Kapitel 6
Ein Schnaufen drang gedämpft in Isabells Ohr. Irgendetwas schnüffelte an ihrem Gesicht herum. Kurz zuckte sie erschrocken zusammen, als etwas warmes, glattes ihre Stirn berührte. Langsam schlug sie die Augen auf und sah sich Angesicht zu Angesicht mit einer leicht geöffneten, schuppigen Schnauze wieder, aus der lange, scharfe Reißzähne ragten. Panisch versuchte Isabell rückwärts zu robben, doch hinter ihrem Kopf befand sich ein Baumstamm. Vorsichtig darauf bedacht, die Schnauze nicht zu berühren, drückte sie sich hoch und rappelte sich auf. Sie sah sich verwundert um, denn über ihr erstreckte sich das Blätterdach der Weide, die ihr und Melvin als Versteck hatte dienen sollen. Und genau vor ihr stand der schlanke, silberne Drache. Mitterweile schien es morgens zu sein, da rötliches Licht den Wald zum Brennen brachte. Zumindest sah es so aus.
" Schön, dass du aufgewacht bist.", klang die fröhliche Gedankenstimme ihres Gegenübers in Isabells Kopf. Sie nickte abwesend und lächelte leicht. " Hast du mich hier her gebracht?", fragte sie verwirrt. Der Drache nickte stolz und brummte zufrieden vor sich hin. " Du bist dir also sicher, dass du mit mir zusammen auf Melvin warten möchtest? " Wieder nickte er. " Warum suchen wir ihn nicht einfach? Du setzt dich auf meinen Rücken und wir fliegen über den ganzen Wald, bis wir ihn gefunden haben." Begeistert von seiner Idee sprang der Drache umher und wirbelte Blätter und kleine Äste durch die Luft. Isabell duckte sich, um nicht von seinem Schwanz umgeschlagen zu werden.
Plötzlich bemerkte sie, dass sie selbst breit grinste. Zusammen mit... ja, wie hieß er eigentlich? Kaum hatte sie das gedacht, spürte Isabell die Anwesenheit des Drachens in ihrem Kopf, der scheinbar dauerhaft ihren Gedanken lauschte. Er meinte nur:" Ich hab keinen Namen. Seitdem ich vor fünf Jahren aus dem Ei geschlüpft bin, war ich nur in einer Höhle und bin dort mit meiner Schwester aufgewachsen. Vor drei Tagen kam die Königin in unsere Höhle und erklärte uns, was wir waren und was unsere Aufgabe war. Eine Stunde später war ich in dieser Welt und hab mich im Gebüsch verfangen. Also hab ich noch keinen Namen bekommen. Du kannst mir aber einen geben oder?" Aufmerksam blickten zwei grüne Augen das Mädchen an.
" Warte mal, ich überleg mir was... Was hältst du von Nebel, Silber oder Schnee?" Ihr Gegenüber kniff die Augen zusammen und schüttelte den großen Kopf. " Okay, wie wäre Geist oder Gespenst?" Wieder ein Kopfschütteln. " Hmm, dann hab ich keine Ideen mehr. Deine Schuppen lassen dich aussehen, wie einen Geist oder etwas Durchsichtiges, irgendwie wie ein Phantom." Bei diesem Wort erklang der selbe Klang, wie vorher, als Isabell den Drachen das erste Mal berührt hatte. " Das ist es! Du heißt Phantom!" Der Drache blinzelte einmal zögerlich, dann wandte er die Schnauze dem Himmel zu und brüllte seine Freude in den neuen Morgen hinaus.
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