18. Das Böse liegt im Alter
Hinter der Kasse hockt ein rundlicher Mann mit Brille. Kaum taxieren mich seine Knopfaugen, verformen sie sich zu misstrauischen Schlitzen.
„Man hat mich zur Hilfe für den Förster geschickt", äußere ich mich sachlich und nähere mich der Gestalt am Tresen, die eine brummende, unverständliche Antwort verlauten lässt. Geschickt stößt er die Klinge seines Sackmessers in die Miniaturform eines hölzernen Vogels. Nur noch ein zweiter Flügel braucht er, dann verstaubt er vermutlich wie alle anderen Skulpturen in einem der Regale, darauf wartend, endlich von jemandem gekauft und an einen schöneren Ort gebracht zu werden.
„Schon mal einen Baum gefällt, Mädchen?", stellt er eine Frage, bei der keine Zeit für eine Antwort übrigbleibt. „So wie du aussiehst ganz bestimmt nicht."
Ein Husten weicht aus seinem Rachen, ein möglicher Versuch eines rauen Lachens. In Gedanken erinnere ich mich an Aisha zurück und wie ich ihr versprochen habe, freundlicher zu handeln. Also schüttle ich den Kopf, trete einen weiteren Schritt an ihn heran. „Tatsächlich bin ich in diesem Gebiet unerfahren. Doch ich lerne schnell."
Die buschigen Brauen meines Gegenübers rücken aneinander. Nicht mehr viel und sie vereinen sich zu einer langen Linie aus schwarz-grauen Haaren.
„Das sagen sie alle." Der Förster pfeift uninteressiert durch seine Vorderzähne. Mit einem Ruck schiebt er eine der Thekenschubladen zu. „Schon mal geklaut?"
„Wie bitte?" Meine Fassungslosigkeit treibt Hitze durch meine Venen. Bei einer solche Frechheit weigere ich mich, auf Nettigkeiten zu setzen. Ich stemme die Hände in die Seiten, schlucke meine bissigen Kommentare hinunter.
„Du hast schon richtig gehört. Ihr Kleinkriminellen haltet euch alle für so schlau. Dabei seid ihr keinen Deut besser als der Rest." Energisch bläst er Späne von der oberen Glasschicht des Schranktisches. Sie regnen zu Boden, treffen auf Staub und andere Überbleibsel früherer Kunstwerke.
Nachdenklich verschränke ich die Arme. Mir bieten sich mehrere, mögliche Antworten. Wenn ich wollte, könnte ich ihm die Wahrheit sagen. Die, in der ich absolut nichts verbrochen habe – jedenfalls nicht in Anbetracht das Gesetztes. Oder aber ich verteidige, was er so breitwillig angreift. Denn wer nicht kennt, der darf auch nicht urteilen. Dem Bauchgefühl nach entscheide ich mich für keines der beiden.
„Wenn Sie dieses Projekt so sehr verabscheuen, warum schreiben sie sich dann dafür ein?", hake ich zuckersüß nach und ernte ein herablassendes Schnauben.
Bei einer so liebreizenden Begegnung wie dieser hier fällt es mir leicht, die bekannten Jugendbücher nachzuvollziehen. Die neue, raffinierte Generation gegen die engstirnigen, gnadenlosen Erwachsenen. Präsident Snow wäre bestimmt stolz auf den Herrn vor mir, wo er in feinster Manier repräsentiert, was andere stürzen wollen. Oder diese Forscherin aus The Maze Runner, die sich meiner Auffassung nach am Ende des ersten Filmes grundlos tot stellt.
„Meine Enkelin hält es für eine gute Idee." Und da blitzt sie auf, ähnlich einem Schatz in den Untiefen einer stürmischen See. Die Verbindung, die Hoffnung bringt. Wenn Alt und Jung zusammenarbeiten, benötigen wir keine Kriege, keine Revolten, keine unnötigen Zänkereien. Aber vor allem resultiert aus einem solchen Eingeständnis, dass dieser Herr genauso sehr von menschlichen Beziehungen abhängt wie alle anderen auch.
„Dann geben Sie mir eine Chance und sie werden die Meinung ihrer Enkelin umso mehr schätzen lernen." Meine hochgezogenen Mundwinkel wirken bestimmt ein wenig erzwungen, macht mir die Situation den Eindruck eines schlechten Spruchs aus einem Werbespot, dennoch meine ich ehrlich, was ich sage.
Vielleicht schickt er bei einem schlechten Arbeiten meinerseits alle zukünftigen Bewerberinnen und Bewerber fort, aber immerhin ist er in diesem Szenario mit denen in Kontakt gekommen, über die momentan nichts weiter als Vorurteile in seinem konservativen Gehirn herumwuseln. Er kratzt sich an der Schläfe, die Lippen eisern zusammengepresst.
„Warum nicht", lenkt er nach einer unangenehm langatmigen Pause ein. „Ich brauche sowieso schon seit geraumen Stunden eine Ablöse."
Er steht zitternd auf, während ich einen kleinen Freudentanz aufführe. Nur in meiner Vorstellung, versteht sich. Täte ich es wahrhaftig, hätte ich die Stelle bestimmt nicht mehr inne.
Den Regalen entlang hangelt sich der mürrische Verkäufer in Richtung einer Abstellkammer, in der ich zusätzlich eine Toilette vermute.
„Wenn etwas fehlt, ziehe ich das von deinem Gehalt ab, das schwöre ich dir!" Seine Stimme breitet sich laut und deutlich im Raum aus. In etwa so habe ich mir früher Entropie ausgemalt. Als unbändige Kraft, die sich verteilt, egal, ob sie von einem knochigen Großvater oder einem chemischen Experiment entspringt.
„Zahlen sie mir denn auch schon 'was für heute? Sie scheinen nicht mit meiner Ankunft gerechnet zu haben", wage ich mich womöglich ein bisschen zu viel aus dem Fenster.
Mein Vorgesetzter stört das überraschend wenig. Die WC-Spülung dringt schwach zu mir durch, dann höre ich seine Lackstiefel über die knarrenden Dielen scharren.
„Solltest du es bis zum Abend aushalten, werde ich es mir überlegen." Das Knacken seiner Gelenke informiert mich über seine Rückkehr. Lächelnd drehe ich mich zu ihm um.
„Sie besitzen also doch so etwas wie Humor, wer hätte das gedacht?", stachle ich ihn an. Den darauffolgenden, verärgerten Gesichtsausdruck empfange ich mit offenem Herzen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro