiel. Er wusste, wie viel sie mir bedeutete.
,,Außerdem...Australien ist wunderschön. Meine Heimat. Ich kenne deine, London, ich würde dir gerne zeigen, wie es bei mir Zuhause ist. Am Meer.", fuhr ich fort und wieder glitzerte es in Harrys grünen Augen. Ich überlegte, ob er vielleicht noch nie am Meer gewesen war. Aber das stimmte vermutlich nicht, immerhin war Großbritannien eine Insel. Irgendwann hatte er am Wasser sein müssen.
,,Und...", ich räusperte mich und versuchte, nicht egoistisch zu klingen.
,,Ich werde auf meinen Vater und meine Stiefmutter treffen, weißt du. Nils ist da keine große Hilfe, er ist eher so...passiv aggressiv oder so. Er redet nicht viel mit ihnen. Aber es wird Streit geben und ich bin, ehrlich gesagt, nicht bereit ihnen zu vergeben. Ich...wäre gerne nicht allein, wenn wir uns allen möglichen Kram an den Kopf werfen, Haz."
Ich wusste, dass das etwas unfair war. Ich zwang den von seinem Helferkomplex eingenommen Harry quasi dazu, für mich da zu sein. Aber die Sache, Louis als Vorboten mit dem Thema Jay zu nutzten, war nicht weniger manipulativ und wenn das der einzige Weg war, Harry von Derek zu trennen, musste es so sein, so schlecht mein Gewissen auch war.
Und außerdem entsprach das alles zu meinen Gedanken. Ich würde Harry gerne uneigennützig mit nach Australien nehmen, aber es war nun mal so, dass ich es mir auch wegen mir selbst wünschte. Ich brauchte meinen besten Freund, sollte es ziemen meinem Dad und mir eskalieren.
Ich hob den Kopf und musterte Harry vorsichtig. Er saß vor mir, die Beine im Schneidersitz verkreuzt und den Blick auf seine Hände gerichtet, die unruhig an seinen Hosenbeinen herum zupften. Ich bemerkte die dunklen Augenringe auf seiner hellen Haut und seufzte innerlich. Mein Herz war schwer vor lauter Zuneigung und Sorge gegenüber dem Lockenkopf vor mir, der mir für ein paar Sekunden sehr viel jünger vorkam, als er denn wirklich war.
,,Australien.", hauchte Harry leise. Das war das einzige Wort, was seine Lippen verließ. Ich gab ihm den Moment, um nachzudenken. Druck war ja nun nicht das, was half. Nicht zuletzt das Internet schrie diese Rat immer wieder, wenn ich googelte, wie man mit Opfern über toxische Beziehungen sprach, genau das sagte mir auch mein Bauchgefühl, als ich den eigentlich so verletzlichen Harry vor mir ansah.
Er war stark, ja, aber gleichzeitig auch so verdammt kaputt.
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Pov Harry
Ich sollte mit nach Australien. Das war ja mal eine Erleichterung.
Als Franzi mich aus Nialls Zimmer gerufen hatte, war ich furchtbar besorgt gewesen. Ich kannte meine beste Freundin inzwischen ziemlich gut, zumindest sagte ich mir das selber immer, und sie war ehrlich gesagt häufig ein offenes Buch für mich. Ihre Sorgenfalten und die unruhig hin und her huschenden Augen waren Indizien genug gewesen, um mir zu sagen, dass sie schrecklich nervös war, noch bevor ich ihre schwitzigen Hände oder die roten Stressflecken auf ihrer Haut bemerkt hatte. Also war ich davon ausgegangen, dass irgendetwas ihr tierisch Angst machte. Und meine Gedanken waren sofort zu meinem Bruder gesprungen.
Immer, wenn ich an ihn dachte, brodelte es in meinem Inneren. Dieser Gefühlscocktail interessierte mich allerdings nicht, solange es um Franzi ging, denn dann spürte ich nur noch die Wut auf ihn, die wie heißes Feuer durch meine Adern gepumpt wurde. Er hatte sie so verletzt, er war schrecklich ihr gegenüber gewesen. Und ich vermutete noch immer, dass er das nur meinetwegen getan hatte. Also glomm diese Wut vielleicht auch nur in mir, weil ich wusste, dass ich der Grund für Franzis Verletztheit war.
Aber das tat erstmal nichts zu Sache. Vor ein paar Minuten hatte ich aber sofort angenommen, dass Franzis Nervosität irgendwie mit Nick zusammenhing, dass sie mir etwas mitteilen wollte, was er zu verschulden hatte. Die Sorge um sie war größer als ich selbst geworden, automatisch hatte ich mir ausgemalt, was Nick alles getan haben könnte, um ihr zu schaden.
Aber zum Glück ging es hier um etwas ganz anderes. Um Australien.
Ich fand es unglaublich lieb, dass Franzi mich zu sich nach Hause einlud. Zu ihrer Oma, ihrem Safeplace, ihrem Meer, ihrer Heimat. Obwohl sie seit über einem halben Jahr nicht mehr dort gewesen war und sicher noch immer Heimweh hatte, wollte sie mich mitnehmen.
Ich musste zugeben, dass der Gedanke verlockend war. Australien erschien für mich wie ein Wunderland, ein anderer Kontinent, wo ich England doch noch nie verlassen hatte. Eine ganz andere Welt. Und dass ich Franzi und auch Nils auf dieser Reise noch einmal sehr viel näher kommen würde, war auch etwas, was mich vor Freude platzen lassen wollte, ebenso der Fakt, dass ich meine beste Freundin auch noch wegen ihrem Familiendrama, das ihr mehr zusetze als sie zugab, unterstützten könnte. Und das Meer. Das war natürlich ein Sehnsuchtsort für mich.
Aber ich wusste auch, dass ich nicht mitkonnte. Nicht, wenn ich grade versuchte, mein Leben auf die Reihe zu bekommen, meinen Freund zu verstehen und meine Gefühle gegenüber meinem Bruder zu untersuchen. Ich konnte nicht abhauen, meine Probleme ignorieren, die anderen vergessen und mir ein paar lustige Tage in einem Haus machen, das Fremden gehörte, die mich vielleicht nicht mal sehen wollten. Ich konnte nicht an einen Ort reisen, den ich nicht kannte, in einem Bett schlafen, dass sich nicht sicher anfühlte und Urlaub machen, während Franzis Familie vielleicht einfach ein paar Tage zusammen verbringen wollte. Ich würde mich wie ein Fremdkörper fühlen. Und wie ein verdammter Feigling.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Es tat mir leid, Franzi zu versetzen. Aber...ich konnte das einfach nicht.
,,Franzi...ich kann nicht. Das ist eine wunderschöne Idee und ich freu mich, dass du an mich gedacht hast und so...aber ich kann nicht einfach so mitkommen. Das würde sich...falsch anfühlen.", versuchte ich, meiner besten Freundin sanft beizubringen, dass sie das alleine durchstehen musste, so leid es mir auch tat. Ich wollte ihr die Freude machen, ja, aber nicht so.
Franzis Schultern sackten enttäuscht hinab und ich spürte die Schuld, die sich augenblicklich durch meinen Geist fraß. Die Last auf meinen Schultern schien erneut schwerer zu werden und ich krallte mich mit meinen Fingernägeln in die die weiße Haut meines linken Unterarms. Es tat mir leid. Aber ich konnte das nicht. Nicht, solange Nick und Derek mir gegenüberstanden. Keiner von beiden würde das hier gutheißen. Und ich hatte verdammt nochmal Angst vor dieser Reise, so schön sie auch werden könnte und so gerne ich für meine beste Freundin da wäre.
Louis Worte hallten in meinem Ohren wieder. Eine andere Perspektive.
,,Wieso denn nicht, Haz? Was fühlt sich falsch an?", fragte Franzi verwirrt nach. Zum ersten Mal wünschte ich mir wirklich, sie wäre weniger sie selbst. Ich wünschte, sie würde leise bleiben und meinen Zwiespalt nicht noch weiter ausreizen. Es fühlte sich an, als würde sie mich in zwei Teile reißen, dabei konnte sie doch nichts dafür.
,,Ich...es...Diese Reise wäre nicht okay. Ich meine...ich kenne deine Familie nicht, vielleicht wollen sie mich nicht da haben und ich kann...ich kann das auch nicht bezahlen!", suchte ich mir Argumente zusammen, die sie verstehen konnte. Meine Sorge wegen Derek oder wegen Nick könnte sie nie nachvollziehen, sie verstand ja auch nicht, wieso wir noch zusammen waren. Aber die Sache mit den Kosten dürfte Grund genug sein. Den konnte sie nicht abtun.
Franzis Gesicht leuchtete trotzdem auf. Ich ahnte Böses.
,,Das mit dem Geld passt schon, Haz. Mein Dad bezahlt dein Ticket, als ich fragte, ob ich dich mitnehmen könne, war er auch dafür. Er denkt wohl, dass ich weniger widerspenstig wäre, wenn ich wen dabei hab. Und meine Oma würde sich riesig freuen, dich kennenzulernen, mach dir da mal keine Sorgen.", erklärte sie mir fröhlich und grinste stolz. Mir drehte sich der Magen um.
Natürlich hatte sie schon mit ihrer Familie geredet, sonst würde sie mich ja nicht fragen, aber dass alles längst geregelt war...damit hatte ich nicht gerechnet, wenn ich ehrlich war. Und dass ihr Vater, den sie nicht leiden konnte, für mein Ticket aufkam...das ging gar nicht. Ein mir Fremder sollte nicht so viel Geld ausgeben, erst recht nicht, wenn es Entschuldigungsgeld gegenüber seiner von ihm vernachlässigten Tochter war.
,,So funktioniert das nicht, Franzi. Ich lasse niemanden für mich bezahlen, nicht so viel und nicht von einem Fremden für so etwas.", widersprach ich also geknickt und grub mir meine Fingernägel abermals in den Arm. Es tat mir leid, ihren Plan zu durchkreuzen.
Denn natürlich hatte ich gemerkt, dass das hier ein abgekartetes Spiel war.
Louis würde mir nie so urplötzlich die Geschichte seiner Mom vortragen. Ich kannte ihn, ich kannte Jay, ich kannte ihre Probleme. Ich hatte nicht gewusst, dass Louis sich so sehr weniger geliebt gefühlt hatte und dass es ihm so zugesetzt hatte, dass der Auszug das Beste gewesen war, aber Louis war niemand, der mir das einfach mal so erzählte. Da steckte was hinter. Sonst wäre er nie auf das Thema gekommen. Was auch noch lange nicht abgehackt war, für mich zumindest nicht.
Und Franzis Wunsch, mich mit nach Hause zu nehmen, war mit Sicherheit ihr eigner, sie wollte mich dort haben, ja, aber nicht nur aus den von ihr genannten Gründen. Sie hatte mit Louis gemeinsame Sache gemacht.
Räumlicher Abstand. Eine andere Perspektive entwickeln.
Es war so logisch. Und so ein guter Plan. Und ich konnte ihnen für diese leichte Manipulation nicht mal böse sein, weil sie nur taten, was sie für richtig hielten. Ich wollte ja auch nach Australien, es würde mir gut tun.
Aber ich konnte trotzdem nicht. Nicht, wenn ich jede Sekunde an meinen Freund dachte, der genau das von mir erwartete. Oder an meinen Bruder, der mich nie in ein fremdes Land schicken würde, zu Menschen, die ich nicht kannte. Und mein persönlicher Stolz war auch noch dabei. Ich würde niemanden für mich bezahlen lassen. Und nicht einfach so davon laufen, wenn ich doch noch so vieles hatte, was ich regeln musste. Selbst wenn der Abstand mir das leichter machen könnte.
,,Du könntest...es als Vorschuss sehen, wenn du unbedingt magst. Bezahl es in ein paar Jahren zurück oder hilf in Australien mit dem Pferden oder dem Haushalt, wenn du eine Gegenleistung einbringen magst. Musst du nicht, aber wenn es dir hilft, das anzunehmen...", schlug Franzi noch immer strahlend vor und zupfte unruhig an ihren Haarspitzen herum. Sie war völlig begeistert von der Idee. Sie wollte das durchziehen und ihre Problemlösung wegen dem Geld war nicht mal schlecht, aber...nur eines meiner Gegenargumente.
Ich seufzte.
,,Das ist nicht das wirkliche Problem, oder?", fragte Franzi sanft nach und stupste mir sachte gegen den Fuß. Ich zuckte mit den Schultern, keine Ahnung, wie ich ihr das erklären sollte. Oder überhaupt irgendwas. Im Grunde war das etwas, was sich nur in meinem Kopf, zusammen mit meinen Gefühlen und Gedanken sinnvoll anhörte. Sobald ich meine Beweggründe aussprach, würden sie sogar mir lächerlich vorkommen, nur das Gefühl, dass es falsch wäre, jetzt Urlaub zu machen, würde bleiben.
,,Nein, ist es nicht.", war also die einzige Antwort, die ich geben konnte, auch wenn ich jetzt schon Worte suchend mit den Händen rang. Denn Franzi war Franzi, sie hakte immer nach.
,,Kannst du...mir erklären, warum du nicht mit magst?" Wenigstens formulierte sie es wie eine Frage. Eine Antwort, die nicht Nein lautete, erwartete sie trotzdem. Und ich konnte meiner besten Freundin auch nicht böse sein, denn natürlich war die Nachfrage berechtigt. Nur...ich wusste nicht, wie ich mich erklären sollte, so gerne ich es auch würde.
,,Ich möchte schon mit. Ich...ich kann es nur einfach nicht, Franzi.", versuchte ich es, aber auf ihrem Gesicht tanzten nur Fragezeichen. Das war aber auch sehr kryptisch gewesen. Ich biss mir schuldbewusst auf die Unterlippe und wich dem nächsten ihrer Blicke lieber aus, während ich mich innerlich selbst anbrüllte, endlich eine gescheite Erklärung zusammen zu bekommen.
Niemand wird dir je zuhören oder es verstehen, Kleiner. Nur ich kann das.
Ich schauderte, wie jedes Mal, wenn die Stimme sich durch mein Unterbewusstsein, meine Blockaden kämpfte und doch mal die Oberhand gewann. Und obwohl ich wusste, dass sie nur Teil meiner Einbildung, Teil meiner Erinnerungen war, raste mein Puls automatisch drauf los. Meine Hände zitterten und ich spürte meine Atmung stoppen.
Dieses Mal versprühte ich aber nicht nur diese Panik, die mich sonst so unkontrollierbar schnell in meine eigene Welt der Angst schicken und unter Wasser zerren konnte, bis ich gar nichts anderes mehr wahrnahm, nein, dieses Mal war da auch noch ein anderes Gefühl.
Wut.
Ein dunkles, unheimliches Gefühl, verhasst, weil es einen den Kopf verlieren und völlig unkontrollierbar werden ließ. Es war eine unglaublich starke Emotion, die Macht, die der reißende Strom aus Zorn durch meinen Körper jagte, war fast physisch greifbar, ich fühlte mich, als könnte ich plötzlich Bäume ausreißen. Wenigstens würde mir das eine Möglichkeit bieten, die Wut loszuwerden, denn dieser Wunsch schien grade alles andere in den Hintergrund zu drängen.
Ich bebte am ganzen Körper, ob nun vor Angst oder vor Wut war nicht mehr wichtig. Ich wollte beides einfach nur raus lassen, ich wollte schreien, treten, um mich schlagen. Oder einfach davon laufen, wie ich es manchmal tat. Ich wollte nur nicht länger schwach sein, die Ohnmacht von mir werfen und irgendetwas tun.
Ich versuchte trotzdem, mich zu beherrschen. Ich hatte bloß halluziniert, da war nichts, auf das ich mein Wut richten oder vor dem ich davonlaufen könnte. Ich musste beide Gefühle einfach wieder in den Griff bekommen, dann wäre alles wieder gut.
Meine Wut flackerte wie eine Flamme in meinem Herzen, sie schien irgendwie größer zu sein als meine Panik. Ich wusste nicht, ob das gut oder schlecht sein sollte, aber ich wusste, warum ich wütend war. Oder besser gesagt, auf wen. Aber ich wollte keinem beider Gefühle die Möglichkeit verleihen, aus mir hervor zu brechen, ich wollte mich auf Franzi konzentrieren, mich hr erklären und dann endlich die ganze Scheiße in meinem Inneren unter Kontrolle bekommen. Der Wut oder der Panik jetzt nachzugeben würde ja doch nichts ändern, außer vielleicht, dass ich meine beste Freundin völlig verstören könnte.
,,Harry?"
Franzi klang weniger besorgt als verwirrt, vermutlich hatte sie meinen Namen jetzt schon zig mal gerufen, ohne eine Reaktion entgegengebracht zu bekommen. Ich blinzelte hektisch und wühlte mich aus meinen Gedanken hervor, um wieder bei ihr zu sein. Meine Gefühle packte ich mit eiserner Faust und stopfte sie bestmöglich in die hintersten Ecken meines Herzens, hoffend, dass sie dort bleiben würden. Um sowas ging es hier nämlich grade gar nicht.
,,Entschuldige...ich...war in Gedanken."
,,No shit, Sherlock.", grunzte Franzi und stupste abermals meinen Fuß an. Ich hob die Schultern. Wenigstens glätteten sich die Wogen meiner Gefühlswelt langsam wieder, ich vernahm weder ein Zittern meiner Glieder noch einen zu schnellen Herzschlag. Ob Franzi überhaupt mitbekommen hatte, dass ich schon wieder mit meiner Angst zu kämpfen gehabt hatte?
,,Wenn du...je über deine Gedanken oder Gefühle oder so reden magst, Harry, dann bin ich da, ja? Immer, jederzeit."
Okay. Sie hatte es mitbekommen. Ich lächelte schwach und streckte jetzt meinerseits die Hand aus, um ihr über den Oberarm zu streichen. Es war ja nicht so, dass ich das nicht zu schätzen wusste, nur war mir nicht ganz klar, worüber ich mit ihr sprechen sollte, wenn ich das denn wollen würde. Es ging mir gut. Jetzt wieder.
,,Klar. Weiß ich doch, Franzilein.", erwiderte ich trotzdem und hoffte für einen Moment, dass der Themenwechsel geglückt war. Aber ich war niemand, der mal einfach so Glück hatte.
,,Und...warum kannst du nicht nach Australien, wo du es doch so gerne würdest?"
Ich seufzte. Darauf hatte ich noch immer keine zufriedenstellende Erklärung für sie gefunden. Was sollte ich auch sagen? Dass es sich so anfühlte, als dürfte ich das nicht? Dass ich nicht mitkonnte, weil ich mich Derek einfach nicht widersetzen konnte, aus Schwäche und zu wenig Willensstärke? Oder dass ich im Grunde nur zu viel Angst davor hatte, was ich in Australien alles erkennen könnte, was dieser Abstand in mir und meinen Gefühlen auslösen würde? Es ergab alles nicht wirklich viel Sinn, nicht, wenn man nicht wusste, dass ich wirklich schrecklich abhängig von all dem hier war, von Derek, Nick und meiner Barriere, von London. Es war albern, so eine Angst vor ein paar Tagen Urlaub zu haben, aber ich konnte sie mir einfach nicht rational ausreden. Es funktionierte nicht, ich konnte einfach nicht.
Und das alles konnte ich Franzi nicht sagen. Das war Wirrwarr aus meinem Kopf, der nur für mich einen Sinn zu ergeben schien. Nur wie sollte ich mich erklären?
,,Harry...willst oder kannst du es mir nicht sagen?", fragte Franzi mit sanfter Stimme, etwas, was bei ihr nur vorkam, wenn sie wirklich vorsichtig war. Sie hatte mich eben zittern gesehen, mit Sicherheit wollte sie sowas jetzt vermeiden, nur darum blieb sie so ruhig. Ich konnte mir vorstellen, dass andere bei so einer dummen Geheimniskrämerei längst wütend geworden wären. Derek zum Beispiel. Vielleicht auch Lou, keine Ahnung.
,,Ich...Beides? Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll, ich will nicht, dass du mich für bescheuert hältst.", antwortete ich wegen ihres jetzt schrecklich freundlichen Blickes leise und fuhr mir nervös durch die Locken.
,,Das tue ich schon nicht, versprochen. Du könntest...einfach drauf los plappern? Vielleicht verstehe ich es und kann dir helfen herauszufinden, ob es nicht Gründe gibt, grade deshalb nach Australien zu kommen und vielleicht verstehe ich es nicht. Wenn das der Fall sein sollte, lasse ich dich trotzdem in Ruhe, okay? Selbst wenn es für mich nicht nachvollziehbar sein sollte...wenn es für dich Wichtig ist, respektiere ich das auch."
Franzi klang aufrichtig, sie hatte offenbar keine Hintergedanken. Sie würde sich nicht über mich lustig machen, das wusste ich. Nur vielleicht würde sie mich für vollkommen verrückt erklären. Das wollte ich jedenfalls auf gar keinen Fall. Ich wusste auch so, dass ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte.
Aber vielleicht war ich es ihr schuldig, mich zumindest an einer Begründung zu versuchen. Ich sollte ihr nicht einfach so absagen, wo sie mich doch so gerne dabei hätte. Sie hatte irgendwie ein Recht darauf, eine Antwort zu bekommen.
Ich seufzte tief und rieb mir den Nachen, bevor ich einfach genau das Auszusprechen versuchte, was ich eben gedacht hatte.
,,Ich...hab Angst, Franzi. Natürlich will ich für dich da sein, ich will deine Familie und deine Heimat kennenlernen, aber...alles in mir wehrt sich gegen diese Reise. Was, wenn mir der Abstand Erkenntnisse oder Erinnerungen bringt, die ich nicht haben möchte? Außerdem...Ich weiß, dass das dumm klingt, aber ich kann nicht einfach das Land verlassen, wo ich doch weiß, dass Derek das nie gutheißen würde. Abgesehen vom Geldaspekt, natürlich.", presste ich mühsam hervor und senkte den Blick unsicher auf die Bettdecke. Ich wollte Franzis Augen nicht begegnen.
Die Rothaarige schwieg. Die Stille kam mir unendlich und undurchdringbar vor, als könne sie nichts je wieder aus meinen Ohren waschen. Ich wusste nicht, ob ich überhaupt wissen wollte, was Franzi grade dachte, aber so wie ich sie kannte würde sie mir ihre Gedanken sowieso jeden Moment unterbreiten. Weil sie eben versuchte, mich mit nach Australien zu nehmen. Um mir zu helfen.
,,Legen wir das mit dem Geld mal zur Seite, ja? Also deine Angst...vor welchen Erkenntnissen fürchtest du dich denn so, H ?", zerriss Franzis vorsichtige Stimme das Schweigen einige Sekunden später und beendete den Moment der Stille mit einer solchen Leichtigkeit, dass mir das Gefühl der Unendlichkeit augenblicklich wieder entglitt.
Abermals wusste ich keine Antwort auf ihre Frage. Ich hatte keine Ahnung, was sie hören wollte und noch weniger wusste ich, was ich überhaupt preisgeben konnte. Aber vielleicht...vielleicht könnte ich es ja zumindest versuchen. Ich wollte Franzi einen Einblick gewähren, mich erklären.
Als ich versuchte, irgendwie zu erkläre was in mir vorging, brachte ich allerdings kaum einen Laut über die Lippen. Die Worte blieben mir immer wieder im Hals stecken und bildeten einen Knoten, den ich auch mit Räuspern, erneutem Ansetzen und Schlucken nicht hinfort wischen konnte. Egal was ich versuchte, ich konnte nicht sagen, was zu sagen war. Irgendetwas hielt mich davon ab. Und ich gab schließlich nach. Franzi musste sich wohl wieder mit meinen kryptischen nicht-wirklich-Antworten zufrieden geben.
,,Ich weiß nicht, was für Gedanken so eine Auszeit bei mir auslösen würde, weißt du? Und ob ich die überhaupt haben möchte."
Sicher dachte sie jetzt an Derek - dabei war er nur Teil meiner Angst.
Franzi nahm sich einen Moment Zeit, um sich zu sammeln, bevor sie mir weiter Fragen an den Kopf werfen wollte, was mir auch einen Augenblick Ruhe verschaffte. Ich kam mir hier ein bisschen vor wie bei einem Verhör, dabei zeigte Franzi sich hier von ihrer besten Seite, sie war ungewöhnlich geduldig und extrem liebevoll. Am Liebsten würde ich sie in den Arm nehmen, mich für die Absage entschuldigen und dann zu Niall zurückkehren. Aber den Themenwechsel würde sie mir wohl nicht durchgehen lassen.
,,Aber vielleicht...tut dir die Reise ja grade deshalb gut, Haz. Weil du eine neue Perspektive entwickeln kannst und auf andere Gedanken kommst.", sagte Franzi schließlich und ich lachte innerlich triumphierend. Der selbe Wortlaut wie bei Louis. Das war ja mal so offensichtlich.
,,Ja, schon, aber...was mache ich mit Erkenntnissen, die ich nicht haben will?"
,,Ich glaube nicht, dass es wirklich unschöne Erkenntnisse gibt, Harry. Alles, was du über dich selbst herausfinden könntest, kann nur zu etwas Positivem werden oder?"
Wir redeten vielleicht ein klein wenig aneinander vorbei, aber ich schätzte, dass das in diesem Fall egal war, denn an ihren Worten war was Wahres dran. Auch wenn es mir mit meiner Angst nicht weiterhalf. Das war so eine Antwort wie Scheiß auf deine Höhenangst, geh über die Brücke, am Ende bist du auf der anderen Seite.
Ich blieb einen Moment still und ließ alles, was Franzi bisher gesagt hatte, auf mich wirken. Eigentlich sagte sie das, was Louis auch gesagt hatte: ich würde durch den Abstand verstehen lernen, was genau mir mein Verstand und mein Herz eigentlich die ganze Zeit mitteilen wollten. Und sie hofften, dass ich die Erkenntnis bekommen würde, dass ich mich von Derek trennen musste. Als wüsste ich nicht schon längst, dass es das war, was sie wollten, was das Logischste und definitiv Beste wäre. Nur würde die Erkenntnis alleine mir nicht mit meiner Schwäche weiterhelfen. Ich traute mich einfach nicht, Derek loszulassen.
Und außerdem hatte ich Angst davor, was Australien mir sonst noch so zeigen könnte. Dinge, die bisher sicher und unberührt in mir schlummerten, könnten ans Tageslicht treten. Was ich definitiv vermeiden musste.
,,Aber...vielleicht habe ich ja Angst vor dieser Veränderung? Vielleicht will ich ja gar nicht, dass sich etwas ändert, ob nun Positiv oder nicht?", antwortete ich also vorsichtig und vermied es, meiner besten Freundin ins Gesicht zu sehen. Entweder würde sie total frustriert oder total mitleidig schauen, das wusste ich. Und beides wollte ich grade nicht sehen.
Franzi streckte erneut die Hand aus, nur um dieses Mal vorsichtig an meinem Shirt zu zupfen, als wolle sie sichergehen, dass ich auch zuhörte. Reflexartig spannte ich mich an.
,,Willst du denn wirklich, dass sich nichts ändert, Harry? Darüber sprachen wir doch schon..."
,,Ich will, dass es aufhört, ja. Ich will, dass alle glücklich sein können. Ich weiß nur nicht, wie..."
Doch, wusste ich wohl. Und Franzi wusste auch, dass es mir klar war. Deshalb allein bohrte sie jetzt nicht weiter nach, sondern konzentriere sich darauf, mich nach Australien zu bekommen, als hätte sie meine letzten Sätze nicht mal ansatzweise verstanden. Ich wünschte, sie würde ein wenig zuhören. Dabei war das hier ja nun wirklich nicht Franzis Schuld.
,,Also willst du diese neue Perspektive nicht, weil du Angst vor deinen Gedanken hast. Aber sonst spricht doch nichts gegen die Reise, oder?"
Doch. Das Geld. Die Meinungen von Derek und Nick. Der Zeitpunkt. Meine Gedanken.
,,Ich...Franzi, ich kann einfach nicht Urlaub machen, okay?", versuchte ich erneut, ihr meinen Standpunkt zu vermitteln, dieses Mal mit einem durchaus hörbaren Hauch von Schärfe in der Stimme. Eigentlich wollte ich meine aufgestaute Wut nicht an meiner besten Freundin oder sonst wem auslassen, aber sie bot mir grade so verdammt viel Angriffsfläche.
Franzi konnte nichts dafür, dass ich mich kaum erklären konnte und hier nichts einen Sinn ergab und ja, es entsprach einfach ihrem Charakter, mich zu meinem Glück zwingen zu wollen, aber ich wünschte abermals, dass sie es einfach gut sein lassen würde.
Ein vorsichtiger Blick zu hier hinüber verriet mir, dass ihr mein Tonfall nicht entgangen war. Ihre Augen glitzerten beinah unsicher, wenn auch nicht weniger entschlossen als zu Beginn des Gespräches. Ich zuckte beinah unter ihrem Blick zusammen. Warum konnte sie nicht sehen, wann man besser aufgeben sollte?
,,Harry. Wir wissen beide, dass es das Beste für dich wäre. Sind wir mal ehrlich, du brauchst diese Auszeit, du musste deine Ruhe haben, um Kraft und Mut aufzubauen. Wir wissen beide wofür. Und unschöne Gedanken wirst du haben, ja, aber du wirst damit nicht alleine sein...ich und auch Nils sind die ganze Zeit bei dir, schon vergessen? Vertrau uns, wir sind deine Freunde. Und Derek? Selbst wenn du gegen seinen Willen nicht ankommst...er weiß nichts hiervon. Lüg dich selbst an und mach es dir leicht. Er hat es nie ausdrücklich verboten, oder? Und das mit dem Geld kannst du vergessen. Zahl es halt irgendwann zurück, wenn du unbedingt musst."
Franzi klang nicht mal ein bisschen nachgiebig. Ihre Stimme war zwar nicht direkt unfreundlich, aber es war eindeutig, wie ernst sie ihre Worte meinte. Ich hatte sie selten so gefasst und entschlossen gesehen. Die Australierin klang nicht so, als würde sie mich je mit einem Nein gewähren lassen. Diese Diskussion würde noch ewig dauern. Und ihre Argumente waren so verdammt viel logischer als meine.
Mir fuhr ein Schauer über den Rücken, als das Gesagte zu mir durchdrang. Es klang so leicht. Und so sinnvoll. Sie hatte recht, in allem, was sie sagte. Ich brauchte die Reise, ich wollte sie. Das mit dem Geld würde zwar definitiv nichts sein, was ich gerne tat, aber mit vielen Gewissensbissen und Versprechungen würde es funktionieren, irgendwie. Derek sollte mich eigentlich nicht mal interessieren, das wusste ich auch so. Tat er aber doch.
Nur eine Sache ließ mich nicht mehr los: Bei meinen ganzen Überlegungen hatte ich meine Freunde völlig außen vor gelassen. Nils und Franzi, zwei Menschen, denen ich vertraute und die ich liebte, beide würden an meiner Seite sein. Natürlich konnten sie mir kaum helfen, aber sie waren da, um mich zu unterstützen. Ich könnte gar nicht abstürzen. Ich hatte sie. Und hier in London den Rest dieser wundervollen Freunde. Wenn ich allein in dieser Wohnung bliebe, wäre niemand da, um meine Hand zu halten, während ich letztendlich doch den einzig sinnvollen Schritt durchdenken musste. In Australien schon.
Ich spürte, wie sich Tränen in meinen Augen bildeten. Das salzige Wasser suchte sich sekundenschnell einen Weg über meine Wangen. Alles war so viel. Ich wusste nicht, was ich denken, was ich fühlen sollte. Das ergab so schrecklich viel Sinn, aber meine Ängste ließen sich auch nicht so mir nichts dir nichts hinfort schieben. Was sollte ich nur tun?
Die heißen Tropfen alarmierten Franzi, die mich bisher nur fest angestarrt hatte. Erschrocken sog sie die Luft in ihre Lungen und streckte beide Arme aus, um mich in eine warme Umarmung zu ziehen. Ich lehnte mich widerstandslos gegen ihre Schulter und schlang meinerseits beide Arme um ihren Oberkörper. Ich suchte ihre Nähe, während ich Rotz und Wasser heulte, als gäbe es kein Morgen mehr. Und ich konnte nicht mal sagen, warum.
,,Shhhh, Harry, ist schon gut. Wir finden eine Lösung.", hauchte Franzi leise und und drückte mich noch ein wenig näher an sich heran. Meine Rippen interessierte es freundlicherweise gar nicht, dass sie so belastet wurden, vielleicht heilten sie ja wirklich bald mal zu Ende. Ich schluchzte.
,,Du bist nicht allein, Hazzy, vergiss das nicht."
Ihre Stimme war so leise, so sanft, ich spürte für einen Moment nichts als Dankbarkeit ihr gegenüber. Meine beste Freundin war nicht die Taktvollste, sie war nicht die Feinfühligste und sie wusste bei Weitem nicht alles, aber sie gab immer ihr Bestes. Sie kämpfte für mich, auch wenn es sich manchmal so anfühlte, als wäre sie nicht auf meiner Seite. Sie war es immer.
,,Ich bin für dich da, wir sind für dich da, immer."
Franzis Herzschlag beruhigte mich immer weiter, bis ich mich endlich wieder fangen konnte. Das unkontrollierte Schluchzen stellte sich ein, die Dunkelheit und all die überwältigenden Gefühle hinterließen nur noch einen kleinen Fleck der Unsicherheit in mir. Langsam und ein wenig verlegen setze ich mich wieder auf. Ich hatte ihr Shirt nass geheult. Und schon wieder einen emotionalen Zusammenbruch vor ihren Augen gehabt. Shit.
,,Mach dir nicht so viele Gedanken, Haz, das musste mal raus. Ich habs dir ja schon die ganze Zeit angesehen. Du musste es nicht immer bekämpfen, weißt du?", nahm Franzi mir sanft die Sorge und stieß mich noch einmal sachte mit dem Fuß an, den sie aufs Bett neben meine gezogen hatte. Ihre Augen offenbarten mir nur ehrliche Zuneigung. Ich lächelte sie aufrichtig an.
,,Tut mir trotzdem leid."
Wir schwiegen einen Moment. Ich wusste, dass sie noch eine Antwort haben wollte. Ein J und ein A. Aber noch war ich nicht endgültig bereit, ihr diese Antwort zu geben. Ich wusste, dass sie recht hatte, aber ich musste meinen Kopf und mein Herz noch auf eine Linie bringen, bevor ich guten Gewissens zusagen konnte. Ich wollte mich halbwegs gut fühlen, wenn ich die Heimat der Rothaarigen besuchte, auch wenn es mir momentan noch unmöglich erschien.
,,Franzi..."
,,Denk bitte einfach nochmal drüber nach, ja?", unterbrach ebendiese mich mit erhobenen Händen. Ihre Schultern waren zwar enttäuscht hinunter gesackt, aber ihre Stimme und der Blick aus ihren Augen bewiesen mir, dass Franzi mir weder böse war, noch eine schnelle Antwort wollte. Ich hielt für eine Sekunde den Mund und ließ sie ausreden.
,,Ich habe ja mitbekommen, wie sehr du mit dir kämpfst. Aber bitte lass es dir nochmal durch den Kopf gehen. Aber so richtig, ohne voreingenommene Meinung oder so, einfach nochmal von vorn. Versuch es. Und gib mir Bescheid, wenn du dich entschieden hast. Ich kann warten."
Das Einzige, was ich jetzt noch tun konnte, war zu lächeln. Wir hatten also doch noch einmal an diesem Abend den selben Gedanken gehabt. Und ich war froh, dass sie mir die Zeit gab, die ich brauchte, selbst wenn es ihr nicht gefiel. Das bedeutete mir mehr, als ich ausdrücken konnte. Also lächelte ich nur breit und zog meine beste Freundin in eine weitere, innige Umarmung, in die ich all meine Dankbarkeit und Zuneigung zu legen versuchte. Franzi war einfach nur wundervoll.
,,Danke.", flüsterte ich in ihr Ohr.
,,Es tut mir leid, wie ich über dich hergefallen bin, Harry. Mit der Tür ins Haus, hm?"
,,Wo hast du das denn her?", fragte ich kichernd und überging ihre Entschuldigung. Sie war nicht nötig.
,,Liam.", sagte Franzi, jetzt auch ein klein wenig lachend, und löste sich mit einem Seufzen von mir.
,,Ich schätze, Niall hasst mich jetzt. Das waren mehr als ein paar Minuten." Sie klang eher weniger ehrlich zerknirscht als einfach nur gleichgültig, aber ich tat das einfach mal so ab.
,,Dann übernachte ich halt bei ihm, das macht es vielleicht wieder wett. Es sei denn, er will mich nicht mehr sehen."
Ich fühlte mich tatsächlich etwas schlecht, weil ich den Iren einfach so sitzen gelassen hatte, aber Franzi und dieses Gespräch waren für den Moment wichtiger gewesen. Ich musste jetzt nur hoffen, dass Niall nicht allzu böse war.
Franzi lachte.
,,Er will dich immer sehen, vertrau mir."
Ich zuckte mit den Achseln und schenkte ihr einen letzten, dankbaren Blick, bevor ich mich auf den Weg zu Tür machte, um zu Ni zu gelangen. Ich drehte mich nochmal um, als ich schon halb auf dem Flur stand.
,,Ich denke darüber nach, versprochen. Danke."
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Tut mir leid, am Ende hatte ich kaum noch Kraft. Hehe.
Danke, dass ihr bis hier gelesen habt! ❤️
Ist Franzi gut an die Sache rangegangen?
Habt ihr das eigentlich alles nachvollziehen können? (:
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