Geheime Liebe

Liebesroman

mit großem Altersunterschied

Deutschland 1920

Rena saß alleine im Speisesalon ihrer Eltern. Sie hielt noch immer den Brief ihrer Schwester Margarete in den Händen, wenngleich sie den Inhalt schon mehrmals durchgelesen hatte.

Langsam ließ sie den edlen Papierbogen sinken und legte ihn auf den hölzernen Tisch. Sie hatte es durchwegs vermieden, ihre Schwester zu besuchen. Nun schien aber kein Weg mehr daran vorbeizuführen. Grete, wie Margarete von allen genannt wurde, bat Rena eigentlich nie um irgendetwas. Insbesondere deshalb, weil sich die beiden Geschwister nicht wirklich mochten. In Gedanken versunken fuhr sie sich durch ihr langes braunes Haar, was sie heute ausnahmsweise offen trug und dachte weiter über die geschriebenen Zeilen nach.

Rena war so gesehen das schwarze Schaf in ihrer Familie. Sie war ein Jahr älter als Grete, somit bereits 32 Jahre und hatte noch immer keinen passenden Ehemann gefunden. Ihre Schwester hingegen war schon jahrelang verheiratet und hatte einen 11-jährigen Sohn. Sie war der Stolz ihrer Eltern, da ihr Mann ein reicher, älterer Großindustrieller war und deshalb gut für seine Familie sorgen konnte. Rena dagegen wohnte noch immer zu Hause und lebte mehr oder weniger in den Tag hinein. Mehr als eine gute schulische Ausbildung konnte sie nicht vorweisen, sehr zum Missfallen ihrer Eltern.

Die Türe des Salons wurde aufgestoßen und ihre Mutter trat ein. „Sag mir Tochter, was hat dir Margarete geschrieben?", fragte diese neugierig und ging weiter in den Raum hinein.

Rena seufzte kurz auf. Natürlich wollte ihre Mutter wissen, was ihr Goldschatz zu Papier gebracht hatte und antwortete deshalb darauf: „Grete wünscht sich, dass ich für ein paar Wochen zu ihnen ziehe und mich um Paul kümmere."

Ihre Mutter sah verwundert auf und setzte sich neben ihre Tochter an den Tisch. „Gibt es einen bestimmten Grund? Sie oder ihr Mann sind doch nicht etwa krank?", fragte sie sorgenvoll.

„Nein Mutter, alles gut. Karl hat im Moment sehr viel Arbeit und zusätzlich einen Privatsekretär angestellt, der ihm in verschiedenen Belangen helfen soll. Warum aber Grete dadurch auch keine Zeit für ihren eigenen Sohn hat, weiß ich nicht", gab Rena wahrheitsgemäß zur Antwort, denn sie verstand den Wunsch ihrer Schwester überhaupt nicht.

„Nun, das soll nicht deine Sorge sein, was ihre Gründe sind!", sagte ihre Mutter darauf ungehalten zu ihr, „du packst unverzüglich einen Koffer und fährst gleich morgen zu ihnen. Ich organisiere deine Fahrt dorthin. Los mach schon, es gilt keine Zeit zu verlieren!"

Rena stand auf und nickte ergeben. Da sie noch immer zu Hause wohnte, hatte sie nicht wirklich eine Entscheidungsmacht. „Ja Mutter, ich gehe ja schon", sagte sie zum Abschluss und verließ den kleinen Saal mit einem bedrückenden Gefühl.

Gemächlich stieg sie die Treppen nach oben und ging in ihr großzügiges Zimmer. Sie hatte alles und doch nichts. Eine unverheiratete Frau galt immer noch als nicht sehr ehrenwert, auch wenn sich die Zeiten etwas gebessert hatten. Sie ließ sich auf ihr Bett nieder und grübelte nach. Warum nur wollte ihre Schwester, dass sie kam? Diese hatte ohnehin den ganzen Tag nicht das Geringste zu tun, sie musste doch nur Ehefrau sein, sonst nichts. Vielleicht ein paar Angestellte herumkommandieren, was sie wahrscheinlich mit Genuss tat. Das war es aber auch schon alles an Aufgaben, die sie zu bewältigen hatte.

Ihre Gedanken gingen weiter zu ihrem Schwager. Er war der wahre Grund, warum sie nicht hinfahren wollte. Nicht weil er ihr so unsympathisch war. Nein, ganz und gar nicht! Karl war ein Freund ihrer Eltern, wenngleich sie sich nur sehr selten sahen. Vor Jahren, als Margaretes Verlobter unerwartet verstorben war, hatte Hoffmann plötzlich Interesse an Grete gezeigt und hatte diese umworben. Rena hatte sich im ersten Augenblick, als sie den Großindustriellen gesehen hatte, in ihn verliebt. Doch dieser hatte sie nicht beachtet und seine ganze Aufmerksamkeit auf ihre Schwester gerichtet. 

Warum sollte er auch? Margarete war schön und schlank. Rena hingegen hatte schon immer einige Kilos zu viel auf ihren Rippen gehabt und die Kleider standen ihr nie so gut wie Grete. Rena hatte sich damals immer mehr zurückgezogen, bis sie es komplett mied ihm zu begegnen. Wenn er Margarete besuchte blieb sie meistens am Zimmer, nur damit sie ihn nicht sehen musste. Ihr tat es viel zu weh, dabei zuzusehen, wie er ihre Schwester umwarb.

Nur wenn ein gemeinsames Abendessen zu Hause stattfand, konnte sie der Situation nicht entkommen. Meistens starrte sie dann nur auf ihren Teller und hoffte, dass die Zeit schnell verging. Lediglich Karl versuchte sie des Öfteren in Gespräche zu verwickeln, was ihr ohnehin gebrochenes Herz noch in weitere Einzelteile zerfallen ließ. Denn sie verstand sich ausgezeichnet mit ihm.

Rena tauchte aus ihren Gedanken auf und wischte sich eine einzelne Träne von ihrer Wange. Warum war sie nur so dumm! Karl und ihre Schwester waren schon so lange verheiratet und hatten einen gemeinsamen Sohn, weshalb trauerte sie noch immer dem Ganzen hinterher!

Zornig stand sie auf und riss die Türe des Kleiderschrankes auf, als auch schon die Zofe anklopfte, um ihr beim packen zu helfen. Still richteten die beiden Renas Kleider und Utensilien her, die sie für den Aufenthalt benötigen würde. Sie wusste nicht einmal, wie viele Tage sie dort zu verweilen hatte und nahm daher eine kleine Auswahl mit. Nun also würde sie Karl nach langem Wiedersehen. Sie war sich sicher, dass die Gefühle für ihren Schwager noch genauso stark wie früher waren, sobald sie ihn vor sich hatte.

*

Ungeduldig saß Rena am nächsten Tag beim Frühstückstisch. Sie konnte es kaum erwarten, bis sie das Taxi abholen würde. Sie wollte endlich von hier fort. Ihre Mutter hatte sie unendlich lange maßgeregelt, ihr Vorhaltungen gemacht und sie gewarnt, sich ordentlich zu verhalten. Als ob sie ein Bauerntrampel wäre und nicht wüsste, wie man sich in der feinen Gesellschaft zu benehmen hatte! Natürlich würde sie sich um ihren Neffen kümmern! Sie hatte ihn schon lange nicht mehr gesehen und das alles nur, weil sie Karl nicht begegnen wollte. Rena war viel zu egoistisch gewesen, sie musste ihre Gefühle unter Kontrolle bekommen. So ging das nicht weiter! Sie hatte eben versagt und bekam keinen Mann mehr ab. Vielleicht sollte sie ins Kloster gehen, schließlich war sie schon eine alte Jungfer!

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