16. Februar 1943 (Teil 2)
The battleline between good and evil runs through the heart of every man. - Aleksandr Solzhenitsyn
16. Februar 1943
Auf Gellerts Berührung hin schwingt die versteckte Tür nach innen. Ich trete hinter dem Blonden in die weitläufige Eingangshalle des MACUSA, woraufhin sich der Eingang mit dem leisen Klicken einrastender Schlösser schließt. In der unnatürlichen Stille hallt das kleine Geräusch laut durch den in goldenen und schwarzen Farben dekorierten Raum.
Ich folge Gellert eine lange Treppe empor und an den Statuen der ersten zwölf Auroren vorbei. So leicht ich auch versuche aufzutreten, verwandelt der Raum meine Schritte in ein verräterisch lautes Knirschen. Ich hebe meinen Kopf, als wir unter der riesigen goldenen Uhr vorbeigehen, an der man die Bedrohung der Zauberer in den USA ablesen kann. Direkt dahinter starrt mir das übergroße Portrait der Präsidentin streng entgegen.
Hinter mir raschelt es, dann höre ich Schritte. Ich wirbele herum. Eine grobe Hand packt meinen Oberarm, zieht mich mit einem Ruck weiter. Schmerz schießt durch meine Schulter, in meinen Ohren klingelt es. Ich will schreien, ein warnender Finger drückt meine Lippen zusammen. Ich stolpere, werde weitergeschleppt. Abrupt lässt die Hand los. Meine Arme rudern, ich kippe vorwärts. Alles um mich herum dreht sich. Mein Kopf trifft auf harten Stein, rutscht zur Seite und ich falle...
Zwei kräftige Arme schließen sich um meine Taille. Ich falle gegen rauen, warmen Stoff. Nervöse Stimmen und polternde Schritte hallen laut in meinen Ohren und lassen mich zusammenfahren.
„Wo sind sie?" „War er das wirklich?" „Er ist mit dem Mädchen die Treppe runtergerannt. Ich habe sie gesehen, ich schwöre!"
Ich reiße meine Augen auf. Zwölf bewegungslose, in Stein gemeißelte Gesichter starren grimmig zurück. Auf der steinernen Schulter eines Aurors rinnt eine dünne Blutspur.
Eine große, warme Hand legt sich auf meinen Arm und ich blicke in Gellerts beherrschtes Gesicht.
„Vergiss nicht, Victoria, nicht mehr Gewalt als notwendig", flüstert er.
„Ich weiß", sage ich und überraschenderweise klingt meine Stimme ruhig, gefasst.
Als er nickt, scheint es mir, als würde ein dunkler Schatten seine zweifarbigen Augen kreuzen. Seine rauen Finger streichen mir über die Wange und wickeln eine verirrte schwarze Haarsträhne hinter mein Ohr.
„Was ist, Gellert?", frage ich, meine Stimme kaum lauter als ein Atemzug, als sich ein Gefühl des Unheils in meinem Magen zusammenbraut.
Seine Hand legt sich um meinen Nacken und drückt meinen Kopf auf die Brust. Etwas zischt an meinem Hinterkopf vorbei. Ich atme scharf ein und der Gestank verbrannter Haare steigt in meine Nase.
„Sie haben uns entdeckt", flüstert Gellert und seine Augen verweilen für einen Augenblick zu lange auf meinem Körper. „Wir treffen uns an der Treppe."
Mit diesen Worten schreitet er nach vorne, ohne Eile und ohne Zögern, geradeaus auf sie zu. Schnell ziehe ich meinen Zauberstab, halte ihn mit festem Griff vor die Brust und trete neben Gellert. Die Auroren sind zu zwölft. Mit grimmigen Mienen und fast genauso steif wie die Statuen ihrer Vorgänger feuern sie rasch hintereinander auf uns ab. Mein Atem geht schneller, ich kontere, das jahrelange Training mit Gellert leitet meine Bewegungen.
„Victoria?" Die leise Stimme lässt mich innehalten. „Bist du es wirklich?" Braune Haare, braune Augen, braune Haut. Ich erkenne den Auroren sofort.
„Tolliver", erwidere ich mit einem kurzen Nicken.
Die Augen des jungen Mannes weiten sich. „I-ich dachte, du wärst tot", flüstert er so leise, dass ich ihn beinahe nicht verstehe.
In dem Moment kommt ein Schwall an Flüchen von rechts auf mich zu. Mit einem seitlichen Ausfallschritt wirbele ich meinen Zauberstab über dem Kopf, nur um ihn mit einem präzisen Schlag nach unten schnellen zu lassen. Mit atemberaubender Kraft prallen die Flüche gegen meinen Schild. Meine Beine rutschen auf dem glatt polierten Boden aus, ich drücke mein linkes Knie durch, um dagegenzuhalten.
Der nächste Fluch kommt von der anderen Seite. Ich halte meine Handfläche dagegen, mein Zauberstab kontert rechts. Die Hitze und Energie haut mich beinahe um. Ich konzentriere mich, wehre ab und schleudere Flüche zurück. Jeder Muskel meines Körpers verspannt sich, meine Beine zittern.
Ich muss in die Offensive, jetzt! Ich lasse mich vorwärts fallen, fange mich im flachen Plank auf. Die Flüche sausen über meinen Kopf, verfehlen mich nur um Haaresbreite. Abrupt schnelle ich nach oben, weiche einem erneuten Ansturm aus. Eine kreisende Bewegung sendet einen glühenden Fluch aus meinem Stab. Der grimmige Auror springt zur Seite, ich sprinte zu ihm, Faust erhoben. Ein Fluch gegen den Schädel, ein Fausthieb auf die Nase und er fällt brüllend in sich zusammen.
Die Euphorie hält nicht lange. Ich sehe den Fluch seines Komplizen kommen, halte meine Hand dagegen — wehre ab. Zu spät. Durch die Kraft des Stoßes klappt mein Handgelenk nach hinten. Schmerz schießt durch meinen Arm, ich werde zurückgeschleudert. In der Luft schmeiße ich den nächsten Fluch ab. Ich falle auf einen festen Körper, er geht zu Boden. Mit Schwung rutschen wir gegen eine der kräftigen Säulen.
„V-Victoria..." Die schwache Stimme unter mir zittert.
„Tolliver? Alles in Ordnung bei dir?", frage ich vorsichtig. Einen Moment später hätte ich mich Ohrfeigen können. Feinde! Wir sind Feinde.
„Ja...", flüstert er. „Du kämpfst gut."
Ich ziehe ihn mit mir auf die Füße, den Zauberstab auf seine Kehle gerichtet. „Wir sollten entweder kämpfen oder uns aus dem Weg gehen", gebe ich ihm die Wahl.
„Du hast dich verändert", murmelt er und geht mit gesenkter Waffe einen zögerlichen Schritt auf mich zu. „Hat... hat Grindelwald dir wehgetan?"
„Gellert." Ich grinse und schaue zu ihm hinüber. Mit kleinen, aber akkuraten Bewegungen aus dem Handgelenk kämpft der Blonde gegen eine Gruppe Auroren. Ab und zu dreht er sich etwas zur Seite, entgeht einem Fluch mit haarscharfer Präzision, fast so, als würde er tanzen. „Was glaubst du hat er mir getan?"
„Ich weiß nicht", murmelt Tolliver und sieht mich mit skeptisch zusammengezogenen Augenbrauen an. „Er hat dich entführt, nicht wahr?"
Mein Grinsen wird breiter. Irgendwie gefällt mir der Gedanke. „Und was denkst du, hat er dann mit mir getan?"
Er schaudert und presst seine Lippen so fest aufeinander, dass sie weiß werden.
„Nun, was auch immer." Ich streiche mit der Spitze meines Stabes sanft über den Hals des Braunhaarigen. „Ich finde es schade, dass wir uns heute als Feinde treffen, Tolliver. Du bist ein talentierter Auror", murmle ich. „Ich würde dir gerne das Angebot machen, mit mir statt gegen mich zu kämpfen. Willst du dich einer guten Sache anschließen?"
Er schüttelt eilig den Kopf, ganz schnell von links nach rechts und wieder zurück. „Victoria, was ihr macht, ist keine gute Sache. Es ist Massenvernichtung, ein Blutbad! Ich könnte dich verstecken! Du musst dich ihm nicht länger ausliefern."
„Was, wenn ich mich ihm ausliefern will, wie du es nennst?", frage ich sanft. Meine Hand schießt abrupt zur Seite hoch und wehrt einen Fluch ab, doch mein Blick lässt nicht einen Moment von dem Braunhaarigen ab.
Tollivers Augen verengen sich, ein klares Zeichen von Sturheit. „Du tust alles, was er will, nicht wahr?"
Ich nicke. „Ja."
„Selbst dann, wenn es um das Leben einer anderen Person geht?", flüstert er und fixiert mich mit seinem Blick.
„Natürlich", antworte ich ohne Zögern.
„Selbst, wenn diese Person Medusa Malfoy ist?" fragt er leise und sein Adamsapfel hebt und senkt sich, als er laut schluckt.
Ich erstarre. „Was weißt du über sie?", frage ich und auf einmal klingt meine Stimme dünn und brüchig.
Sein Gesicht verspannt merklich, zwischen seinen Augenbrauen bilden sich dünne Falten und sein Mund schrumpft zu einer schmalen Linie. Als Antwort schüttelt er nur unmerklich den Kopf.
„Tolliver", sage ich eindringlich und gehe einen großen Schritt auf ihn zu, sodass meine Waffe ihm unsanft in die Kehle drückt. „Sag mir, was du über Medusa weißt."
Doch in diesem Moment stellt sich ein grinsender Rotschopf neben den Braunhaarigen. „Tol, etwas Unterstützung gefällig? Wollte es schon immer mit Verrätern wie dir aufnehmen, Collins!"
Während er redet, schießt sein Zauberstab durch die Luft. Ich ducke mich, wirbele herum und schnelle mit einem Fluch nach oben.
„Komm schon T, stürz dich auf sie!"
Die Spitze meines Stabes explodiert mit einem Knall und der Rothaarige wird nach hinten geschleudert. Sein zappelnder Körper dreht sich in der Höhe, bevor er mit dem Knacken brechender Knochen gegen eine Statue fällt.
Auf einmal werde ich nach hinten geworfen. Ich atme scharf ein und will mich abstützen, doch ein Fausthieb in den Magen raubt mir die Luft. Mein Zauberstab fliegt gegen etwas Lebendiges, ein dünner Schrei folgt. Dann ein weiterer Schlag auf meinen Kiefer. Sternchen tanzen vor meinen Augen. Mit zitternder Hand schleudere ich blind mit Flüchen um mich, in der Hoffnung, dass einer von ihnen meinen Gegner erwischt.
„Willst du dich wirklich nicht ergeben?", höre ich Tollivers kleine Stimme.
Endlich fixiert sich mein Blick auf die zwei Auroren vor mir. Ein Muskelprotz hält mich zu Boden, während Tollivers schmale Gestalt ihre Waffe gegen meine Brust drückt. Mein Atem geht schwer, mein Kopf dröhnt. Der Kräftige hebt seinen Stab und holt aus, wie ein Henker zum letzten Schlag. Was hatte mir Gellert für solche Situationen geraten?
Ich atme tief durch, konzentriere meine Energie auf einen weiteren Fluch. Sein Zauberstab zischt auf mich herab, meiner schneidet waagerecht durch die Luft, fast bedauernd auf die verletzlichen Kehlen der Männer gerichtet.
Blut spritzt auf meinen Umhang und der metallische Gestank füllt meine Nase. Schnell komme ich zu Füßen und sehe mir die reglosen Körper an. Im Hals des Henkers klafft ein tiefer unsauberer Schnitt, während Tollivers Kopf abgetrennt in einer Blutlache liegt. Seine Augen sind fest geschlossen und sein Mund ist zu einem letzten Schrei geöffnet.
Mein Magen rebelliert, als ich auf die Überreste des Braunhaarigen blicke. Nie wieder wird der junge Auror sein schüchternes Lächeln zeigen oder für das Seelenheil einer Hexe argumentieren können. Für einen kurzen Moment blitzt der Gedanke an einen anderen Tod in mir auf. Die erfahrene Aurorin aus Frankreich ist nicht die erste, dessen Blut an meinen Händen klebt. Trotzdem ist es ihr verzweifelter Hilferuf, der meine dunkelsten Albträume heimsucht.
Als ein Fluch auf mich zugeschossen kommt, werde ich mir wieder meiner Umgebung bewusst. Meine Schuldgefühle ersticken wie die Lebensflammen der Männer vor meinen Füßen. „Für das größere Wohl", murmle ich mit einem letzten Blick auf die geschlossenen Augen des früher so gutmütigen Auroren. „Für Freiheit und wahre Liebe."
„Victoria! Hinter dir!" Gellerts lautes Brüllen lässt mich zusammenzucken.
Ich wirbele herum. Ein giftgrüner Lichtblitz bewegt sich mit rasanter Geschwindigkeit auf mich zu.
Tödlich.
Das ist das erste Wort, das mir in den Sinn kommt. Fluchend hebe ich den Zauberstab, doch da ist er mir schon zu nah. Ich lasse mich blitzschnell zu Boden fallen und schleudere gleichzeitig den Todesfluch gegen meinen neuen Gegner ab. Bevor ich sehen kann, ob mein Fluch getroffen hat, wird mir schwarz vor Augen.
Das Letzte, was ich spüre, ist ein kaltes Gefäß an meinen Lippen. Eine dickflüssige Mischung läuft mir die Kehle hinunter.
„Victoria...", haucht mir die schönste aller Stimmen sanft ins Ohr.
Ich schmecke Blut. Rein und doch sündhaft - das Blut eines Einhorns. Doch da ist noch etwas anderes...
Es riecht nach Tod.
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