Chapter 23
Entsetzt erstarre ich und stocke plötzlich. Der Mann hat die gleiche Frisur und auch eine ähnliche Haarfarbe, doch sein Gesicht sieht freundlich aus und ich kann viele kleine Lachfältchen um seine Augen herum erkennen, als er an mir vorbei geht. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Dass ich eine so freundlich aussehende Person mit Herr Moralez verwechseln konnte …
„Liz?“, ruft Finja und winkt mir zu. Sie hat nicht gemerkt, dass ich stehen geblieben bin, und ist schon ein Stück vorgelaufen.
Hastig laufe ich auf sie zu und sehe mich leicht nervös um.
„Was ist denn?“ Finja ist die Ruhe in Person.
„Ich habe jemanden mit Moralez verwechselt“, brumme ich und sie erschaudert.
„Da drüben ist eine Eisdiele“, meint sie unschuldig und deutet die Straße entlang.
„Klar!“ Begeistert rennen wir beide los und bremsen vor dem gut gefüllten Laden ab.
„Wollen wir uns eine Waffel holen?“, frage ich und schiebe die Tür auf, worauf ein paar Glöckchen klingeln.
Finja nickt und starrt mit gläsernen Augen auf das ganze Eis.
Ich trete an den Tresen.
„Ich hätte …“, fange ich an und seufze. Dann versuche ich es mit Englisch. Jetzt weiß ich genau, warum wir nicht weit kommen würden. Schließlich zeigen Finja und ich auf die gewünschten Eissorten und auf eine Waffel. Die Frau ist unheimlich nett und gibt sich wirklich Mühe, trotzdem dauert es eine viertel Stunde, bis Finja endlich drei Kugeln mit Erdbeere, Schoko und Zitrone und ich zwei Kugeln Schoko habe.
Draußen schlägt uns die Hitze des Nachmittags entgegen und das Eis beginnt sofort, zu schmelzen. Hastig fange ich an zu Essen, Finja hat mit ihren drei Kugeln noch mehr zu kämpfen.
Gelassen schlendern wir weiter, Herr Moralez und Jen völlig vergessen.
Wir gehen über einen etwas größeren Platz mit einem Brunnen. Es sieht wunderbar aus, Wasser schießt in die Höhe und fällt dann in einem engen Bogen zurück ins Becken. Um den Brunnen herum sind Stufen, auf denen ziemlich viele Menschen sitzen. Dazwischen springen Kinder herum. Ich lasse meinen Blick weiterschweifen, über die ganzen Geschäfte, die sich dicht an dicht um den Platz herumdrängen.
Plötzlich entdecke ich einen weiteren Touristenladen, wo auch Stadtkarten vorne ausliegen. Begeistert will ich nach einer greifen, als mir einfällt, dass meine Finger ganz schön klebrig sind. Ich drehe mich um und marschiere zielstrebig zu dem Brunnen.
Verwundert läuft Finja hinter mir her und verschlingt den letzen Teil ihrer Waffel.
„Wohin willst du?“, fragt sie kauend und klebt vergnügt ihre Finger aneinander. Ich muss lächeln und halte meine Hände in das wieder herunterstürzende Wasser.
Es ist angenehm kühl und in dem Moment zieht ein leichter Windhauch an meinem Kleid.
Ich blicke auf und sehe plötzlich einen verdammt gut aussehenden jungen Typ, der auf der anderen Seite des Brunnens vorbei geht. Er hat dunkle, verwuschelte Haare und trägt eine große Sonnenbrille, sodass man seine Augen nicht sehen kann. Ich würde gerne seine Augen sehen. Und das dunkle T-Shirt steht ihm einfach zu gut. Moment, was ist das denn für ein großer Schnitt an seinem rechten Oberarm, der außerdem leicht muskulös ist, wie mit auffällt.
Was denke ich da? Entsetzt senke ich den Kopf und würde ihn am liebsten in den Brunnen tunken. Heimlich werfe ich Finja einen Blick zu, doch die panscht gerade mit ihren immer noch zusammen klebenden Fingern im Wasser herum und scheint nichts mitbekommen zu haben.
Vorsichtig sehe ich da hin, wo der junge Mann gerade gewesen ist, doch er ist verschwunden. Ich schüttel den Kopf, um die Gedanken an ihn loszuwerden und schüttel meine Hände, damit sie etwas trockener werden.
„Ich kaufe mal kurz die Karte“, informiere ich Finja, die immer noch total viel Spaß hat, ihre Hände zu waschen.
„Klar, ich warte hier auf dich“, sagt sie lachend und spritzt die Leute um sich herum nass.
Schnell mache ich mich aus dem Staub.
Ich brauche einen Moment um mich zu orientieren und den Laden wieder zu finden, da er nicht der einzige Buch- oder Zeitungsladen hier ist.
Schließlich finde ich ihn wieder und schnappe mir einen Stadtplan. Das ist unsere Möglichkeit zu entkommen. Zufrieden gehe ich in den Laden hinein. Er ist viel größer als der andere Buchladen, doch es gibt hauptsächlich Zeitschriften und eben Stadtpläne von sämtlichen Städten.
Plötzlich misstrauisch sehe ich auf meinen Plan, ob ich auch den richtigen habe, und stelle erleichtert fest, dass unter dem Namen, den ich nicht richtig lesen kann, auch ein Platz mit einem Brunnen abgebildet ist. Mit dem Brunnen.
Ich gehe zu der Kasse und der unheimlich beschäftigte Verkäufer erspart mir ein peinliches Gespräch, indem er die Karte einfach einscannt und mir etwas Wechselgeld gibt. Keine Ahnung, ob es stimmt, aber ich habe nicht das Verlangen nachzufragen.
Auf dem Weg nach draußen verstecke ich die Stadtkarte unter meinem Kleid, da es ja leider keine Taschen hat und ich es nicht riskieren will, dass Herr Moralez, sollten wir ihn wieder finden, sie entdeckt.
Dann hätten wir nämlich ein Problem. Draußen höre ich sofort Schreie, Gequietsche und Lachen. Verwundert aber auch ein bisschen besorgt sehe ich zu dem Brunnen und ich kann nicht verhindern, dass mein Kiefer aufklappt.
Um den Brunnen herum herrscht eine gewaltige Wasserschlacht, alle Leute haben sich schon in Sicherheit gebracht, jetzt rennen nur noch lachende und quietschende Kinder um ihn herum und spritzen sich gegenseitig nass. Unter ihnen Finja. Sie ist klatschnass und tunkt gerade einen kleinen Jungen in das Becken.
Plötzlich schleicht sich ein ungutes Gefühl bei mir ein. Sie hat noch das Wörterbuch. Fluchend laufe ich los und komme gerade beim Brunnen an, als mir ein Mädchen eine gehörige Ladung Wasser entgegen schmeißt.
Ich kann einen Schrei nicht ganz unterdrücken und drehe mich zu dem Mädchen um, das lachend zurückweicht. Na warte!, denke ich und spritze so viel Wasser wie möglich in ihre Richtung. Doch statt getroffen zu werden, duckt sie sich geschickt hinter einem größeren Jungen, der prompt die ganze Ladung abbekommt. Seine Augen finden mich und er stürmt los.
Schreiend und lachend in einem, ergreife ich die Flucht und stoße mit Finja zusammen, die sich gerade mit einem Mädchen über die Stufen wälzt.
„Wie?“, frage ich, doch sie grinst nur.
„Es ist einfach der Wahnsinn!“, grinst sie begeistert und befreit sich geschickt aus dem Klammergriff des Mädchens. In dem Moment werde ich von hinten gepackt und mit Schwung in das Becken geworfen. Ich schreie auf und schaffe es gerade noch rechtzeitig meinen Mund zu schließen, bevor ich von Wasser umgeben bin.
Sofort fange ich an, wild mit den Armen zu rudern und tauche prustend auf.
Der Junge das mich hinein geworfen hat ist schon weiter gelaufen und macht die Nächsten nass. Der kann etwas erleben! Grinsend wanke ich durch das Wasser hindurch zum Rand des Brunnens und hieve mich hinaus. Mein Kleid ist komplett durchgeweicht und schwer, doch es hätte weitaus schlimmer sein können. So gut habe ich mich seit meiner Entführung nicht mehr gefühlt. Dass ich es schaffe, einfach so mitzumachen, überrascht mich selbst.
„Das Buch“, meint plötzlich eine Stimme hinter mir, ich wirbel reflexartig herum und tunke Finja in den Brunnen.
„Ups“, sage ich, als ich registriere, wen ich da gerade nass mache und ziehe sie wieder raus.
„Ist nass“, lacht sie und schüttelt ihren Kopf, worauf Wassertropfen in alle Richtungen fliegen.
„Die Karte auch“, sage ich und muss auch lachen. „Die können wir dort auf einer Heizung trocknen!“
„Achtung!“, ruft sie in dem Moment, wo ich auch schon das kühle Wasser im Rücken spüre.
Ich drehe mich um, doch kann unmöglich ausmachen, wer es war. Ich drehe mich wieder zu Finja um.
„Wir sollten Herr Moralez suchen“, seufze ich und streiche eine nasse Strähne zur Seite, die mir im Gesicht klebt.
Sie nickt. „Ok, bevor er noch wirklich verschwindet.“
Wir stapfen die Stufen vom Brunnen hinunter. Finja dreht sich noch einmal um und winkt den anderen Kindern. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen sehe ich sie an. Es ist erstaunlich, wie leicht sie mit fremden Leuten klarkommt.
„Wollen wir einfach die Straße entlanglaufen?“, fragt sie und dreht sich wieder zu mir um. Ich zucke mit den Schultern.
„Joa. Eine andere Idee habe ich auch nicht.“
Immer wieder werden wir etwas irritiert von anderen Passanten angesehen, und nach einem anfänglichen Unwohlsein ist es mir egal.
„He ist das da vorne nicht …?“, fragt Finja und deutet zu einem Sonnenbrillenstand. Ich kneife die Augen zusammen und erspähe tatsächlich Jen, der sich eine Sonnenbrille nach der anderen aufsetzt.
Ich bleibe stehen und sehe zu ihm herüber. Verwundert sieht mich Finja an.
„Was ist?“
„Das ist unsere letze Möglichkeit, ich meine wir haben eine Stadtkarte“, sage ich leise.
„Das ist verrückt, wir haben nicht genug Geld, um den Flug zu bezahlen“, erwidert Finja und sieht mich ernst an.
„Ich weiß.“ Meine Stimme wird leiser. „Aber ich ertrage den Gedanken nicht, einfach so zu ihm zurückzugehen.“
Finja seufzt. „Wenn wir jetzt abhauen, haben wir mehr Nachteile als Vorteile. Lass uns zurückgehen, wir können immer noch abhauen.“
„Aber da sind wir bei seinem Anwesen und müssen erst einmal bis zur Stadt kommen!“
„Das schaffen wir schon, aber jetzt haben wir gar keine Chance. Und wenn wir uns nicht beeilen, schickt er vielleicht einen Suchtrupp los und das Angebot platzt.“
„Ok.“
Wir gehen langsam auf den Stand zu, meine Freude von eben ist Unsicherheit und Kummer gewichen.
„Lächel, sonst zieht Jen gleich wieder über dich her“, rät Finja und stupst mich leicht an. „Wir schaffen das!“
Ich setze ein Lächeln auf und hebe den Kopf. Hoffentlich hat sie recht.
Jen entdeckt uns, als wir nur noch zwei Meter von ihm entfernt sind.
„Da seid ihr ja“, begrüßt er uns unfreundlich.
„Ich freue mich auch dich zu sehen“, entgegne ich ironisch und sehe mich um. „Wo ist Herr Moralez?“
„Drinnen“, brummt Jen und deutet auf den Laden, vor dem wir stehen.
Dann bleibt sein Blick wieder an uns hängen. „Warum seid ihr denn so nass?“
„Wir … ähm … sind in den Brunnen gefallen“, schwindel ich.
Finja nickt schnell. „Es sah so schön aus und wir haben uns zu weit nach vorne gebeugt.“
„Und was ist das?“, will Jen neugierig wissen und schnappt sich das nasse und leicht krumme Buch von Finja.
„Was wollt ihr denn mit einem Wörterbuch?“, fragt er weiter, bevor Finja oder ich antworten kann.
„Uns ein bisschen mit der Sprache vertraut machen“, grinst Finja.
„Sie engagieren sich eben, im Gegensatz zu dir“, höre ich in dem Moment Herr Moralez Stimme hinter mir und drehe mich um.
Jetzt ist es auf jeden Fall zu spät. Ich atme tief ein um düstere Gedanken zuverdrängen.
„Hast du eine gefunden?“
Perplex sehe ich Herr Moralez an. Er ist ja so gut drauf und nett. Als ob Finja und ich nie weg gewesen wären. Ich werfe Finja einen fragenden Blick zu, doch die zuckt nur mit den Schultern.
„Habt ihr euch den etwas Schönes gekauft?“, fragt Herr Moralez mit einem Lächeln, als Jen im Laden verschwindet, um zu bezahlen.
„Ja, ein Wörterbuch“, sagt Finja und winkt mit dem völlig durchweichten Exemplar.
„Sonst nichts?“ Ich glaube einen lauernden Unterton zu hören und schüttel schnell den Kopf.
„Nur etwas Eis.“
„Aha.“ Er nickt und mustert uns von oben bis unten. Mein Kleid ist schon wieder fast trocken, die Sonne hier leistet wirklich wahre Wunder.
In dem Moment kommt Jen wieder zu uns und wir gehen langsam weiter. Herr Moralez und Jen laufen voraus, Finja und ich mit kurzem Abstand hinter her.
Plötzlich beugt sich Jen zu seinem Vater hinüber. Interessiert beschleunige ich meine Schritte, passe aber auf, ihnen nicht zu nahe zu kommen.
„… gekommen“, sagt gerade Jen und klingt irgendwie sauer.
„Natürlich sind sie zu mir zurückgekommen, sie hatten keine andere Möglichkeit.“ Herr Moralez scheint rund um zufrieden zu sein.
„Außerdem glaube ich nicht, dass sie sich das Wörterbuch gekauft haben, um sich mit der Sprache vertraut zu machen! Die planen etwas“, flüstert Jen.
Idiot, denke ich.
„Der Trick war genial, und jetzt hör auf herumzumeckern“, erwidert Moralez gelassen.
Trick?, frage ich mich und laufe ihm beinahe in die Hacken. Schnell falle ich wieder ein Stück zurück. Was für ein Trick? Und ist das vielleicht der Grund, warum Herr Moralez so auffallend gut drauf ist?
Plötzlich wirft Jen einen misstrauischen Blick nach hinten und ich kann gerade noch langsamer werden und mir einen Stand ansehen, an dem wir vorbei laufen. Finja betrachtet das Wörterbuch, doch ich merke genau, dass auch sie gelauscht hat.
„Und deswegen vertraust du ihnen jetzt?“, bohrt Jen weiter, sobald er überzeugt ist, dass Finja und ich nicht lauschen.
„Sie sind aus freien Stücken zu mir zurückgekommen, sie nehmen das Angebot ernst“, sagt Moralez und wird etwas langsamer. „Und jetzt hör auf, darüber zu reden!“
„Aber … sie hätten sich einfach aus dem Staub machen können, und du hast ihnen auch noch Geld mitgegeben!“, beschwert sich Jen und dämpft schnell seine Stimme.
„Um zu sehen, was sie sich kaufen. Ist doch klar, und meine Methoden funktionieren immer.“
Da ist sich aber jemand sicher, denke ich und zucke mit den Schultern. Wenn er meint.
Freundlich lächelnd dreht sich Herr Moralez zu uns um.
„Wollt ihr noch ein Eis?“
„Ähm … ne, danke“, sage ich nur und winke ab. Doch Finja ist begeistert.
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Sooo....ein etwas längeres Kapitel :D Ich hoffe es hat euch gefallen und das nächste ist wieder aus Nicos und Mates Sicht. Vieeeelen Dank fürs lesen!!! :D :D
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