Prolog
Alles war dunkel. Wie eine Woge aus Schatten, die sich vom Boden gelöst hatten, waberte die Dunkelheit umher. Sie stand nicht still, wickelte sich um alles, was sie in ihre schleierartigen Krallen bekam, und zog sich langsam daran hinauf. Nur das Flüstern, das aus den Tiefen des Waldes drang und unverständliche Worte bildete, unterbrach das lautlose Geschehen. Sonst gab es keinen Ton von sich. Kein Vogel sang sein Lied, kein Eichhörnchen lief zwischen den toten Bäumen umher, es gab auch keinen Wind, der mit dem kargen Geäst hätte spielen können. Nichts verlieh diesem Ort Leben.
Plötzlich regte sich etwas inmitten der Dunkelheit und ein Kater trat aus ihr hervor. Sein Fell war tiefschwarz, so als hätte er sich in die Schattenwogen gehüllt, um sie als seinen eigenen Pelz zu tragen. Nur seine goldenen Augen stachen aus der Finsternis hervor. Sein Fell sträubte sich alamiert, als sich eine Augen langsam an die dunkle Umgebung gewöhnt hatten und er die Schattenlandschaft um sich herum erkannte.
Neben ihm schälte sich eine weitere Gestalt aus der Schwärze und im Gegensatz zu dem Kater wirkte sie mit ihrem hellen Fell fehl am Platz. Für einen kurzen Moment sog sie beinahe erleichtert die Luft ein.
Der schwarze Kater trat näher an sie heran. Seine Augen waren weit aufgerissen und huschten zwischen den Bäumen hin und her. "Was machen wir hier?" Er gab sich große Mühe, fest zu sprechen, doch seine Stimme bebte stärker als das Herz in seiner Brust. "Ist sie hier irgendwo?"
Beruhigend strich die beige Kätzin ihm mit dem Schweif über die Flanke. "Es ist alles gut, du bist in Sicherheit."
Ein Zucken jagte bei der Berührung durch den Körper des Katers. "Woher willst du das wissen? Sie könnte überall sein und jeden Moment versuchen, uns zu töten!" Panisch ließ er erneut seinen Blick durch den Wald schweifen. Die Kätzin versuchte, seine Schnauze mit ihrer zu berühren, doch er drehte den Kopf und starrte sie nur mit großen Augen an.
"Sie ist tot. Ihre Zeit ist vorrüber", miaute die beige Kätzin ruhig, doch der Kater meinte ein seltsames Glänzen in ihrem Blick zu erkennen. Für wenige Herzschläge spürte er, wie ihre Gedanken abschweiften und den unheimlichen Wald verließen.
Hoffnung keimte wie eine kleine Flamme in seiner Brust auf. "Es ist vorbei? Alles?"
"Nein." Die Worte der beigen Kätzin erstickten die Flamme augenblicklich. "Nicht alles. Das war bloß der Anfang. Wir sind hier im Wald der Schatten, doch jenseits dieser Grenzen warten Kralles Anhänger nur darauf, dich und deine Macht in die Krallen zu bekommen."
Der schwarze Kater zuckte mit den Ohren. "Ich verstehe nicht. Anhänger? Wovon redest du?"
"Es gibt noch mehr Katzen, die Kralles Ansichten teilen - viel mehr", hob die Kätzin zu einer Erklärung an. "Sie nennen sich selbst den Stamm der Wächter."
Ein Schauer jagte den Rücken des Katers hinunter und er musste schlucken. "Der Stamm der Wächter?"
"Ja, aber wir nutzen diesen Namen hier nicht." Die Kätzin schnaubte verächtlich. "Katzen wie sie verdienen es nicht, sich auch nur im Geringsten mit den Wächtern in Verbindung zu bringen. Der Stamm der Geister nennt sie bloß die andere Seite und das solltest du auch tun. Sie stehen für alles Leid, dass den Wächtern in ihrer Vergangenheit widerfahren ist. Dass wir den Wald der Schatten nicht verlassen können, ist der einzige Grund, dass der Kampf zwischen den beiden Stämmen noch nicht ausgebrochen ist."
Der schwarze Kater starrte sie wortlos an. Zu viele Fragen schwirrten in seinen Gedanken und er hatte das Gefühl, sein Kopf könnte dem Druck nicht länger Stand halten. "Ich...", krächzte er und versuchte, sich für eine Frage zu entscheiden. "Was ist der Stamm der Wächter?"
Die Kätzin öffnete den Mund, überlegte jedoch noch einige Herzschläge, ehe sie zu einer Antwort ansetzte. "Jede Katze, die bereit ist, der anderen Seite die Stirn zu bieten."
"Katzen wie du?"
"Katzen wie ich und du", entgegnete sie und sah den Kater erwartungsvoll an, der allerdings den Blick abwandte und auf seine Pfoten starrte.
Für eine Weile herrschte Schweigen, der ganze Wald schien den Atem anzuhalten. Oder war bloß wieder die Stille eingekehrt, die von Anfang an über ihm lag? Plötzlich räusperte sich der Kater. "Nachtigall?" Er wagte es nicht, aufzusehen, als die helle Kätzin den Kopf drehte und ihr fragender Blick auf seinem Pelz brannte. "Was wird jetzt aus Mond und Sichel?" Seine Stimme weigerte sich, Stand zu halten und brach.
Nachtigall lächelte sanft. "Sie werden ihren Frieden finden", miaute sie und auf einmal wurde ihr Ton wieder ernst. "Aber niemand darf erfahren, wie sie gestorben sind. Du musst sie glauben lassen, der Stamm des Lichts habe sie getötet."
"Das werden sie mir niemals glauben!", protestierte der schwarze Kater.
Entschieden schüttelte Nachtigall den Kopf. "Doch, das werden sie. Ihr Hass auf den feindlichen Stamm ist so groß, dass sie dir blind glauben werden. Sie wollen einen Grund, um sie noch mehr zu verachten." Als sie merkte, dass der Kater nicht überzeugt war, trat sie vor ihn und zwang ihn somit, ihr in die Augen zu sehen. "Hör mir zu! Niemand darf erfahren, was diese Nacht geschehen ist. Niemand darf wissen, wer du wirklich bist."
"Wieso nicht? Was wacht es schon aus, wenn sie wissen, dass ich ein..." Seine Ohren zuckten. "Ein..."
"Ein Wächter bist?", beendete Nachtigall seinen Satz. "Das ist viel zu gefährlich. Du weißt nicht, wie sie reagieren." Der Kater wollte erneut etwas erwidern, doch sie fuhr schnell fort. "Du musst mir einfach vertrauen. Versprich mir, dass du niemandem etwas sagst!"
"Ich..."
"Versprich es mir!"
Der schwarze Kater senkte den Blick. "Ich verspreche es."
Nachtigall seufzte und trat einen Schritt zurück. "Gut, und jetzt ist es Zeit für dich, zurückzukehren. Aber sei vorsichtig, Shadow. Die Gefahr ist noch lange nicht gebannt."
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