Racheplan
Dicke Regentropfen prasselten vom Himmel und fielen über die Katzen auf der Lichtung her. Shadow schüttelte einige Tropfen von seinen Ohrspitzen. Es war ein widerliches Gefühl, wie sich sein durchnässtes Fell an seine Muskeln presste und die Kälte überall in seinem Körper verteilte. Da ist mir der Schnee lieber, sagte er sich verbittert. Ein eisiger Windstoß fegte durch das Lager und ließ den schwarzen Kater zittern, als wollte das Wetter ihn verspotten.
Am liebsten würde er in einem der trockenen Baue sitzen oder wenigsten auf der Lichtung umher laufen, um sich aufzuwärmen. Doch überall um ihn herum saßen seine Stammesgefährten, die ebenso durchtrieft den Regen aushalten mussten.
Shadow hätte beinahe genkurrt, riss sich aber zusammen. Warum lässt Blut uns so lange warten? Kann sie uns nicht endlich für die Patrouillen einteilen? Er sah zum Himmel, konnte wegen der dicken Schicht aus Wolken jedoch nicht ausmachen, wie viel der Nacht schon vorrüber war.
Als hätte sie seine Gedanken gehört, trat Blut aus dem Anführerbau. Ihr Fell war fast wieder getrocknet, so sehr hatte sich ihre Besprechung mit Düster in die Länge gezogen. Mit einem Satz sprang die Stellvertreterin auf einen niedrigen Ast der toten Esche und wollte sich mit einem Räuspern Aufmerksamkeit verschaffen. Nicht, dass es ein Gespräch geben würde, das sie neben dem Platschen der Regentropfen noch übertönen könnte. "Gibt es Freiwillige für die Grenzpatrouille?"
Jede Katze, auch Shadow, reckte ihren Schweif in die Höhe. Niemand wollte bloß im Lager sitzen und als einzige Beschäftigung die Diskussion haben, ob man nun Regen oder Wind mehr hasste.
"Klaue, du kontrollierst mit Donner und Eule die Grenze zum Bach", entschied Blut kurzerhand. "Bei diesem Wetter werden sich vermutlich keine Zweibeiner herumtreiben, also können wir die Zweibeinerflamme diese Nacht auslassen."
Die drei Katzen schüttelten noch einmal ihre Pelze aus und trotteten zufrieden aus dem Lager. Shadow sah ihnen hinterher. Die Glücklichen...Am Bach wäre es zwar windiger, doch durch die dichten Bäume würde das nicht allzu sehr auffallen.
"Skorpion hat vergangene Nacht während der Ausbildung ein Wühlernest hinter dem Trainingsfelsen entdeckt", fuhr Blut fort. "Die Jagdpatrouille sollte dem auf jeden Fall nachgehen." Sie betrachtete die versammelte Menge vor sich kurz und Shadow fragte sich, was in ihrem Kopf vor sich ging. In der kurzen Zeit, in der er Stellvertreter gewesen war, hatte er nie wirklich verstehen können, was man beim Einteilen von Patrouillen berücksichtigen sollte.
"Tunnel." Blut blickte zu der getüpfelten Kätzin, die überrascht den Kopf hob. "Bleib mit deiner Patrouille im Wald, die Beute wird den Schutz der Bäume bestimmt nicht verlassen. Und nimm Tornado, Dark und Schatten mit."
Schon wieder Tornado und Dark? Shadow sah Blut verständnislos an. Aber sie waren doch schon bei der letzten Jagdpatrouille dabei! Während Tunnel mit ihren Begleitern davonlief, bahnte er sich der Kämpfer seinen Weg nach vorn. "Warum durfte ich nicht mit?", rief er Blut zu, die bereits von der toten Esche heruntergesprungen war und war überrascht davon, wie selbstbewusst sein Auftreten wirkte.
"Das Jagen bei solch einem Regen überlasse ich lieber den erfahrenen Kämpfern", erklärte die rote Kätzin mit den hellgrauen Tupfen nüchtern.
"Und die Grenzpatrouille?", hakte Shadow nach.
Blut zuckte genervt mit den Ohren und entgegnete: "Das Gleiche. Bei den Spannungen, die zwischen unserem Stamm und dem Stamm des Lichts herrschen, brauche ich keine Lehrlinge, die nicht einen Moment über die Folgen ihrer Handlungen nachdenken."
Diese Worte trafen Shadow überraschend hart. Es war das selbe Gefühl, das er auch verspürt hatte, als Wolke ihn wie ein dummes Junges behandelt hatte. Er wusste, dass viele seiner Stammesgefährten, so auch Blut, ihn nie wirklich als Kämpfer akzeptiert hatten und sich weigerten, ihn nicht länger wie einen Lehrling zu behandeln. Ich habe nicht darum gebeten, so früh Kämpfer zu werden. Aber jetzt ist es nun mal so und all der Spott wird daran auch nichts ändern.
"Ich war bereits die letzten beiden Nächte nicht auf Patrouille und einige Katzen gehen mehrfach in der Nacht. Das ist nicht fair!", protestierte er, woraufhin die Katzen hinter ihm zu murmeln begannen.
Blut unterband sie mit einem Knurren. "Ich bin die Stellvertreterin und wenn ich sage, dass du nicht auf Patrouille gehst, dann gehst du nicht auf Patrouille. Du musst dich wohl immer noch daran gewöhnen, nicht mehr diesen Posten zu haben.", fügte sie mit scharfem Unterton hinzu.
Empört stellte Shadow sein Fell auf und spürte, wie seine Wut sich steigerte. Ob es bloß an ihm lag, Bluts eigenem Zorn, der bis zu ihm reichte, oder an den stechenden Blicken seiner Stammesgfährten, die gespannt auf eine Reaktion warteten, konnte er in diesem Augenblick nicht sagen. Er setzte an, um sich zu verteidigen, als ihm jemand zuvorkam.
"Beruhige dich, Shadow."
Der schwarze Kater drehte den Kopf und starrte den Kämpfer mit offenem Mund an.
"Wenn du nicht wie ein Lehrling behandelt werden möchtest, benimm dich auch nicht wie einer", fuhr Gewitter fort, der am Rand der Versammlung gestanden hatte und auf Shadow zuging.
Shadow fehlten die Worte. Wie konnte sein Vater es wagen, so etwas zu ihm zu sagen? Nicht ein einziges Mal hatte er sich nach Finsternis' Tod an ihn gewandt, auch nicht nach dem von Mond. Keine Kralle hatte er gekrümmt, um ihm zu helfen. Und nun führte er sich wie ein fürsorglicher Kater auf, der seinem peinlichen Sohn einen Tadel erteilen musste?
"Halte dich da raus", presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Narbe löste sich aus der Menge, trat an Gewitters Seite und blinzelte Shadow durch große Augen an. "Dein Vater möchte bloß das Beste für dich. Warum bist du so undankbar?"
Shadow wurde beinahe übel von dieser künstlichen Enttäuschung und Fürsorge in ihrer Stimme. Sie ist nicht meine Mutter. Nur weil sie die neue Gefährtin meines Vaters ist, will ich nichts mit ihr zu tun haben! Er legte die Ohren an und spürte, wie ein Knurren seine Kehle emporkroch, als plötzlich ein Jaulen ertönte. Er fuhr herum und sah überrascht die tote Esche hinauf.
Unbemerkt hatte Düster den knorrigen Baum erklommen. "Gut, ihr seid fertig." Er lächelte.
Der schwarze Kater öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, klappte ihn dann aber ohne einen Laut wieder zu. Er wollte die Situation nicht so stehen lassen, war aber auch erleichtert, den Streit nicht weiterführen zu müssen. Irgendwann würde er schon noch die Gelegenheit bekommen, Gewitter das zu sagen, was er von ihm hielt. Irgendwann. Doch nun galt seine Aufmerksamkeit Düster und dem, was er zu sagen hatte.
Der Anführer wartete noch einen Moment, bis sich auch die Lehrlinge unter die Kämpfer gemischt hatten. Shadow entdeckte Black, der gemeinsam mit Dunkelheit in seine Richtung trottete, als Dunkelheit ihren Bruder zurückhielt. Sie zischte ihm etwas zu, was Shadow nicht verstand, doch das musste er auch nicht. Sie meidet mich. Aber wie kann ich es ihr auch verübeln? Seitdem Shadow im Wald der Schatten trainierte, war das Band zwischen den beiden gerissen. Und da er ihr nicht die Wahrheit sagen durfte, würde es wohl für immer so bleiben.
Black sah unsicher zwischen Dunkelheit und ihm hin und her. Sein Blick traf Shadows und auch wenn die beiden Kater kaum einen Herzschlag lang so ausharrten, wusste Shadow, was Black dachte. Er nickte. Der braungetigerte Kater ließ den Schweif hängen und folgte seiner Schwester in die Menge hinein, wo sie unter den vielen Pelzen untergingen.
"Stamm der Nacht, ich werde mein Versprechen halten: Ihr bekommt eure Rache."
Düsters Stimme legte sich wie ein Schleier über die Lichtung und erstickte das aufgeregte Gemurmel. Jetzt starrte jeder zu dem Anführer hinauf, gebannt, wie viel er dieses Mal preisgeben würde. Bei seiner letzten Ankündigung hatte er schließlich nicht viel verraten.
"Wir werden den Stamm des Lichts diesen Neumond angreifen und ihnen endlich das geben, was sie verdienen", erklärte Düster. Das ist in wenigen Nächten, dachte Shadow und sog scharf die Luft ein.
"Werden sie einen Überfall bei Neumond nicht vermuten?", warf Rauch ein, die versuchte, ihr Fell gegen den Wind aufzustellen, es jedoch vom Regen dicht an ihren Körper geklebt war. "Sie wissen, dass wir zu dieser Zeit immer unterwegs sind."
Ihr Gefährte Rabe maunzte zustimmend. "So oder so rechnen sie bestimmt mit unserem Angriff. Warum sollten wir ihre Taten auch ungestraft lassen?"
Krähe schnaubte und starrte die beiden Katzen von der anderen Seite der Menge aus abfällig an. "Fürchtet ihr euch etwa vor einem Kampf?"
Rabe peitschte entrüstet mit dem Schweif. "Wir sind Kämpfer, natürlich fürchten wir uns nicht!" Rauch trat mit erhobenem Kinn an seine Seite und erwiderte Krähes Blick mit blitzenden Augen.
"Wir stürzen uns bloß nicht ohne Sinn und Verstand in jede Schlacht wie ein Haufen Ratten."
Der weißgrau-gestreifte Kater bleckte die Zähne. "Wen nennst du hier Ratte?", knurrte er und trat einen Schritt nach vorn. Shadows Magen zog sich zusammen. Sie werden doch nicht aufeinander losgehen? Mit angehaltenem Atem verfolgte er das Geschehen und erwartete jeden Moment, dass die Situation eskalierte.
"Es reicht!" Düster sah Krähe und Rauch verärgert an. "Ihr seid Kämpfer und keine Streuner, die sich wegen jeder Kleinigkeit den Pelz zerfetzen. Zeigt etwas mehr Würde."
Rauch zuckte unter den strengen Worten ihres Anführers zusammen und sah beschämt zu Boden. Zwar brummte Krähe missmutig, wagte es allerdings nicht, zu widersprechen, und wandte ebenfalls den Blick ab. Shadow blinzelte beruhigt. Wären die beiden in einen Kampf geraten, hätte er nicht gewusst, wie er reagieren sollte. Musste er als Kämpfer dazwischen gehen? Oder würde es niemandem auffallen, wenn er das Eingreifen jemand anderem überließ? Es ist ja zum Glück nichts passiert.
"Um auf deine Frage zurückzukommen, Rauch", setzte Düster seine Ansprache fort und warf der gelben Kätzin mit den braunen Tupfen einen weiteren, mahnenden Blick zu. "Sie werden den Angriff nicht kommen sehen. Gerade da es Nemond ist, werden sie denken, dass wir auf der Jagd nach ihnen sind und vorsichtshalber in ihrem Lager bleiben. Sie werden es nicht kommen sehen, dass wir genau dort auftauchen."
Shadow stellte fest, dass er anerkennend nickte. Düster wusste wirklich, was er tat. Er ist nicht umsonst Anführer.
"Wird das Lager dann nicht besonders gut bewacht sein?", gab Blitz zu bedenken und erntete zustimmendes Gemurmel von einigen anderen Katzen.
"Das wird es." Düsters Antwort irritierte Shadow. Hatte er seinen Plan doch nicht zu Ende gedacht? Doch anstatt frustriert zu wirken, leuchteten die Augen des dunklen Katers zuversichtlich. "Wir werden sie mit einer Ablenkung von ihren Wachposten locken und dann plötzlich überrumpeln."
Eine Ablenkung? Das klingt aufregend! Und gefährlich...
"Die erste Gruppe wird draußen vor dem Lager des Stammes des Lichts so viel Lärm wie möglich machen", erklärte Düster, während er von der toten Esche sprang und in die Mitte der Versammlung tappte, wo ihm sofort Platz gemacht wurde. Mit einer Kralle fuhr der Anführer durch den matschigen Boden und hinterließ einen Haufen verwirrender Linien. Alle traten einen Schritt heran, um zu erkennen, was er dort tat. Shadow reckte seinen Kopf, damit er hinter Krähe und Schleier etwas erkennen konnte, ehe die Linien vom Regen weggewaschen wurden.
Im Schlamm war eine Zeichnung abgebildet, der Düster nun ein großes Kreuz hinzufügte. "Hier ist das Lager", miaute er. "Und hier", er bewegte seine Pfote, bis sie über ein paar verkrüppelten Kreisen hing, die vermutlich Bäuem symbolisieren sollten. "Werden wir sie zwingen, den Kampf auszutragen."
"Werden sie nicht sehen, wie viele wir sind?" Gewitter hob den Kopf und sah Düster fragend an, der den Kopf schüttelte.
"Das Land dort mag zwar nur wenig Bäume haben, die uns Schutz bieten, doch der Boden ist schön weich und locker - perfekt zum Graben. Wir werden Kuhlen um die Stelle herum buddeln, wo sich die restlichen Katzen verstecken. Sobald der Stamm des Lichts aus seinem Lager heraus gekommen ist, werden wir sie umzingeln."
Einige Herzschläge herrschte Schweigen, bis Rabe es mit einem Jaulen brach. "Sie werden keine Chance haben!"
Skorpion warf triumphierend den Kopf in den Nacken. "Wir werden sie nicht verschonen, genau so wenig wie sie Sichel und Mond!"
Shadow spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte und er am liebsten schreien würde: "Aber der Stamm des Lichts ist unschuldig, ich bin Schuld an ihrem Tod! Wie könnt ihr euch nur so darauf freuen, diesen Katzen das Leben zu nehmen!" Er verstand seine Stammesgefährten einfach nicht, die aufgeregt durcheinander riefen und damit prahlten, Mond und Sichels Ehre zu verteidigen. Was für eine Ironie, dass sie meinen, einen Tod mit weiteren Toden zu rächen, wäre ehrenhaft.
Auf einmal kam Shadow ein Gedanke. Wenn sie gegen den Stamm des Lichts kämpften, dann auch gegen Joel. Er stellte sie vor, wie der helle Kater versuchte, gegen den doppelt so großen Klaue anzukommen. Er wird diesen Kampf nicht überleben. Panisch überlegte Shadow, ob es einen Weg gab, Joels Tod zu verhindern, als ihm etwas einfiel. Das Treffen! Ich werde ihn warnen, dann kann er sich rechtzeitig verstecken oder das Lager gar nicht erst verlassen.
Er sah zu den anderen und bohrte entschlossen die Krallen in die Erde. Ihn werdet ihr nicht töten, dafür sorge ich.
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Es tut mir leid, dass dieses Kapitel so verspätet veröffentlich wird, aber ich war im Urlaub und konnte leider nicht weiterschreiben. Die nächsten Kapitel sollten wieder regelmäßiger kommen!
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