Kapitel 5
Ava zog mich durch die verschachtelten Gänge und ich musste aufpassen, um weder über meine Füße, noch über das lange Kleid zu stolpern.
Schließlich hielten wir vor einer Tür an.
Die Tür war, ähnlich wie meine, mit Schnitzereien verziert.
Neugierig studierte ich die liebevollen Details. Im Gegensatz zu dem Eingang in "meine" Räumlichkeiten, war diese Tür zweiflügelig und bot so Platz für unzählige geschnitzte Figuren.
Direkt vor mir trank ein Einhorn aus einem See.
Ava legte eine Hand auf meinen Arm.
Ich zuckte zusammen.
"Also, das einzige was du tun musst, ist dein Kinn oben zu halten und nach vorne zu kommen, wenn du gerufen wirst."
Das sagte sich so einfach. Wieder nagte ich an meiner Lippe, was mir einen tadelnden Blick von der Heilerin einbrachte.
"Was, wenn man etwas zu mir sagt, was ich nicht verstehe? Oder wenn man mich nicht akzeptiert? Oder wenn man herausfindet, dass ich ein..."
Weiter kam ich nicht.
Ava legte sanft einen Finger auf meine Lippen. Ich konnte das Prickeln ihrer heilenden Kräfte spüren.
"Nicht hier", murmelte sie und sah sich um.
"Aber außer dir versteht mich doch sowieso keiner."
Ich wollte Antworten, bevor ich da rein ging.
Sie schüttelte den Kopf.
"Das stimmt so nicht. Lord Lorcans oberster Kriegsherr versteht Englisch. Er ist nur wenig jünger als ich und hat damals zusammen mit meinem Gefährten zuerst gegen die Menschen und dann gegen die anderen Fae gekämpft. Sie waren gute Freunde.
Er spricht ebenso gut wie ich."
Ich starrte sie an. Es gab also wirklich noch mehr Leute, die mich verstehen konnten.
Dann kam mir ein anderer Gedanke.
"Wie erklären wir ihnen eigentlich, warum ich kein Gälisch spreche?
Oder wie ich überhaupt hier herkomme?"
Ein Lächeln breite sich auf ihrem Gesicht aus und brachte ihre Augen zum Funkeln.
"Überlasse das nur mir. Wir werden ihnen sagen, dass du nicht genau weißt, wie du hierher gekommen bist. Allerdings vermute ich, dass du eine der wenigen bist, die es aus den Winterländern über die Grenze geschafft haben. Was auch immer du vorhattest, wer auch immer du warst, was du in den Bergen erlebt hast, hat dich tief traumatisiert und du willst oder kannst nicht darüber sprechen. Auch dein Name ist dir nicht bewusst, also hast du der Patrouille, die dich aufgegriffen hat, den erstbesten Namen genannt, der dir eingefallen ist.
Und was die Sprache angeht, so hat seit Jahrhunderten niemand mehr einen Fuß in die Winterländer gesetzt."
Sie stockte.
"Nun ja, zumindest ist niemand mehr zurückgekehrt, der zuverlässige Informationen über die Winterländer hätte überbringen können. Wir wissen also genauso wenig wie du."
Die Heilerin zwinkerte mir zu.
Wow, das hatte sie sich alles eben ausgedacht?
Sie bemerkte meinen erstaunten Blick und erwiderte:
"Ich habe die Zeit genutzt, in der du dich gewaschen hast."
Dankbar nickte ich.
"Warum tust du das alles für mich? Ich meine, glaub nicht, dass ich nicht dankbar wäre, aber... Warum?"
In ihren Augen schimmerte eine unglaubliche Wärme.
"Du erinnerst mich an jemanden."
Mehr sagte sie dazu nicht.
Eine Sache fiel mir noch ein:
"Ich dachte immer, Faeries können nicht lügen?"
Die Heilerin hob eine Augenbraue.
"Zuerst einmal, Faeries können durchaus lügen. Glaube niemals einer Fee. Die süßen, kleinen Dinger haben es in sich. Und ein Leprechaun bringt dich ohne zu Zögern um all dein Gold.
Aber Fae, also die Bewohner der Länder, na ja, uns sollte man erst recht nicht trauen."
Sie grinste. Dabei fiel mir auf, dass ihre Zähne ziemlich scharf aussahen. Mir schauderte es.
"Wir", fügte sie hinzu, "können zwar nicht direkt lügen, aber wir verdrehen so ziemlich alles, was wir können zu unserem Vorteil."
Sie klang beinahe bitter.
"Aber der Mann, der mich her gebracht hat, nannte mich eine Lügnerin. Nur weil ihm mein Name nicht gefiel. Was habt ihr eigentlich mit Namen?"
Ava lachte.
"Ach, für die Männer bist du ein "Wintergör". Das ist eigentlich eine Figur aus Gruselgeschichten für kleine Kinder. Ein Wintergör taucht mitten in der Nacht auf und verzaubert die, die ihre Türen und Fenster nicht gut verschlossen haben."
Auf meinen empörten Blick hin lachte sie.
Bitte? Ich sah doch nicht aus wie ein Schreckgespenst!
Aber scheinbar wie ein Wintergör, ärgerte mich diese leise Stimme aus den Tiefen meines Gehirns. Na super, jetzt redete ich schon mit mir selbst.
"Und das mit den Namen?", fragte ich, um mich abzulenken.
"Du wirst vielleicht gemerkt haben, dass du etwas gefühlt hast, als ich dir meinen Namen gesagt habe."
Ich erinnerte mich an das kurze Hochgefühl noch genau so deutlich wie an die Schmerzen bei der Heilung.
Mein Magen zog sich bei der Erinnerung zusammen.
Aber ich nickte.
Zufrieden fuhr sie fort:
"Das ist ein Überbleibsel von alter Magie. Vor unzähligen Jahren hatten Namen Macht. Man konnte jemanden kontrollieren, wenn man seinen Namen kannte. Sie wurden geschätzt wie Gold."
Sie seufzte.
"Aber heute ist nur dieses Gefühl geblieben. Jemanden seinen Namen zu nennen ist nur noch ein Zeichen von Respekt oder Vertrauen."
Sie seufzte erneut.
"Man wird alt, wenn selbst die Magie sich um einen herum verändert."
Dann straffte sie ihre Schultern und hob das Kinn.
"Jetzt ist es aber genug mit den Fragen.
Es ist Zeit. Und denk dran: Kopf hoch, Rücken gerade, Blick nach vorn."
Die Heilerin schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln.
"Du schaffst das schon."
Damit drehte sie sich um und stieß die Tür mit beiden Händen auf.
Sofort konnte ich leises Gemurmel hören, das verstummte, als Ava weiter in den Raum schritt.
Ich blieb in Ermangelung einer besseren Idee einfach in der offenen Tür stehen.
Mein Blick glitt durch den Raum vor mir. Soweit ich das erkennen konnte, saßen rechts und links von mir dunkelhäutige Fae an Tischen entlang der Wände. Das goldene Licht der Fackeln wurde von zahlreichen schwarzen Haarschöpfen reflektiert.
Ava stand mit dem Rücken zu mir.
Vor ihr, an der Kopfseite der steinernen Halle, stand ein weiterer Tisch.
Die Entfernung war zu weit, um die leisen Worte zu verstehen, welche die Heilerin an die vor ihr sitzenden Personen richtete.
Aber ich wusste, dass es sich um ihre Geschichte handeln musste.
Meine Geschichte.
Eine Lüge, von der ich nicht mal wusste, warum sie nötig war.
Warum nicht einfach erklären, dass es sich um ein Missverständnis handelte?
Ich könnte meine Zeit hier absitzen und dann wieder nach Hause gehen, aber Ava war war sehr deutlich gewesen, als sie mich durch die Gänge geführt hatte.
Es wäre sicherer für mich, wenn die anderen mich für ein "Wintergör" hielten als für einen Menschen.
Ob das wohl etwas mit diesem Krieg zu tun hatte, von dem die Heilerin vorhin gesprochen hatte?
Ein lautes Räuspern riss mich aus meinen Gedanken und als ich nach vorne sah, starrten mich gut 50 Augenpaare an.
Ava war zur Seite getreten und hatte somit den Blick auf den bei weitem kleineren, dafür aber leicht erhöhten Tisch freigegeben.
Dort saßen drei Männer und sahen mich abwartend an.
Meine Beine begannen zu zittern.
Himmel, das war ja schlimmer als vor einer Tanzaufführung!
Also gut. Schultern zurück, Kopf hoch...
Mit langen Schritten, sehr darauf bedacht nicht zu fallen, schritt ich in die Halle.
Der Teil von mir, der Lampenfieber gewohnt war, übernahm meinen Körper.
Mein Gang war sicher, mein Blick starr geradeaus gerichtet.
Ich hätte natürlich damit rechnen sollen, aber als mein Blick an dem Mann in der Mitte des kleinen Podests hängen blieb, beschleunigte sich mein Puls.
Weniger, weil er mit seinen warmen, goldenen Augen und der wilden Mähne um seinen Kopf so gut ausgehen hätte, ("obwohl er das definitiv tut!", meldete sich das Mädchen in mir), sondern weil mir erst jetzt wirklich klar wurde, was ich hier tat.
Ich gab mich als jemand aus, der ich nicht war und war außerdem im Begriff, die Lady eines Fantasy-Reichs zu werden, von dem ich, wie mir jetzt auffiel, noch nicht einmal den Namen kannte. Und zu allem Überfluss war ich praktisch verheiratet auf Zeit mit jemandem, den ich nicht mal kannte.
Bevor ich mich selber wieder in Hysterie versetzen konnte, studierte ich das Gesicht meines zukünftigen ... Was auch immer er für mich war.
Beim Näherkommen fiel mir auf, dass seine Haut heller war, als die der anderen um mich herum. Immer noch bei weitem dunkler als mein kalkweißer Teint, aber eher goldbraun als kaffeefarben.
Vielleicht war das aber auch einfach nur das warme Licht, was alles mit einem kitschigen Goldschimmer überzog.
Oh je, Mädchen! Reiß dich zusammen!
Ich war schon so langsam gelaufen wie ich konnte, aber jetzt war ich fast vor dem Podest angekommen.
Panisch suchte ich Avas Blick.
Dabei fiel mir auf, dass neben dem Lord der Mann saß, der mich hierher gebracht hatte.
Er trug eine Art Rüstung aus einem dunklen, lederartigen Material. Gewundene Linien zogen sich zu komplizierten Mustern, die ziemliche Ähnlichkeit mit keltischen Knoten hatten. Aber das Beeindruckendste war wohl mit Abstand der rötlich glänzende Helm, der den Großteil seines Gesichtes verdeckte. Das einzig wirklich sichtbare waren seine Augen. Und im Moment waren diese gefüllt mit... Spott?
Schnell wandte ich den Blick ab. Mit Hass hatte ich ja gerechnet, aber verspottet zu werden...
In meinem Kopf sah ich Bilder, die ich seit langem verdrängt hatte.
Eine Bühne, viele kleine Mädchen in bauschigen Tüllröcken und ich. Ich, die über meine eigenen Füße stolperte. Die mitleidigen Blicke der anderen. Danach hatte ich mich geweigert, je wieder Ballett zu tanzen.
Die unliebsamen Gefühle zurückdrängend, bevor sie mich total einnehmen konnten, ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen.
Ava stand zu meiner Rechten und musterte mich aufmerksam.
Der Stoff ihrer dunkelgrünen Gewänder fiel in weichen Wellen um sie herum bis auf den Boden. Ihre schmale Taille wurde von einem Gürtel mit unterschiedlich großen, grünen Steinen betont.
Mir war nicht entgangen, dass sie aus der Menge herausstach. Nicht nur durch ihre Hautfarbe, sondern vor allem durch ihre Kleidung. Die meisten anderen Frauen trugen weite, helle Kleider und bunte Umhänge, die sehr warm aussahen.
Die Luft hier unten war kälter als in meinen Räumlichkeiten und das dünne Kleid bot wirklich nicht viel Schutz vor der kühlen Luft, die durch die Ritzen im Mauerwerk drang.
Der Großteil der Männer trug ähnliche Lederrüstungen wie der Oberste Kriegsherr.
Ich warf noch einen letzten, unsicheren Blick in Avas Richtung, dann hob ich meinen Kopf und sah dem Lord direkt in die Augen. Sein Blick war ungeduldig. Er schien auf etwas zu warten.
Da erst fiel mir ein, dass ich ihn vielleicht begrüßen sollte.
Aber wie?
Eine Verbeugung? Oder doch eher ein Knicks? Oder vielleicht reichte ein einfaches "Hi"?
Na gut, das letztere wahrscheinlich nicht.
Ich entschied mich kurzerhand für den Knicks, das machten die Frauen in solchen Filmen schließlich auch immer. So schwer konnte es also nicht sein.
Albern genug sah ich wohl trotzdem aus, denn ich hörte unterdrücktes Kichern.
Na toll, ich hätte doch bei "Hi" bleiben sollen!
Ein Lächeln zupfte an einem seiner Mundwinkel.
Idiot!
In seinen Augen flackerte kurz etwas auf, das zu schnell weg war, als dass ich es hätte deuten können.
Ich fühlte eine sanfte Berührung an meiner Stirn. Doch als ich die Hand hob, war da nichts.
Aber die Berührung blieb. Testete. Wartete.
Die Berührung war in meinem Kopf!
Jemand versuchte, in meinen Kopf zu kommen!
Nein, nicht jemand, sondern der aufgeblasene Idiot vor mir.
Na warte!
Mit aller Macht konzentrierte ich mich auf das Bild, wie ich ihm mit ordentlich Schwung dahin trat, wo es weh tat.
Zuerst hatte ich Zweifel, ob er die Botschaft auch bekommen würde, aber dann zuckte er kaum merklich zusammen.
Und begann dann, laut zu lachen.
Einige der Anwesenden, besonders der andere der beiden Männer neben ihm, wandten ihre alarmierten Blicke erst ihm, dann mir zu. Im Gegensatz dazu blickte der oberste Kriegsherr daneben nur stur in meine Richtung, so als versuche er, mehr zu sehen, als da war.
Der Lord erhob sich.
Jetzt konnte ich auch den Rest seines Körpers sehen.
Wie gestern trug er nur eine Hose aus dunklem Leder und einen hellen Umhang, der unter seinem Kinn mit einem Knopf befestigt war; der Rest seines Körpers war nackt. Muskeln zeichneten sich unter seiner Haut ab.
Ja, ich war hier gegen meinen Willen, aber ein Mädchen durfte doch wohl gucken!
Als er um das Podest und den Tisch herum schritt und vor mir zum Stehen kam, fielen mir die Tattoos ins Auge. Die verschlungenen Linien, die gestern noch rot geleuchtet hatten, strahlten jetzt in einem warmen Orange-Braun.
Hatten sie die Farbe geändert, oder hatten der Alkohol und die Magie meine Wahrnehmung so stark beeinflusst?
Anscheinend ersteres, denn als ich vorsichtig mit einem Finger über die gedrehten Spiralen im Zentrum des Musters strich, pulsierten die geschwungenen Linien unter meiner Berührung und färbten sich von orange zu hellem Gold.
Erschrocken zog ich meine Hand zurück und starrte auf das Tattoo.
Ich biss mir auf die Lippe. Wie war so etwas möglich?
Jemand räusperte sich.
Als ich den Kopf hob, schaute mich der Lord mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich starrte zurück.
Mit einem Mal wandte er sich an die versammelten Fae mit etwas, dass ich wieder mal nicht verstand.
Es klang wie eine Begrüßung.
Wieder spürte ich einen sanften Druck an den Schläfen. Kurz darauf hörte ich Avas Stimme in meinem Kopf.
"Neige deinen Kopf und erwidere den Gruß!"
Ich zuckte zusammen und sah zu der Heilerin, die mir auffordernd zunickte.
Also senkte ich den Kopf. Aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
Wie auf Kommando hallten Worte durch meine Gedanken.
Reflexartig versuchte ich, die ungewohnten Silben zu wiederholen.
Wahrscheinlich war das zwar immer noch ziemlich unverständlich, aber es schien auszureichen.
Der Lord sah mich an und fragte etwas.
"Dein Name."
Ich schickte ein Stoßgebet an alle, die sich zuständig fühlten und dankte der Heilerin. Ohne sie wäre ich völlig verloren gewesen.
Mein Name? Mal sehen, wie das über die Bühne gehen würde. Trotzdem holte ich Luft und sagte:
"Roisin Connelly."
Einige überraschte Laute hallten durch den Raum, begleitet von wütendem Zischen.
Der Mann vor mir hob seine Hand und das Murmeln erstarb. Dann fasste er mit der einen Hand nach meinem Kinn und mit der anderen zog er mich an sich.
Zu überrascht, um mich zu wehren, blieb ich wie erstarrt stehen, als er sich zu mir herunter beugte und seine Lippen auf meine drückte.
Sie waren warm und weich, genauso wie am Abend zuvor. Ein Kribbeln ging von dem Kuss aus und ich keuchte erschrocken auf. Er machte allerdings keine Anstalten mich gehen zu lassen, sondern zog mich sogar noch näher.
Avas Stimme klang durch mich.
"Halt still!"
Ich versuchte es, aber das Kribbeln wurde immer stärker, als es sich einen Weg zu meiner Brust bahnte. Panisch schlug ich die Augen auf und versuchte, ihn von mir zu stoßen.
Ich hätte genauso gut versuchen können, die Steinwand hinter mir zu bewegen. Er hielt mich so fest, dass ich mich kaum bewegen konnte.
Verzweifelt biss ich ihm auf die Unterlippe. Ich musste stark zugebissen haben, denn ich schmeckte Blut.
Igitt!
Das Kribbeln war zu einem Brennen in der Mitte meines Brustkorbs geworden.
Endlich ließ er mich los und trat einen Schritt zurück. Mit einer Hand strich er über seine Lippe und betrachtete die roten Tropfen, die auf seinem Finger zurück blieben. Dann leckte er das Blut ab und lächelte. Die oberflächliche Wunde hatte sich bereits geschlossen.
Er betrachtete mich mit leicht schief gelegtem Kopf und einer herausfordernd gehobenen Augenbraue.
Ich entschied mich, ihn genauso arrogant anzustarren.
Der Lord lachte. Außerdem packte er meine Hand und streckte sie in die Höhe.
"Banríon na Bealtaine!"
Seine Stimme trug die Worte bis in die hinterste Ecke der Halle. Hastig zog ich meine Hand zurück.
Es blieb totenstill.
Dann erhob sich der oberste Kriegsherr und kam mit langsamen, bestimmten Schritten auf mich zu.
Vor mir blieb er stehen. Der Lord war ein Stück an Seite getreten und beobachtete uns mit unverhohlenem Interesse. Eine Sekunde lang schaute der Mann vor mir forschend in meine Augen. Dann neigte er den Kopf und legte eine Hand über sein Herz.
Seine Worte verstand ich nicht, aber Ava war da und übersetzte für mich.
"Ich, Darragh, oberster Kriegsherr der Herbstländer, schwöre, Euch, Roisin Connelly, Banríon na Bealtaine, mit meinem Leben zu schützen."
Darragh.
Ein Stromstoß zuckte durch mich und ließ eine süße Euphorie zurück.
Lächelnd senkte ich den Kopf und sah zu, wie er wieder zurück zu seinem Platz ging, aber davor stehen blieb.
Dafür erhob sich nach einer Sekunde des Zögerns der dritte Mann, der an dem erhöhten Tisch gesessen hatte.
Auch hier übersetzte Ava.
"Ich, Oisín, Schatzmeister der Herbstländer, schwöre, Euch, Roisin Connelly, Banríon na Bealtaine, mit meinem Leben zu schützen."
Dieses Mal war ich weniger erschrocken als eine ungekannte Wärme mich durchflutete.
Dieses Gefühl machte süchtig!
Wieder nickte ich dankend und wieder blieb der Schatzmeister vor seinem Platz stehen.
Eine Bewegung ging durch die Menge, als die Fae nach und nach aufstanden und mir ihren Treueid leisteten.
Mein Kopf schwamm von den vielen Namen und den Glücksgefühlen, die diese auslösten. Irgendwann hatte Ava mit dem Übersetzten aufgehört, aber die Worte der Männer und Frauen wiederholten sich immer wieder.
An irgendeinem Punkt hatte auch die Heilerin mir ihre Treue geschworen, doch für mich war längst alles nur noch eine verwaschene Masse von Bildern und Namen, Gesichtern und Stimmen.
Schließlich stand nur noch eine Person vor mir.
Ihre vollen Lippen waren zu einem dünnen Strich gepresst. Zuerst hätte ich sie wegen der Rüstung fast für einen Mann gehalten, aber dann sah ich die kennzeichnenden Rundungen an Oberkörper und Hüfte.
Mein Blick wandert wieder zurück zu ihrem Gesicht. Unter dem rötlichen Metall des Helmes funkelten mich zwei schwarze Augen an.
Die Frau blieb aber nicht ein paar Schritte von mir entfernt stehen, sondern kam immer näher.
Ich wollte zurückweichen, aber Avas Stimme hallte durch meinen Kopf.
"Bleib stehen!"
Also tat ich genau das.
Als die junge Frau fast Zeh an Zeh mit mir stand, bohrten sich ihre Augen förmlich in meine. Ihr ganzer Körper war angespannt.
Die Luft im Raum schien zu knistern vor Anspannung, und nicht auf die gute Art.
Alle Blicke lagen auf uns und jeder hielt die Luft an.
Meine Handflächen wurden feucht. Trotz allem versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen. Ich starrte einfach zurück und hoffte, dass keiner meine zitternden Hände sah.
Sie sagte etwas, ihre Stimme klang tiefer als erwartet.
Saoirse... Der Name, den sie nannte, löste zwar das inzwischen vertraute Hochgefühl aus, aber der Tonfall war so ... kalt, dass der Rausch genauso schnell wieder weg war wie er angefangen hatte, überlagert von eisiger Wut.
Ich schaute Hilfe suchend zu Ava. Die Heilerin zögerte, seufzte so tief, dass es noch im hintersten Winkel des Raumes zu hören war und beantwortete mir meine stumme Frage:
"Ich, Saoirse, Kriegerin aus den Herbstländern, werde dir, Wintergör, niemals dienen."
Mir lief ein Schauder über den Rücken. Was hatte ich ihr getan? Warum hasste sie mich so? Weil ich ein Wintergör war?
Na toll, jetzt wurde ich auch noch wegen etwas beleidigt, was gar nicht stimmte.
Ein lautes Lachen ließ mich zusammenzucken.
Lord Lorcan stand und sagte etwas zu der jungen Frau. Sein Ton war freundlich, aber sie fauchte eine Antwort und drehte sich auf der Stelle um. Dann verließ sie mit wehendem Umhang die Halle.
Was sollte das denn?
Doch mir blieb nicht viel Zeit zum grübeln.
Der Lord war vor mich getreten und schaute mich aus ernsten Augen an. Ich wollte einen Schritt nach hinten machen, aber seine Hand schoss vor und umschloss meinen Arm. Dabei murmelte er etwas Beruhigendes.
Doch seine Nähe und die Anspannung der letzten Stunden ließen mich zittern. Ich schlang beide Arme um meinen Oberkörper. Wie gerne hätte ich jetzt eins von den einfachen, warm aussehenden Kleider der anderen Frauen, anstelle von Avas luftigem Outfit. Außerdem fühlte ich mich doch ein wenig nackt, als der Lord seinen goldenen Blick über mich gleiten ließ. Langsam.
Meine Wangen brannten.
Doch dann legte sich ein Gewicht über meine Schultern. Überrascht schaute ich auf. Sein Umhang. Er hatte mir seinen Umhang umgelegt. Als er dieses Mal nach meiner Hand fasste, zog ich sie nicht weg. Er hob unsere verschränkten Finger und rief etwas, woraufhin die versammelte Menge begann zu jubeln und mit ihren Bechern auf die Tische zu klopfen. Ich zuckte zusammen, aber er hielt meine Hand noch fester. Bei seinen nächsten Worte wurde ich von einer Welle des Glücks überspült und klammerte mich an dem erstbesten fest, was ich fand: seiner Hand.
"Ich, Lorcan, Lord der Herbstländer, erkenne dich, Roisin Connelly, als Lady der Herbstländer an."
Avas Stimme klang anders als vorher, und als sie mir eine Hand auf die Schulter legte merkte ich, dass sie laut gesprochen hatte. Mit der anderen Hand reichte sie mir einen Becher aus einem Material, das mich an Plastik erinnerte.
"Horn", erläuterte die Heilerin auf meinen fragenden Blick hin.
"Trink, Lady Roisin."
Ein Lächeln lag in ihrer Stimme.
Und so trank ich in vollen Zügen den süßen Wein und versuchte, all den Stress um mich herum zu vergessen. Nur für einen Abend.
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