11. Pinguine sind Herdentiere
Nach dem Frühstück und einem zweistündigen Nickerchen im Speisesaal – Nein, ich habe gar nicht erst versucht, den Weg zu unserem Schlaftrakt zu finden – geht es mir schon um einiges besser.
Das Kopfweh zeigt sich stärker denn je, aber immerhin fühlen sich meine Lider nicht mehr so schwer an. Wer weiß, vielleicht schaffe ich es bis morgen, einen triefenden Grund zu präsentieren, warum man mich bis zehn Uhr nicht wecken darf.
Die Waschküche, für die ich als nächstes eingeschrieben bin, befindet sich im Untergeschoss und beinhaltet fast das gesamte Stockwerk. Somit brauche ich nur eine Treppe nach unten zu nehmen, um dort zu landen.
An den Wänden hängen etliche Schilder mit Angaben und Regeln für eine Schicht im Keller. Nachdenklich fahre ich über die metallenen Aufschriften. Kein Essen erlaubt. Für eigene Benutzung die hinterste Maschine verwenden. Faltungstechniken an vorhandenen Beispielen üben.
Unterhalb des letzten Textes befindet sich ein Tisch mit mehreren T-Shirts, Socken, einem Buch für das Eintragen der Schichten und ein Heft, in dem Beschreibungen für das Zusammenlegen von verschiedenen Kleidungsstücken dargestellt wird. Gelangweilt blättere ich sie durch, verstehe jedoch nicht, wie und wo ich am besten anfangen sollte.
Zum Glück taucht zwischen zwei Theken voller gestapelter Hosen ein dunkelbrauner Schopf auf. Als sich der zugehörige Körper mir zuwendet, verdrehen wir beide simultan die Augen. Er um einiges weniger auffällig als ich.
„Du auch hier?", frage ich äußerst unkreativ über die halbe Halle hinweg, doch er reagiert gar nicht erst, sondern fährt unbeirrt mit seiner Arbeit fort. Ich laufe ihm entgegen und so begegnen wir uns erneut von den brummenden Trocknern.
Die Arme verschränkt wage ich einen zweiten Versuch. „Was kann ich tun, ohne dir im Weg zu stehen?"
Wieder ignoriert er mich, räumt einfach die nassen Frottiertücher aus dem einen Gerät in einen rollbaren, hüfthohen Gitterwagen. Langsam aber sicher reicht es mir. Energisch pikse ich ihm mehrmals mit dem Zeigefinger gegen den Oberarm.
„Was soll das, hm? Bist du jetzt plötzlich zu schüchtern für eine Antwort geworden?" Fast hätte ich ein: „Jetzt, wo deine Pinguinfreunde weg sind", hinzugefügt, was er selbstverständlich nicht verstanden hätte. Schließlich handelt es sich hierbei um einen Insider-Witz zwischen mir und meinem Bruder. Männer in Gruppen halten wir für Pinguine, da sie – wie die Kleinen aus Happy Feet – nur gemeinsam stark in der grausamen Natur überleben. Den Verhältnissen angepasst, sind sie charakterlich nichts weiter als bloße Nebenfiguren ohne Inhalt und können dies erst ändern, wenn sie sich bereit zeigen, auf eigenen Füssen zu stehen. Und zwar ohne die Macht der Masse.
Mit gerunzelter Stirn zieht der Jugendliche an seinen Kopfhörern.
„Was?", macht er mich auf mein noch immer vorhandenes Deuten aufmerksam. Irritiert ziehe ich die Hand zurück. „Möchtest du mir wieder 'was wegnehmen, damit du es herumschmeißen kannst?"
Ich lächle aufgesetzt, während mein Blick auf das Display mit dem Songtitel in der Seitentasche seines grauen Kapuzenpullovers fällt. Da gibt es tatsächlich etwas, das sich dazu eignen würde. Dennoch schüttle ich den Kopf. „Ich möchte helfen. Aber ich weiß nicht wie."
„Dann lohnt es sich eher, wenn du gehst", gibt er sarkastisch gesonnen zurück. Ich greife nach seinem Arm, als er sich abwendet.
„Komm schon. Bist du jetzt echt beleidigt? Wegen einer Zigarette?" Stirnrunzelnd streiche ich mir blaue Strähnen hinters Ohr. Der Schönling betrachtet mich gelangweilt.
„Weißt du denn nicht, dass du deine Gesundheit mit Drogen aufs Spiel setzt? Wenn du früher stirbst, als deine Lebenserwartung abschätzen lässt, ist das vielleicht gut für die Krankenkasse, aber sonst bringt es nichts. Ein paar Jahre mehr sind mir wichtiger, als eingespartes Geld, dir nicht?"
Seine Mine verrät keinerlei Reaktion. Trotzdem nickt er, dann deutet er auf eine Box in der Nähe. „Dort liegen die verwendeten Putzlappen. Bei der nächsten freien Maschine leerst du die Kiste aus und wäscht den Inhalt bei Programm sechzehn."
Ich möchte mich gerade in deren Richtung bewegen, da fügt er hinzufügt: „Danach kannst du die frische Wäsche zusammenlegen. Auf dem Metalltisch befindet sich ein Gerät, mit dem du deren Chip scannen kannst, um die Stapel nach den Insassen zu sortieren."
Verwundert sehe ich in seine blauen Augen. „Unsere Kleidung wird gechippt? Meine auch?"
Ich fahre mir über mein rot-schwarzes Karohemd. Der Stoff schmiegt sich leicht und weich gegen meine Fingerkuppen.
„Ja, heute morgen wurde sie hergebracht und dann zurückgelegt."
Komisch, dass ich das erst jetzt erfahre. Um ein Geheimnis scheint es sich jedenfalls nicht zu handeln. Außer ein offenes vielleicht. Ich zucke wegwerfend mit den Schultern. Wahrscheinlich hat Linda einfach vergessen, es zu erwähnen. Als Freundin ist sie bestimmt große Klasse, aber als führende Hand muss sie wohl noch einiges lernen.
Fast so wie der Avatar. Mal von ihrer absoluten nicht vorhandenen Benderin-Erfahrungen abgesehen.
Ich lächle bei dem Gedanken an all die regnerischen Nachmittage, die ich mit dieser Serie und deren Konzepte verbracht habe. Ich werde die Witze, Freundschaften und gut ausgearbeitete Figurenkonstellationen niemals vergessen. Hoffentlich machen sie bald eine ebenso gute Realverfilmung. Das Gleiche gilt natürlich auch für Anne with an E. Wenn die Serie schon in der Originalfassung nicht mehr weitergeführt wird, braucht meine geschundene Seele wenigstens eine angenehme Fortsetzung.
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