Isalie (7)
»Er war nicht der, den ich erwartet hätte.«
"Und, wie findest du es?", wollte Carlos neugierig wissen, als wir noch etwas weiter weg vom belebten Strand standen und unsere Blicke über die feiernden Menschen schweifen ließen.
"Es ist auf jeden Fall mal etwas Neues", lächelte ich, denn das war definitiv nicht mit den Feiern in Deutschland zu vergleichen.
Die Sonne war schon untergegangen, dafür standen aber viele Fackeln um ein noch größeres Areal im Sand, die diesem Ort einen wirklich romantischen Touch gaben. Die Musik, die die Band auf einer Bühne weiter hinten spielte, war angenehm rhythmisch. Man konnte gleichzeitig zu ihr relaxen, doch auch seine Hüften schwingen lassen.
Die Menschen waren trotz des Sandstrands alle sehr gut gekleidet. Während die meisten Frauen in ihren hübschen Kleidern ausgelassen tanzten, standen die Männer an den runden Stehtischen drumherum und beobachteten die Tänzerinnen mit guter Laune und ihren Getränken.
"Die Menschen kommen mir sehr viel offener vor, als die bei mir in der Heimat", ließ ich Carlos wissen. Kaum hatte ich ausgesprochen, schnappte er sich mit einem zufriedenen Lächeln meine Hand.
"Sind sie sicher auch. Hier zählt das Heute. Nicht gestern oder morgen", erklärte er und ich spürte, wie stolz er auf seine spanische Herkunft war.
Mit meinem Blick auf das schöne, dunkle Meer gerichtet, ließ ich mich von Carlos einen asphaltierten Weg entlangziehen, an dem eine breite Treppe direkt zum Strand herunterführte.
"Wow", flüsterte ich voller Begeisterung in die Stille. Jetzt, wo ich etwas ungeschickt über den unebenen Sand tapste und gleichzeitig die frische Meeresbrise durch meine Haare geweht bekam, fühlte ich mich eher wie in einem Tagtraum und nicht, als würde das alles gerade wirklich passieren.
Vielleicht sollte ich wirklich mehr hinaus in die Welt und weniger lesen ...
"Das ist erfrischend, oder?", fragte Carlos mit seinem typisch spanischen Akzent und zeigte dabei zur Bühne vor uns. "Die ruhige Musik zu den weichen Klängen der Wellen. Dazu der warme Sand unter uns und der leichte Wind", erklärte er weiter. So langsam wurde es mir dann doch etwas zu romantisch mit ihm.
"Ja, wirklich sehr schön", gab ich ihm unsicher zurück. Ich entfernte geschickt meine Hand aus seiner, um anschließend so zu tun, als würde ich etwas in meiner kleinen, schwarzen Tasche suchen, während er weiterhin begeistert unser Umfeld begutachtete.
War er zum ersten Mal auf einer Fiesta oder ich?
"Sag mal, Isalie", fing er plötzlich wieder ein Gespräch an und ich war heilfroh, als wir endlich an einem der hinteren Stehtische angekommen waren und ich mich abstützen konnte. Egal wie schön der Sand war, mit Flip-Flops über diesen zu spazieren, war alles andere als angenehm. "Wieso bist du eigentlich so zugeknöpft?"
Perplex suchte ich Carlos Blick und legte dabei meine Tasche auf den dunklen Holztisch vor uns, um leicht verwirrt meine Stirn zu runzeln.
"Zugeknöpft?"
Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf und sah flüchtig an mir vorbei zu der Live-Band, ehe er seine Arme auf dem Tisch platzierte und mich intensiv musterte.
"Naja, du kommst einem so vor, als würdest du Flirtversuche gar nicht wirklich wahrnehmen", meinte er. Ich riss ungläubig die Augen auf und wusste überhaupt nicht, was ich dazu sagen sollte.
Eigentlich hätte ich ihm spätestens jetzt klarmachen müssen, dass ich sehr wohl das Zeug zum Flirten hatte und er aber einfach nicht mein Typ war. Allerdings hatte ich keine Lust, den gesamten Abend wieder zu versauen, bevor er überhaupt angefangen hatte.
"Ich habe keine Zeit für so etwas wie Flirten", log ich milde lächelnd. Ich wich seinem Blick sofort aus, um meine Augen über einige tanzende Frauen schweifen zu lassen. Bis ich plötzlich seine Hand erneut an meiner bemerkte und sich alles an mir unangenehm anspannte.
"Für Spaß sollte man immer Zeit finden", hörte ich ihn hauchen. Es war mir einfach nur unangenehm, dass ich dabei auch noch seinen warmen Atem auf meiner Wange spürte. Ich wollte nur noch raus aus diesem intimen Gespräch und mich von seiner überfordernden Nähe befreien.
"Ich würde wirklich gerne etwas trinken", gab ich ihm also etwas zickig zurück. Ich zog dabei meine Hand aus seiner, woraufhin er grinsend eine Braue hob und sich wohl sicher darüber war, dass Alkohol mich auflockern würde.
"Was möchtest du trinken?"
"Wasser", lächelte ich und sah leicht belustigt dabei zu, wie ihm sein überhebliches Grinsen sofort wieder verging, was mir aber gleichzeitig auch leidtat. Er gab sich ja immerhin alle Mühe, mir irgendwie schöne Augen zu machen.
Mein armer Esel ... doch er ließ sich anscheinend nicht entmutigen.
"Ich bin gleich wieder da."
Er drückte mir plötzlich einen Kuss auf die Wange, grinste danach wieder dämlich und verschwand leicht tanzend zwischen den anderen Feiernden, während ich ihm kopfschüttelnd nachsah.
"So ein Idiot", murmelte ich und verdrehte dabei meine Augen mit einem klitzekleinen Schmunzeln, um mich anschließend zu unserem Tisch herumzudrehen. Kaum hatte ich mein Gesicht wieder zur anderen Seite gewandt, erstarrte ich augenblicklich. Ich bekam beinahe einen Herzinfarkt von dem, was sich ganz unerwartet vor meinen weit aufgerissenen Augen abspielte.
"Idiot?"
Der unbekannte Fremde stand mir plötzlich mit einem fragenden Ausdruck genau gegenüber. Er sah dabei sogar noch so viel besser aus, als ich ihn in meiner Erinnerung hatte.
Er stützte seine Arme lässig auf dem Tisch zwischen uns ab und sah mich mit seinen dunklen Augen abwartend an. Ich konnte es leider nicht vermeiden, meinen Blick flüchtig über seine Brust schweifen zu lassen, an welcher ich selbst durch das weiße Hemd die Linien seiner vielen Tattoos begutachten konnte.
Mein Herz schlug durch seine plötzliche Nähe so unkontrolliert und rasend schnell, dass ich meinen Puls bis in meinen Hals spüren konnte. Dort bildete sich in dem Moment auch noch ein großer Kloß, der mich in dieser überfordernden Situation vollkommen sprachlos machte.
"Alles okay?", fragte er mit einem dreckigen Grinsen. Ich öffnete zwar meine Lippen, brachte jedoch keinen einzigen Ton heraus. Es war, als hätte ich durch seine Aura das Sprechen verlernt und dadurch, dass mir mein ganzes Verhalten auch noch so peinlich vorkam, spürte ich gleich darauf das Glühen meiner Wangen. Was natürlich auch ihm aufzufallen schien.
Ganz langsam, als würde er es genießen, wie ich auf ihn reagierte, ließ er seine dunklen Iriden über meine Wangenknochen schweifen. Er musterte mich mit einer Neugier, die mich beinahe wahnsinnig machte. Genau wie das Gefühl, welches er alleine mit seinen intensiven, feurigen Blicken in mir auslöste.
Er war unberechenbar, denn während er so kalt wie Eis wirkte, konnte er im selben Moment das heißeste Feuer in mir auslösen.
"Ihnen geht es also besser", hauchte ich dann einfach ohne zu überlegen. Ich war froh darüber, dass überhaupt etwas über meine Lippen kam, während er im Gegensatz zu mir ganz ruhig wirkte und mich weiterhin ohne Ausdruck musterte.
"Wer ist ein Idiot?", stellte er mir plötzlich eine Gegenfrage und fuhr sich dabei mit einer Hand durch seine dichten, schwarzen Haare, als würde er ganz genau wissen, wie gut er dabei aussah.
"Mein Begleiter", flüsterte ich und wollte gerade Ausschau nach Carlos halten, da spürte ich jedoch eine Hand auf meiner, die ich vor Schreck sofort vom Tisch wegzog. Meine Augen verloren sich in denen des Fremden. Ich sah flüchtig zu seiner Hand herunter, die gerade ohne große Mühe so viel in mir ausgelöst hatte, dass es mir Angst machte.
Auch er schien fasziniert von unserer so unschuldigen Berührung. Mit dem Blick auf mich gerichtet, wirkte er plötzlich sehr nachdenklich. Vielleicht dachte er auch darüber nach, wie er mich doch noch beseitigen könnte und wollte nur sichergehen, dass mich niemand vermissen würde.
"Wissen Sie was?", platzte es dann aus mir heraus. Ich war so erhitzt und überfordert, dass ich einfach nicht anders konnte, als schnell das Thema zu wechseln. Mir fiel die Geschichte der Torres Familie ein, denn genau in diesem Augenblick, flog mir auch wieder dieser Geruch seines Parfums in den Verstand. "Ich glaube zu wissen, wer ihnen das angetan hat und keine Sorge, ich sage niemanden etwas."
Während ich durch seine Ausstrahlung wirklich damit Probleme hatte, meine viel zu schnelle Atmung zu kontrollieren, schien er auf einmal vollkommen überrumpelt von meinen Worten. Er sah mich noch eindringlicher an als zuvor, um aber plötzlich ein solch schönes Lächeln aufzusetzen, dass ich gar nicht anders konnte, als es mit vollen Zügen zu genießen.
"Und was glauben Sie, wer das war?", fragte er mit hochgezogener Augenbraue. Ich sah mich flüchtig um, um sicherzustellen, dass keiner der Feiernden unserem Gespräch lauschte. Erst dann, lehnte ich mich mutig etwas weiter zu ihm.
"Mein Begleiter hat mir von dieser Torres Familie erzählt", fing ich an und er schien sehr interessiert daran, was ich zu erzählen hatte. Sofort rückte er etwas näher zu mir und hörte mir weiterhin aufmerksam zu.
"Und was hat er ihnen erzählt?", wollte er neugierig wissen. Ich versuchte mich genau an Carlos seine Worte zu erinnern, während mir auch dann wieder der Name des Sohnes einfiel.
"Dass diese Familie sehr kriminell ist!", erklärte ich und sah mich noch mal um, ehe ich ihm tief in seine Augen sah. "Vor allem dieser arrogante Emilio. Sie kennen ihn sicher!"
Er nickte und ich verstand zwar nicht, wieso er plötzlich ein dreckiges Grinsen auflegte, schob es aber darauf, dass er wohl froh war, dass ich auf seiner Seite war.
"Ja, ich kenne ihn, aber ich dachte eigentlich, er wäre ein wirklich gutaussehender, attraktiver Mann", meinte der Fremde. Er trat noch einen Schritt näher um den Tisch herum, sodass unsere Schultern sich beinahe berührten.
"Naja, er zwingt der ganzen Stadt sein eigenes Parfum auf. Das kommt mir schon sehr arrogant und überheblich vor. Ich bin schon gespannt, wie er aussieht. Sicher total hochnäsig. Außerdem dachte ich, diese Fiesta wäre zu seinen Ehren, aber er ist nicht da. Das zeigt doch nur, wie selbstverliebt er ist."
Kaum sah ich dem Fremden neugierig über seine Reaktion auf meine Worte entgegen, riss mich aber Carlos aus meiner Starre, der gerade mit zwei hübschen Frauen und Getränken in der Hand auf uns zukam.
"Da bist du ja wieder", begrüßte ich ihn. Obwohl ich froh war, nicht mehr alleine mit dem Unbekannten herumstehen zu müssen, war ich auch leicht enttäuscht. Er schien nett zu sein, wenn er nicht gerade halb verblutet nachts in fremde Wohnungen stürmte.
"Ja", meinte Carlos nur kühl und sah dabei jedoch an mir vorbei. Ich folgte seinem Blick und bemerkte, wie der Unbekannte ihn ansah, als würde er Carlos jeden Moment eine Kugel in den Kopf jagen. Das brachte mich erneut dazu, mich vollkommen unwohl zu fühlen.
"Emilio! Wir haben dich schon gesucht", riss eine der Frauen, die Carlos begleitet hatte, mich aus meinen Gedanken. Wie in Zeitlupe spürte ich das erneute Rasen meines Herzens und auch im selben Augenblick den eiskalten Schauer, der mir schleichend über meinen Rücken bis hoch in meinen Nacken zog.
Unter angehaltenem Atem drehte ich mich erneut zu dem Fremden. Sein ausdrucksloser Blick lag direkt auf mir, während er seine Hand anhob und sie mir entgegenhielt.
"Emilio Torres. Schön, Sie kennenzulernen."
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