Ein ungewöhnliches Treffen
Am nächsten Morgen ging der Reisende früh aus, von den heimischen Trunkenbolden ungesehen, denn er hoffte auf Märkte in der Umgebung, auf denen er seine wenigen Vorräte vielleicht um die ein oder andere Rarität würde ergänzen können, solange er noch Zeit hatte. Erst gegen Abend kehrte er wieder ein, als die Luft schon taufeucht sich auf die Stadt senkte und es die Gesellschaft in die Wirtshäuser zog. Als er jenes betrat, in dem er verabredet war, war er darauf bedacht, nicht allzu arg aufzufallen und ließ sich mit einem 'das Billigste' auf der hölzernen Bank neben dem teurem Buntfensterglas nieder, die Kapuze auf und den Rücken gekrümmt.
Der Wirt persönlich kam unlängst nach seiner Ankunft mit einem Steinkrug herbeigeeilt und ließ diesen so auf den Tisch prallen, dass die Schaumkrone beachtlich wackelte und einen Teil ihrer selbst verlor.
„Ich habe meinen Teil der Abmachung erfüllt. Schau dort, wie gefordert!", sagte er und zeigte seine gelblich verfärbten Zähne, zu einem schrecklichen Grinsen verzogen, während er auf einen benachbarten Tisch verwies, an dem eine seltsame Gestalt saß, von einem grauen Umhang verborgen. Die Kerze erhellte immer wieder kurz und flackernd die auf dem Tisch ruhende Hand. Dunkle Schatten tanzten über sie.
Durch sie hindurch.
Es war eine knochige Hand.
Eine bis auf den Knochen entblößte Hand.
„Du schuldest mir Geld, mein Freund", kam die Stimme des Wirtes drohlich von der Seite, die Aufmerksamkeit wieder auf sich lenkend.
„Noch bin ich nicht zufrieden. Doch im Voraus kann ich dir dennoch dies überreichen", antwortete der Reisende und packte eine geringe Hand voller Silbermünzen auf den Tisch.
Dann erhob er sich schnellen Schrittes und ließ sich, ein kleiner Schatten gegenüber des Schemens, nieder.
Jener Schemen wendete sich ruckartig dem Hinzugekommenen zu, ein seltsames Knacken von sich gebend. Was nun zu sehen war, hätte jeden Unvorbereiteten sicherlich zu irgendeiner Reaktion gebracht.
Doch jene beiden, die sich einen Moment still musterten, kannten sich bereits.
Und so fiel nicht weiter auf, dass mitten in einer Dorftaverne, fernab jeglicher Personen, die sich für das Leben anderer interessierten – vorausgesetzt, dass sie kein Geld mit sich führten – ein Skelett saß. Ein lebendes, denkendes, aber dennoch knochenbleiches Skelett.
„Isleydr! Lang ist's her", gab das Skelett leise kichernd von sich. Mit einem Blick auf das schäumende und triefende Gesöff, dessen übergelaufener Inhalt gerade von der rauen Oberfäche des abgenutzten Gasthaustisches eingezogen wurde, sprach er weiter, einen ironischen Tonfall unüberhörbar in der Stimme: „Für diese Plörre zahlst du überhaupt?"
Sein Kichern klang hohler als das eines gewöhnlichen Menschen.
Isleydr meinte, einen dünnen Rauchfaden neben seinem Bier aufsteigen zu sehen.
Er ging nicht darauf ein, sondern blieb abwartend stumm. Das Skelett störte sich nicht daran und gluckste: „Wenn es nicht anders geht, helf ich ihn dir zu leeren."
Beim Drehen seines Schädels entstand ein unangenehmes Reiben, das in den Ohren nachhallte.
Nach Vollendung der Runde schien das Skelett etwas ernster zu werden, begreifend, dass Isleydr ihn wohl aus einem Grund aufgesucht hatte. Dieser ließ auch nicht auf sich warten und ergriff das Wort:
„Auch schön, dich wiederzusehen, Skeletton. Du weißt noch, was ich möchte?"
Die fordernde Frage verklang, dann folgten für Außenstehende unverständliche Worte einer anderen Sprache, schnell und leise: „Können wir hier offen sprechen oder nicht?"
Darauf wartend, dass Skeletton sich an die von ihm benutzte Sprache erinnerte, nahm er einen großen Schluck des ungewöhnlichen Gebräus.
Es schmeckte fad und so, als wäre es mit Essig verdünnt worden. Er setzte den Krug ab und hoffte, dass der Geschmack nicht allzu lange nachwirken würde.
„Ach ja, Ley. Natürlich erinnere ich mich! Der Geist ist nicht an den Körper gebunden, vergiss das nicht", sagte Skeletton, ein Kichern von sich gebend, das nach Münzen, die auf einen Knochen fallen, klang. „Mhm... wir müssen nichts fürchten. Der Wirt kennt mich und achtet auf seine Kundschaft, hier kommt keiner hinein, der mit Gebündel arbeiten würde."
„Also dann - du kennst meine Spezialmischung noch - wie lange brauchst du? Meine Zeit ist diesmal nur begrenzt, ein paar alte Freunde suchen derweil nach mir."
„Du hast dich in eine Dame verguckt und brauchst einen Liebestrank?", kam prompt die Antwort in einem eher unangemessenen Tonfall. Isleydr reagierte nicht, sondern wartete ab.
„Nur ein Scherz, ich müsste noch ein paar Tropfen gelagert haben. Komm morgen nach Sonnenaufgang in mein Labor und erzähl mir von deiner Mission, vielleicht hat meine Wenigkeit doch mal wieder Lust auf ein kleines Abenteuer.
Deine alten Freunde sind meine alten Freunde, so sind sie also wahrscheinlich eh schon hierher unterwegs", sagte das Skelett mit besonderer Betonung, sodass es nicht so klang, als ob sie wirklich seine Freunde werden würden. Eine fehlgeleitete Angewohnheit des Skeletts endete darin, dass sein knöcherner Finger über ein nicht vorhandenes Ohr kratzte und ein kopfschmerzenerzeugendes Quietschen entstand.
„Wusst' ich doch, dass auf manche Verlass ist. Nun denn, hat sich mein Weg wohl gelohnt. Wärst du so nett und kommst mit mir hinaus? Nicht alle Versprechen müssen eingehalten werden, und ich bin nach wie vor der Meinung, dass Menschen viel zu leichtgläubig sind", antwortete Isleydr, grimmig zufrieden mit der Faust auf den Tisch pochend, auch um das lästige Quietschen ausharren zu können.
Gemeinsam verließen die ungewöhnlichen Gestalten das Gasthaus, gerade als der Wirt am Ausschenken war und daher nicht schnell genug, um hinterher zu rennen und den Betrügenden zu schnappen.
Nach wenigen Schritten trennten sich die Wege der beiden und sie verschwanden aus dem Lichtpegel des Gasthauses in den dunklen Gossen der Stadt.
Eine kurze Weile danach, in der der Wirt nicht gerade erfreut aus dem Gasthaus kam und sich suchend umschaute, wurde es still und die einzigen Laute, die hin und wieder aufkamen, waren von Katzen oder den ermunterten Gestalten des Wirtshauses, die dann und wann ihre Hemmungen verloren.
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