Chapter 1
Ich trete durch die Flügeltür und sofort umhüllt mich Wärme und der Geruch nach Popcorn. Langsam steige ich die vier Stufen bis zu der winzigen Kasse hinauf und bezahle eine Eintrittskarte.
Ein Meeresfilm. Ich liebe das Meer.
Meinen Blick auf die Eintrittskarte fixiert bemerke ich das Mädchen hinter mir nicht.
„Lis, bist du das? Wow, ich hätte nicht gedacht dich hier zu treffen. Na ja, obwohl es eine Dokumentation über das Meer ist!“ Sie lacht. Ich kenne sie flüchtig. Sie ist mit mir in der Klasse, doch wir reden nicht miteinander. Ich rede nie mit irgendjemand.
Sie labert weiter auf mich ein, während sie sich ebenfalls eine Eintrittskarte löst, dann kauft sie sich noch eine Tüte Popcorn.
Gemeinsam gehen wir in den winzigen Kinosaal, der wie immer fast ausgestoben ist. So mag ich es am liebsten.
Sie lächelt mich noch einmal an, dann setzt sie sich zu ihren Freundinnen, zwei Reihen vor mir. Ich setze mich in die letzte Reihe. Nicht, weil ich einen Freund habe oder so, ich mag es einfach nicht, wenn mir jemand in den Rücken starrt. Außerdem behalte ich gerne den Überblick.
Er ist auch schon da. Vier Reihen vor mir.
Still sitze ich da und warte bis der Film anfängt. Es kommen noch zwei Jungen hinein und setzen sich zwischen mich und die Mädchen.
„Sag mal, wo ist eigentlich Con? Er wollte schließlich in diesen Film gehen!“ Der Junge stößt seinen Freund an, doch der zuckt nur mit den Schultern, als ein Lachen zu hören ist.
„Keine Sorge! Ich lass euch schon nicht sitzen!“
Ich hebe den Kopf. Es ist Con. Er ist der einzige, von dem ich mir den Namen gemerkt habe, nachdem ein Lehrer uns gezwungen hatte zusammenzuarbeiten.
Er bleibt neben seinen Freunden stehen, die schon cool in den weichen Sitzen gammeln.
„Hi!“ Er setzt sich vor mich und versperrt mir die Sicht. Ohne ein Wort zu sagen gehe ich zwei Plätze weiter nach rechts.
Er dreht den Kopf. „Tschuldigung, habe ich mich direkt vor dich gesetzt?“
Ich antworte nicht und seine Freunde lachen. „Die spricht doch nie! Hast du die mal ein Wort reden gehört?“
Sie lachen weiter, Con hat sich wieder umgedreht. Zum Glück fängt der Film an und sie vergessen über mich herzuziehen.
Das Meer hat mich schon immer fasziniert. Doch ich sitze da wie erstarrt, die Arme auf die Lehne gelegt, angespannt.
Selbst im Kino entspanne ich mich nie. Ich bin immer auf der Hut.
Und so entgeht mir auch die kleine Bewegung an der Tür nicht. Ich beobachte die dunkle Gestalt, die eben hineingekommen ist aus den Augenwinkeln, sie geht weiter nach vorne, in die erste Reihe und setzt sich.
Langsam richte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den Film.
Nur vereinzelt ist das Knistern der Popcorntüten zu hören, während sich Fische über die Leinwand jagen.
Schnell werfe ich einen Blick auf die drei Jungen vor mir. Alle drei schauen mehr oder weniger gelangweilt dem Film zu.
Ich werfe einen kurzen Blick auf die Uhr und sehe dann wieder nach vorne. Halb zehn.
In fünf Minuten geht es los.
Es sollte kein Problem geben. Sam ist schon drinnen, in der ersten Reihe, wie immer.
Fast bedauer ich, den Film nicht fertig sehen zu können.
Dabei zeigen sie gerade die Korallenriffe der Karibik. Aber ich darf mich jetzt nicht ablenken lassen.
In dem Moment geht plötzlich das Licht an, alle kneifen die Augen zusammen.
Laute Stimmen schreien Befehle. „Alle Hände hoch!“
Ich muss lächeln. Diese unverwechselbare raue und harte Stimme. Nico.
Ich schließe die Augen für einen kurzen Moment, verdänge alles, dann öffne ich sie wieder. Das Lächeln ist verschwunden.
Schreie hallen durch den bis gerade eben noch so gemütlichen Kinosaal.
„Steh auf, na wird‘s bald!“ Ich zucke heftig zusammen und sehe zu der ganz in schwarz gekleideten Gestalt, die am Ende meiner Reihe steht. Sie hält eine Waffe in der Hand.
Eine MXM, so eine benutzt nur Nico.
„Verdammt, was wollen die von uns!“ Con bekommt gerade einen Stoß in den Rücken und stolpert gegen seine Freunde.
„Vorwärts, vorwärts!“
Ich konzentriere mich und fange leicht an zu zittern, während ich aus meiner Reihe gehe.
Überall im Saal sind schwarz maskierte Leute, die die wenigen Kinobesucher vorne bei der Leinwand zusammenpferchen. Alle haben Waffen.
Ich erreiche das Ende der Reihe, stehe genau neben der maskierten Gestalt.
„Viertletzte Reihe, grauer Pullover!“, murmel ich, während mir Nico die Waffe an den Kopf hält.
„Danke, Süße!“
Ich zittere immer noch, als er mich vorwärts stößt. Er raunt etwas in sein Funkgerät, ich weiche Con und seinen beiden Freunden aus, die gerade aus ihrer Reihe getrieben wurden.
„Alles okay?“ Con sieht mich mitfühlend an, doch bevor er etwas tun kann, stößt Nico ihn ungewohnt hart weiter.
„Ihr seit hier nicht zum Plaudern!“
Wir kommen vorne bei der Leinwand an und ich knie mich zu den Mädchen, genau wie die Maskierten sagen.
Unauffällig sehe ich zu der viertletzten Reihe. Dort sind drei Leute, sie umringen gerade einen Mann im grauen Pullover.
Ziel erfasst. Das war Teil eins.
„Lis, alles klar?“ Das Mädchen kniet neben mir. Sie ist aschfahl im Gesicht. Ich sehe sie nur stumm an.
„Verdammt, wir müssen die Polizei rufen!“ Eine ihrer Freundinnen holt vorsichtig ein Handy aus ihrer Tasche.
Ich springe auf, doch werde sofort gepackt. „Wo willst du denn hin? Hast du noch nichts gelernt!“, werde ich angefahren.
„Lis!“
Ich werde durchgeschüttelt, dann wieder losgelassen. Einen Moment stolpere ich, dann falle ich genau neben das Mädchen mit dem Handy.
Sie sieht erschrocken auf, doch da hat einer der Maskierten sie auch schon gepackt.
„Das ist nicht dein Ernst, oder?“ Er schreit sie an. Sie lässt starr vor Angst ihr Handy fallen. Ein weiterer der schwarzen Leute kommt und hebt es auf.
„So, und jetzt her mit den Handys. Mit allen!“ Sein kalter Blick streift über die am Boden sitzenden, zusammen gekauerten Menschen.
Er nimmt das Handy von den beiden anderen Mädchen und sieht dann mich an. Ich rühre mich nicht, schaue nur unsicher zu ihm hoch.
„Brauchst du eine extra Einladung?!“ Ich schüttel den Kopf, doch rühre mich nicht.
„Verdammt!“ Er packt mich am Kragen und zieht mich zu sich hoch. Mein Kopf ist jetzt dicht neben seinem.
„Antworte gefälligst!“ Das ist echt. Kalt sehe ich ihm in die Augen. Ich rede nie. Außer mit Nico.
„Gibt es ein Problem!“ Alles wird still.
Alle auf dem Boden kauernden Leute sehen angsterfüllt zu uns hinüber.
„Die Kröte will mir ihr Handy nicht geben!“ Er weiß genau, dass ich ein Handy habe, und er weiß, dass wir nur Show machen müssen. Aber er hasst es, dass ich nicht mit ihm rede.
„Stimmt das?“ Nico sieht mich an und ich fange wieder an zu zittern.
„Äh, ich glaube sie hat keins!“ Das Mädchen steht hinter mir und hat mir eine Hand auf die Schulter gelegt.
Ich sehe genau, wie sie unter Nicos durchdringendem Blick zusammenschrumpft.
„Lass sie los und such weiter!“, befiehlt er, und schießt plötzlich zwischen die drei Jungen, die dicht beieinander sitzen.
„Handys her, aber plötzlich!“
Zwei der Drei lassen entsetzt ihre Handys fallen, in die sie vorher noch etwas tippen wollten.
Schließlich hat niemand mehr ein Handy. Die Maskierten haben mittlerweile den Mann im grauen Pullover aus der Reihe getrieben und binden ihm die Hände auf dem Rücken zusammen. Seine Frau wurde zu den anderen vor die Leinwand gezogen. Sie weint.
Dann wird der Mann nach draußen gebracht.
„Gut. Jetzt nehmen wir jemanden mit, damit ihr anderen nicht auf die Idee kommt, uns nachzulaufen oder so!“
Nico lacht.
Sein kalter Blick streift uns. Jeder wünscht, dass nicht er genommen wird. Das sehe ich an den Gesichtern.
„Du da. Komm her!“ Ich schaue auf. Er sieht mich direkt an. Langsam stehe ich auf und werfe einen Blick auf die Mädchen.
„Lis!“ Sie hat Tränen in den Augen. Dabei kennt sie mich kaum.
Ich werde am Kragen gepackt und ein Stück von den Anderen weg gezogen, dann drückt mir Nico den Gewehrlauf gegen die Schläfe.
„Hände hoch, Süße!“ Sein Atem kitzelt in meinem Ohr. Ich spüre ein Kribbel in mir. Wie bei unserer ersten Begegnung. Ich nehme wiederstrebend die Hände hoch und stolpere vor ihm auf den Ausgang zu.
Wir gehen die Stufen hinunter und durch die Flügeltür. Kälte umhüllt mich.
Draußen ist es schon längst dunkel, nur eine schwache Straßenlaterne steht neben dem Kino, die Häuser daneben sind schwarz und einsam. Hier wohnt schon lange niemand mehr.
„Bereit?“ Nico sieht mich an.
Ich nicke und schreie einmal kurz. Keine Sekunde später schießt er, die Kugel streift meinen Arm.
Ich schreie wieder. Diesmal echt.
Ich spüre das Blut an meinem Arm, spüre den Schmerz. Doch ich verziehe keine Mine, lege mich nur langsam auf die Straße.
Sie ist noch warm. Ich rieche Blut.
Nico holt die anderen auf, sie haben den Mann schon in den schwarzen Van gebracht. Ich höre den Motor, dann fährt das Auto an mir vorbei.
Einen Moment ist es still. Ich presse die Hand auf meine Wunde und rolle mich zusammen. In dem Moment geht die Flügeltür auf und ich höre Stimmen. Sie sind laut und aufgeregt.
Jemand ruft die Polizei.
„Lis, alles okay? Mein Gott, du blutest ja!“ Es ist das Mädchen. Sie versucht mich zu umarmen, um mich zu trösten, doch ich bleibe einfach mit geschlossenen Augen liegen.
Mehrere reden gleichzeitig auf mich ein, doch ich höre nicht zu.
Es ist ein einziges Chaos, dann höre ich die Sirene. Ich versuche die Geräusche auszublenden und mich zu konzentrieren.
Ich wurde angeschossen, ich bin traumatisiert.
In dem Moment höre ich das Schlagen von Autotüren.
„Sie sind da, halte durch!“ Das Mädchen ist immer noch bei mir. Ich spüre, wie sich jemand großes neben mich kniet.
„Mädchen, alles okay? Kannst du aufstehen?“ Es ist ein Mann.
„Äh, ich glaube, ich…sie blutet am Arm..“ Das ist wieder das Mädchen.
Überall versuchen die Leute gleichzeitig der Polizei zu erzählen, was passiert ist. Während die Beamten versuchen die Menschen zu beruhigen, werde ich auf eine Trage gelegt und in den Krankenwagen geschoben.
Ich spüre, wie das Auto losfährt, spüre, wie die Ärzte mich untersuchen.
„Ihr geht es gut, sie hat nur den Streifschuss am Arm!“
„He, Mädchen, alles okay?“
Ich öffne ganz langsam die Augen und blicke in die Richtung, aus der die Stimme kam, doch ich sehe durch den Mann hindurch.
Im Krankenhaus angekommen steht die Diagnose fest: Angeschossen, traumatisiert, nicht ansprechbar.
Ich werde in ein Einzelzimmer gebracht. Dann lassen sie mich erstmal in Ruhe, nachdem sie ein Glas Wasser auf den kleinen Tisch neben meinem Bett gestellt haben.
Erschöpft sinke ich ins Kissen. Ich habe die letzten Nächte nicht sonderlich viel geschlafen, und so dauert es nicht lange, bis ich weggedämmert bin.
Ich schlafe lange, zu lange.
Es ist schon halb elf, als ich mich vorsichtig aufsetzte und nach dem Wasserglas greife. Ich will gerade einen Schluck trinken, als ich innehalte und an dem Wasser rieche .
Es riecht leicht süßlich und ich stelle das Glas wieder auf den Tisch.
Sie haben einen dicken Verband um meinen Arm gewickelt. Ich sehe mich in dem Zimmer um, als ich plötzlich Schritte höre.
Erschrocken ziehe ich die Decke wieder bis zu meinem Hals hoch und starre teilnahmslos aus dem Fenster, als der Arzt hereinkommt.
Er schließt die Tür wieder hinter sich, doch ich beachte ihn gar nicht.
Ausdruckslos starre ich weiter vor mich hin, während der Arzt um das Bett herumgeht. Er trägt einen weißen Kittel und eine schmale Brille.
„Traumatisiert … nette Idee.“
Überrascht hebe ich den Kopf und sehe ihn an. Nico ist mit der Brille kaum wiederzuerkennen.
Ich beobachte wie er nach dem Glas Wasser greift und dann lacht.
„Wie ich sehe ist das Glas noch voll! Gut gemacht!“
Mein Blick verfinstert sich. Ich hasse, hasse es, wenn er mich kontrolliert! Schäumend vor Wut nehme ich das Glas und werfe es so fest ich kann in seine Richtung.
Nico kann sich gerade noch rechtzeitig ducken. Das Glas zerspringt hinter ihm an der Wand und als Nico sich langsam zu mir umdreht, sehe ich, dass er wütend ist.
Mit einem Satz springt er auf mich zu, ich versuche nach hinten auszuweichen, doch er packt mich am Hals und drückt mich auf das Bett.
„Versuche das nie wieder, verstanden?“
Kalt starre ich ihm in die Augen. Seine Brille rutscht seine Nase ein Stück nach unten. Er beugt sich zu mir herunter. Sein Mund ist neben meinem Ohr.
„Hast du verstanden?“
„Ja!“ Grob versuche ich mich zu befreien, er lässt mich los, schiebt die Brille wieder zurück nach oben.
„Dann raus hier!“
Ich will aufstehen, merke aber, dass ich nur Socken trage. „Ähm“, fange ich an, doch Nico grinst nur.
„Da, ich habe an alles gedacht!“ Er wirft mir ein paar Schuhe hin.
Ich werde wieder wütend. Er hätte ja wenigstens sagen können: wie gut, dass dir nichts passiert ist, oder schön dich wieder zu sehen.
Ich presse die Lippen auf einander und befördere die Schuhe mit einem gezielten Tritt aus dem Fenster.
Er sieht ihnen hinterher dann dreht er sich zu mir um. Ich weiche vor seinem durchdringendem Blick ein Stück zurück.
Langsam kommt er auf mich zu und beugt sich zu mir herunter.
„Du legst es heute wirklich darauf an!“
Ich sehe ihn nur finster an.
Er sieht mir in die Augen. „Komm!“ Gelassen richtet er sich wieder auf. Er weiß, dass ich einen Kampf mit ihm verlieren werde.
Ich stehe vorsichtig auf und sehe ihn unschlüssig an. Ehe ich reagieren kann, macht er einen Schritt auf mich zu und hebt mich hoch.
„Irgendwie musst du doch hier rauskommen. Und ich glaube nicht, dass du laufen willst.“
Ich sehe ihn böse an.
Er riecht nach Rauch, wahrscheinlich haben er und Mate sich einen neuen Plan ausgedacht. Mate raucht immer, wenn er nachdenkt.
„Was habt ihr als nächstes vor?“, frage ich, fest entschlossen ihm nicht zu helfen. Als Strafe.
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