Chapter 10
„Gut, dass ich sie …“, fängt sein Sohn gehässig an, doch Herr Moralez schüttelt nur den Kopf.
„Das war Glück und jetzt sei still.“
Daraufhin herrscht eisige Stille. Plötzlich spüre ich Finjas Hand, wie sie ganz vorsichtig und kurz meine berührt.
Ich sehe auf und in ihre Augen. Sie sind voller Dankbarkeit. Sie lächelt mir aufmunternd zu, drückt meine Hand noch mal ganz fest.
Die Limousine kommt zum Stehen und Moralez beugt sich ein Stück zu uns vor.
„Ein kleiner Fehler, oder ein Fluchtversuch …“ Er lässt den Satz unbeendet und streicht sich stattdessen mit dem Finger über die Kehle.
Ich schlucke und lasse mich von dem Chauffeur ohne Widerstand aus dem Auto helfen. Dann steigt Herr Moralez, Finja und dann noch der Junge aus.
Der Flughafen ist riesig. Überall wimmeln Leute herum und ständig fahren neue Autos vor, oder wieder weg.
„Los, rein da!“ Herr Moralez schiebt Finja und mich vorwärts, die ganzen Koffer werden von dem Chauffeur hinter uns hergeschleppt.
Staunend und auch ein bisschen ehrfürchtig sehe ich mich um. Ich bin noch nie an einem Flughafen gewesen und die vielen Menschen und Geräusche machen mich nervös.
Finja klammert sich an mich und sieht ähnlich verzweifelt aus.
„Das ist unser Flug“, sagt Herr Moralez und ich sehe mich verwundert um. Auf einer riesigen Schalttafel stehen verschiedene Flüge nach Australien, Budapest oder Changhai. Schließlich entdecke ich einen, wo irgendein komischer Stadtname angegeben ist, wo in Klammern dahinter Brasilien steht.
„In einer halben Stunde“, lese ich laut vor. „Und warum hetzen sie dann so?“
„Weil man schon früher in dieses Flugzeug muss“, erwidert Moralez genervt und blickt immer wieder auf die Uhren und scheint auf etwas zu warten.
Sein Sohn hingegen steht völlig gechillt neben ihm und starrt möglichst cool vor sich hin. Ich verdrehe die Augen und beobachte die Leute, als irgendwas durchgesagt wird.
„Ok, Terminal 6. Beeilt euch!“
„Woher weiß er das?“, frage ich Finja, die daraufhin nur mit den Schultern zuckt.
„Das haben sie gerade durchgesagt“, antwortetet Herr Moralez an ihrer Stelle. Wir laufen quer durch den Flughafen, bis wir vor etwas stehen, wo Leute kontrolliert werden. Der Chauffeur mit unseren Sachen ist schon längst verschwunden.
Als erstes werde ich in die Kontrolle geschoben, wo mich eine Frau in Uniform in einen kleinen Raum aus Glas führt. Finja wird gerade links von mir überprüft und dieser Kotzbrocken von Junge rechts.
Sie bewegt einen komisch länglichen Apparat einmal um mich herum, dann lächelt mir die Frau zu.
„Sie können durch, und einen angenehmen Flug!“
„Vielen, ähm, Dank“, bringe ich hervor und gehe schnell nach draußen, wo ich mich zu Finja umdrehe.
Bei ihr scheint es nicht ganz so gut zu laufen: Der Mann fischt ein Gegenstand nach dem anderen aus winzigen Taschen ihres Kleides, die ich teilweise für einfach nur Design gehalten, oder schlichtweg übersehen hatte.
Gerade hält er ein silber Messer in der Hand und blickt sie fragend an, worauf Finja wild gestikuliert, ich sie jedoch durch das Glas hindurch nicht hören kann.
Schließlich taucht Herr Moralez auf, wirft einen wütenden zu ihr herüber und stapft davon. Fünf Minuten später steht eine unglücklich aussehende Finja zusammen mit einem sehr schlecht gelaunten Herr Moralez wieder neben mir und wir gehen weiter. Sein Sohn bleibt dicht hinter uns.
Vor einem schmaleren, jedoch gut beleuchteten Gang gibt Herr Moralez einer Frau etwas, was wie zu groß gewordene Tickets aussieht und wir gehen in das Flugzeug.
Hier drin sieht es genau aus, wie ich es aus Filmen kenne.
Unsere Plätze sind alle in einer Reihe, wobei einer an einem Fenster ist. Bevor einer reagieren kann habe ich mich schon hineingedrängelt du auf den Sitz fallen gelassen. Finja setzt sich neben mich.
Der Junge will sich gerade neben sie setzen, als sie protestierend die Arme hochreißt.
„Ich will, setz dich gefälligst auf den anderen Platz!“, herrscht sie ihn an, doch er streckt ihr nur die Zunge raus und setzt sich trotzdem. Seufzend nimmt sein Vater daneben Platz.
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„Scheiße! Das gibt es doch nicht!“ Wütend starrt Nico auf den Bahnübergang.
„Mist, die holen wir nicht mehr auf!“ Mate seufzt und lehnt sich zurück.
„Können wir nicht umdrehen und die Kreuzung eins weiter vorne nehmen“, drängt Nico und sieht Mate besorgt an, doch der schüttelt nur den Kopf.
„Hinter uns stehen schon Autos.“ Seine Stimme klingt emotionslos und er sieht erschöpft aus. Kein Wunder, denkt Nico und seufzt. Er hat auch die ganze Nacht daran gesessen, herauszufinden, wo das Waisenheim ist, und jetzt?
„Aber wird haben das Nummernschild!“ Mate richtet sich ein Stück auf um zu sehen, ob er mit der Nase des Vans schon die Schranke getroffen hat und lehnt sich dann erleichtert wieder zurück.
„Wir finden raus, wo der Typ wohnt und statten ihm einen netten Besuch ab.“
Beide betrachten den Zug der vorbeirauscht.
„Gut, fahren wir wieder nach Hause“, sagt Nico und sobald die Schranken wieder oben sind, gibt Mate Gas.
Es dauert keine zehn Minuten, bis sie zuhause sind, Mate hält an und Nico springt schon aus dem Van.
Im Wohnzimmer angekommen schnappt er sich sofort den Laptop und startet ihn. Unruhig geht er hin und her.
„Ich mach Kaffee“, brummt Mate und stapft an ihm vorbei in die Küche.
Nachdem er die Kaffeemaschine angestellt hat lässt er sich auf einen Stuhl sinken und starrt vor sich hin. Noch vor drei Tagen waren die größten Sorgen, die er sich gemacht hatte das Elterngespräch gewesen, und jetzt das.
Hoffentlich ging es Liz gut.
„Hab die Adresse!“, ruft Nico aus dem Wohnzimmer und kommt in die Küche gerannt. Mate sitz auf einem Stuhl, doch sein Oberkörper ist auf den Tisch gesunken und er schläft.
„Hey. Mate, wach auf!“ Er rüttelt ihn so lange, bis Mate erschrocken hochfährt.
„Sorry, bin kurz eingenickt.“ Er gähnt.
„Kurz, na ja, ich habe zwei Stunden für diesen Mist gebraucht, die Daten von dem Kerl waren ziemlich gut geschützt!“
„Wahrscheinlich hat er Dreck am Stecken“, schlussfolgert Mate und geht zur Kaffeemaschine.
„Kann sein, Er ist so ein reicher Typ, der in einer Villa am Stadtrand wohnt!“
„Super.“ Mate füllt den Kaffe in zwei Tassen, kippt seinen runter und verbrennt sich dabei die Zunge. Wütend fluchend stellt er sie ab.
„Vorsicht“, meint Nico und zieht ihn hinter sich her zur Garage. Er trinkt vorsichtig seinen Kaffee und dann fahren sie auch schon wieder los. „Und der Kerl hat einen echt bescheuerten Namen. Irgendwie ne Mischung aus Camillo Moralez und Fernando.“ Er lacht.
Mate sieht nachdenklich aus und fährt schwungvoll eine Kurve.
„Es ist schon Nachmittag“, brummt Nico, der versucht eine Stadtkarte auseinander zu falten.
„Dann müsste er ja zuhause sein. Und die Karte brauchen wir nicht. Die Adresse kommt mir bekannt vor, ein paar von unseren Geschäftspartner haben mir von der Pflaume erzählt.“
„Du kennst ihn?“
„Nicht direkt, sie haben mir erklärt wo er wohnt, als ich wissen wollte, warum sie nicht zu einer Versammlung gekommen sind. Und an diesen seltsamen Namen kann ich mich erinnern.“
Es ist die gleiche Route, die sie auch der Limousine gefolgt sind. Mate lächelt grimmig. Also hat der Mann Liz tatsächlich zu seiner Villa gebracht.
Kurz darauf biegt der schwarze Van in eine geschotterte Einfahrt, Schotter fliegt in alle Richtungen davon, als der Van die Einfahrt hochheizt. Dann ist auch schon die große Villa zu sehen. Sie ist schneeweiß und gut zwischen den Bäumen zu erkennen.
Mate hält direkt vor der großen Tür an und beide springen aus dem Auto.
„Wollen wir klingeln, oder gleich einsteigen?“, fragt Nico und sieht sich die riesigen Fenster an.
„Ich bin für Klingeln“, erwidert Mate streng. „Einsteigen können wir immer noch.“
Zielstrebig geht er auf die eher schlichte Eingangstür zu und drückt auf einen kleinen bronzefarbenen Klingelknopf.
Totenstille folgt, nichts scheint sich in dem großen Haus zu rühren.
Plötzlich klirrt es laut und als Mate sich umdreht steht Nico vor einer eingeschlagenen Fensterscheibe.
„Nico!“, zischt Mate wütend, „Wir haben doch vereinbart erst zu klingeln!“
„Es hat doch niemand aufgemacht!“, kontert der und öffnet lautlos das Fenster. Zuerst klettert er, dann Mate in das Innere der Villa. Mate sieht sich um. Sie befinden sich in einem großen Raum mit Holzfußboden und einem Flügel.
Er macht eine kaum Sichtbare Handbewegung Richtung Tür und Nico und er pirschen los. Mate drückt gerade die Klinke hinunter, als er ein klicken neben sich hört.
„Danke“, flüstert er, wohl wissend, dass Nico gerade seine Pistole gezogen hat.
„Wo ist deine?“
„Hab sie vergessen.“
„Du hast was?!“
„He, du hast doch noch eine, also was solls?“
Nico schüttelt nur den Kopf und Mate stößt die Tür auf. Vor ihnen ist so eine Art Treppenhaus plus Eingangsbereich, doch keine Menschenseele ist zu sehen. Nico bemerkt eine Bewegung aus dem Augenwinkel und richtet sofort seine Pistole darauf, doch im ersten Stock ist niemand mehr zu sehen.
„Da war jemand“, flüstert er so leise, dass Mate die Worte fast von seinen Lippen ablesen muss. Sofort rennen die beiden los, stürmen die Stufen hoch und sehen gerade noch einen Rock um die Ecke im Korridor verschwinden.
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