Sabre Dance
Nachdem er die Tür mit mehr Kraft als nötig ins Schloss geschmissen hatte, sank Milo Chester sofort an der Holztür herunter. Der junge Mann war völlig in seiner eigenen Gedankenwelt gefangen. Schwarze, dunkle Punkte tanzten am Rande seines Sichtfelds und schränkten seinen Blick so ein, als würde er direkt in einen Tunnel blicken. Die Punkte tanzten umher, nahmen sein gesamtes Blickfeld ein und es wirkte beinahe so als wollten sie ihn mit ihrem Tanz verspotten. Hinter sich vernahm Milo ein unverständliches leises Flüstern, was jedoch so penetrant in der Stille seines Appartements war, dass er es unmöglich ignorieren konnte. Er fuhr herum, hatte er etwa die Tür aufgelassen und war ihm jemand gefolgt? Erneut verriegelte er die Haustür penibel genau, wobei seine Hände so stark zitterten, dass er beim Versuch die vielen Vorhängeschlösser und Riegel zu schließen, immer wieder abrutschte. Schließlich hatte er sein Werk vollbracht und wich von der Tür zurück, hinter der er das Flüstern vernommen hatte. Auf einmal ertönte das Flüstern ganz nah rechts von ihm, erneut fuhr er herum und meinte gerade noch einen Schatten vor seinem Fenster weghuschen zu sehen. Sofort betätigte er den Knopf für die Rollläden. Das Appartement wurde in völlige Dunkelheit gehüllt. Langsam schritt Milo rückwärts auf seine Couch zu, die Tür und das Fenster nicht einen Augenblick aus den Augen lassend.
Jetzt war es vollkommen still. Nicht mal von der nebenliegenden Straße drangen Geräusche an sein Ohr. Man hätte eine Stecknadel fallen gehört. Alarmiert atmete Milo zittrig ein. Er war beinahe ohnmächtig vor Schreck geworden, als er die Klingel seines Appartements vernahm. Mit einmal waren auch wieder die Straßengeräusche von London zu hören, das nimmermüde Ticken seiner Uhr und das leise Surren seines Laptops, der auf dem Wohnzimmertisch stand und sein Leben im Stand-By Modus verbrachte. Milo rieb sich einmal über die Augen, das hysterische Gefühl hatte ihn endlich wieder verlassen. Wie er es hasste, wenn er diese psychotischen Schübe bekam.
Mit wenigen Handgriffen öffnete er die zahlreichen Sicherheitsvorkehrungen seiner Tür, mittlerweile konnte er die Schlösser wahrscheinlich schon im Schlaf lösen. Vor seiner Tür stand ein recht ungebetener Gast. Peter Green. Ein Untergestellter von Weddington, der jetzt schon 10 Jahre bei Scotland Yard arbeitete, mit einem IQ, welcher einem aufgeweichten Brötchen ähnelte und das an seinen guten Tagen.
„Entschuldigen Sie die späte Störung, Chester.", begrüßte der Hellblonde Milo.
„Wieso rufen Sie nicht an? Ich wäre zwar nicht dran gegangen, aber Sie hätten eine Nachricht hinterlassen können, die ich dann sofort gelöscht hätte.", Milo verschränkte abwertenden die Arme vor der Brust, der 30-jährige vor ihm verdrehte die Augen.
„Ich habe angerufen, aber wie immer haben Sie es natürlich nicht für nötig gehalten, überhaupt abzuheben. Wozu haben wir überhaupt eine Notfall-Nummer für Sie erstellt?", seufzend massierte sich der Größere den Nasenrücken und jetzt erst konnte sich Milo an den Anruf erinnern, den er in der Praxis von Doktor Sutcliffe bekommen hatte.
„Ich soll Ihnen ausrichten, dass sie sofort mitkommen sollen. Wir haben einen Fall."
Milo sah uninteressiert aus und warf gelangweilt einen Blick auf die Uhr.
„Es ist fast um elf, ganz sicher opfere ich meine Freizeit nicht für einen weiteren, langweiligen Mordfall, wie der von heute Mittag."
„Ich glaube dieser hier wird Ihnen gefallen."
Gelangweilt stieg Milo aus dem Taxi aus und schlängelte sich geschickt durch eine Reihe von Schaulustigen und der Presse unter einem Absperrband hindurch.
„Ausweis, bitte!", forderte ihn der Zivilpolizist an der Absperrung auf.
„Nein, danke.", ohne den Mann eines weiteren Blickes zu achten, ging Milo schnurstracks weiter. Peter, welcher Milo dicht gefolgt war, erklärte dem Zivilpolizisten mit kurzen Wörtern, dass Milo tatsächlich zu Scotland Yard gehörte und schloss dann zu dem Anderen auf.
„Warten Sie doch mal auf mich!"
„Heben Sie Ihre Dackelbeine schneller an, Green. Wenn der Fall das hält, was Sie versprochen haben, dann möchte ich das gerne noch sehen, bevor unser Opfer verwest ist und wenn Sie nicht einen Zahn zu legen, dann fürchte ich wird dies nicht mehr lange auf sich warten lassen."
Peter Green konnte nach dieser maßlosen Übertreibung nicht mehr tun als mit den Augen zu rollen.
Zielsicher steuerte Milo direkt auf Weddington zu, welcher gerade mit einigen Gerichtsmedizinern sprach, als er Chester erblickte, löste er sich von dem Gespräch und schritt dem Anderen entgegen.
„Chester, endlich. Wir sind total ratlos.", der Ältere legte seine linke Hand in den Nacken und streckte sich, Stressfalten zeichneten sich deutlich an seinen Augen, sowie auf seiner Stirn ab. „Und die Presse macht mir schon die Hölle heiß."
Milos Neugier stieg mit jeder Sekunde. „Ein Verbrechen in einem Londoner Nachtclub, also?", kam der Kleinere sofort zur Sache und wies mit dem Kopf auf das Gebäude hinter Weddington. ‚Ministry of Sound' war eines der berühmtesten Locations, die London für Feierfreudige Jugendliche zu bieten hatte. Der Club platzte fast jeden Tag aus allen Nähten, durch die steigenden Besucherzahlen und die Warteschlange konnte sich schon einmal bis zur Gaunt Street erstrecken. Milo selbst war noch nie in einem solchen Nachtclub gewesen. Das Gebäude war unscheinbar und hinter undurchsichtigen Planen, die das Logo trugen, versteckt. Vermutlich damit man die Alkohol-Vergifteten nicht ertragen musste. Jetzt war es jedoch völlig leer.
„Folgen Sie mir, Chester.", Weddington führte seinen beratenden Privatdetektiv durch die engen Besuchergänge des Nachtclubs. Was sonst durch Neonlicht ausgestrahlt wurde und wo sich sonst mehrere Hunderte Menschen auf der Tanzfläche tummelten, war jetzt vollkommen ausgeleuchtet und bis auf umher eilende Forensiker, leer. Sie bogen ab und bewegten sich in Richtung der Damentoiletten. In der Toilette hatte sich der Großteil der Forensik gesammelt und versuchte irgendwelche Spuren zu sichern. Doch was Milo viel mehr interessierte, war das was in der Mitte der Toilette lag. Eine Maske. Sie sah aus als wäre sie frisch aus einer Oper importiert und dann seelenruhig in der Toilette platziert worden. Genau in der Mitte des Raumes, wo sich die Fließen kreuzten. Milo schritt näher heran. Die Haut wirkte fast wie Porzellan, wären da nicht die kleinen Unreinheiten einer Haut die gerade die Pubertät hinter sich hatte. Das Gesicht war kantig und spitz. Der junge Mann musste zwischen 20 und 25 Jahre alt gewesen sein. Seine braunen Augen blickten ohne Fokus an die Decke. Sie waren perfekt konserviert. Milo streckte wie in Trance die Hand nach der Maske aus. Er wollte sie umdrehen, sehen was mit der Schädeldecke passiert war, da kam ihm Weddington zuvor.
„Handschuhe, Chester. Sie können froh sein, dass ich Sie immer ohne den Kittel an jeden Tatort lasse, aber Sie müssen endlich aufhören, die Mord-Szenen zu verunreinigen."
Milo gelang es nur mäßig seinen Blick von der Maske zu seinem Vorgesetzten zu bewegen, viel zu fasziniert war er von dem künstlerischen Werk. Weddington musste den Blick des Anderen gesehen haben, denn er runzelte die Stirn.
„Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Chester?"
Milo bemühte sich zu einem etwas stockenden Nicken, konnte das Grinsen auf seinem Gesicht aber nicht verbergen. Wie hatte der Mörder dieses Werk vollbracht? In einem vollen Nachtclub, die Überreste seines Opfers zu hinterlassen? Ohne einen Tropfen Blut. Perfekt Konserviert.
Der Jüngere verlor sich so tief in seinen Gedankengängen, dass er gar nicht bemerkte, wie oft er angesprochen wurde. Schließlich legte sich eine große Hand auf seine Schulter, die so kalt war, dass er zusammen zuckte und herum fuhr. Er blickte direkt in die dunklen Augen von Sutcliffe, der Weddington beständig zunickte und sich dann an Milo wendete.
„Ich denke ab jetzt übernehme ich."
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Ich wollte mich bei euch für 400+ Reads und 100+ Votes bedanken und natürlich auch für eure lieben Kommentare. Es bedeutet mir wirklich sehr viel, dass ihr die Geschichte so gut aufnehmt. (:
Vielen Dank fürs Lesen.
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