117. Verlust
So.
Theres no use crying over spilled blood
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Pov Harry
Kurz nach dem verspäteten Frühstück hatte sich unsere Küche in einen Kriegsrats verwandelt. Die gesamte Wg hockte auf den Anrichtsplatten, alle wirkten ernst und niemand sprach. Gut, letzteres war nicht wirklich ein Merkmal eines Kriegsrats, aber die angespannte Stimmung machte deutlich, dass es sich hier nicht um ein typisches Gespräch am Sonntagmorgen handelte.
Ich hatte mich auf den Boden verzogen, angelehnt an den Kühlschrank hinter mir und die Knie angezogen. So hatte ich zwar das Gefühl, die anderen wären im Vergleich zu mir metergroß, aber seit Franzi sich mit ähnlicher Haltung an die Spüle gelehnt hatte, fühlte ich mich so halbwegs wohl. Mit angewinkelten Beinen schien es leichter, nicht schon wieder meinen Mageninhalt zu verlieren.
,,Harry..." , setzte Niall mit mitleidigem Blick an, aber ich unterbrach ihn.
,,Bitte keine Bemitleidungen, ich...ich will nur wissen, wie ich das jetzt machen soll." Meine Stimme klang dünn, nicht nach mir und ich fühlte mich auch nicht nach mir. Ich wollte nicht mal daran denken, was heute für ein Tag war. Der dritte März. Der Tag, an dem ich zumindest versuchen wollte, mit Derek, meinem Freund seit fast zwei Jahren - drei Wochen fehlten noch - Schluss zu machen. Ich schluckte.
,,Tschuldige.", gab Niall kleinlaut zurück und ich fühlte das schlechte Gewissen in mir aufsteigen, sagte aber nichts mehr. Heute konnte ich nicht an alles denken und alles fühlen und alles besprechen, ich wollte eigentlich nur wieder in mein Bett und nie wieder aufwachen.
,,Es gibt keinen wirklich sanften Weg, um so eine Nachricht zu überbringen.", begann Emma mit den guten Ratschlägen und lächelte mir vom Herd aus zu.
,,Eigentlich kannst du nur mit der Tür ins Haus fallen. In diesem Fall kannst du auch nichts sagen, dass ihn weniger schlecht fühlen lässt...sein Verhalten ist ja der Grund, wieso du die Beziehung beendest."
Ich wusste, dass sie recht hatte, aber trotzdem machte es mich sowohl wütend als auch traurig, dass ich einfach kaltherzig mit Derek Schluss machen sollte. Einfach so, ohne zu wissen, ob er es verstand. Das war nämlich meine Befürchtung, dass Derek das alles als eine vorschnelle Reaktion meinerseits deutete und meine Freunde dafür verantwortlich machte.
,,Emma hat recht, du kannst und solltest ihm nichts Liebes mehr mit auf den Weg geben. Aber du kannst dich erklären...wenn du magst. Eigentlich sollte er sich das denken können. Und du bist hier nicht im Muss...du kannst auch einfach eine Nachricht schreiben.", fügte Zayn hinzu, der auf einem der Hocker der Kücheninsel Platz genommen hatte und die Beine überschlug, während er sprach.
,,Ich will das aber, für mich und für Derek.", gab ich ein kleines bisschen patzig zurück und im selben Augenblick tat es mir wie bei Niall eben leid - sie wollten ja nur helfen. Aber so richtig verstehen konnte mich wahrscheinlich keiner meiner Freunde. Ich verstand mich selbst ja auch nicht. Am liebsten würde ich mir das Herz aus der Brust reißen und aufhören zu fühlen.
,,Schon klar, haben wir verstanden.", ruderte Liam mit erhobenen Händen und einem Blick zu Zayn zurück, bevor er die Stirn in Falten legte.
,,Nur würde ich an deiner Stelle nicht zu Dereks Wohnung fahren, Harry."
,,Das wird er ganz bestimmt nicht tun!", warf Louis energisch ein und ich erinnerte mich an seine Worte von gestern Abend.
Wir beide kennen Derek. Er wird das nicht gut aufnehmen und ich hab Angst, dass er dich verletzt - ob er das jetzt will oder nicht.
Louis hatte Angst, dass Derek mit Gewalt und Brutalität reagieren würde - dass er mich verletzen würde, wenn er hörte, was ich zu sagen hatte. Und das konnte ich ihm nicht verdenken, ich hatte ja selbst Angst vor einer solchen Reaktion, auch wenn ich hoffte, dass der Schock und vielleicht auch ein bisschen der Schmerz Derek zur Vernunft bringen würden. Und die Angst war nicht größer als das Verlangen, ihm persönlich gegenüber zu treten. Anders würde ich niemals Schluss machen können.
Nur wenn nicht bei Derek zuhause, wo dann? Hierhin würde ich ihn nicht bitten, so sehr ich meine Freunde liebte, Privatsphäre und Selbstbeherrschungen zu wahren gehörten nicht zu ihren Stärken. So wollte ich das nicht durchziehen. Ich wollte mit Derek allein sein, in Ruhe gelassen werden, aber ich wollte auch keine Angst haben müssen. Mein Herz endgültig zu brechen war schlimm genug.
,,Nur wohin denn dann?", stellte Nils die Frage, die ich mich fragte. Wohin dann?
,,Ein Café oder so? Schöne Atmosphäre, ihr seid in der Öffentlichkeit und dir kann nichts passieren, man lässt euch in Ruhe...", schlug Niall vor, aber ich schüttelte den Kopf.
,,Das würde sich wie ein Date anfühlen, die ganzen Menschen drum rum, ich wüsste nicht, was ich sagen soll, was, wenn mich ein Kellner unterbricht oder...", mein Satz verlief ins Leere, aber die anderen nickten, als würden sie es verstehen.
Ich hoffte, dass ich in ihren Augen nicht nur Müll redete, aber für mich war das hier der blanke Horror. Die Sonne vor den Fenstern sollte nicht scheinen, die Kräuter auf der Fensterbank nicht wachsen und die im Hintergrund laufende Musik im Radio sollte nicht so verdammt glücklich klingen. Ich hasste alles, was diesen Tag ausmachte. Ich hatte Angst. Und mir war schlecht.
Und außerdem fühlte ich mich wie ein erbärmlicher Jammerlappen, der sich tierisch anstellte.
,,Okay, kein Café, was wäre mit der Innenstadt? Ich weiß, null Atmosphäre, aber es fühlt sich an wie zwischen Tür und Angel und das ist es doch auch, nicht? Und niemand würde sich für euch interessieren, außer Derek rastet aus." Franzis Vorschlag konnte ich nicht ganz so schnell über den Haufen werfen wie den von Niall, natürlich war die Innenstadt atmosphärisch absolut nicht das, was ich mir für eine ruhige Aussprache wünschte, aber sie hatte recht, niemand würde sich auch nur nach uns umdrehen. Trotzdem schüttelte ich den Kopf.
,,Ich will nicht, dass es sich so...so unwichtig anfühlt. So klein. In der Stadt würde es sich anfühlen, als würde ich kurz im Vorbeigehen...Schluss machen. Aber so ist es nicht, ich...ich werd einen Moment brauchen und...ich weiß nicht." Verunsichert schloss ich den Mund.
Kurz musste ich völlig abstruserweise daran denken, dass sich der Protagonist eines Liebesdramas nun eine poetische Stelle aussuchen würde, mit der beide etwas verbanden. Einfach um den Film noch trauriger werden zu lassen. Den Ort des ersten Kusses, den Ort, an dem man einander zum ersten Mal die Liebe geschworen hatte...ich schüttelte den Kopf. So war das Leben nicht. Und ich würde sicher nicht mit Derek nach Hause fahren, nur um uns gemeinsam in die letzte Umkleide der Turnhalle unserer alten Schule ein zu schließen, die, deren Tür immer klemmte und die nie jemand ohne Jammern betrat.
Es gab keinen guten Ort, um Schluss zu machen. Es gab auch keinen guten Zeitpunkt, keine gute Formulierung und keine gute Vorgehensweise. Eine Beziehung zu beenden tat beiden Beteiligten einfach nur weh, es gab nicht viel Schlimmeres, als den Menschen, den man liebte, zu verlieren oder auch noch der zu sein, der das Ganze trotz all der Liebe durchzog. Dafür gab es kein Handbuch, keine Anleitung, niemanden, der mir wirklich helfen konnte. Ich würde das einfach tun müssen. Wie, wo, wann waren am Ende auch nur Fragen, die das Unvermeidliche hinauszögerten. Die den ganzen Horror in die Länge zogen. Die meinem Herzen mehr Argumente lieferten, wieso ich das hier doch abblasen sollte.
Niemals würde eine Trennung perfekt sein. Ich konnte versuchen, vorsichtig zu sein, ja, aber letztendlich war es egal, ob ich mich mit Derek in ein Café setzte, mit ihm Schlittschuhlaufen ging oder ins Schwimmbad, solange ich mich ihm nicht völlig allein gegenüberstellte. Denn Louis hatte recht.
,,Ich schreib ihm jetzt einfach.", beschloss ich laut denkend etwas hastig. Ich wollte hastig sein, ich wollte nicht mehr nachdenken.
,,Ja aber was denn? Du brauchst einen Treffpunkt, Hazza." Liam, die Stimme der Vernunft.
,,An der Themse. Fertig. Kann er sich aussuchen wo, da sind immer Spaziergänger und es...es ist zumindest ein schöner Ausblick.", bestimmte ich in einem Moment des Erst-Reden-Dann-Denkens und versuchte, mit der Entscheidung zu leben. Die Themse war lang. Die Themse war vertraut. Es war okay. Nur hoffte ich, dass Derek mich nicht ausgerechnet auf der kleinen Rasenfläche bei der Tower Bridge würde treffen wollen. Damit verband ich ihn nicht. Nur Louis.
,,An der Themse? Und du lässt ihn aussuchen?", hinterfragte Louis kritisch, sicher dachte er jetzt, ich würde Derek wieder zu viel Kontrolle überlassen. Aber in Wahrheit tat es gut, diese Entscheidung nicht alleine zu treffen. Ich konnte mir einbilden, wir würden zusammen das Ende unserer Beziehung beschließen. Das wäre weniger furchtbar. Ich könnte mich weniger kalt fühlen.
,,Ja." Ich war mir sicher. Na gut, nein, war ich nicht, aber das würde ich auch nie sein. Keine perfekten Orte, keine perfekten Enden. Jetzt oder nie und mein Herz schrie nach nie. Also jetzt.
Ich ignorierte die mitleidigen, skeptischen Blicke der anderen und zog mein Handy hervor. Ich zitterte, es rutschte mir beinahe aus der Hand. Meine Augen brannten, mein Magen rebellierte und mein Herz wollte bersten, aber ich schaffte es trotzdem irgendwie, die paar Worte in das Textfeld von Dereks und meinem Chat zu tippen. Wie konnten so wenige Worte nur so viel ausrichten? Ich brauchte mehr als einen Moment, um auf Senden zu drücken. Eine Bewegung, zwei Schicksale.
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Als ich aus dem U-Bahn Schacht stieg, musste ich in die träge Nachmittagssonne blinzeln.
Es war unfair, dass der warme, gelbe Ball grade heute die Stadt mit seiner Anwesenheit beehrt, es war unfair, dass es nicht stürmte, hagelte und gewitterte, so wie es zu meiner Stimmung gepasst hätte. Aber ich war nun mal nicht das Zentrum des Universums, irgendwer freute sich sicher grade tierisch über all die Wärme und das Licht. Dieser jemand hatte das sicher verdient.
Ich stolperte über meine eigenen Füße, als ich die letzten Stufen erklomm. Fluchend suchte ich mein Gleichgewicht und betete gleichzeitig, dass ich mich nicht jeden Moment auf die Steine der Straße übergab. Mir war nämlich schon wieder schlecht. Eher immer noch, aber gut.
Mit langsamen, zögerlichen Schritt machte ich mich auf den Weg durch die hohen Häuser und folgte dem Weg, dem ich schon etliche Male zurückgelegt hatte, dem Weg, den ich schon mit Freude und Angst in der Brust hinter mich gebracht hatte, den Weg, den ich heute zum letzten Mal lief, wenn ich es denn wirklich schaffte, diese ganze Geschichte ohne einen Herzstillstand zu überleben.
Es war einfach schrecklich.
Derek hatte mich an die Themse gebeten, nicht unweit des kleinen Stückchens Natur, das ich mit Louis geteilt hatte, nicht unweit seiner Wohnung. Vermutlich aus Bequemlichkeit, es war mir egal. Wieso auch immer er in seiner Gegend bleiben wollte, ich würde hier nicht mehr so schnell hinkommen. Es war ein Ort der Reichen, der Schönen, ein Ort für die, die auf andere herabsahen. Ich hatte hier nur durch Derek dazugehört, ich würde mich nicht wieder in diesen Kreisen Londons blicken lassen. Mal davon abgesehen, dass der Blick auf Dereks Wohnung mir vermutlich die nächsten Wochen, Monate und Jahre reichen würde, um in Tränen auszubrechen. Das tat ich ja jetzt schon.
Ich wollte nicht weinen. Ich wollte nicht weitergehen. Ich wollte nicht die aufmunternden und besorgten Stimmen der anderen im Ohr haben. Ich wollte einfach nicht hier sein. Aber das hier war kein Traum, kein Wunderland, das hier war mein Leben und mein Leben war schon immer so gewesen. Es war nicht ja nicht mal das erste Mal, dass ich mit jemandem Schluss machte.
Aber es war das erste Mal, dass ich eine so lange Beziehung geführt hatte und dass ich meinen Freund wirklich, wirklich liebte.
Ich war mir der Blicke der Passanten bewusst, als ich in der schwachen Sonne des Märzes immer weiter Richtung Themse stolperte, langsam, unsicher, nervös. Ich musste aussehen, wie ich mich fühlte: beschissen. Auch wenn ich versucht hatte, meine Haare zu richten und in meiner kuscheligen Winterjacke halbwegs passabel auszusehen, meine Augen tränten, meine Nase lief seitdem ich die Wohnung verlassen hatte und meine Wangen mussten längst rot und fleckig sein.
Die Kopfhörer in meinen Locken verpassten der ganzen Szenerie den letzten, dramatisch angehauchten Schliff. Bis eben hatte ich Not Strong Enough von Apocalyptica gehört, aber dieses Lied beschrieb genau das, was mein Herz schrie, während es versuchte, meinen Kopf dazu zu bringen, endlich umzukehren. Ich hatte es schon gehört, als ich es noch nicht verstanden hatte. Jetzt passte es schrägerweise nicht mehr. Dafür lief jetzt Say Goodbye von meiner Lieblingsband, Citizen Soldier, und es...es war einfach wahr. Musik war besser als alles, was ich je sagen könnte, auch wenn der Song mich etwas zu groß fühlen ließ. Vielleicht sollte ich Derek dieses Lied vorspielen, vielleicht würde er es dann verstehen. Ein bisschen.
Komischerweise musste ich kurz an Nick denken, als vor mir die Themse auftauchte, weniger schön oder majestätisch als dunkel und schroff. Derek hatte gesagt, er würde meinen Bruder rausschmeißen. Ich musste mich wohl oder übel bei ihm melden, auch wenn das nicht das war, was ich wollte. Und ich wollte es nicht zugeben, aber vielleicht brauchte ich auch seine Hilfe wegen Cafecass. Vielleicht aber auch nicht. Nur dann bräuchte ich die von Liam. Oder Zayn. Oder Louis. Oder von sonst wem.
Nick war irgendwie eine große, dunkle Präsenz in meinem Kopf, obwohl er dort nichts zu suchen hatte. Ich war grade auf dem Weg, um mich von Derek zu trennen, von dem, der mit meinem Bruder tatsächlich ausgekommen war, ich sollte nicht drüber nachdenken, was das mit unserer Beziehung machen würde. Wenn ich jetzt an Nick dachte, würde ich gleich wieder umdrehen. Er war jetzt nicht wichtig, eigentlich war er das nie.
Ich schluckte und wischte mir abermals über das Gesicht, als eine kalte Brise die Tränen auf meiner Haut in Eis verwandelte.
Und dann stand ich an der Themse. Das Wasser war laut, ich konnte es trotz der Musik auf meinen Ohren hören, es toste unter meinen Füßen. Nicht so wie das Meer, nicht frei und wunderschön, aber doch vertraut und tröstlich, so dunkel es auch war. Die Winde zerwühlten meine Locken und vertrieben jede Wärme der Sonne aus meinem Körper. Ich wandte den Blick nach rechts. In einiger Entfernung erkannte ich die Wiese, die Louis und ich in der Nacht meines Geburtstages zu unserer gemacht hatten.
Kurz wünschte ich, er wäre hier, um mich in den Arm zu nehmen und um mir die Übelkeit, den Schmerz und die Ängste zu erleichtern, aber gleichzeitig wusste ich, dass es niemanden gäbe, der in dieser Situation unpassender an meiner Seite wäre.
Ich zog den Kopfhörer vom Kopf und legte ihn mir um den Hals. Die Geräusche der Stadt erschlugen mich, aber sie waren auch etwas, dass ich kannte. Ich würde heute nicht alles verlieren, was mein Leben geformt hatte. Nicht alles, was ich kannte. Derek war nicht alles.
Die Tower Bridge ragte ebenso wie die gläsernen Wohnriesen am Ufer des Stadtflusses in den hellgrauen Himmel hinauf und ich legte für einen Moment den Kopf in den Nacken, um den Anblick in mich aufzusaugen. Von oben sah es so anders aus.
,,Hey Harry." Seine Stimme war nicht wie Honig, nicht warm und süß, sie war dunkel und tief, groß. Er klang wie immer, so, wie er war. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus und ich drehte mich um, um meinem Freund in die Augen sehen zu können.
Derek sah auch aus wie immer. Schwarze Jacke, zerstörte Frisur, unlesbare Züge, dunkle Augen. Sein Blick jagte mir einen Schauer über den Rücken. Während er über mein Gesicht wanderte, wandelten sich die Emotionen darin von Kälte zu Wut zu Liebe zu Sorge und ich verspürte den Drang, näher zu treten und ihn zu küssen. Das war für eine Sekunde alles, was ich wollte, aber es gäbe wenig, dass jetzt noch bescheuerter wäre, also krallte ich mich mit den Händen hinter meinem Rücken in das Geländer am Ufer. Sein bloßer Anblick erinnerte mich an Abende zusammen auf dem Sofa, an Nächte gemeinsam in der Dunkelheit, an geschwänzte Zeit zu zweit...an Liebe in jeder Form. Ich liebte ihn, ich wollte ihn. Und trotzdem sah ich unter der schönen Schale auch die Wut, den Hass, die Brutalität und Maßlosigkeit, mit der er handeln konnte. Ich hatte Angst, wenn ich ihn ansah, Angst und Sehnsucht.
,,Hey." Leise, schwach, wie immer. Ich würde das nicht schaffen, niemals. Die Spannung wich aus Dereks Schultern.
,,Ich dachte schon, du meldest dich gar nicht mehr." Mehr ein Vorwurf als eine Tatsache, natürlich. Ich zuckte zusammen. Irgendwie wünschte ich mir jetzt Franzi her, sie war so viel besser mit Worten. Und sie könnte einfach da sein...einfach da sein.
,,Ich musste nachdenken."
,,Warum besprechen wir das nicht drinnen, Babe, hier ist es eiskalt, windig und hier gibts Leute, die nichts Besseres zu tun haben, als zu Glotzen.", überfuhr Derek mich mit einer Frage, die eine Entscheidung war, denn er drehte sich längst weg, um sich auf den Weg zu dem Apartment hoch über London zu machen, dass ich lange als eine Art Zuhause bezeichnet hatte. Noch vor kurzer Zeit wäre ich ihm wortlos gefolgt. Ich hätte ihn auch niemals hier draußen getroffen.
Ich blieb stehen wie festgewachsen.
,,Ich würde gerne hier draußen bleiben, Derek." Sein Name fiel mir schwer, sprechen viel mir schwer. Derek runzelte die Stirn, die Sorge kehrte in seine Augen zurück, auch wenn er eher wachsam als wirklich besorgt aussah. Ich spürte mein Herz beben.
,,Meinst du, du kannst hier einfach so die Bedingungen stellen, Harry? Du schuldest mir eine Entschuldigung, deshalb bist du doch gekommen, richtig?" Ich hoffte, dass wir beide die Antwort auf diese Frage kannten.
,,Nein, bin ich nicht.", presste ich den Widerspruch trotzdem heraus und beobachtete aus dem Augenwinkel eine Gruppe gut gekleideter Damen, die auf ihrem Flanierweg immer näher kamen.
Dereks Stirn runzelte sich, er wirkte jetzt eher genervt als alles andere, aber er musste etwas in mir sehen, dass ihn dazu brachte, nicht darauf herum zu reiten, dass ich ihm widersprochen hatte. Wieso auch immer schien er nicht darauf aus zu sein, mich für die letzten Wochen zu bestrafen, er wollte nur...reden. Endlich wieder reden, wieder nah sein, nach den letzten Wochen der Stille und Distanz.
Ich musste ein Schluchzen unterdrücken. Es war doch alles nicht fair. Liebe sollte nicht so schmerzhaft sein.
Seufzend kam Derek wieder einen Schritt näher, ich atmete ihn ein und wieder zogen tausende Bilder vor meinem inneren Auge vorbei, schöne und nicht ganz so schöne. Vielleicht war das hier ja so ähnlich wie der Moment, in dem man im Augenblick des Todes sein gesamtes Leben vor sich vorbeiziehen sieht. Vielleicht starb heute unsere Beziehung.
Unsicher hob ich den Blick, um Dereks undenklich Tiefem zu begegnen.
,,Wenn du hier draußen reden magst, bitte, aber wunder dich nicht, wenn ich dich nicht verstehe oder abgelenkt werde, Babe.", warnte Derek ungehalten und ich zuckte nur mit den Schultern. Seine Anwesenheit war einfach überwältigend. Das hatte ich unterschätzt, ich hatte ihn lange nicht gesehen, länger als sonst. Er war so schön wie immer. Ich schluckte.
,,Harry, wenn du nichts zu sagen hast...", gab Derek ungeduldig von sich, aber ich schüttelte den Kopf und unterbrach ihn, bevor er weitersprechen konnte. Vielleicht machte er es mir ja leicht.
,,Ich...ich kann das nicht mehr, Derek."
,,Was?" Er zog eine Augenbraue hoch.
,,Das mit uns."
Das mit uns. Es war so viel mehr als nur dieses drei Worte, so viele Monate, Stunden, Augenblicke und Erfahrungen, die nur uns gehörten. So viele Gefühle, so viele kleine Geheimnisse, all die Dinge, die uns als Paar ausgemacht hatten. Aber nicht alle davon waren Erinnerungen, an die ich mich gerne erinnerte. Nicht alles hatte ich erleben wollen.
,,Was für einen Floh haben sie dir jetzt schon wider ins Ohr gesetzt, hm? Erst ignorierst du mich und fliegst einfach mal so nach Australien, ohne das vorher abzusprechen, und jetzt kommst du mir mit sowas? Harry, Babe, das bist doch nicht du!" Dereks Stimme wurde lauter, wütender, und einige Passanten warfen uns verständnislose Blicke zu. Ich zuckte zurück, das Geländer bohrte sich in meinen Rücken. Derek fuhr sich aufgebracht durch die Haare.
,,Sie sind meine Freunde und sie haben nichts getan...ich hab diese Entscheidung getroffen.", brachte ich hervor, noch immer flüsterte ich mehr als dass ich sprach, aber Derek hatte mich gehört.
,,Seit wann triffst du Entscheidungen denn mal eben so selbst, Harry?", fragte er beinahe belustigt, wäre da nicht der Zorn in seinen Augen. Seine Worte taten weh, auch wenn sie wahr waren. Ich spürte meinen Magen rebellieren.
,,Ehrlich Harry, wieso kommst du mit so einem Hirngespinst zu mir? Vergiss, was die anderen sagen, Du weißt, dass sie mich hassen und loswerden wollen. Lass uns reingehen und ein bisschen kuscheln, wir könnten einen deiner Lieblingsfilme sehen, irgendwas von Marvel oder so. Ich vergesse, was du getan hast und du vergisst, was sie dir eingeredet haben, hm?", schlug Derek dann versöhnlich vor, die Wärme in seiner Stimme passte kaum zu seinem Gesichtsausdruck.
Eine Welle Sehnsucht erfasste mich und ich musste leise schluchzen. Das klang nach uns, das klang nach etwas, wonach sich mein Herz seit Tagen sehnte, etwas, was mir helfen würde, die Übelkeit, die Angst und die Schmerzen hinter mir zu lassen. Ich wollte das...Nein, mein Herz wollte das. Aber ich wusste es besser.
Genauso war es doch schon immer gelaufen. Derek übertrat eine Grenze, ich zweifelte und schon kam er mit seiner liebevollen Art um die Ecke und nahm mir jede Entscheidung mal ebenso ab. Genauso war es im Krankenhaus gewesen, als er um Verzeihung gebeten hatte. Genauso war es etliche Male passiert. Aber nicht heute. Heute wusste ich, dass kein schöner Abend voller Liebe das wieder zurecht biegen konnte, was Derek getan hatte.
,,Derek...so geht das nicht weiter. Du kannst nicht...perfekt sein, wenn es dir grade passt und nutzt, und dann wieder grob, beängstigend und...und verletzend, wenn dir der Sinn danach steht. Das tut mir weh." Die Worte kamen leichter über meine Lippen. Ich wusste, dass sie wahr waren. Derek runzelte wütend die Stirn.
,,Was? Du bist hier der mit den Stimmungsschwankungen, Harry, ich passe mich dir immer an. Du weißt doch, dass du unsere Beziehung lenkst." Er glaubte das wirklich. Oder er konnte gut schauspielern, da war ich mir nicht sicher. Traurig, so wenig kannte ich ihn nach all der Zeit zusammen.
,,Das stimmt nicht. Du kannst mich nicht für deine Launen und Taten verantwortlich machen. Du schlägst mich, weil du die Kontrolle brauchst und weil du nicht anders kannst und willst, Derek. Ich zwinge dich nicht dazu, mich zu verletzen und bloßzustellen und in Schuldgefühlen ertrinken zu lassen." Jetzt rollten die Tränen wieder meine Wangen hinab und ich musste meine Hände vom Geländer lösen, um mich damit selbst zu umarmen. Ich klammerte mich an meiner Jacke fest und atmete tief durch. Jetzt in Tränen hier zu stehen machte das alles nicht besser. Mein Herz bebte schon wieder.
Derek starrte mich an, als würde er mich nicht kennen. Vielleicht tat er das auch nicht ,vielleicht kannte er diese Seite von mir nicht, vielleicht verstand er wirklich nicht, was mein Problem war. Das machte es nur schlimmer.
,,So ist das nicht, Harry...", versuchte er es, aber ich wusste, wenn ich jetzt erst noch eine Diskussion zuließ, würde ich hier noch morgen stehen. Und ich wollte bloß fort von hier.
,,Lass mich bitte aussprechen, okay?", bat ich und fuhr ohne eine Antwort fort.
,,Ich liebe dich, Derek, ich hab mich vor langer Zeit in dich verliebt, aber ich habe Grenzen, die du längst überschritten hast. Ich kann nicht alles tolerieren. Bisher hab ich die Augen geschlossen, mir gesagt, dass es besser werden wird, dass du bloß Zeit und meine Hilfe brauchst, aber...es wird nicht funktionieren, Derek. Wir funktionieren nicht.
Ich kann nicht länger so eingeengt leben, mit der Angst, dass du bei einem in deinen Augen falschen Schritt mir oder meinen Freunden etwas antust. Ich kann mich nicht länger absolut nach dir richten, ich bin ein Mensch, und ich kann nicht...du darfst mich nicht schlagen. Du hättest mich ernsthaft und bleibend verletzen können, Derek, schon öfter als nur letztes Mal. Und du hast mich niemals Nein sagen lassen. Du tust mir nicht gut."
Meine Stimme klang fester als zuvor. Mir wurde wärmer und ich schaffte es, Derek in die dunklen Augen zu sehen, während ich die Wörter aneinanderreihte und versuchte, ihm zu verstehen zu geben, dass ich es ernst meinte. Denn das tat ich dieses Mal. Es musste aufhören, alles, jetzt an diesem Punkt. Keine zweiten Chancen mehr.
Dereks Blick wurde vorsichtig, seine Körperhaltung abwehrend und ich wusste, dass in seinem Inneren alles nach Gefahr schrie. Der Junge vor mir hatte Angst. Es tat mir unglaublich weh ihn so zu sehen, aber ich konnte nicht darauf Rücksicht nehmen, ich nahm auch keine Rücksicht auf mein Herz. Ich war nicht gut für ihn und er nicht für mich. Ich tat das hier für uns beide.
,,Aber Harry...Baby, mein Herz, du...das kannst du nicht so meinen. Ja, ich...ich hasse mich dafür, dass ich dich so schlimm verletzt habe, aber ich versuche doch wirklich mich zusammen zu reißen, das weißt du. Und ich tue das alles doch nur, um dich zu beschützten, um dir zu helfen, du musst keine Angst haben! Wir sind perfekt füreinander, Harry, du weißt das!"
Er wurde immer lauter und eindringlicher, kaum ein Meter trennte uns und ich schaffte es nur mit aller Selbstbeherrschung, mich nicht zu ducken. Er machte mir Angst, so war es einfach. Und das war nur eines unserer Probleme als Paar und Trennungsgrund genug.
,,Nein.", hauchte ich mit tränenerstickter Stimme.
,,Nein was, Harry?!"
,,Wir sind nicht gut füreinander! Du unterdrückst mich, du lässt mich zu einem Menschen werden, den ich für seine Schwäche abgrundtief verabscheue und du machst mich von dir abhängig. Ich kann dir nicht helfen, mit deinen Problemen umzugehen, ich mache alles nur schlimmer für dich. Du brauchst jemanden, der dich in die Schranken weisen kann. Du brauchst jemand anderen als mich und ich brauche jemand anderen als dich!", erhob auch ich meine Stimme, wenn auch in eine etwas angemessenere Lautstärke.
Derek starrte mich an, als wäre ich sein lebendig gewordener schlimmster Alptraum und mein Herz schien endgültig zu brechen. Er wollte mich nicht verlieren. Ich wollte ihn auch nicht verlieren, aber wieso verstand er mich denn nicht? Er musste es doch sehen...
,,Das meinst du nicht so, Harry, nein. Du weißt, dass ich dich beschützte, wie ich es schonmal getan habe, ich werde es immer tun, ich hab ihn rausgeworfen, ich bin da, Harry! Wer sonst kennt dich so wie ich es tue, wer ist denn besser für dich?!" Ich hätte das nicht sagen dürfen, der Zorn war Dereks Reaktion auf den Schmerz. Er sah aus, als wolle er jemanden ermorden und ich hatte Angst, einfach nur Angst. Aber der Drang, mich zu erklären, war viel größer als all der Schmerz und all die Gedanken und Gefühle, die mich zum Bersten bringen wollten. Er musste verstehen.
,,Doch, ich meine es so. Ich brauche dich nicht, du musst mich nicht länger beschützen. Ich kann auch ohne dich leben und ich bin nicht alleine. Du bist nicht alles, was ich habe.", erinnerte ich uns beide, besonders mich, bevor ich Dereks feurigem Blick standhielt und fortfuhr, unsere Herzen mit den Füßen zu treten.
,,Du hast Dinge getan, für die ich dir sehr dankbar bin. Wir hatten wunderschöne Momente und du konntest ein wundervoller Freund sein, Derek. Aber du hast ebenso Dinge getan, die ich nicht vergeben kann. Und nicht vergeben werde, ich habe dir zu oft eine weitere Chance gegeben, ich hab zu oft meine Bedürfnisse und meine Gesundheit ignoriert, um bei dir bleiben zu können. Das hört jetzt auf. Ich kann das nicht mehr."
Meine Stimme zitterte wieder, meine Tränen waren zu Strömen geworden, die ihre Spuren auf meinen Wangen hinterließen und ich fühlte meine Knie zittern. Es tat alles so unglaublich weh, aber ich tat das Richtige. Das wusste ich endlich. Es gab keinen anderen Weg, wenn ich uns beiden helfen wollte.
,,Du möchtest mit mir Schluss machen." Derek fragte nicht, wie so oft, er stellte fest. Und er hatte recht.
,,Ja. Ich mache mit dir Schluss.", echote ich leise. Es klang so seltsam, so unbedeutend. Ich hatte das die letzten Tage über immer wieder in Gedanken durchgespielt, hatte überlegt, wie ich mich ausdrücken sollte, hatte versucht, das Ausmaß dieses Satzes zu erfassen, aber nichts hatte mich auf diesen Moment vorbereiten können.
Ich fühlte...ich fühlte nichts.
Natürlich, mein Herz schrie, es zerbrach in tausende kleine Scherben, die nie wieder ihren vorherigen Platz finden würden. Natürlich, der Erdboden schwankte, die Realität geriet aus ihren Fugen und der Schmerz explodierte in meiner Brust. Die Tränen flossen immer weiter, als wollten sie mich ertränken, es war laut in mir, es war dunkel, nichts als Angst und Trauer.
Aber ich stand da, an der Themse, den Wind im Rücken. Ich stand da, ich zitterte, ich schluchzte, aber ich sah in Dereks weit aufgerissene Augen und...und fühlte nichts als das, was schon immer in mir gewesen war.
Der Schmerz, der jetzt über mich kam, all das, was in mir war, es war nichts Neues. Ich kannte dieses Gefühl, wenn das eigene Herz zerriss, wenn nichts mehr zu funktionieren schien, wenn die Welt unterging. Ich wusste, dass nichts okay war und nicht okay sein würde.
Ich war schon zuvor zerbrochen gewesen. Was ich jetzt fühlte, fühlte ich seit Wochen, seit Monaten, seit langer Zeit.
Es war, als würde ich taub werden. Ich wusste, dass diese Gefühle da waren, dass sie in mir waren und wie sie sich anfühlten, ich wusste, dass ich jeden Moment zusammenbrechen würde, aber ich...ich fühlte es nicht mehr, nicht mehr als sonst.
Es war vermutlich falsch, dass ich mich freute, nicht wirklich zu fühlen, was in mir vor sich ging. Ich hatte gedacht, alles würde noch schlimmer werden, noch intensiver, aber stattdessen fiel all der Druck, das durchzuziehen, von mir ab und der Schmerz schien nicht größer zu werden, als das, was ich kannte. Ich ertrug ihn schon länger.
Vielleicht würde es schlimmer werden, sobald mich nichts mehr zwang, mich zusammen zu reißen, aber für den Moment war ich dankbar, dass ich atmen konnte.
Mein Schmerz war nicht schlimmer als der in Dereks Blick, als er nach Worten suchte, nur Luft atmete, meine Worte zu vergessen versuchte. Er verstand nicht, das sah ich ihm an. Er zerbrach ebenso wie ich. Aber er wusste jetzt, dass ich es ernst meinte. Heute würde ich nicht aufgeben.
,,Aber...Aber...wir...wir gehören doch zusammen, Harry, für immer..." Er klang so kaputt. Und vielleicht waren wir beide das auch. Aber wir halfen einander nicht dabei, zu heilen.
,,Du kannst das nicht machen, bitte, bitte Harry, ich werde mich verändern, ich verspreche es, es tut mir alles so leid, ich werde mich verbessern, aber bitte, bitte verlass mich nicht! Ich kann das ohne dich nicht!" Jetzt weinte Derek, er weinte große Tränen, die schimmernd in der herabsinkenden Sonne glänzten und ihn so offenbarten, wie er war: so verdammt hilflos.
Eine scharfe Spitze Schmerz schaffte es, die Eintönigkeit in mir zu durchstoßen und alles, was von meinem Herzen übrig war, zu durchbohren. Es war nicht fair, dass ausgerechnet die Menschen, die man am meisten liebte, die waren, denen man das Schlimmste antun konnte. Ich hatte nie gewollt, dass Derek so zerrissen wurde, ich hatte nie gewollt, dass ein einziger Satz zwei Leben umkrempelte. Aber ich wusste auch, dass es so richtig war.
,,Ich habe dir so oft eine zweite Chance gegeben, ich hab alle deine Entschuldigungen angenommen, dich selbst vor meinem Kopf gerechtfertigt...ich habe es versucht, Derek, aber du hast dich nicht gebessert, es ist immer nur schlimmer geworden. Kannst du nicht sehen, dass wir beide einander nur schaden?" Ich weinte auch, mindestens so verzweifelt wie Derek. Wir mussten verrückt aussehen, zwei junge Männer am Ufer der Themse, gebadet in das orangene Licht der herabsinkenden Sonne, die Tränen im Gesicht.
,,Eine Chance, Harry, eine Einzige, bitte!", flehte Derek und seine Hand griff nach meiner. Ich schaffte es nicht, sie ihm zu entziehen, es fühlte sich zu vertraut an, wie unsere Hände ineinander passten, aber ich konnte den Kopf schütteln. Nie wieder.
Seine Hoffnung zunichte zu machen war schlimmer als alles, was er mir je angetan hatte. So kam es mir in diesem Augenblick vor, ich fühlte mich herzlos und gleichzeitig so zerbrochen, aber ich wusste, dass das nur der Moment des Schmerzes war. Eigentlich war alles, was ich wegen ihm durchgemacht hatte, deutlich schrecklicher als der Augenblick, als das Licht die dunklen Augen meines...meines Exfreundes verließ. Und trotzdem zerschmetterte mich sein Anblick wieder und wieder. Ich wusste, dass ich dieses Bild nicht mehr loswerden würde, nie wieder.
Der gewohnte Schmerz in meiner Brust steigerte sich tatsächlich noch ins Unerträgliche, wie auch immer das möglich war. Nicht der Satz von eben war es, der mich zusammenbrechen ließ, es war die Gewissheit, dass Derek das alles hier nicht akzeptierte, dass er mich liebte und nicht gehen lassen wollte. Er machte es mir unglaublich schwer. Ich wollte schreien, ich wollte aus dieser Welt verschwinden, um nicht mehr so zu fühlen und doch...und doch spürte ich, dass das hier das war, was ich schon vor langer Zeit hätte tun müssen. So sehr es wehtat, es war richtig. Ich wusste, dass ich diese Grenze schon früher hätte ziehen sollen. Es würde uns beiden gut gehen. Irgendwann.
,,Ich liebe dich doch.", hauchte Derek in den Wind und seine Hand brannte in meiner.
,,Ich liebe dich auch. Aber Liebe kann nicht alles sein, Derek. Eine Beziehung besteht aus Vertrauen. Das kann ich dir nicht mehr geben. Du hast mich nicht so behandelt, wie man es mit den Menschen tut, die man liebt. Und ich kann dir nicht dabei helfen, das zu lernen. Du musst das alleine schaffen.", wisperte ich zurück und legte all meine Gefühle für ihn in den Blick, den wir teilten. Er musste wissen, dass ich mir für ihn nur Gutes wünschte, auch wenn er mich wieder und wieder zerstört hatte. Das war Liebe. Und bis die verschwand, würde es dauern. Schmerzhaft dauern.
,,Alleine schaffe ich überhaupt nichts." Derek klang so sicher. So sicher wie ich geklungen hatte, als ich dieses Gespräch vor Wochen mit Louis führte. Ich brauche ihn. Nein. So war es nicht.
,,Doch, Derek. Du bist eine eigenständige Person, du bist stark, du weißt, was du tun musst."
,,Wenn ich...wenn ich in Therapie gehe, wenn ich mir helfen lasse, bleibst du dann bei mir?", fragte Derek hoffnungsvoll, fast wie ein Kind. Sein Griff wurde fester, ich spürte den Druckschmerz. Ich schüttelte ohne zu Zögern den Kopf und nicht, weil ich es musste, sondern weil ich es wollte.
,,Nein. Du musst das für dich schaffen. Ich kann diesen Weg nicht mit dir gehen und du kannst meinen Heilungsprozess nicht begleiten, das haben wir dieses Jahr gelernt, nicht? Wir sind nur ein Hindernis füreinander. Kannst du mich verstehen?" Ich hasste es, dass meine Stimme so unglaublich flehentlich klang, so bedürftig, aber ich wollte einfach, dass er mich verstand. Dass er es durch meine Augen sehen konnte, nicht nur durch seine.
Ich wollte nicht, dass er mich hasste.
,,Aber wieso verlässt du mich, wo ich dich doch bei mir brauche, bitte..." Er würde das nicht verstehen. Er konnte es nicht.
Ich schluchzte, dann schloss ich für eine Sekunde die Augen, blendete seine Stimme aus und konzentrierte mich auf diesen letzten, furchtbaren Moment. Ich atmete seinen Geruch ein, die dunkle Note seines liebsten Duschgels, Zedernholz. Ich hörte seine Stimme leere Worte flüstern, tief, warm, vertraut. Ich spürte, wie seine Hand die meine vollständig umschloss, wie seine Wärme meine Kälte vertrieb und wie die Überreste meines Herzen zu glühen begannen, einfach, weil er direkt vor mir stand. Ich blinzelte ins Licht. Prägte mir jede Kleinigkeit seines Gesichtes ein, die etwas zu lang werden Haare, die sich in den Spitzen kräuselten, die ein Stück zu große Nase, das Muttermal über der rechten Augenbraue, der Glanz seiner Augen. Der Schwung seiner Lippen, jedes noch so kleine Merkmal, dass dieses Gesicht zu Dereks machte. Ich atmete tief durch. Dann drückte ich seine Hand ein allerletztes Mal und wand mich aus seinem Griff.
,,Ich kann nicht sagen, dass es mir leid tut, Derek. Und ich...bitte mach es mir nicht zu schwer, bitte hör auf, mir überall hin zu folgen. Ich hoffe, du wirst glücklich. Ich liebe dich, aber ich beende das mit uns jetzt."
Ich atmete flach, um die Schluchzer und den Würgereiz zu unterdrücken, als ich mich vom Geländer löste und aus seiner Reichweite trat, bevor er mich noch einmal zu fassen bekam. Ich musste jetzt gehen. Es war vorbei.
,,Harry, Love, bitte...", schluchzte Derek, die Ungläubigkeit in seinem Gesicht war verletzender als die Tränen. Ich machte einen Schritt rückwärts und schüttelte ein letztes Mal den Kopf, das salzige Wasser ließ meine Sicht auf Derek plötzlich verschwimmen und ich presste meine Fingernägel in meine Handflächen. Es tat so unglaublich weh. Ich hatte mich geirrt. Dieses Gefühl war neu, dieses Unverständnis seinerseits, dass mich mehr Schmerz fühlen ließ als jedes seiner Worte. Ich hatte mich zu früh gefreut.
,,Ich werd jetzt gehen, bitte...bitte komm mir nicht hinterher.", stammelte ich und betete, dass er das wirklich nicht tun würde. Ich wollte nicht um Hilfe rufen, ich wollte ihn nicht noch schlimmer bloßstellen, sicher starrte man uns jetzt schon an. Aber ich wollte auch nicht mehr in seiner Nähe sein, das Atmen wurde schwer. Ich konnte nicht mehr.
Ich drehte mich herum und stolperte die ersten Schritte fort von ihm, fort von meinem alten Leben, meiner Liebe, fort von all den Erinnerungen, die ich so heiß und innig liebte. Fort von dem Jungen, der mir beigebracht hatte, was Liebe war, zumindest zu Beginn unserer Beziehung. Fort von dem, der mich zum ersten Mal gerettet hatte. Der mir die Welt bedeutete. Aber eben diese auch schon so oft zerstört hatte.
Es ist besser so, für uns beide
Ich wusste das. Ich wusste das wirklich, aber mein Herz hatte das hier nicht überstanden. Ich stolperte, hörte ihn rufen, drehte mich nicht um. Ich könnte mich nicht mehr abwenden. Ich hatte Angst, Angst vor Derek, aber der Schmerz war so viel größer, so, so unvorstellbar groß. Dabei fehlte mir nichts. Außer die Liebe.
Ich nahm nicht wahr, wie ich an den Passanten vorbeilief, weinend, schreiend, blind. Ich wusste nicht, wo ich hinlief. Ich wollte nur weg, allein sein, die Welt vergessen. Alles vergessen.
Manchmal ist das Richtige nicht das, was einfach ist, sondern das, was einen in winzige Teile zerbricht.
Vielleicht läuft so das ganze Leben: Fallen und daraus wachsen. Ich würde jetzt nur dafür sorgen müssen, dass ich wuchs. Dass es das wert gewesen war.
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ich weiß, es ist lang. Und ehrlich gesagt: ich hab geweint. Entschuldigung, ich weiß, sonst vermutlich niemand, wer feiert eine Party?
Was denkt ihr? Bitte bitte gebt mir Feedback, das Kapitel ist mir besonders wichtig, auch wenn es nicht die Version ist, die ich gerne hätte.
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