7. Kapitel
Angespannt lag ich in meinem Bett und starrte an die sternenförmige Deckenlampe, die ich aufgrund der im Raum herrschenden Dunkelheit nur schemenhaft erahnen konnte. Mein Arbeitstag würde schon in wenigen Stunden beginnen, dennoch bekam ich kein Auge zu. Dieses Mal lag es jedoch nicht hauptsächlich daran, dass ich die Leiche der Frau nicht aus meinem Gedächtnis verbannen konnte, sondern vielmehr auch an der Tatsache, dass mich Haydens Worte und die tonnenschwere Bedeutung dahinter nicht in Ruhe ließen.
Auch wenn ich nun wusste, was die Gründe für das offensichtliche Desinteresse des Detectives waren, konnte ich diese nicht nachvollziehen. Prostitution war in diesem Land immer noch ein Verbrechen; zudem war sie eine illegale Immigrantin. Doch waren das wirklich Faktoren, die dazu beitrugen, dass ihr Leben weniger wert war, als das eines durchschnittlichen Amerikaners?
Detective Collins hatte die Fotos vom Tatort mit Sicherheit gesehen. Er hatte gesehen, wie löchrig ihre Brust war. Er hatte gesehen, wie viel Blut überall war und müsste erahnen können, was für eine Bestie all dies angerichtet hatte. Und er wusste, dass auf diese Frau eine kleine Tochter vergebens wartete. Dennoch hatte er für sich entschieden, dem Fall keine große Aufmerksamkeit zu schenken. So vernachlässigte er jedoch nicht nur die Frau, sondern schützte auch den Täter.
Die Einzige, die sich für den Umstand des Todes von Alejandra Gonzalez interessierte, war offenkundig ich. Irgendwie musste ich dafür sorgen, dass ihr Fall mehr Aufmerksamkeit von der amerikanischen Bevölkerung erhielt und somit der Druck auf das zuständige Polizeirevier wachsen würde. Und wie ging das besser als mit der Macht, die mir als Journalistin zustand? Alles was ich tun musste, um für Gerechtigkeit zu sorgen, war einen Artikel zu schreiben und ihn an sämtliche lokale und regionale Zeitungen zu versenden.
Beflügelt von dem Gedanken, endlich etwas für die Tote tun zu können, schwang ich meine Beine aus dem Bett und schaltete die kleine Lampe auf meinem Nachtisch an. Sofort durchflutete ein helles, angenehmes Licht mein Schlafzimmer und ich kniff meine Augen für den Bruchteil einer Sekunde zusammen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich an die plötzliche Helligkeit zu gewöhnen. Sodann stand ich auf und lief zu meinem Kleiderschrank, um neue Klamotten für den noch frühen Tag anzuziehen. Wahllos griff ich nach einer dunkelroten Bluse und nach der Stoffhose, die ich auch gestern schon getragen hatte. Im Anschluss zog ich mir neue Unterwäsche an und die anderen Klamotten über, ehe ich mit schnellen Schritten mein Schlafzimmer verließ. Endlich konnte ich etwas bewirken.
Mit einem aufgeregten Ziehen im Magen saß ich auf dem Ledersessel vor Chads Schreibtisch und wartete fast schon sehnsüchtig auf seine Ankunft. Normalerweise war er der Erste, der morgens ins Büro kam und der Letzte, der es am Abend wieder verließ. Doch zum ersten, und vermutlich auch einzigen Mal, war ich ihm um Stunden voraus.
Kurz warf ich einen Blick auf mein Handy, um die Uhrzeit zu überprüfen. 6:43 Uhr. Natürlich wusste ich nicht genau, wann er im Büro auftauchte, aber ich war mir ziemlich sicher, dass es bald der Fall sein dürfte. Hoffentlich.
Um mir die Zeit zu vertreiben, las ich den von mir verfassten Artikel, den ich ausgedruckt in meiner Hand hielt, Korrektur. Da ich dies aber schon zum achten Mal tat, fand ich endgültig keine Fehler mehr. In dem Bericht hatte ich niedergeschrieben, wie ich die Leiche von Alejandra Gonzalez gefunden hatte und wie die Polizei, insbesondere ein im Bericht namenloser Detective, mit diesem Mordfall umging. Nicht nur musste ich Chads Meinung dazu wissen und seine Erlaubnis für die Veröffentlichung erhalten, ich wollte auch den mir versprochenen Presseausweis bekommen, mit dem ich noch so viel mehr tun könnte. Deal war schließlich Deal, oder?
Die Glastür hinter mir ging auf, sodass ich mich auf meinem Stuhl umdrehte und direkt in Chads Gesicht schaute. Er riss seine dunklen Augen vor Schock weit auf und wie in Zeitlupe konnte ich beobachten, wie seine Kaffeetasse zu Boden fiel und dort in tausende, kleine Stücke zersprang. Das heiße Gebräu verteilte sich auf dem Boden, während Chad sich an seine Brust griff.
„Du hast mir einen riesigen Schrecken eingejagt, Sophia", seine Stimme war vorwurfsvoll, doch seine Lippen waren zu einem leichten Lächeln verzogen. Kurz senkte sich sein Blick wehmütig auf den Kaffee, dann sah er mich wieder direkt an.
„Das habe ich wohl bemerkt", erwidert ich nur und drehte mich von ihm und dem Fleck weg. Zu meinem Glück schien er die stumme Aufforderung zu verstehen und ich hörte, wie er in meine Richtung kam, ohne den Fleck noch weiter zu beachten. Offenbar hatte er die Dringlichkeit meines Anliegens erkannt und der Kaffee war ohnehin noch zu heiß, um ihn wegzuwischen.
Mittlerweile war er bei seinem Schreibtischstuhl angekommen. Er stellte seine kleine, schwarze Tasche neben dem Tisch ab, zog den Stuhl zu sich und ließ sich elegant darauf nieder. „Was kann ich für dich tun?"
Einen kurzen Augenblick war ich überrascht, dass er nicht nachfragte, warum ich so früh schon hier war. Allerdings ließ ich mich davon nur kurz aus dem Konzept bringen.
„Ich kenne die Gründe, warum der Fall so behandelt wird. Das Opfer, Alejandra Gonzalez war eine venezuelische Prostituierte. Der Polizist ist also vermutlich ein Rassist und ein Frauenhasser. Oder wie sie sich auch gerne nennen, ein Patriot. Ich habe einen Artikel geschrieben, um die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen. Mit deiner Erlaubnis würde ich diesen gern an die lokalen sowie regionalen Zeitungen schicken, um Druck aufzubauen. Außerdem möchte ich meinen Presseausweis." Die Worte, die sich all die Stunden angesammelt hatten, brachen nur so aus mir heraus. Noch während ich redete, drückte ich Chad das Papier in die Hand.
Während er las, wagte ich es kaum zu atmen. Mein Herz klopfte immer schneller gegen meine Brust und ich hatte das Gefühl, immer weniger Luft zu bekommen. Als mein Gegenüber endlich das Blatt sinken ließ, waren meine Lungenflügel nahezu vollständig leer.
„Ja zum Presseausweis, nein zu diesem Artikel." Seine Worte lösten eine Welle der Erleichterung in mir aus, obwohl ich schon vorher wusste, dass er mir den Ausweis geben würde. Er war jemand, der sich an Abmachungen hielt. Erst nach wenigen Augenblicken wurde mir bewusst, was er noch gesagt hatte.
„Nein zum Artikel?", echote ich und fühlte mich wie in einem schlechten Déjà-vu.
„Ich kann nicht zulassen, dass dieser Artikel veröffentlicht wird. Du prangerst öffentlich die Polizei an, in einer Stadt, in der die Menschen das Vertrauen ohnehin schon verloren haben. Mit einem solchen Artikel säst du keine Gerechtigkeit, sondern Chaos." Ich dachte kurz über seine Worte nach, allerdings ergaben sie in meinem Kopf keinen Sinn.
„Aber sie haben es verdient. Es ist nicht fair, was die Polizei macht. Irgendwer muss auf diese Probleme aufmerksam machen", sprach ich meine Gedanken laut aus, woraufhin mein Chef seufzte, ehe er weitersprach.
„Möchtest du wirklich mit einem Schwarzen über die Polizei diskutieren? Das erste, was mein Vater mir beibrachte, war, wie ich mich bei einer Polizeikontrolle verhalten soll. Mir, einem kleinen, unschuldigen, zehnjährigen Jungen aus gutem Hause. Dennoch kann ich das einfach nicht zulassen. Mit diesem Presseausweis wirst du andere Wege finden, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Die Proteste, die du unweigerlich mit einem solchen Bericht auslöst, wird die Polizisten nur noch mehr von den Ermittlungen abhalten."
Wie ich es hasste, wenn Chad mit jedem seiner Worte Recht hatte. Ich würde diesen Artikel nicht veröffentlichen können, um die Ermittlungen voranzutreiben. Doch wenn all dies vorbei war, würde ich die jetzigen Geschehnisse an die Öffentlichkeit tragen, denn irgendwann im Laufe des Gesprächs hatte ich mich dazu entschieden, die Jagd nach dem Mörder tatsächlich als meine Bewerbungsgeschichte für die Criminal zu nutzen. Ein Teil von mir fühlte sich furchtbar, so als würde ich den Tod der Frau schamlos für meinen eigenen Vorteil ausnutzen. Ein anderer Teil in mir wusste jedoch, dass ich es eben für die Frau tat. Es würde keine ungefährliche Angelegenheit werden, allerdings war ich bereit, meine eigene Sicherheit zu opfern. Irgendwer musste es schließlich tun.
Chad reichte mir den Zettel zurück und obwohl ich ihn natürlich noch auf meinem Computer gespeichert hatte, zerknüllte ich ihn symbolisch und schmiss ihn in den Mülleimer unter seinem Schreibtisch.
„Bekomme ich jetzt meinen Presseausweis?"
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