Flight Of The Bumblebee
Aufmerksam beobachtete Raymond seinen Patienten aus Augen, die in der spärlichen Belichtung des Trailers beinahe wie Onyx aussahen. Er lehnte gegen einen der vielen Tische, die den vorübergehenden Arbeitsplatz am Tatort ausmachten und bereits beim Betreten des Trailers deutlich machten, dass dies kein Trailer war zum Entspannen, wie sie normalerweise von einem Durchschnittsbürger verwendet wurden.
Raymond war äußerst interessiert an den Ausführungen, die Chester hervorbringen würde. Der renommierte Psychiater hatte nachdenklich die Spitzen seiner Finger jeweils an die Fingerspitzen der anderen Hand gedrückt. Eine Geste, die Milo jetzt schon öfter bei dem Dunkelhaarigen beobachtet hatte.
„Also? Wären Sie jetzt bereit Ihre Idee zu erläutern, wenn Sie schon das Meeting unbestellt sprengen, Chester?", lenkte Weddington die Aufmerksamkeit, seines beratenden Amateurdetektivs, wieder auf sich. Milo Chester nickte darauf und streckte wenige Sekunden später fordernd die Hand aus, diese Handlung wurde von einer simplen Aufforderung begleitet: „Geben Sie mir Ihr Smartphone."
Weddington seufzte, griff allerdings in die Brusttasche seines Jacketts um den Gegenstand der Begierde herauszuziehen. Das Smartphone gehörte definitiv zu einem der Neusten Modelle auf dem Markt, dies erkannte Milo sofort.
„Wie oft muss ich Sie eigentlich noch auffordern, sich endlich mal ein richtiges Handy zuzulegen? Dass Sie nicht langsam genug von diesem alten Tastending haben, kann ich einfach nicht nachvollziehen.", murmelte Weddington ein wenig resigniert.
„Diese Dinger regen mich einfach auf. Sie rauben mir schon genug die Nerven, wenn ich mit Ihnen in einem Raum stehe.", entgegnete Milo.
Raymonds Gesichtsausdruck schwang um in einen sichtlich überraschten Blick.
„Ich hätte Sie nicht für einen Technikwidersacher gehalten.", meinte der Dunkelhaarige. Milo schüttelte daraufhin bloß den Kopf und entsperrte das Gerät.
„Das bin ich auch nicht.", entgegnete er, während er sich den Blicken der beiden Anderen entzog und sich allein an dem Smartphone zu schaffen machte.
„So? Was genau regt Sie dann daran auf?", hakte Raymond nach.
„Dass die Leute offensichtlich immer dümmer und dümmer werden. Inzwischen haben wir so hoch entwickelte Technik und dennoch sind Computer nichts weiter als...wie sagt man...Mastrubationsvorlagen für Analphabeten.", der Jüngere begann irgendetwas einzutippen, während Weddington sich bemühte den Display betrachten zu können, was ihm jedoch nur mit mäßigem Erfolg gelang. „Das Internet sollte uns Freiheit bringen und Demokratie, aber es hat uns nur Howard Deans abgebrochene Kandidatur beschert und rund um die Uhr Zugriff auf Pornos.", fuhr Milo fort, mittlerweile hatte er begonnen ausholend zu scrollen, Weddingtons Gesichtsausdruck ließ vermuten, dass er sich deutlich um den Zustand seines Smartphones sorgte. „Und die meisten Menschen, die schreiben nicht mehr, die bloggen. Statt zu reden, chatten sie. Ohne Grammatik. Ohne Punkt und Komma. ‚LOL' hier, ‚mfg' da. Auf mich wirkt das als würden ein paar blöde Menschen mit ein paar anderen blöden Menschen mithilfe eines sprachlichen Prototypen kommunizieren, der eher an Höhlenmenschen erinnert als an das, was seit Jahrtausenden kultiviert wurde.", Milo betrachtete während dieser Kritik ganz eingehend Weddington, welcher die Augenbrauen peinlich berührt zusammen zog.
„Ich meinte ‚MFG' am Ende meiner E-Mails nur als Symbol der Etikette.", verteidigte er sich.
Raymond ignorierte den Beitrag des Chief Superintendet geflissentlich und wendete sich Milo erneut zu: „Aber unterstützen Sie dieses Problem selbst nicht auch, indem Sie gerade auf eines dieser versklavenden Geräte angewiesen sind?"
Milo sah ertappt auf, ein leichtes Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, das irgendwie schief aussah, vielleicht wirkte es aber auch nur falsch, weil man ihn so selten lächeln sah, überlegte Raymond.
„Daher auch meine Selbstverachtung.", entgegnete er bitter, er ließ seinen Blick wieder auf das Gerät schweifen und scrollte weiter. Plötzlich verdunkelte sich sein Gesichtsausdruck und seine Augenbrauen zogen sich in stummer Überraschung immer weiter zusammen.
„Das ist...interessant.", kommentierte er. Weddington schien beinahe gänzlich seine Geduld zu verlieren und unternahm einen weiteren fruchtlosen Versuch einen Blick auf das Display seines Gerätes zu erhaschen. „Was denn? Nun sagen Sie uns doch erst einmal was genau Sie vorhaben."
Milo ließ das Smartphone in seiner Hand sinken und hob ergebend die Hände.
„Okay, okay, hören Sie zu: Die Überwachungskameras sind im Nachtclub gänzlich lahm gelegt wurden, was jedoch nicht bedeutet, dass es keine Aufzeichnungen von diesen wenigen, verloren geglaubten Minuten gab.", begann der Dunkelhaarige, Weddingtons Gesichtsausdruck blieb leer, während Raymond bereits dämmerte worauf der Kleinere hinaus wollte.
„Handy-Fotos der Club Besucher.", führte der Psychiater den Gedanken zu Ende, Milo nickte dem Anderen anerkennend zu.
„Bingo! Und ich muss das erste Mal zugeben, dass ich wirklich dankbar für diese kleinen, schlauen, wenn auch verdummenden Geräte bin. In dieser App ‚Instagram' werden alle Bilder unter dem simplen Hashtag des Nachtclubs veröffentlicht und die meisten von ihnen wurden auf den Toiletten gemacht. Spiegelselfies im Sekunden-Takt. Alles was wir finden müssen ist eine verdächtige Person, die noch dazu mit den Überwachungsbändern, der umliegenden Straßen übereinstimmt und schon haben wir einen Verdächtigen.", erläuterte Milo.
Weddington hatte es inzwischen aufgegeben einen Blick auf sein Smartphone zu werfen, geschweige denn es zurück zu bekommen und hatte sich stattdessen zurück gelehnt.
„Das wird ewig dauern.", seufzte er.
Milo schüttelte den Kopf und drehte schließlich das Telefon um, sodass seine Gegenüber endlich sehen konnten, was er sah. Raymond bemerkte, dass es fast so wirkte als hätte sein Patient nur darauf gewartet, dass Weddington aufgab. Der stets analysierende Psychologe in ihm notierte in Gedanken, einen kontrollierenden, leicht manipulativen Charakterzug, typisch für eine schizotypische Persönlichkeitsstörung. Darauf würde er später noch einmal eingehen, nun lenkte er jedoch erst mal seine Aufmerksamkeit auf das Display des Smartphones.
„Höchst eigenartig.", kommentierte er die Amateur-Aufnahme, die drei schwefelblonde, junge Frauen zeigte, welche kokett vor dem Spiegel der Damentoilette posierten. Das interessante jedoch war das, was sich im Hintergrund des Bildes abspielte. Eine junge Frau, die leicht verschwommen war, da sie sich gerade mitten in der Bewegung befand, dennoch konnte man sie klar genug erkennen. Sie trug einen Jute-Beute, der seltsam ausgebeult war, wusste man jedoch, wonach man suchte, erkannte man sofort die Gesichtsform, die sich an dem Beutel abzeichnete. Die Maske. Wenn man das mal keinen Volltreffer nannte.
„Das ist unsere Praktikantin, Grace Ward.", sprach Weddington erstaunt das aus, was jeder von ihnen dachte. Milo schien plötzlich ganz weit weg, wie Raymond nachdenklich bemerkte. Weddington war bereits aufgestanden um den Rest der Ermittler zu informieren, da löste sich Milo aus seiner vorübergehenden Starre und stellte sich seinem Vorgesetzten in den Weg.
„Ich halte es für keine gute Idee diese vertrauliche Information sofort weiterzugeben, vielleicht bekommt Grace Ward Wind davon und ergreift die Flucht. Wir sollten sie unvorbereitet erwischen. Ich schlage vor: Wir teilen uns auf und suchen sie. Sicher ist sie noch vor Ort."
Weddington überlegte einige Sekunden, willigte dann aber schließlich ein und so trennte sich die Gruppe. Raymond kam nicht ohnehin, dass sich sein Patient irgendwie seltsam verhielt, selbst für Milo, der eine natürliche Seltsamkeit an den Tag legte.
Wenig später rannte Milo bereits alleine durch die Gänge des Nachtclubs. Er musste Grace Ward einfach vor den Anderen finden, nur deshalb hatte er auch verhindert, dass Weddington die übrigen Ermittler anfunkte. Er wollte mit ihr reden, ungestört. Milo konnte es einfach nicht glauben, dass die selbe junge Frau, mit der er sich vor wenigen Minuten noch unterhalten hatte, die auf ihn so unglaublich uninteressant gewirkt hatte, solch ein beeindruckendes Werk, wie diese Maske schaffen konnte. Er musste sie gänzlich darüber ausfragen. Wie hatte sie es geschafft, das Opfer so zu konservieren, die Schädeldecke so abzutragen und zu polieren? Es war ein Meisterwerk, er musste alles darüber wissen.
Der junge Mann war so in dieser Vorstellung gefangen, dass er gar nicht bemerkte, wie ihm ein dunkler Schatten stets auf den Fersen war und ihn aufmerksam beobachtete.
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Ich danke euch sehr für 1000 Reads! Es macht mich auch wie immer richtig glücklich zu sehen, dass ihr mir ein Sternchen hinterlasst oder sogar etwas kommentiert!
Vielen Dank fürs Lesen!
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