VIER
»Es ist viel zu heiß. Wieso hatten wir uns bereit erklart, ihm zu helfen?«, stöhnte ich lautstark und wischte mir den Schweiß von der Stirn.
»Weil er dein Vater ist«, erklärte mir Jona mit einem ironischen Unterton.
»Achja«, erwiderte ich und sah dabei zu, wie mein Vater das Unkraut aus dem Vorgarten zupfte.
Ich war froh gewesen, als er mich angerufen hatte. Es war lange her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben und ich vermisste ihn. Außerdem war ich hellauf begeistert gewesen, dass er mir davon erzählte, dass er den Vorgarten auf Vordermann bringen wollte. Ich hatte nicht lange gezögert und sofort zugesagt, ohne richtig zu wissen, was er eigentlich wollte.
Eigentlich hatte ich mich auf ein bisschen Rosenstutzen und Äste absägen eingestellt. Doch stattdessen kniete ich auf dem sandigen Boden und arbeitete mir meinen Rücken krumm. Schon jetzt fing er an zu zicken und es stach mir im Lendenwirbelbereich.
Der Tag war schon weit vorangeschritten und die Sonne stand schon recht tief. Da es aber mitten im Sommer war, würde es sicher noch zwei bis drei Stunden hell sein
»Müssen wir noch lange machen?«, quengelte ich. Für solche Arbeit war ich nicht geschaffen. Es war schon schwer genug, die Patienten vom Bett auf den Toilettenstuhl zu transferieren, da brauchte ich nicht auch noch sowas in meiner Freizeit.
»Noch diesen Fleck hier, dann sieht es recht ordentlich aus«, erklärte mir mein Vater und zeigte dabei auf ein Stück Beet, aus dem noch recht viele Grashalme wuchsen.
»Gott sei Dank«, jammerte ich und ließ die Doppelhacke, mit den Spitzen voran, auf die Erde sausen.
»Und wie sieht der Plan für die nächsten Tage bei dir aus, Thomas?«, wollte Jona von meinem Vater wissen. Dieser strich sich mit dem Handschuh über die Stirn und hinterließ dunkle Schlieren auf der Haut.
»Morgen fahre ich zum Recyclinghof und hole eine Schaufel Rindenmulch«, erklärte er.
»Eine Schaufel ist aber wenig.« Dabei stellte ich mir eine gewöhnliche Schaufel vor, die jeder Haushalt mit Garten besaß und überlegte, wie das für den gesamten Vorgarten reichen sollte.
Doch bevor ich meinen Gedanken weiter ausführen konnte, erwiderten Jona und Papa gleichzeitig: »Eine Baggerschaufel«, und fassten sich dabei snychron an die Stirn.
»Oh, das ergibt schon eher Sinn.« Meine Wangen wurden heiß und ich konnte spüren, wie mir die Schamesröte den Hals hinaufkroch.
»Und sowas ist meine Tochter«, witzelte mein Vater und schüttelte dabei den Kopf.
»Hey!«, rief ich laut und funkelte ihn wütend an. »Woher hätte ich wissen sollen, dass du eine Baggerschaufel meinst?« Dabei zeigte ich mit der Hacke auf meinen Vater.
»Na, eine normale Schaufel wäre doch viel zu klein. Das ist dir doch klar, oder?«, erklärte er und zog eine Augenbraue hoch.
Da hatte er natürlich recht und ich wusste nichts, was ich darauf hätte erwidern können. Statt eine Diskussion mit ihm anzufangen, blieb ich lieber stumm und zupfte und rupfte lieber das Unkraut aus dem Boden.
»Soll ich dir dabei helfen?«, bot sich Jona an und unterbrach damit die Stille, die zwischen uns herrschte. Mein Vater hob den Blick und beäugte Jona skeptisch.
»Also, jemanden der mir beim Anpacken hilft wäre nicht schlecht«, überlegte er laut. »Du scheinst mir ein Mann für das Grobe sein.«
»Was meinst du denn damit?«, fragte ich ihn empört und hielt kurz inne. Papas Blick huschte zu mir und seine braunen Augen blitzten schelmisch auf. Er ließ auf seine Antwort warten, schien unschlüssig zu sein, was er sagen sollte, und zuckte schlussendlich mit den Schultern.
»Nichts.« Er zuckte mit den Schultern und konzentrierte sich wieder auf das Spitzwegerich, das sich zwischen seine Rosen geschummelt hatte.
Missmutig brummte ich und tat es ihm gleich. Wir hatten noch einiges vor uns und die Sonne neigte sich langsam dem Zenit. Stumm gingen wir unserer Arbeit nach und hackten und schlugen auf die Erde ein. Jedes Mal, wenn ich ein besonders störrisches Grashalm erwischte, musste ich mit ganzer Kraft daran zerren, dass die Wurzeln endlich nachgaben und mit einem Ruck sich aus dem Erdreich lösten.
Jona gelang es so mühelos, er zog einmal kräftig und schwups ploppten die schon aus dem Boden heraus. Ich fühlte mich wie ein Schwächling und überlegte, ob es sinnvoll wäre, mich im selben Fitnessstudio wie Jona anzumelden. Ein paar mehr Muskeln konnten mir nicht schaden.
Außerdem würde ich mir dann vielleicht nicht mehr so in die Hose machen, wenn ich im Dunkeln zu seiner, Mist, schon wieder... unseren Wohnung ging. Manchmal liefen da sehr seltsame Gestalten herum und grölten ihre alkoholisierten Gedanken laut hinaus.
Ein lautes Knurren durchbrach erneut die Stille. Verwirrt sah ich mich um, und musste feststellen, dass es sich dabei um meinen Magen handelte. Mein Papa und Jona sahen mich fragend an und ich grinste schief.
»Ich hatte heute noch nichts zum Mittag«, erklärte ich wahrheitsgemäß und versuchte das Grummeln in meinem Bauch zu ignorieren.
»Was hältst du davon, wenn du mit dem Auto zum Dönerladen fährst und uns allen einen mitbringst. Ich könnte auch etwas zu essen vertragen«, fragte mein Vater.
Ohne mit der Wimper zu zucken warf ich mein Gartenwerkzeug zu Boden, erhob mich ächzend und streifte mir die Handschuhe ab.
»Mit Vergnügen«, flötete ich fröhlich und stapfte in Richtung Auto davon. Jona und ich waren mit meinem kleinen VW Polo aus Lübeck angereist, den ich vor dem Haus meines Vaters geparkt hatte.
Den Schlüssel zog ich aus meiner Hosentasche und schloss es auf. Ich öffnete die Tür und stieg ein. Nachdem ich den Motor gestartet hatte, brauste ich davon, während ich meinem Freund und Papa noch einmal zuwinkte.
Sie winkten zurück und schienen sich köstlich zu amüsieren. Zumindest sah es für mich so aus, da sie lachend ihre Zähne präsentierten.
Worüber sie jetzt wohl redeten? Zu gerne würde ich Mäuschen spielen und die zwei belauschen. Ich war mir sicher, dass da sehr spannende Dinge bei rauskommen würden.
In der Stadt angekommen, stellte ich meinen Wagen auf dem winzigen Hinterhof des Ladens ab und betrat ihn durch den Hintereingang.
»Nicky, du bist wieder da!«, begrüßte mich die basshaltige Stimme des Besitzers. Auch wenn er schon an die vierzig Jahre in Deutschland lebte, hatte er immer noch einen niedlichen, türkischen Akzent.
»Selim, wie schön dich zu sehen«, grüßte ich zurück und wir nahmen uns in den Arm. Er presste mich an seinen wuchtigen Körper und gab mir einen Kuss auf jede Wange. Daran würde ich mich wohl nie gewöhnen. Selim war immer so herzlich und hatte mich schon als Kind immer wie sein eigenes behandelt.
»Wie ist es dir in Lübeck ergangen? Das Übliche? Was machst du hier?«, quetschte er mich aus und wartete gar nicht erst auf eine Antwort. Er legte bereits zwei seiner selbstgebackenen Fladenbrote in den Steinofen und sah mich erwartungsvoll an. Sein Schnurbart, der eher zu einem Italiener als zu einem Türken gepasst hätte, zuckte aufgeregt und ich musste mir ein Kichern unterdrücken.
»Lübeck ist wirklich toll. Wohne seit kurzem dort. Und bitte drei Döner, ich bin mit meinem Freund hier.«
»Freund? Du hast endlich einen Freund?« Selim rollte das ‚r' so niedlich, dass ich nicht anders konnte, als zu grinsen.
»Ja, ich habe es auch endlich geschafft«, witzelte ich und zwinkerte ihm zu.
»Wie schön. Ich freue mich für dich. Ist er Deutscher?« Die Frage hörte sich in meinen Ohren so falsch an. Ich wusste gar nicht genau, ob es darauf eine richtige Antwort gab.
»Äh, ja... Ist er«, druckste ich herum.
»Aber ich habe dir doch gesagt, die Deutschen taugen nichts. Du musst dir einen guten Türken suchen.« Er gestikulierte wild in der Luft herum.
Ich fing schallend an zu lachen. »Du versuchst mich doch schon seit Jahren erflogslos mit Adrian zu verkuppeln. Die Betonung liegt auf ‚erfolglos!'« Ich betonte das Wort extra und hob zur Unterstreichung einen Finger.
»Adrian ist ein guter Junge, schließlich ist er mein Sohn. Die guten Gene hat er von seinem Vater.« Stolz schlug sich Selim auf seine Brust und eine Vibration, die selbst sein Doppelkinn erreichte, waberte über seinen Körper hinweg.
Adrian war ein alter Schulkamerade von mir, mit dem ich früher sehr viel gespielt hatte. Doch als wir auf verschiedene weiterführende Schulen geschickt wurden, war es aus mit unserer Freundschaft gewesen. Plötzlich lernten wir andere Leute kennen und lebten uns einfach auseinander. So passierte es nun mal und man konnte nichts dagegen machen.
»Wir geht es ihm eigentlich?«, fragte ich neugierig nach. Immer wenn ich bei Selim war, informierte ich mich über ihn. Denn wir hatten nie aufgehört uns auf der Straße zu grüßen.
»Er ist verheiratet und erwartet sein erstes Kind. Ich werde Opa, kannst du das glauben?« Selims braune, fast schwarzen Augen begannen zu glänzen und ich hätte schwören können, dass sich Tränen in ihnen bildete.
»Oh wow, ich gratuliere dir. Wann ist es soweit?« Adrian wurde Vater? Er war in meinem Alter und eigentlich dachte ich, dass ich noch ein paar Jahre hätte, bevor die Leute aus meinem Umfeld anfingen zu heiraten und Kinder zu kriegen.
»Danke dir. Nächsten Monat ist der Geburtstermin. Wir sind schon alle ganz aufgeregt«, während er mit mir sprach, holte er die drei Laibe Brot aus dem Steinofen und öffnete sie, um in zwei von ihnen Bauernsalat und Rotkraut mit Cocktailsoße zu füllen. »Was will dein Freund auf seinem Döner?«
Mist. Ich hatte ihn nicht danach gefragt. Fiebrig überlegte ich, ob ich abschätzen konnte, was ihm schmecken würde. Doch wir hatten bisher nicht einmal Döner zusammen gegessen. Eigentlich mochte er kein Fast Food, er achtete sehr auf seine Gesundheit und hatte einen strickten Diätplan.
»Einfach mit allem, bitte.« Keine Ahnung, ob ich damit richtig lag, aber ich hatte jetzt auch keine Lust ihn anzurufen und zu fragen. Ich hatte fürchterlichen Hunger und mein Magen könnte keine weitere Verzögerung ertragen.
Selim packte die Döner sorgfältig in Alufolie ein, kennzeichnete Jonas Döner mit einem Kreuz und steckte sie zusammen in eine Tüte. Danach schob er das Päckchen zu mir rüber und sagte zu mir: »Das macht bitte dreizehn Euro achtzig.«
Ich kramte in meinem Portemonnaie herum und zog einen zehn und einen fünf Euroschein heraus. »Stimmt so«, sagte ich zu ihm, griff nach der Tüte und verabschiedete mich mit einem Winken.
»Mach's gut, Nicky«, konnte ich seine Stimme hören, bevor ich die Tür des Hinterausgangs aufdrückte.
»Mach's besser, Selim«, rief ich zurück und ließ die Tür ins Schloss fallen.
Eine halbe Stunde später parkte ich meinen Polo erneut vor dem Haus meines Vaters und stieg mit einer duftenden Tüte voller Döner aus. Meine beiden Männer hatten wie ich die Arbeit niedergelegt und standen lässig an den Zaun gelehnt mit jeweils einem Bier in der Hand auf der Auffahrt. Sie sahen beide so entzückend mit ihren Blaumännern aus. Es hätte nur noch der gelbe Helm gefehlt. Das brachte mich auf eine lustige Idee und ich stieg aus.
Und ich fing an zu singen: »Bau-uarbeiter: Können wir das schaffen? Bo-ob der Meister?« Ich zeigte mit einem Finger auf die beiden und erwartete ihren Einsatz, doch der blieb leider aus. Wie enttäuschend. »Yo, wir schaffen das«, vollendete ich den Songtext selbst. Von meinem Vater erntete ich bloß ein erneutes Kopfschütteln, aber auf Jonas Lippen lag ein schiefes Lächeln.
»Na, worüber habt ihr so in meiner Abwesenheit gesprochen?«, fragte ich geradeheraus. Jona schenkte mir einen zarten Kuss auf meine Lippen und sah danach verstohlen zu meinem Vater rüber.
»Männerkram«, antwortete mein Vater und nahm einen Schluck aus seiner Flasche. Ich verengte meine Augen zu schlitzen und versuchte aus meinem Papa schlau zu werden. Doch er war schon immer der König des Pokerfaces und ich konnte keine Gefühlsregung an seinen Gesichtszügen erkennen.
»Wollen wir rein und was essen? Jetzt, da die Sonne langsam unter geht, wird es doch recht kühl draußen«, unterbrach Jona meine Gedanken und holte mich zurück auf den Boden der Tatsachen. Auch für mich wurde es langsam zu frisch. Ich trug nur ein dünnes Shirt mit kurzen Ärmeln und auf meinen Armen bildete sich bereits eine dünne Gänsehaut. Für Ende August war es gegen Abend hin doch recht kalt. Hoffentlich war das kein Zeichen, dass bald ein Gewitter aufzog.
»Gute Idee, mir wird es auch zu kalt«, stimmte ich seinem Vorschlag zu und wackelte mit der Tüte Essen davon. Die beiden hatten keine andere Wahl, als dem Geruch der Döner zu folgen.
Als Jona und ich zwei Stunden später nach Hause fuhren, war es bereits stockfinster. Meine Uhr auf dem Handy zeigte mir halb elf an. Wir waren länger geblieben, als anfänglich gedacht. Da Jona bei meinem Vater noch ein zweites Bier getrunken hatte, lag es an mir, uns sicher nach Hause zu bringen.
Leider hatte ich mit meiner Befürchtung recht gelegen und eine dicke Gewitterwolke rollte über uns hinweg. Mein Scheibenwischer war haltlos überfordert und schaffte es gerade mal, für eine Sekunde das Sichtfeld frei zu halten.
Grelle Blitze erhellten den Nachthimmel und der Donner ging mir durch Mark und Bein. Ich hasste es, im Dunkeln Auto zu fahren. Und das Gewitter machte es doppelt so schlimm.
Jona schien meine Anspannung zu spüren und legte eine Hand auf meine, die das Lenkrad verkrampft umklammerte. Kurz schielte ich zu ihm hinüber und konnte erkennen, wie er mich warm anlächelte.
»Es ist alles gut, Sweetie. Du machst das hervorragend«, sprach er mit Mut zu. Es half mir stückweit, die Nervosität abzulegen und ich lockerte meinen Griff um das Leder.
»Tief durchatmen.« Ich tat, wir er es mir gesagt hatte und atmete einem tief ein und wieder aus.
Mein Herz passte sich dem Rhythmus an und schlug nun wieder in einem gesunden Tempo.
»Ich danke dir«, flüsterte ich ihm zu.
Wir schafften es heil und halbwegs trocken in unsere Wohnung. UNSERE Wohnung. Endlich! Ich hatte es geschafft! Es war unsere Wohnung, nicht seine, nicht meine, sondern unsere!
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro