13. Kapitel
Bereits eine Woche war vergangen, seitdem ich die Leiche von Alejandra Gonzalez gefunden hatte. In dieser einen Woche hatte ich so viel herausgefunden – und war doch keinen Schritt näher an meinem Ziel, ihren Mörder zu finden. Selbst der von mir erstellte Instagram Account, der mittlerweile fast eine Millionen Follower hatte, brachte mir keinerlei Erkenntnisse.
Es war frustrierend. Selbstverständlich hatte ich nicht erwartet, dass sich sofort jemand bei mir melden würde und ich den Fall innerhalb von Stunden lösen konnte, aber irgendeinen Fortschritt hatte ich mir schon erhofft. Wie konnte es bitte sein, dass niemand irgendetwas gesehen hatte?
„Das ist die beste Szene der ganzen Staffel und du schaust nicht hin!" Haydens Stimme riss mich aus meinen Gedanken und brachte mich dazu, das Postfach des Accounts zu schließen und mein Handy auf den Wohnzimmertisch zu legen. „Tut mir leid", entschuldigte ich mich halbherzig, ehe ich meinen Blick zu dem Fernseher wandte, über den wie so oft eine Folge Smallville flimmerte. Um ehrlich zu sein, hatte ich schon beim Intro gedanklich abgeschaltet und verstand nicht wirklich, was überhaupt gerade passierte. Im Grunde genommen, war es mir aber auch egal.
Ich hatte in den vergangenen Tag mehr Folgen dieser Serie gesehen, als mir lieb war. Seit dem kleinen Zwischenfall im Industriegebiet, ließ meine beste Freundin mich nicht mehr aus den Augen: Entweder war sie auf der Arbeit oder bei mir. Wir hatten schon immer sehr viel Zeit miteinander verbracht, aber so langsam ging mir ihre ständige Bemutterung auf die Nerven. Was glaubte sie, was ich tun würde? Den Prostituierten einen weiteren Besuch abstatten? Ja, ich war manchmal ein wenig übermütig, aber bestimmt nicht dumm.
„Was ist denn los, Sophia?" Sie pausierte die Folge, sodass ich mich ohne Angst vor einer erneuten Rüge zu ihr umdrehen konnte. „Ich schätze, ich habe einfach mehr erwartet", antwortete ich ehrlich und beobachtete sie dabei, wie sie ein wenig gedankenverloren an ihren braunen Locken herumspielte. Ich hatte sogar schon eine Vermutung, woran sie momentan so viel dachte, oder besser gesagt, an wen. Offensichtlich war sie nicht nur hier, um mich zu beschützen, sondern auch um ihr zu großes Herz vor einer weiteren Enttäuschung zu bewahren.
„Meinst Du wirklich, dass-" Das Klingeln meines Handys ließ sie verstummen. Schnell griff ich wieder nach diesem und sah, dass ich von einer mir nicht bekannten Nummer angerufen wurde. Mein Herzschlag beschleunigte sich und in mir kam die Hoffnung auf, mir würde nun endlich ein Hinweis gegeben werden. Wer sollte mich sonst an einem Samstagabend anrufen?
Mit leicht zitternden Händen nahm ich den Anruf an und warf Hayden einen bedeutungsvollen Blick zu, während ich mir das Handy nahezu an mein Ohr presste. „Hallo?" Ich verabscheute Personen, die sich nicht mit ihrem Namen am Telefon meldeten, doch falls es der Mörder war... Man konnte ja nie wissen. Einen Namen zu kennen, war in der heutigen Zeit der erste Schritt, um alles über eine Person zu erfahren.
„Spreche ich mit Sophia Dubois?" Genervt seufzte ich auf und war versucht, direkt wieder aufzulegen. Ich erkannte die tiefe Stimme am anderen Ende der Leitung: Es war die von Jonathan Blake, dem Pressesprechers des Polizeireviers. Und er rief bestimmt nicht an, um mir zu meinem nicht vorhandenen Erfolgen zu gratulieren.
„Ja", antwortete ich dennoch schlicht, während mein Herzschlag sich wieder normalisierte und ich begann, mich selbst für den Moment der Hoffnung zu verfluchen. Wie sollte der Hinweisgeber oder auch der Mörder überhaupt an meine Handynummer kommen? Der Account war völlig anonym und ließ keine Rückschlüsse auf mich zu - außer natürlich für jemanden, der wusste, dass ich die Leiche gefunden hatte.
„Gut. Sophia, ich muss Sie bitten, den Account auf Instagram zu löschen. Er behindert die polizeilichen Ermittlungen." Ein bitteres Lachen verließ meinen Mund, während ich aufstand und begann, in dem Wohnzimmer auf und ab zu laufen. Haydens verwirrten Blick ignorierte ich vollends.
„Welche polizeilichen Ermittlungen bitte? Die, die Sie eingestellt haben?" - „Wir haben die Ermittlungen nicht eingestellt, sondern wählen derzeit einen geeigneten Detective für diesen Fall aus. Ihr Account könnte den Mörder verschrecken oder als gefährlicher Aufruf zur Selbstjustiz verstanden werden."
Ich konnte kaum fassen, dass die das wirklich ernst meinten. Allein der Anruf des Pressesprechers war lächerlich, denn nicht mal hier rief mich ein echter Polizist an. „Sie können mich nicht dazu zwingen. Ich werde diesen Account nicht löschen, denn offenbar ist es der einzige Weg, um den Mörder zu finden."
Für eine Sekunde herrschte eine angespannte Stille, in der ich mir selbst für mein standhaftes Verhalten auf die Schulter klopfte. „Wir hatten gehofft, Sie wären einsichtiger. Spätestens in 48 Stunden haben Sie einen Gerichtsbeschluss und dann müssen Sie den Account löschen, sofern Sie nicht ins Gefängnis wollen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend." Bevor ich noch irgendetwas sagen konnte, legte Jonathan Blake bereits auf.
Zum zweiten Mal an diesem Abend schnellte mein Puls in die Höhe, doch dieses Mal lag es an der aufkommenden Wut. Die Polizei unternahm nichts, um den Mörder zu schnappen. Als wäre das nicht schon schlimm genug, wollten sie mir nun sogar gerichtlich verbieten, ihren Job zu übernehmen. Das war einfach nicht fair.
„Wer war das?" Zumindest für den Moment schaffte Hayden es, dass sich das rote Tuch vor meinen Augen ein wenig lichtete. Ich blieb stehen, ehe ich mein Handy auf das Sofa schmiss und mich wieder in Bewegung setzte. Es half mir dabei, meine Gedanken zu sortieren, sodass ich mich bereits wenige Augenblicke später meiner besten Freundin zuwenden konnte.
„Das war Jonathan Blake. Die Polizei wird mir in 48 Stunden einen Beschluss vorlegen, aufgrund dessen ich meinen Account löschen muss. Dieser Account ist der einzige Weg, ihren Mörder zu fangen, Hayden! Wie können Sie mir das verbieten? Warum schützen sie den Mörder und verspotten damit gleichzeitig das Opfer? Das ist nicht fair!"
Hayden stand nun ebenfalls auf, kam auf mich zu und legte mir ihre Hände beruhigend auf die Schultern. „Du musst Vertrauen haben, Sophia. Die Polizei wird den Mörder schon finden, ohne, dass sich dafür eine Zivilistin in Lebensgefahr begibt." Ihre braunen Augen trieften nur so vor Sorge und endlich verstand ich vollständig, warum sie mir nicht mehr von der Seite wich.
Doch meine Wut überschattete alle positiven Gefühle, die ich für den Bruchteil einer Sekunde verspürt hatte. „Das ist lächerlich, Hayden! Wach verdammt noch mal auf. Das hier ist keiner deiner blöden Comics, sondern die echte, reale Welt. Hier verlieren die Guten und die Bösen gewinnen! Ist das nicht der Grund, warum du dich in diesen Heften versteckst?" Sofort taten mir meine Worte leid und ich spürte, wie dieses feurige Gefühl langsam abklang. Hayden stolperte einige Schritte von mir zurück, als hätte ich sie geschlagen und hatte ihren Blick fest auf den Boden gerichtet.
„Es tut mir leid", entschuldigte ich mich schleunigst, doch ich wusste, dass ich meine Worte nicht zurücknehmen konnte und etwas zerstört hatte, was ich nur mit viel Zeit wieder aufbauen konnte.
Immerhin brachte meine Entschuldigung sie dazu, wieder aufzusehen. Dennoch konnte ich ihr nicht in die Augen blicken, da sie sich nahezu hinter ihrer Lockenmähne verschanzte. „Ich verstecke mich nicht in meinen blöden Comics. Ich bin einfach nur clever genug, um mich nicht selbst in den Fokus des Mörders zu rücken! Wir haben vor einigen Tagen endlich mehrere brauchbare Spermaspuren extrahieren können. Ein paar davon sind bereits auf den Weg ins Labor, also werden wir ihn vermutlich bald haben. Deshalb weiß ich, dass wir gewinnen werden und du dein Leben für nichts riskierst."
Was nützte schon ein Ergebnis, wenn sich niemand darum kümmerte?
Eigentlich war das Wichtigste momentan für mich, Hayden begrifflich zu machen, wie sehr es mir leidtat. Doch sie hatte mir gerade die Möglichkeit geboten, einen weiteren wichtigen Schritt nach vorne zukommen – ich schluckte meine Reue also herunter und fokussierte mich auf den zerstochenen Oberkörper, der wieder vor meinem inneren Auge auftauchte. Das war meine Gelegenheit, denn mein Account würde nur noch wenige Stunden existieren und ich brauchte einen neuen Anhaltspunkt.
„Du musst mir eine dieser Proben beschaffen. Chad kennt mit Sicherheit jemanden, der diese auswerten kann." Zumindest war ich mir sicher, dass er das tat. Chad kannte gefühlt für alles jemanden und auch sein Ehemann, der im Senat saß, hatte mit Sicherheit Verbindungen.
„Hast du nun vollkommen den Verstand verloren? Allein die Dinge, die ich dir verraten habe, könnten mich meinen Job kosten! Ich werde ihn bestimmt nicht noch einmal riskieren." Nun sah sie mich endlich direkt an und ihr verletzter Ausdruck zerrte an meiner Entschlossenheit. Zumindest für einen Augenblick – dann musste ich wieder an die Tochter von Alejandra denken, die nun als Waise vermutlich zurück in ihr Heimatland musste.
„Hayden, bitte. Du könntest für dieses kleine Mädchen zur strahlenden Heldin werden. So wie Clark Kent der Held deiner Kindheit war. Hättest du dir nicht das gleiche nach dem Tod deines Bruders gewünscht? Das irgendwer alles dafür getan hätte, um den Mörder zu finden?"
Schon wieder manipulierte ich sie und dieses Mal nicht nur mit Superhelden, sondern mit dem Einzigen, was sie mir jemals aus ihrer Vergangenheit anvertraut hatte. Vor wenigen Monaten hatte sie mir erzählt, dass ihr Bruder mit gerade einmal 15 Jahren erschossen wurde als sie noch sehr jung war. Die Polizei hatte nie jemanden für dieses Verbrechen verhaftet.
Ein Teil von mir verabscheute sich selbst dafür. Und ich wusste, dass Hayden mich ebenfalls dafür hassen würde. Aber es war meine Pflicht, alles für die Lösung dieses Falls zu tun. Denn ich konnte diese Ungerechtigkeit nicht gewinnen lassen und merkte kaum, dass ich dabei jede moralische Grenze übertrat.
„Na schön. Ich bringe die Probe morgen nach der Arbeit vorbei. Für dieses Mädchen. Aber danach will ich dich nie wiedersehen."
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