
05 | Familie.
Geduldig und mit einem in mich gekehrten Lächeln drückte ich die Klingel an der Tür meiner Eltern, bevor ich einige Momente wartete. Durch die milchigen Scheiben der weißen Eingangstür konnte ich bereits die Silhouette einer Person wahrnehmen, die mir nur Sekunden später die Tür mit einem breiten Grinsen öffnete. Ihm fielen ein paar seiner schwarzen Strähnen ins Gesicht, während er sich sein Headset um seinen Hals zurechtrückte.
»Na, Schwesterchen.«, begrüßte Sho mich mit einer einladenden Geste in den mir bekannten Flur hinein. Ich erwiderte die Begrüßung und betrat das Haus, bevor ich vorne neben der Eingangstür meine Straßenschuhe auszog und mit Socken hinter meinem Bruder durch den Flur her dackelte gen Küche. Anders als bei anderen, typisch amerikanischen Häusern stand man nicht direkt im Wohnzimmer, wenn man das Haus meiner Eltern betrat. Es war mit einem breiten Flur versehen, welcher die Verbindung zu jedem abgeschlossenen Raum war. Der Vorteil daran war, dass die gesamte Wohnung nicht direkt nach Essen stank, wenn man etwas kochte - ein Thema, welches bei mir in der 1-Zimmer-Wohnung unumgänglich war.
Als ich durch den Türrahmen in die helle und eindrucksvoll mit Lichterketten an den Regalen beleuchtete Küche lief, kamen mir bereits zwei weitere, strahlende Gesichter entgegen. Nacheinander umarmte ich erst meine Mutter und dann meinen Vater, bevor ich mich an den Küchentisch pflanzte und mich weiterhin umsah. Natürlich war es nicht lange her, dass ich bei meinen Eltern in Waukegan zu Besuch gewesen war, allerdings hatten sie einige Regale umgestellt und eindeutig mehr Atmosphäre hinzugefügt in Form von Lichterketten und Kerzen. Es sah beinahe aus wie in einem Schlafzimmer, in welchem man sich am liebsten zum Entspannen und Bücher lesen zurückgezogen hätte. Ein Raum, in dem man der Realität entkommen und in eine Fantasiewelt flüchten konnte.
»Also, Hina...«, erhob meine Mutter ihre sanfte Stimme, während sie den Tisch deckte und im Nu jedem ein Glas Wasser eingeschenkt hatte, bevor ich überhaupt meine Hilfe anbieten konnte. Sie stellte die Wasserflasche am Ende des Tisches hin und setzte sich dann gegenüber von mir, während mein Vater noch mit dem Curry am Herd in der Gänge war. Es war nicht unüblich, dass er als Inhaber eines Restaurants anstelle meiner Mutter kochte, allerdings wirkte es auf Besuch häufig überraschend.
Die blauen Augen meiner Mutter musterten mich mit einem undefinierbaren Glanz in ihnen, während sie ein liebevolles Lächeln auf ihre Lippen legte.
»Wie geht es mit dem Studium voran?«, war dann die erste Frage, die sie aussprach. Ich gab ihr ein beruhigendes Nicken als Antwort, gefolgt von der Suche nach passenden Worten. »Gut. Ich habe heute mein Thema für meine Hausarbeit erhalten und bereits erste Überlegungen dafür angestellt. Ansonsten läuft alles normal, wie immer halt.«. Standard-Aussage.
Meine Mutter quittierte dies mit einem Nicken, bevor sie Sho zusah, welcher sich neben mich an den Tisch setzte - diesmal ohne Headset um den Hals hängend -, und einen ersten Schluck aus seinem Glas nahm. Er hatte ebenfalls das typisch asiatische Aussehen von unserem Vater geerbt, allerdings im Gegensatz zu mir auch die dunkle Augenfarbe beibehalten. Für uns alle war es noch immer irgendwie das achte Weltwunder, dass ich die Augenfarbe meiner Mutter geerbt hatte und nicht die dunkle Farbe meines Vaters.
Wie gesagt... Braun war in der Regel dominant.
»Und wie geht es dir? Was macht dein Sport? Alles fit?«, kam nun von meinem Dad in einem akzentfreien Englisch, sodass ich meinen Blick zu ihm wandern ließ und ihn musterte. Seine Brille lag ihm wie immer auf seiner Nasenspitze, statt auf dem Nasenrücken und sie gab mir das Gefühl, dass sie jeden Augenblick in die Pfanne vor ihm auf dem Herd fallen würde, wenn er weiterhin seinen Blick darauf gesenkt hielt.
»Alles bestens. Ich bin beim Sprinten schneller geworden und schaffe mittlerweile sogar einen ordentlichen Dreisprung.«, erzählte ich motiviert und stolz. Die letzten Wochen beim Training auf dem Sportplatz des Campus' hatte ich mich weitaus mehr ins Zeug gelegt als vorher, da ich mich sportlich steigern wollte. Es war ein tolles Gefühl und eine Erleichterung, dass ich meine sportliche Leistung neben dem theoretischen Studienkrams beibehielt und weiterführen konnte, ohne dass eine der beiden Parteien ins Ungleichgewicht fiel.
»Klingt gut.«, kommentierte mein Vater zufrieden, bevor er dem Curry erneut seine Aufmerksamkeit schenkte.
»Hast du dir schon mein Video angesehen?«. Mir kam urplötzlich die Erinnerung des Videos in Gedanken, das ich mir von Sho auf seinem YouTube-Kanal noch hatte angucken wollen, bevor ich hierher kommen wollte. Allerdings hatte mich das plötzlich arrangierte Treffen mit dem Kerl mit den eisblonden Haaren eindeutig davon abgehalten. Seit Stunden kursierte nichts anderes mehr in meinen Gedanken und da Quinn mir bis jetzt noch nicht geantwortet hatte, konnte ich mich auch nicht weiter mit dem weißen Umschlag auf ihrem Bild ablenken.
Ich sah meinem Bruder - er war übrigens selbst beim Sitzen größer als ich - in die Augen, presste meine Lippen entschuldigend aufeinander und schüttelte meinen Kopf. Er blieb allerdings lässig und holte stattdessen sein Handy aus seiner Hosentasche hervor, bevor er kurz darauf herumtippte und es mir dann vor die Nase hielt.
Es war natürlich ein Video - das YouTube-Video.
I f*cking survived seven minutes of Perfect Time in Expert+ in Beat Saber hieß es.
Während die ersten Sekunden bereits anfingen, welche ich auch schon von Shos verzweifelten Versuchen bei mir in der Wohnung her kannte, wanderten meine Augen zu der Anzahl der Views und Kommentare. Bereits um die 10.000 Zuschauer hatten es sich schon angesehen, knapp die Hälfte davon hatte es geliked und es gab einige hunderte Kommentare.
Meine Augen wanderten zurück zu dem eigentlichen Video, welches nun an der Stelle angekommen war, an welcher Sho andauernd versagt hatte. Nur diesmal schwang er die Controller, die in Form von zwei Laserschwertern in der First-Person-Perspektive zu sehen waren, elegant von der einen Seite zur anderen, während er pro Sekunde dutzende von den Würfeln zerschlug.
»Wow. Wie lange hast du dafür geübt?«, kam es beeindruckt von mir, während meine Augen weiterhin auf dem Bildschirm klebten. Mittlerweile hatte ich ihm das Handy abgenommen, damit er es mir nicht andauernd vorhalten musste. Auch seine Augen lagen auf dem Video und als ich ihm einen kurzen Blickkontakt schenkte, konnte ich schwören in ihnen Stolz und Eigenlob zu erkennen - er hatte es sich auch redlich verdient.
»Nun ja...«, stammelte er neben mir, während er sich verlegen am Hinterkopf kratzte - das konnte ich aus meinem Augenwinkel erkennen. Unsere Mutter schnaubte gegenüber von uns am Tisch, ehe er weiter antworten oder nach Worten suchen konnte.
»Er hatte sich drei Stunden nicht von der Stelle bewegt, bis er zumindest die Hälfte des Levels problemlos schaffen konnte. Am nächsten Tag folgten dann erneut zweieinhalb Stunden, bis er es endlich geschafft hatte.«, nahm unsere Mutter ihm das Antworten ab. Ich kniff meine Augenbrauen zusammen und schaute sie fassungslos an, worauf sie allerdings nur meine Meinung teilend nickte und auf meinen Bruder deutete, welchen ich dann als nächstes in dergleichen Art anschaute.
»Fünfeinhalb Stunden? Bist du wahnsinnig? Deine Augen müssen doch komplett hinüber sein!«, pöbelte ich ihn gleichzeitig grinsend von der Seite an, allerdings zuckte er nur mit den Schultern. »Hauptsache ich habe mein Ziel erreicht.«, kommentierte er unbeeindruckt. Ich schüttelte amüsiert schnaubend meinen Kopf, bevor ich mir die restlichen Minuten des Videos anschaute. Allein vom Zuschauen drehten sich sämtliche Nervenzellen in meinem Kopf einmal um, da das Level ein einziges Wirrwarr war. Als das Video zu Ende war, gab ich ihm sein Handy wieder, welches er wortlos annahm und wegsteckte. Danach kam auch schon unser Vater, der jedem seinen Reis mit Curry auf den Tellern servierte. Allein beim Anblick lief mir das Wasser im Mund zusammen und in Kombination mit dem herrlichen Duft konnte mein Magen nichts anders als lautstark zu knurren, sodass meine Familienmitglieder auflachten.
Mit einem gemeinsamen Itadakimasu - ein Ausruf, der so etwas hieß wie Danke für das Essen - machten wir uns dann über das himmlische Gericht her, während wir alle ein wenig in unsere eigenen Gedanken abdriften. Für mich war dies neben Essen... das Treffen.
Ehrlich, wahrscheinlich hätte ich genau hier jetzt gerade an alles Mögliche gedacht - meine Kamera, Hamster, Konservendosen, Gewitter und meinetwegen auch die Universität -, allerdings waren diese Themen nun durch dieses eine Gespräch heute komplett in den Hintergrund gerückt.... Nicht, dass ich mir sonst den Kopf über Konservendosen zerbrechen würde.
»Gibt es sonst etwas Neues?«, eröffnete meine Mutter dann das Gespräch passend zu meinen Gedanken, über welche ich mich bereits seit Minuten fragte, ob ich sie mit ihnen teilen sollte. Wahrscheinlich würde meine Mutter erfreut darüber sein, wenn ich ihr sagen würde, dass ich mich nach zweiundzwanzig Jahren endlich einmal mit einem Kerl treffen würde, währenddessen mein Vater mich wahrscheinlich darauf aufmerksam machen würde, dass das Studium an erster Stelle stand und eine Beziehung bis zum Ende davon warten könnte. Arbeit vor Beziehung - das war so ziemlich sein Motto, dass er an Sho und mir weiterzugeben versuchte. Selber stellte er seine Familie allerdings natürlich vor seine Arbeit - also, dachte ich zumindest, da er seine Arbeit kurzzeitig nach hinten in die Gedanken verdrängte, wenn wir gemeinsam am Tisch saßen.
»Hier und dort passieren halt Dinge...«, beantwortete ich ihre Frage auf die absolut merkwürdigste und auffallendste Art, auf die man aufmerksam machen konnte. Dinge vor meiner Familie zu verschweigen war selten eine Stärke von mir. Ich wollte sie auch eigentlich nicht anlügen, da wir uns immer bisher alles erzählt hatten. Wobei... wenn ich es ihnen verschweigen sollte, log ich im Prinzip ja nicht - ich erzählte ihnen nur nicht die ganze Wahrheit.
»Inwiefern?«, hakte meine Mutter natürlich nach, während sie mit ihrer Gabel auf mich deutete und bevor sie sich einen weiteren Happen in den Mund schob. Ich lächelte kurz bei dem Anblick der herumgewirbelten Gabel, bevor ich mir ebenfalls einen Happen in den Mund steckte, um nicht direkt antworten zu müssen. Warum sollte ich es ihnen eigentlich nicht erzählen? Es war nur ein Treffen - keine Hochzeit.
»Ich treffe mich Mittwoch mit jemandem in der Stadt, den ich... na ja... vor ein paar Tagen kennengelernt hatte.«. Sofort stellten sich in diesem Raum sechs Lauscher auf und für einige Sekunden wurde es totenstill. Meine Mutter gegenüber von mir hörte sogar zeitweise auf zu kauen, bevor ihre Augen allerdings vor Neugierde funkelten. »Ach, ja?«.
Ich nickte zögernd und biss mir auf die Unterlippe, während ich mit der Gabel in dem Reis herumstocherte. »Ja, ich habe ihn heute per Zufall im Park wiedergesehen und er hat mich auf einen Kaffee eingeladen.«, erzählte ich schließlich die Neuigkeit. Dass er berühmt war und mitten in einem Fotoshooting war, ließ ich eben außen vor.
»Etwa Jackson Wright?!«.
Nun war ich die Person, die totenstill am Tisch saß. Es dauerte einige Momente, bis ich die verdutzte und laute Frage meines siebzehnjährigen Bruders verstanden hatte. Oh nein, woher wusste er, dass er heute dort war?
»Laut seiner Insta-Story war er heute im Grant Park für ein Shooting, was er nachträglich online gestellt hatte, damit die Fangirls ihn nicht direkt vor Ort stören würden... und ich erinnere mich, dass Mom heute den Grant Park mit dir in Verbindung gebracht hat.«, fuhr er fort, als könnte er meine Gedanken und inneren Fragen lesen. Ich atmete tief durch und nickte dann, während mein Blick in die dunklen Augen meines Bruders fiel. Dieser hob überrascht und zugleich auf eine hoffentlich positive Art fassungslos seine Augenbrauen und machte große Augen, während er kurzzeitig vergaß zu essen.
»Wer ist Jackson Wright?«, kam nun von meinem Vater, welcher gegenüber von Sho neben meiner Mutter am Tisch saß und mich direkt durch seine Brillengläser hindurch anschaute. Sein Blick war intensiv genug, sodass ich direkt wusste, das er die Frage ›Mit wem verschwendete sie ihre Zeit?‹ dachte.
»Ein Model und ehemaliger Profiboxer. Er hatte bei der WBA gekämpft! Ihr erinnert euch doch, dass ich mir immer Videos von jemandem anschaue, der Tipps zum Boxtraining gibt, richtig?«, übernahm Sho meine Antwort. Unsere beiden Eltern nickten und wechselten ihren Blick nun andauernd zwischen mir und Sho hin und her, ungeduldig wartend auf eine weitere Antwort von einem von uns beiden.
»Er ist der Kerl, der diese Video hochlädt und online zur Verfügung stellt.«, erklärte Sho weiterhin mit leidenschaftlicher Stimme. Es fehlte eigentlich nur noch, dass er einen bunten Regenbogen beim Erzählen kotzen würde, dann wäre seine Stimme perfekt untermalt. Allerdings war ich ihm gerade sehr dankbar, dass er meinen Part übernahm.
»Also triffst du dich mit einer Berühmtheit?«, kam diesmal von meiner Mutter, welche deutlich leiser redete und immer noch ein wenig verwirrt zu sein schien. Vielleicht wollte sie genauso wenig wie ich realisieren, dass eine Studentin wie ich sich tatsächlich mit jemanden treffen wird, der mit dem Wort berühmt in Verbindung gebracht wurde. Jemanden, der eigentlich für meine Liga unerreichbar zu sein schien.
»Möglich. Zu meiner Verteidigung hatte ich ihn neulich im Restaurant bedient...«,
»Also willst du damit sagen, dass du keines dieser Fangirls bist?«, hakte meine Mutter nun diesmal verständlicher und mit einem amüsierten und neckenden Unterton nach. Ich nickte schnaubend. »Genau. Ich wusste an dem Abend, wo ich ihn bedient hatte, nicht einmal, dass er berühmt war.«-und deswegen hatte ich mich ihm gegenüber auch ziemlich frech verhalten, als er mir seine Nummer da gelassen hatte.
Meine Mutter nickte langsam und verständlich, schenkte mir aber dennoch ein verschmitztes Grinsen, welches ich mit einem zurückhaltenden Lächeln auf den Lippen erwiderte.
»Denkst du, dass dir diese Aufmerksamkeit gut tun wird? Sein öffentliches Image könnte dich vom Lernen abhalten.«. Und da war er wieder - mein Vater, wie er leibte und lebte. Arbeit voran, der Kerl konnte warten. Ich zuckte mit den Schultern und war dabei sogar wirklich wahrheitsgemäß. Tatsächlich hatte ich mich auch schon gefragt, ob dies so sein würde. Falls uns jemand zusammen sehen sollte, würden sich viele seiner Fans wahrscheinlich Theorien ausdenken und sich über uns den Kopf zerbrechen und mich wahrscheinlich spätestens Tage später online verfolgen, um alles über mich herauszufinden - ich wusste, wie verrückt und gestört einige Personen aus einer Fangemeinde sein konnten. Einige Fans besaßen tief in ihrem Inneren wirklich Stalker-Fähigkeiten, wenn es um ihre Celebrity-Crushes ging oder einfach um berühmte Personen, die ihnen am Herzen lagen. Sie wollten natürlich unter keinen Umständen, dass diese berühmte Personen verletzt wird, sodass sie online genug Hass und Verachtung gegenüber der zweiten Person äußerten, sodass diese regelrecht von der Berühmtheit weggeekelt wird - so etwas in dieser Art hatte ich bereits häufig mit imaginärem Popcorn in der Hand online in den sozialen Medien verfolgt... nur war dieses Verhalten eher asozial gewesen.
»Gute Frage... ich werde es wohl selber erfahren müssen, um diese Frage beantworten zu können.«, antwortete ich schließlich, nachdem mein Vater bereits einen kleinen Stoß von meiner Mutter in die Rippen erhalten hatte als Reaktion auf seine wahrscheinlich in ihren Augen taktlose Frage. Er hatte sie jedoch nur mit zusammengekniffenen Augen erbost angeschaut, bevor er mir seine Aufmerksamkeit wieder zukommen lassen hatte.
»Solange du dein Studium nicht aus den Augen lässt...«, kommentierte er, bevor er als erster von uns vieren einen weiteren Happen nahm. Ich nickte ihm schweigend zu und tat es ihm gleich, wobei meine Portion bereits beinahe vollständig aufgegessen war. Es war wirklich eine Schande, dass so himmlisches Essen so schnell vom Teller verschwand - es wäre genial, wenn es einfach respawnen würde und man unendlich viele Portionen davon hätte.
Dieser Gedanke hätte auch glattweg von Sho kommen können als der Gamer schlechthin - das Wort kannte ich auch nur, weil ich damals einige Videospiele wie Minecraft und Terraria mit ihm zusammen gespielt hatte, als wir noch zusammen gewohnt hatten.
Als wir das Abendessen beendet und die Küche in einem sauberen Zustand zurückgelassen hatten, redeten wir noch eine ganze Weile, bevor ich mich wieder verabschiedete und mich im Nu Zuhause in meiner Wohnung wiederfand. Ich vermisste bereits beim ersten Schritt durch die Wohnung die gemütliche Atmosphäre der Lichterketten und die angenehme Stimmung zwischen den Familienmitgliedern, als wir zusammen am Ende noch über einige Themen gelacht hatten. Deshalb schrieb ich mir unter anderem auf meine To-Do-Liste, dass ich mir unbedingt Lichterketten in einem warmweißen Licht kaufen musste.
Am besten solche Vintage-Lichterketten, die alles einfach rustikal und gemütlich wirken ließen. Vintage hatte in meinen Augen seinen ganz eigenen Charme.
Als ich mich auf mein Bett pflanzte mit meinem silbernen Laptop auf dem Schoß, welcher bereits summend hochfuhr, ging ich meine Nachrichten auf dem Handy durch und schaltete gleichzeitig auf diesem meine Abenddämmerung-Playlist ein.
Ja, mit Lichterketten wäre diese Atmosphäre nun definitiv gemütlicher.
Während mein Laptop weiterhin seine Zeit zum Hochfahren nahm, klickte ich auf Quinns neue Nachrichten, die sie mir im Laufe des Abends geschickt hatte.
Quinn: Sorry, war heute Nachmittag unterwegs.
Quinn: Ja, das ist tatsächlich ein Liebesbrief - und das im 21. Jahrhundert!
Quinn: Der Absender ist allerdings anonym... bzw. die Initialen E.H. standen drauf, aber ich habe absolut keinen Plan, wer das sein soll.
Ich lachte über ihre Nachrichten, während ich gleichzeitig an die süße Geste des Briefes dachte. Ich würde insgeheim alles dafür geben, dass ich mindestens ein einziges Mal in meinem Leben einen Liebesbrief geschenkt bekam, in welchem handschriftlich wie in alten Zeiten die Liebe gestanden wurde. Diese Geste war nämlich unendlich-mal besser als eine öde SMS oder Nachricht auf dem Handy. Was war bitteschön romantisch daran, von einer unbekannten Nummer ein Geständnis zu erhalten? Genau. Nichts.
Ich: Voll süß. Ich will auch einen XD
Ich: Aber ich muss dich leider auch enttäuschen, E.H. weckt bei mir nichts in meinem Gedächtnis. Was planst du nun zu tun?
Es dauerte nicht lange, bis Quinn antwortete - währenddessen hatte ich bereits mein Word-Dokument mit meiner momentan bearbeitenden Geschichte geöffnet, welche nun in Schriftgröße 11, Größe 12,0cm x 19,0cm und Schriftart Times New Roman den Anfang auf meinem Bildschirm offenbarte. Ungelogen - ich liebte den alten Stil, den Times New Roman durch die geschwungenen Buchstaben hergab. Er wirkte altertümlich, gleichzeitig aber auch seriös und fantastisch, als ob diese Schriftart zum Erzählen von Märchen und Fantasie gemacht worden wäre.
Quinn: Wahrscheinlich werde ich einfach warten, bis Mister E.H. sich meldet und mir einen Hinweis auf seine Identität offenbart... oder zumindest einen Hinweis, den ich auch begreife.
Quinn: Es gibt hoffentlich keinen Dozenten, der E.H. als Initialen hat?!
Erneut musste ich lachen, gleichzeitig dachte ich aber auch scharf über ihre letzte Frage nach. Das wäre definitiv unheimlich, aber...
Ich: Ich bezweifle, dass ein Dozent sich in diese Grauzone begeben würde, da er ruck-zuck seinen Job verlieren könnte. Und nein, ich glaube, es gibt keinen E.H. als Dozent :P
Quinn: Danke Gott! Ich wäre tausend Tode gestorben! x_x
Ich: Glaube ich :D Vielleicht ist es jemand vom Leichtathletik? Bei deiner Figur schauen dir wahrscheinlich gerne viele Typen beim Sprinten hinterher :PPP
Während Quinn an einer Antwort feilte, las ich mir die letzten Sätze meiner Geschichte durch, um den Anschluss erneut zu fassen und mir eine Fortsetzung auszudenken.
Wenn es ein Thema gab, über das ich unendlich viele Geschichten schreiben konnte, dann waren es... genau... Werwölfe.
Keine Vampire - bleh.
Keine Hexen - langweilig.
Keine Kobolde - die mag doch sowieso niemand.
Nein, es waren die pelzigen Wesen, die abends gerne den Vollmond anheulten und ganze Dörfer in Angst und Schrecken versetzten. Ich schwur - falls jemals jemand vor meiner Haustür in einem lieblichen Klang den Mond anheulen würde, würde ich glattweg mitheulen.
Quinn: Musst du gerade sagen, ›Miss Perfect mit ozeanblauen Augen‹. Ich beneide dich immer noch dafür :D
Ich: Aber es geht um deinen Körper, nicht um die Augen.
Quinn: Dann eben beides :D
Quinn: Bist du morgen beim Training wieder dabei?
Ich: Ja. Erst Vorlesungen, dann Training, dann Arbeit.
Quinn: Oof, klingt stressig. Aber ich muss mit dir unbedingt austüftelt, wer E.H. ist!
Ich: Ich wollte ohnehin mit dir plaudern, also klingt das gut :D
Quinn: Du willst plaudern? Hast du 'nen Kerl am Start oder warum so mysteriös?! o.O
Ich: Ähm... möglich :D
Quinn: O-M-G.
Mehr antwortete sie nicht. Wahrscheinlich war sie von ihrem derzeitigen Sitzplatz gefallen oder im Stehen beim Lesen der Nachricht umgekippt - andere Erklärungen waren inakzeptabel. Sie wusste genauso gut wie ich, dass ich romantisch war wie ein Stein und ich deshalb auch schon die Hoffnung nach einer Beziehung aufgegeben hatte.
Zumindest solange, bis Jackson Wright in mein Leben geschlichen war.
Als Kunde im Restaurant.
Und dann als Model und Profiboxer.
Ich schüttelte diesen Gedanken beiseite und konzentrierte mich wieder auf meine Werwolf-Geschichte, die ich eigentlich romantisch unterstreichen wollte, die aber wahrscheinlich in einem Chaos an Gefühlen und Ausdrucksproblemen enden wird, da ich... immer noch ein Stein in Romantik war. Es war für jemanden, der noch nie eine Beziehung in seinem Leben geführt hatte auch eigentlich akzeptabel und plausibel, allerdings half es mir nicht beim Schreiben... und wer wollte schon eine Geschichte lesen, die kein Stück an Romantik beinhaltete?
Am Ende war die Beziehung zwischen zwei komplett unterschiedlichen Charakteren, die trotzdem zueinander gefunden hatten, doch genau das, was die Leser lesen wollten. Das Unmögliche wollte sie möglich sehen - oder in ihren Fällen möglich lesen.
Für den Rest des Abends ließ ich mich erneut in meine eigene Geschichte sinken, während in einer angenehmen Lautstärke nebenbei meine Musik lief, die mich immer und immer wieder im Takt mit dem Kopf wippen ließ, während ich meine Finger blitzschnell über die Tastatur flogen ließ. Schreiben und Musik hören war für mich das ultimative Bündel, um meine Anspannungen vom ganzen Tag über einfach sacken zu lassen und mich dem Genuss des Abends hinzugeben. Es wirkte schon beinahe magisch auf mich - und das mochte ich.
Und genau deshalb schrieb ich auch so lange, bis mir beinahe meine Augen zufielen und ich samt Musik einschlief.
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| Familie | - Ende.
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