| 12. Kapitel |
Entspannt saß der Mann am Frühstückstisch und lauschte der eintönigen Musik, die aus dem in die Jahre gekommenen Küchenradio ertönte. Mit einer Hand griff er nach seiner Kaffeetasse mit der Aufschrift Bester Dad, die er vor wenigen Wochen von seinem jüngeren Sohn zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Er pustete einmal, ehe er einen Schluck der dampfenden Flüssigkeit nahm.
Als er die Tasse absetzte, hörte er bereits das Gepolter seiner beiden Söhne, die die Treppe herunter eilten. Der Ältere von beiden war als Erstes am Frühstückstisch angelangt und griff gierig nach den Pfannkuchen, die der Mann liebevoll zubereitet hatte. Nur wenige Sekunden später war auch der Jüngere da und noch bevor er sich hinsetzte, war bereits das erste Stück des süßen Pfannkuchens in seinem Mund gelandet.
„Würdest du dich bitte hinsetzen?", sprach er seinen Jüngeren an und obwohl es kein Befehl war, gehorchte dieser sofort. Sein Blick glitt zufrieden zu dem Älteren, der in der einen Hand die Gabel, in der anderen sein Smartphone hielt. „Du weißt, dass am Tisch keine Handys erlaubt sind." Der 16-Jährige zeigte nur eine Reaktion durch kurzes, desinteressiertes Aufschauen, ehe er wieder auf sein Handy sah.
„Das ist total krass, Dad! Offenbar wurde in Detroit eine Nutte ermordet und" – „Benutz nicht solche Worte!", herrschte dieser seinen Sohn an, der bloß kurz nickte, während sein Puls sich langsam beschleunigte. Seine Finger schlossen sich fester um die Kaffeetasse, doch er bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck. Es konnte unmöglich die Prostituierte gewesen sein, die er umgebracht hatte. Sie war augenscheinlich eine Immigrantin, sie hatte es nicht einmal in Zeitungen oder sonstige Nachrichten geschafft. Das war auch der Grund gewesen, warum er sie ausgewählt hatte.
Kurz glitten seine Gedanken zu der Nacht zurück und zu den Freuden, die er verspürt hatte. Lang hatte er seine Vorlieben zurückgedrängt, sie als falsch abgestempelt – doch dann war er auf dieses Internetforum gestoßen, das ihm sagte, es sei normal. Es sagte, er müsse es nur einmal ausprobieren. Genau das hatte er getan und es hatte sich so gut angefühlt. Konnte ihm das nun tatsächlich zum Verhängnis werden?
„Entschuldige, Dad. Die Sexarbeiterin wurde ermordet und nun gibt es bei Instagram einen Account, der nach Hinweisen sucht! Er existiert nicht einmal 48 Stunden und schon über eine halbe Million Follower. Wie krass!" Scheinbar um seine Worte zu untermauern, hielt sein Sohn ihm das Handy hin. Schnell nahm er dieses seinem älteren Sohn aus der Hand und betrachte die Instagramseite, die darauf geöffnet war.
Da er sich gemeinsam mit seiner Frau einen Account erstellt hatte, um sehen zu können, was ihre Söhne in den sozialen Medien trieben, konnte er die App bedienen. Seine Finger zitterten leicht, als er das einzige Bild des Accounts öffnete. Bereits bei dem Namen des Accounts wurde ihm ganz anders.
JusticeForAlejandra.
War das ihr Name gewesen? Wer interessierte sich bloß für diese Frau?
Seine Augen überflogen den Text, der neben dem schwarzen Foto stand. Dort schilderte der Inhaber des Accounts, wie er eine Leiche gefunden hatte. Der Text beschrieb ein Verbrechen, sein Verbrechen. Außerdem bat er die Bewohner Detroits und im Umland um Vervollständigung eines Kennzeichens. Seines Kennzeichens.
Der Inhaber kannte nur das erste sowie die letzten Zeichen. Das würde nicht ausreichen, um ihm seinen kurzen Moment der Schwäche nachzuweisen. Außer der junge Mann von der Reinigung redete... Nein. Dafür hatte er ihm zu viel Geld gegeben. Das Geld war mit Sicherheit gut investiert gewesen.
Mit schweißnassen Händen gab er seinem Älteren das Handy zurück. „Weiß man, wem dieser Account gehört?" Sein Sohn zuckte mit den Schultern und stopfte sich ein weiteres Stück Pfannkuchen in den Mund, ehe er zu einer Antwort ansetzte.
„Nö. Die Seite ist ja anonym. Aber die Polizei weiß bestimmt, wem der Account gehört. Wenn derjenige wirklich die Leiche gefunden hat... Das ist so spannend. Endlich passiert hier mal etwas. Das wird bestimmt das Thema in der Schule sein."
Damit war die Unterhaltung für seinen älteren Sohn abgeschlossen. Doch sein 12-Jähriger schien etwas bemerkt zu haben. „Ist alles in Ordnung bei dir, Dad?"
Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und bemühte sich, seinem Sohn ein aufrichtiges Lächeln zu schenken. „Natürlich. Es erschreckt mich nur, wozu Menschen fähig sind. Außerdem bringt eure Mutter mich um, wenn ihr nicht bald zur Schule kommt. Kommt schon, Jungs, heute ist immerhin schon Freitag."
In der Hoffnung, seine Söhne würden nicht noch mehr bemerken, stand er auf und wandte sich von ihnen ab, in dem er das benutzte Geschirr in die Spülmaschine räumte. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und bei dem Gedanken daran, jemand könnte ihm sein Familienglück nehmen, wurde ihm ganz anders.
Er wusste, dass er sich ab jetzt keine Fehler erlauben durfte. So stark das Bedürfnis, es zu wiederholen, auch war: Er musste es unterdrücken. Insbesondere musste er aber diesen Account im Blick haben. Wenn derjenige, der dahintersteckte, seinem Geheimnis zu nahekam, würde er alles daransetzen, die Bedrohung zu eliminieren.
„Es wäre bestimmt eine Sensation, wenn ein Mord so aufgeklärt wird", warf sein jüngerer Sohn noch ein, während sich seine Hände an den Teller klammerten, den er gerade in die Spülmaschine stellen wollte. „Und so wie es aussieht, sind schon einige Hinweise eingegangen. Guck dir das mal an." Aus den Augenwinkeln sah er, wie seine beiden Söhne kurz ihre Handys tauschten.
Sein Puls beschleunigte sich abermals. Wie lange würde es dauern, bis jemand sein Auto damit in Verbindung brachte? In seinem Kopf herrschte das reine Chaos, doch etwas konnte er klar vor sich sehen: Die zugelassene, kleine Handfeuerwaffe, die sich in dem Tresor im Schlafzimmer befand.
Ihm wurde klar, dass es früher oder später passieren würde. Der Betreiber des Accounts machte Jagd auf ihn – also würde er ihn jagen und zuerst erwischen, bevor er sein Leben und das seiner Familie zerstören konnte.
„Dad? Wir müssen zur Schule."
Er schüttelte den Kopf, um die Gedanken für einen Moment zu vertreiben. Dann räumte er den Teller in die Maschine, schaltete diese an und drehte sich zu seinen Söhnen, die mittlerweile beide ihre Winterjacken übergezogen hatten.
„Dann lasst uns zur Schule fahren."
Wie seine Söhne zog auch er sich seine Jacke über, ehe er das Haus verließ, um zur Arbeit zu fahren. Er brauchte einen Plan, um herauszufinden, wer es war und um herauszufinden, wie er ihn am besten aus dem Weg schaffen konnte.
Doch nun mussten seine Söhne erst einmal zur Schule.
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