100. Abflug
100 Kapitel. Irgendwie albern, dass das noch was Besonderes ist, oder? Es ist genauso eine Sammlung aus denselben 26 Buchstaben und ihren unzähligen Kombinationen wie jedes andere Kapitel. Trotzdem irgendwie komisch, wenn ich darüber nachdenke, dass diese Fanfiction nicht mal ein Jahr alt ist.
Ein Dankeschön an euch alle! Ihr tragt diese Geschichte, ohne die lieben/lustigen/meuchelmörderischen Kommentare würde ich vermutlich noch so schlecht schreiben wie zu Beginn der Story. Oder ich hätte aufgehört, wer weiß.
Viel Spaß mit dem Kapitel! Wie ich schon sagte, dieser erste Teil endet hoffentlich bald und dann...sehen wir uns hoffentlich im Nächsten! Dieses hier ist etwas lang, dafür kommt dann Montag keins...ich hoffe, das ist okay so!❤️
Ach ja...bitte habt keine zu großen Erwartungen, ich hasse das Kapitel. Und es ist die Seelenverwandte der 8. Bitte Danke.
When you're in the air
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Pov Franzi
Ich fühlte mich ganz schön beobachtet, während ich mir einen Pancake nach dem anderen in den Mund schob, um der Nervosität vorzubeugen.
Eventuell war es nicht hundertprozentig klug, sich vor einem mehrstündigen Flug vollzufuttern, aber den Stress, mit Nils in einem Flugzeug zu sitzen, konnte ich mir nur mit einem Haufen Nervennahrung im Magen antun. Mein Bruder hatte eine riesen Angst vor dem Fliegen und entleerte seinen Mageninhalt gerne mal während des Fluges, wenn er mir nicht grade die Hand weiß quetschte. Gut, wir hatten bisher erst zwei gemeinsame Flüge erlebt, von Australien nach Deutschland und wieder zurück, das war's. Trotzdem wusste ich, dass es heute anstrengend werden würde.
Mal abgesehen von Harry natürlich. Der war auch leichenblass, ob nun wegen Flugangst oder allem anderen drum rum wusste ich nicht. Vermutlich gab es für ihn noch mehr Gründe, sich zu übergeben.
,,Fahrt ihr direkt nach Schulschluss zum Flughafen?", fragte Louis zum gefühlten eine millionsten Mal und ich verdrehte die Augen. Der hatte ein Gedächtnis wie ein Sieb! Oder er wollte einfach nochmal sichergehen, dass er Haz zumindest noch ein paar Stunden in seiner Nähe hatte, das war auch möglich.
,,Jap. Der Flieger geht um halb fünf."
Nils war so freundlich, das Ganze nochmal zu bestätigen, ich hätte nämlich nicht nochmal genickt.
Harry schob den Stuhl vom Tisch zurück und kratzte dabei laut mit den Holzbeinen über den Boden, sodass wir alle zusammenzuckten. Ein unangenehmes Geräusch, ja. Harry verzog entschuldigend das Gesicht und stand dann auf.
,,Ich zieh mir mal eben meine Uniform an, bin gleich da, dann können wir los.", erklärte er und verschwand schneller als ich gucken konnte. Vermutlich floh er aus der Küche, um der gedrückten Stimmung hier zu entgehen. Pfff. Dabei war mein Plan aufgegangen und sie sollten alle mal glücklich sein , dass ich zumindest versuchte, ein Lösung zu finden. Und dass wir in den Urlaub fuhren war auch was zum Mitfreuen, natürlich. Schließlich konnten sie heute Nachmittag ja auch alle zu ihren Familien nach Hause, die Atmosphäre hier sollte deutlich positiver ausfallen.
,,Könntet ihr alle mal bitte aufhören euch so aufzuführen, als würden wir auf eine Beerdigung gehen?", meckerte ich, sobald Harrys Zimmertür sich geschlossen hatte und blickte stirnrunzelnd in die Runde. Dann sicherte ich mir noch einen Pancake, bevor Nialls Hand sich darum schließen konnte. Pech für ihn. Es gab genug andere!
,,Theoretisch gehen wir ja auch auf eine. Auf die von Harrys und Dereks Beziehung, wenn wir Glück haben.", stellte Zayn klar und schenkte mir ein breites Grinsen.
,,Dann solltet ihr hier trotzdem nicht rumsitzen wie sieben Tage Regenwetter und mal ein bisschen fröhlicher sein! Das ist ja kaum auszuhalten mit euch Stimmungskanonen!"
Louis fand mich und Zayn wohl nicht witzig, der Wuschelkopf grummelte lediglich leise, seufzte und blickte unglücklich zu Boden. Mensch, ich konnte ja verstehen, dass er seinen besten Freund vermissen würde, aber er musste sich doch freuen, dass unsere Bemühungen scheinbar fruchten würden!
Ich sah zu Liam herüber, der im selben Moment meinen Blick auffing. Er hatte die Stirn besorgt in Falten gelegt, auch wenn er nur freundlich dreinschaute. Ich seufzte ebenso dramatisch auf wie Louis neben mir es vor einigen Sekunden getan hatte. Es war ja süß, dass sie sich alle offenbar Sorgen machten, weil wir einen Flug zu einem anderen Kontinent vor uns hatten, aber das war nichts, was mehr Gefahr bot, als mitten in London ein paar Straßen zu überqueren.
Außerdem würde ich auf Harry achtgeben, wie versprochen. Und Nils war ja auch noch da, wenn die mir nicht vertrauten, was in der Hinsicht allerdings echt gemein wäre.
,,Zayn hat recht.", stellte Emma plötzlich fest und schlug so überraschend mit der flachen Hand auf die Tischplatte, dass wir alle erneut synchron zusammenzuckten. Himmel, mussten diese kleinen Ausbrüche denn sein?! Konnte man nicht seine Meinung sagen oder die Küche verlassen, ohne alle zu erschrecken? Ich grummelte leise und nahm einen Schluck Tee zu mir. Die heiße Flüssigkeit rann mir den Hals hinab und allmählich freundete ich mich mit dem Gedanken an, gleich zur Schule zu müssen. Naja, zumindest akzeptierte ich ihn.
,,Wir sollten happy sein, das hier ist die größte Chance, die es gibt, um Harry zu beweisen, dass er ohne Derek auskommt. Also freut euch ein bisschen, dass Franzi und Louis sich diese Sache so gut überlegt haben. Ohne die Idee säßen wir immernoch Trübsal blasend hier und würden Mordpläne schmieden, weil es einfacher zu sein schien, Derek zu töten, als Harry zu einer Trennung zu bewegen."
Emma starrte uns alle der Reihe nach mit Entschlossenheit im Blick an und ich musste grinsen. Liam hingegen hob die Hände wie um sich zu ergeben. Seine Miene wirkte geschockt.
,,Ich habe nie an einen Mord gedacht!"
Natürlich nicht. Liam war der Letzte von uns, der jemals ein Gesetzt brechen oder gewalttätig werden würde. Sogar Emma traute ich eine Prügelei zu, sollte irgendjemand es wagen, sie oder Nils zu beleidigen. Vielleicht würde sie sich sogar für mich schlagen. Liam würde vermutlich eher eine schöne, schlagfertige Diskussion beginnen.
Ich schlürfte zufrieden weiter meinen Tee. Ein paar Minuten hatten wir ja noch.
,,Ich schon.", behauptete Niall dann und löste damit sogar bei Louis einen kleinen Lachanfall aus. Das Bild in meinem Kopf, wie sich ein konzentrierter Niall nachts in die Küche schlich, um ein Messer zu stehlen, das als Mordwaffe dienen sollte, war aber auch einfach nur urkomisch. Niall würde nicht mal in Dereks Reichweite gelangen, um ihm Schaden zuzufügen, da war ich mir sicher.
Andererseits hatte ich den Iren auch im Krankenhaus gesehen, als Derek das Handgelenk des schlafenden Harry vor Wut zerquetschen wollte. Damals war Niall zu einer blonden Furie mutiert und hatte den Muskelprotz ganz schön angefahren. Und ordentlich zugepackt. Vielleicht könnte er doch einen Mord begehen, wenns um Harry ging.
Ein kleines bisschen gruselig war das ja schon.
,,Schön zu wissen, dass ich mit einem potenziellen Mörder zusammenlebe.", lachte Emma und zwinkerte Niall zu. Der verschränkte bockig die Arme vor der Brust. Ausgelacht wurde er nun mal nur ungern. Auch wenn das Glitzern in seinen Augen mir verriet, dass er sogar halbwegs stolz über diese Tatsache war. Sollte ich das jetzt wirklich unheimlich finden? Andererseits...selbst hatte ich ja auch mal kurz zwischendurch ein wenig Mordlust empfunden, so war da ja nicht...
,,Sind wir mal ehrlich, nicht mehr viel und wir hätten alle die Messer gezückt, nicht?", verschlimmerte Nils die ganze Situation noch weiter und erntete damit zwar einen Lacher seiner Freundin, aber einen ungläubigen Blick von Liam. Der arme Kerl schien sich das wirklich zu Herzen zu nehmen. Manche Witze waren eben keine Liam-Witze.
,,So denkst du? Ich bin kein Mörder! Jetzt mal im Ernst Leute, man spaßt nicht über Mord und..."
,,Liam! Lass dich doch nicht so auf die Palme bringen. Ich versteh nicht mal was dein Problem is, die machen doch nur Spaß.", zischte Louis genervt, bevor Liam eine seiner moralisch orientierten Reden schwingen konnte. Ein bisschen war ich ihm da ja schon dankbar, andererseits musste er Liam auch nicht so anfahren. Selbst wenn der grade irgendwie alles zu ernst nahm.
,,Aber...!", erboste sich Liam, vermutlich innerlich vollgestopft mit Ideen, wie er uns erklären konnte, warum ein paar Witze über Tötungsdelikte schrecklich falsch waren, aber er kam nicht weit.
,,Beruhigen wir uns doch alle mal, hm? Es ist unser letzter gemeinsamer Morgen für die nächsten anderthalb Wochen, den sollten wir nicht so beenden, oder?", klinkte sich Zayn mit einer beruhigenden Stimme in die Streiterei ein und beendete sie, bevor sie richtig beginnen konnte. Gott sein Dank. Ich hätte hier noch ewig gesessen und meine Pancakes gefuttert.
Liam brummte ein wenig, vermutlich war er beleidigt, weil er uns nicht hatte belehren können, aber wenigstens gab mir das einen Moment Ruhe. Jetzt schien das Hauptaugenmerk der Anderen wenigstens nicht mehr auf mir und meinem Essverhalten - oder eher der Tatsache, dass sie sich alle Sorgen bis zum Umfallen machten - zu liegen, sondern auf ihren eigenen Tellern. Das war doch mal ein Fortschritt.
Ich beendete mein Frühstück mit einem letzten Schluck Tee und rieb mir dann einmal müde über die Augen, bevor ich es Harry gleichtat und mich für die Schule fertig machte. Unsere Koffer würden wir in Louis Auto verstauen, der Blauäugige würde uns nach Schulschluss sofort zum Flughafen fahren. Und vermutlich einen kleinen Abschiedsaufstand anzetteln. Es sei ihm gegönnt.
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Der Vormittag in der Schule verlief ziemlich scheiße.
Naja, was hatte ich auch erwartet. Gut, ich hatte gehofft, freundliche Lehrer zu haben, die kaum Aufgaben über die Studientage verteilten und vielleicht am letzten Tag ein paar unnötige Filme mit uns schauten, aber nein. Solche Lehrer hatte ich leider nicht. Schon vor der ersten Pause besaß ich einen Hefter voll mit Aufgaben, die zu erledigen waren, und ich hatte noch 4 Fächer vor mir. Das würden ja lustige freie Tage. Und die blöden Prüfengen standen dann auch noch an.
Ein bisschen Genugtuung verschaffte mir dann aber doch Niall, der ungefähr doppelt so viele Aufgaben kassierte hatte wie ich. Das kompensierte meinen Neid auf Zayn, der nicht mal fünf Blätter zusammenbrachte. Blödmann.
,,Noch ein paar Stunden, dann gehts in die Freiheit.", jammerte Nils, als wir gemeinsam im Atrium die Pause verbrachten und uns gegenseitig bemitleideten oder beneideten. Ich bemitleidete niemanden. Hatte Niall doch verdient, ich musste dem Kram ja auch machen.
,,Wenn du eine kleine Flugzeugkabine voller fremder Menschen und gruseligen Turbulenzen zwischendurch als Freiheit betitelst, dann erklär mir nochmal deine Flugangst.", neckte ich meinen Bruder und bekam dafür die Zunge rausgestreckt. Dass Harry ein kleines bisschen blasser wurde und Louis mich deshalb böse anstierte, bemerkte ich nur am Rande.
Meine Aufmerksamkeit konzentrierte sich seit einigen Sekunden nämlich nur auf die beiden Typen, die grade das Treppenhaus hinter sich ließen und ebenfalls das Atrium betraten. Zwei Typen, die ich nicht hier sehen wollte. Derek und Nick, die scheinbar synchron mit ihren Blicken die anwesenden Schüler nach uns - nach Haz - durchsuchten.
Unsicher biss ich mir auf die Unterlippe. Sollte ich die anderen unauffällig hier raus lotsen?
Zu meinem Glück erwies sich eine Flucht als unnötig. Nicks inzwischen nicht mehr ganz so gigantischer Fanclub bedrängte eben diesen nämlich grade jetzt, um ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Meine Güte, ich hätte nicht gedacht, dass ich diesen dummen Mädels ohne Hirn mal dankbar sein würde. Andererseits war auch ich auf Nick reingefallen...ich besaß vermutlich nicht wirklich mehr Gehirnkapazitäten als die da drüben.
Ich wandte den Blick vom sichtlich genervten Derek ab, der das ganze Spektakel mit geballten Fäusten zur Kenntnis nahm, und betrachtete meine Freunde. Hatte noch jemand die zwei Blödmänner gesichtet?
Harry glücklicherweise nicht, er wandte beiden den Rücken zu und sprach angeregt mit Niall über irgendeinen englischen Sänger, den sie wohl beide ziemlich toll fanden. Ich atmete aus. Ich wollte diesen fast schon traumatisiert wirkenden Ausdruck, den Haz seit dem Geburtstag immer dann bekam, wenn er Nick oder Derek über den Weg lief, nicht mehr an Harry sehen. Glücklich gefiel er mir besser und wegen dem Flug hatten wir - zumindest Nils und Harry, die Angsthasen - schon genug Sorgen.
,,Wollen wir vielleicht raus gehen und ein bisschen frische Luft schnappen?", schlug Louis ziemlich kontextlos vor und ich hob eine Augenbraue. Louis zuckte mit den Schultern und nickte Richtung Treppenhaus, als er meinen Blick auffing. Ah, er hatte die zwei auch gesehen.
,,Aber da ist es so kalt und nass und...", beschwerte sich Niall auf der Stelle, aber bevor er sich weiter beschweren konnte, verdrehte Louis nur vielsagend die Augen und stierte den Iren böse an, der eigentlich nichts dafür konnte...auch er wandte dem Eingang des Atriums den Rücken zu.
,,Zieh halt deine Jacke an. Los, kommt schon."
Louis Stimme duldete keinen Widerspruch und sekundenschnell stiefelte unsere ganze Gruppe dem Blauäugigen hinterher bis zu einem der Seiteneingänge, als seien wir eine kleine Entenfamilie und Louis die Mutterente. Ich grinste bei dem Gedanken.
Als ich hinter Zayn und Emma durch die Glastür ins Freie trat, pfiff mir augenblicklich der kühle Frühlingswind des März um die Ohren. Die Kälte brachte mich augenblicklich zum Zittern, weshalb ich mir meine Jacke enger um die Schultern wickelte und den Kopf so drehte, dass ich den Luftzug, der gleichzeitig wie Stichen tausender Eiszapfen und wie eine Woge aus Freiheit schmeckte, nicht direkt ins Gesicht geweht bekam. Meine Nase und meine Wangen würden in ein paar Minuten allerdings so oder so rot schimmern.
Der Nieselregen, der London seit Tagen gefangen hielt und die Wolkendecke über der Stadt nicht für eine Sekunde auflichten ließ, verschlimmerte das ungemütliche Wetter nur noch zusätzlich. Ich rümpfte die Nase. Scheiß Wetter. Aber lieber Louis als Mamaente, Wind und Regen als die zwei Arschlöcher da drin.
,,In ein paar Stunden sitzen wir in der Sonne!", gab mein Bruder dann auch noch an und verschlechterte die Stimmung zwischen uns nur noch weiter. Empathie und Fingerspitzengefühl waren ja auch Fremdwörter für ihn. Harry grinste allerdings, als Louis diesen Satz raushaute. Wenigstens hielt das Louis davon ab, Nils so richtig seine Meinung um die Ohren zu hauen.
Schweigen hing zwischen uns in der Leere wie die Luftfeuchtigkeit in der Luft und ich schloss für einen Moment die Augen, um die Ruhe zu genießen. Ich atmete London ein und Franzi aus, während die Regentropfen sanft auf meine Haut trafen und mein Gesicht angenehm mit Spuren von Wasser überzogen. Ich spürte mein Herz hüpfen.
So sehr ich mich auf die Strände, das weite, offene Meer, meine Pferde und meine Oma freute...London hatte seinen eigenen Charme und Ich war der Stadt längst verfallen. Ich würde sie vermissen, selbst wenn es nur um ein paar Tage ging.
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Louis bestand wie erwartet darauf, uns so weit wie nur möglich in den Flughafen hinein zu begleiten.
Wenn es nach mir ginge, wären wir ihn schon beim Parken losgeworden, denn das war eine reine Katastrophe gewesen und hätte Louis uns lediglich schnell mit unserem Gepäck rausgelassen, hätten wir nicht so viel Zeit verloren. Die fehlte uns jetzt nämlich, um in Ruhe einzuchecken.
Aber hey, letztendlich standen wir dann doch im richtigen Terminal und auch der Check-in war schnell gefunden. Louis wurde immer nervöser, der Moment, wo er sich von uns trennen mussten, weil wir in den luftseitigen Bereich des Flughafens eintreten würden, kam immer näher. Ich schenkte ihm ein kleines Lächeln, auch wenn ich mir doch mehr Sorgen um Haz und Nils machte, die beide ganz schön weiß um die Nase waren. Die Angst, dass Harry doch noch abspringen würde, war ziemlich groß.
,,Kommt schon, wir müssen unsere Boardkarten abholen, Jungs. Louis, warte kurz hier, ja?", versuchte ich, den ganzen bürokratischen Teil hier hinter uns zu bringen, damit wir zumindest unsere Plätze sicher und das Gepäck abgegeben hatten. Sentimentalität konnte bis danach warten.
Es hatte schon lange genug gedauert, bis der Rest der WG und freigegeben hatte. Jeder der Jungs wollte eine Umarmung zum Abschied und nicht nur Niall, sondern auch Zayn, Liam und sogar Emma hatten mich schwören lassen, nach Haz zu sehen. Jeder hatte noch schnell Grüße an die Familie ausgerichtet - wie es aussah, hätte Zayns Mom am Liebsten jeden von uns zu Besuch bei sich gehabt - und die ganze Atmosphäre war irgendwie einer Beerdigung gleich gewesen. Dabei hatten wir Urlaub. Und fuhren nach Hause. Eigentlich sollten wir glücklich sein, aber wie beim Frühstück heute Abend war uns allen bewusst, dass es hier nicht um den Urlaub ging.
Und wir waren alle ein ganz kleines bisschen abhängig voneinander.
,,O-Okay.", stammelte Harry und folgte mir nach einem kurzen Blick zu Louis zum richtigen Schalter. Nils stolperte uns hinterher. Hoffentlich übergab er sic nicht gleich in eine der Topfpflanzen hier. Das wäre peinlich.
Als wir über die hellen Fliesen stiefelten und ich die aufgeregten Stimmen der Passagiere um uns herum wahrnahm, überrollte mich eine bittersüße Erinnerung. Vor all den Monaten war ich genau hier mit einem Flieger aus Australien gelandet, sehr viel unreifer, voller Wut und Nervosität, unsicher, wie mein weiteres Leben verlaufen würde. Louis und Zayn hatten in den ersten Augenblicken auch nicht wirklich zu meiner Beruhigung beigetragen, aber trotzdem hatte ich in London das gefunden, was mir eigentlich immer gefehlt hatte: Freundschaft. Und zwar richtige, wahre Freundschaft.
Ich spürte ein wenig Nostalgie in mir aufsteigen, als ich an die vielen gemeinsamen Frühstücke dachte, bei denen immer wieder alle Morgenmuffel zum Lachen gebracht wurden, an die gemütlichen Filmabende, die Adventszeit voller Kekse und Wärme, das Weihnachtsfest, welches auf jeden Fall eines meiner Schönsten gewesen war, ja, auch Silvester war eine tolle Erfahrung gewesen, genauso wie der Zusammenhalt der WG, wann immer jemand litt.
Auch die schlechten Zeiten, Harrys Panikattacken, der Krankenhausaufenthalt, die schwierigen Gespräche danach, sein Geburtstag und die letzten Tage voller Angst und Unsicherheit bewiesen mir, wie eng diese Freundschaft war.
In diesen paar Monaten war ich diesen Menschen so verdammt nah gekommen, hatte meinen Kummer und meine Freude mit ihnen geteilt, mit ihnen gelacht und geweint, war Teil dieser Gruppe geworden, als wäre ich schon ewig an ihrer Seite und sie an meiner. Ich hätte letzten Sommer nicht gedacht, dass ich Menschen finden würde, die mir so wichtig werden würden, dass ich Australien und meine Oma kaum vermissen musste, solche Menschen, die es absolut wert waren, für sie zu kämpfen zu zurückzustecken.
In dieser kurzen Zeit war viel passiert, ich hatte gelernt, dass das Leben niemals fair war, aber dass es immer Wege gab, mit ihm umzugehen. Ich hatte verstanden, was Liebe war, ich hatte erkannt, was es bedeutete, jemanden mit allem, was man hatte, beschützen zu wollen. Ich hatte gesehen, dass es viel Dunkles auf dieser Welt gab, vor dem mich mein Schicksal bewahrt hatte, und dass es sich lohnte, immer wieder aufzustehen, weil es Menschen gab, die einen niemals im Stich ließen.
Ich hatte zum ersten Mal seit dem Tod meiner Mutter erkennen können, dass mein Kampf gegen die Trauer, all die schweren Momente nach ihrem Verlust, die Zeiten, in denen ich dachte, ohne sie keinen Sinn mehr zu sehen, nicht umsonst gewesen waren. Ich hatte gelebt. Geliebt, verloren, gelacht, geweint, gefürchtet, gekämpft. Ich hatte gelebt.
London war mein zweites Zuhause geworden, die WG der Ort, den ich für immer in meinem Herzen tragen würde. Das konnte mir niemand nehmen. All die Erfahrungen und diese Menschen, die ich aufrichtig liebte.
Nils, der nie der perfekte Bruder gewesen war, der mich viel zu früh nach unserem Kennenlernen in Australien zurücklassen musste. Er und ich waren inzwischen wirkliche Geschwister geworden und ich wusste, dass wir uns niemals wieder verlieren würden.
Emma, die erste Freundin, die ich je gehabt hatte. Und die Beste, die man sich wünschen konnte. Ihre warme Art und Hilfsbereitschaft hatten mich auf den kalten Fliesen in Dereks Badezimmer gerettet.
Niall, mein Kindheitsfreund, den ich immer vermisst aber nie wirklich gekannt hatte, bis wir uns wiedersahen. Er war eine Person, ohne die ich nicht mehr sein wollte, sein Herz war gut und hell, sein Lachen das, was jeden Moment in etwas Schönes wandeln könnte.
Zayn, der Junge, der ebenfalls mein Bruder sein könnte. Chauffeur, Fake Badboy und Beschützer in Einem. Er trug sein Herz auf der Zunge und ich wusste, dass er mich ebenso lieb gewonnen hatte, wie ich ihn. Er war immer für einen Spaß zu haben, es sei denn, es ging um seine Haare.
Louis, ein Mensch, den ich anfangs wirklich nicht hatte leiden können. Er war auch nicht begeistert von mir gewesen, aber heute hatten wir zusammen gelebt, gelacht und geweint. Und zusammengearbeitet, als es darauf ankam. Ich wünschte ihm jedes Glück, was er nur haben könnte.
Liam, mein Verbündeter, dem ich mit absolut Allem vertrauen würde, dessen Rat Gold wert war. Ich hatte ihn zurecht als Teddybären bezeichnet, als ich ihn kennengelernt hatte, seine ruhige Art und der Wunsch, seine Lieben mit seiner großen Umarmung zu schützen, waren einfach nur bewundernswert. Ich wusste, dass er da war.
Harry, vermutlich der Besonderste von allen. Er hatte sich in den letzten Monaten so verändert wie jeder von uns. Noch immer war er die Liebe in Person, seine Freundlichkeit und riesige Zuneigung allem und jedem gegenüber sprudelte nach wie vor aus jeder Pore seines Körpers, aber Harry hatte auch bewiesen, dass er nicht nur ein kleiner, sorgloser Junge war, der umarmt werden wollte. Er hatte gezeigt, dass in ihm schrecklich viel Trauer, Schmerz und Dunkelheit steckte, die ihn von Zeit zu Zeit aufzerren wollte. Er brauchte Hilfe. Und ich würde sie suchen. Weil ich ihn so liebte, wie er mich liebte. Dieser Junge hatte die Welt verdient.
Ich liebte meine Freunde und um nichts in der Welt würde ich die letzten Monate ungeschehen machen. Ich lächelte.
,,Der Schalter da ist der Richtige, ich hab nachgesehen.", unterbrach Nils mit leicht bebender Stimme meine romantischen Gedankengänge und ich blinzelte, bevor ich seinem ausgestreckten Zeigefinger folgte und mich mit einem ziemlich überforderten Harry im Schlepptau beim Check-in einschleuste. Die Familie vor uns würde hoffentlich nicht eine halbe Ewigkeit brauchen, denn die hatten wir dank den Parkproblemen ja nun nicht mehr.
,,Alles klar, Haz?", versicherte ich mich bei meinem besten Freund, der über seine Schulter hinweg zu Louis hinüber starrte, der wie ein verlassener Welpe alleine in der Mitte der riesigen Halle herumstand.
,,Was? Ja...ja klar. Ich bin nur...nur noch nie geflogen.", stammelte Harry unsicher und blinzelte zu mir herüber, die Unsicherheit in seinen Augen konnte er mir nicht verschleiern. Ich lächelte beruhigend und stellte meine vollgestopfte Sporttasche ab - den meisten Kram, den man brauchte, hatte ich in Australien ja sowieso - um nach Harrys Hand zu greifen. Sachte drückte ich sie.
,,Du musst keine Angst haben, Fliegen ist sehr viel ungefährlicher als Autofahren. Oder in London joggen gehen. Oder..."
,,Aber dafür viel gruseliger", unterbrach mich Nils grummelnd und Harry wurde noch ein Stückchen weißer. Na herzlichen Dank, Bruderherz. Ich funkelte ihn wütend an und verkniff mir einen bösen Kommentar nur wegen der Frau am Schalter, die sich jetzt uns zuwandte. Die Familie war wohl fertig.
,,Und Sie?", motzte sie gelangweilt und fuhr sich mit der Hand durch die grün eingefärbten Strähnen. Ich brachte alle meine Freundlichkeit auf, um ihr zu antworten. Ich nannte ihr unseren Flug und beobachtete Harry, während sie unser Gepäck wiegen ließ. Er wurde immer bleicher. Hoffentlich klappte er mir hier nicht zusammen.
,,Gut, ihr Gepäck wird dann jetzt verladen, Handgepäck nehmen Sie mit zu den Kontrollen. Hier sind Ihre Boardingkarten, haben Sie einen angenehmen Flug.", ratterte die Dame der Fluggesellschaft herunter, bevor ich Harry fragen konnte, ob er sich nicht lieber setzen wollte. Die wollte uns loswerden. Na gut, besser so.
,,Danke, gleichfalls.", verabschiedete sich Nils und schlug sich im Weggehen gegen die Stirn. Tja, wenn man erst redete und dann nachdachte, kam eben so ein Müll dabei rum. Als würde die Grünhaarige heute noch fliegen.
,,Gleichfalls.", wiederholte jetzt Harry und ein kleines Kichern entkam seinen Lippen, was mich dazu veranlasste, Nils den bösen Blick zu ersparen. Wenn er Harry bei Laune hielt, bis wir sicher in Australien ankamen er keinen Rückzieher mehr machen konnte, würde ich ihm irgendwas ausgeben.
,,Und? Habt ihr's?", empfing uns Louis besorgt wieder zurück in der Halle. Die Passkontrolle wäre der nächste Stopp - davor müssten wir uns verabschieden.
,,Alles Bestens. Sind so gut wie in der Luft.", versicherte ich den angespannten Louis beruhigend. Ich wusste nicht, ob er ebenso wie ich einen Rückzieher fürchtete, oder ob er einfach nur jetzt schon den Abschiedsschmerz im Herzen trug, aber ich wollte ihm zumindest die erste Sorge nehmen.
,,Okay."
Louis blieb wortkarg und ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht lesen, aber sein Blick fand Harrys Augen. Die Luft zwischen uns funkelte. Nils packte meinen Arm und zog mich ein paar Schritte zur Seite, um den beiden ein bisschen Raum zu geben. Die Zeit des Abschieds war wohl gekommen.
,,Komm, wir gehen mal ein Stück spazieren. Ich weiß nicht genau warum, aber die zwei brauchen mal ein bisschen Zeit alleine.", flüsterte mein Bruder in mein Ohr und ich grinste. Gut gut. War okay für mich.
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Als wir Harry wieder einsammelten - mehr als zwanzig Minuten waren einfach nicht drin, egal wie nah die zwei besten Freunde sich standen oder wie sehr sie sich vermissen würden - war die Farbe in sein Gesicht zurückgekehrt und seine hellen Augen glitzerten wieder. Was auch immer Louis gesagt oder getan hatte, ich dankte ihm im Stillen dafür. Auch, wenn der Blauäugige jetzt wie ein Untoter vor sich hin starrte.
Die zwei waren echt süß, aber ich konnte die Dramatik nicht zu hundert Prozent nachvollziehen. Sie würden sich ja bald wiedersehen. Und Louis wusste ja, dass ich für Hazzy da sein würde.
Andererseits hatte Louis ja auch Gefühle für Harry.
,,Wir müssen jetzt zur Passkontrolle, okay?"
Louis seufzte und lächelte gleichzeitig. Er drückte Harry ein letztes Mal an sich, als wolle er seinen Geruch nie wieder vergessen. Dann griff er nach meinem Arm und ich zuckte überrascht zusammen, ließ die Umarmung aber irgendwie dankbar zu. Ich schmiegte mich für einige Sekunden an seine Seite und genoss die ungewöhnlich sanfte Freundlichkeit. Louis und ich waren wahrlich Freunde geworden und ich freute mich innerlich wie ein kleines Kind darüber, dass wir uns nicht mehr ständig an zickten.
Auch Nils drückte Louis kurz und fest an sich, wie um die Worte auszudrücken, die sie nicht teilten.
Harry schulterte seinen kleinen Rucksack, ich tat es ihm gleich. Die Zeichen standen auf Aufbruch.
,,Bis in ein paar Tagen.", verabschiedete ich mich kurz angebunden und nickte Louis noch einmal zu, bevor ich mich als Erste umdrehte und davon stiefelte, um die Kontrolle zu erreichen. Es tat mir ein bisschen leid Louis jetzt so abzuservieren, aber er hatte so lange mit Harry allein geredet, dass jetzt einfach keine Zeit mehr übrig blieb. Und das hatte ich ihnen ja auch gegönnt, aber...ich wollte jetzt diese Kontrolle durchqueren. Danach wartete schließlich noch einiges an Wartezeit auf uns. Ich seufzte. Die Sicherheitskontrollen nervten zwar, waren aber absolut notwendig. Und ich würde drei Kreuze schlagen, wenn wir endlich in der Maschine säße und abhoben.
Nils trat an meine Seite in die Schlange vor den Schaltern und seine Schritte auf den polierten Fliesen gingen im lauten Geplapper um uns herum unter. Dieser Flughafen war deutlich voller als ich es gut finden würde und die Lautstärke war erschreckend. Ich freute mich auf die Ruhe im Flieger, wenn ich meine Kopfhörer aufsetzten konnte.
Die Schlange rückte ein Stück vor und ich drehte mich um, um Harry herzuwinken, der sich doch noch einmal in Louis Arme geworfen hatte und jetzt hinter uns her tapste. Ich vermied einen weiteren Blick zu Louis, um nicht noch mehr Mitgefühl zu empfinden. Sie würden sie ja bald wiedersehen!
,,Pässe raus, wir sind bald dran.", empfing Nils Haz lächelnd und zwinkerte ihm freundlich zu, was der Lockenkopf beinah authentisch erwiderte. Er kramte den Schein hervor und hielt ihn dem zufriedenen Nils unter die Nase. Wenigstens waren wir alle diesbezüglich ausgestattet.
Ich seufzte. Ich wollte mich einfach nur nach Australien Beamen und Louis traurigen Blick vergessen, danke.
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Das Leben war allerdings bekanntermaßen kein Wunschkonzert und genau deshalb kostete es uns auch noch exakt eine Stunde und 7 Minuten, die Pass - und die Sicherheitskontrolle zu überstehen, uns einen Tee zu besorgen, den dann wegen schlechter Qualität traurigerweise wieder zu entsorgen und unser Gate zu finden.
Nach ein paar Minuten des gelangweilten Herumsitzens schafften wir es dann irgendwann, unseren Aufruf mitzubekommen und uns anzustellen. Ich hätte gewettet, dass wir am Ende im falschen Flugzeug landen würden, so oft, wie Nils sich wegen der Nummern vertan hatte, aber ausgerechnet der Erstflieger Harry beruhigte die Situation und sorgte dafür, dass wir irgendwann tatsächlich vor einer Stewardess mit interessantem Tattoo am Handgelenk zu unseren Plätzen begleitet wurden.
Ich atmete erleichtert auf, als ich mich in den Sitz fallen ließ - am Fenster, weil Nils dort nicht sitzen konnte ohne, dass ihm schlecht wurde und weil Harry sicherheitshalber auch lieber Abstand davon hielt - und beobachtete, wie der Rest der Passagiere lautstark die Kabine füllte. Wenigstens hatte ich Oma eben dank des freien WLANs im Flughafen noch schreiben können, dass wir bald starten würden.
,,Wir fliegen gleich wirklich los, oder?", stammelte Harry neben mir leise und ich blickte zu ihm rüber.
,,Ja. Ab nach Australien." Ich lächelte.
,,Ich hätte nicht gedacht, dass ich wirklich hier sitzen würde.", gab der Lockenkopf kleinlaut zu und grub seine Finger in die Polster seines Sitzes. Mit großen Augen sah er sich um.
,,Im Flugzeug?"
,,Ja...nein...generell. Ich meine, ich hätte nie gedacht, dass ich London je verlassen würde und dann noch ausgerechnet nach Australien. Das ist so...groß. Ich...es ist so unwirklich, weißt du? Die ganze letzte Woche hab ich mich wegen dieser Entscheidung gequält, ich wusste nicht, ob ich mein Wort wirklich halten könnte, aber wie es aussieht...bin ich stärker als ich dachte." Harry lächelte, auch wenn es ein wenig bitter war.
Mir ging das Herz auf. Dieser Flug war jetzt schon ein riesiger Schritt für Harry und trotzdem ging er ihn. Nicht ohne zu Zögern, aber er hatte sich frei dazu entschieden. Und das machte mich verdammt stolz, auf ihn, auf mich, auf Louis und die anderen. Wir standen hier an einem Wendepunkt.
Mein Mathelehrer würde mich jetzt die Koordinaten davon ausrechnen lassen.
,,Du bist verdammt stark, Haz, und ich bin sehr stolz auf dich. Diese Reise wird toll, ja? Und ich hoffe wirklich, dass du sie zumindest etwas genießen kannst...oder etwas aus ihr lernst.", antwortete ich leise, während die letzten Passagiere ihre Plätze fanden und die Stewardess mit der Sicherheitsbelehrung begann. Harry lächelte mich zwar schwach, aber dennoch aufrichtig an und seine Finger fanden meinen Unterarm.
,,Danke.", hauchte er.
Und dann dauerte es nicht mehr lange, bis wir London von oben sahen. Die Wolkendecke meinte es überraschend gut mit uns.
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Es ist zu lang , es ist eines meiner Schlechtesten und die 100. Ich hoffe, ihr hasst mich nicht. Schönen Abend noch!
Ach ja...nochmal danke für deine ganze Arbeit... Hat mich echt glücklich gemacht! <e
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