
FÜNFUNDZWANZIG
Nervös zupfte ich an meinem Kleid herum. Mir war schrecklich übel, was sicher nicht nur an der Schwangerschaft lag, primär wohl eher an der Tatsache, dass ich in Max Wagen vor Jonas Wohnung saß. Ich hatte mit meinem vielleicht noch Freund - genau wusste ich das nicht - geschrieben und den heutigen Tag vereinbart, um noch einmal über alles zu sprechen.
Eine Hand legte sich auf mein Knie und erst jetzt realisierte ich, dass ich mit dem Fuß gewippt habe.
»Es wird alles gut«, redete Max beruhigend auf mich ein.
Doch stattdessen setzte mein Herz für einen Schlag aus und ich hielt es vor Nervosität nicht mehr aus. Ich öffnete die Tür und übergab mich auf dem Bürgersteig. Das klägliche Frühstück, bestehend aus einem Toast und einem Kakao - ich verzichtete seit ein paar Wochen gänzlich auf Kaffee - lag nun verteilt auf dem Bürgersteig und ich verzog angeekelt das Gesicht.
»Ohne Scheiß, wenn ich mich nicht ständig übergeben würde, wäre es gar nicht so schlimm, schwanger zu sein«, murmelte ich und fischte ein Taschentuch aus meiner Tasche. Max neben mir gluckste amüsiert und seine Mundwinkel kräuselten sich. »Was gibt es da zu lachen?«, fragte ich ihn pikiert und wischte mir meinen Mund sauer.
»Hat dir schon mal jemand gesagt, wie niedlich du aussiehst, wenn du angepisst bist?«
Ich zog eine Augenbraue hoch und sah ihn fragend an. »Nein, du bist der Erste«, erwiderte ich. Dann atmete ich laut aus und sah hinüber zum Haus.
Die Sonne schien auf die alte Häuserfassade und mein Herz zog sich zusammen. Das Gebäude war zwar nur für wenige Wochen und Monate mein Zuhause gewesen, aber trotzdem fühlte es sich komisch an, hier zu sein. Ob mich Jona wohl bereits erwartete? Ob er sich freuen würde, mich zu sehen? Oder hatte er bereits seine Entscheidung getroffen?
»Bist du so weit?«, fragte mich Max und erneut spürte ich seine Hand auf meinem Knie. Aber dieses Mal legte ich meine darauf und verschränkte meine Finger mit seinen.
»Nein. Aber das wird mir jetzt auch nichts mehr bringen.« Mit diesen Worten stieg ich aus dem Wagen und trat auf die Haustür zu. Der kleine Weg dorthin erschien mir unendlich und mit jedem Schritt, dem ich mich der Tür näherte, hämmerte mein Herz heftiger in der Brust.
Ich streckte meine Hand bereits aus, um auf die Klingel zu drücken, da stockte mir der Atem. Dort, wo vorher Nussbaum/Schreiber gestanden hatte, stand nun nur noch Nussbaum. Er hatte mich einfach aus dem Klingelschild entfernt, ausgetauscht, wie ein schmutziges Hemd.
Ein Kloß schnürte mir die Kehle zu und ich zwang mich dazu, nicht schon wieder zu weinen. Ich hatte einfach schon zu viele Tränen vergossen, bald würden keine mehr übrig sein. Ich kniff die Augen zusammen und atmete tief durch.
Die Tür ging auf und ich machte erschrocken einen Satz zurück. Ich riss meine Augen auf, als ich erkannte, wer da vor mir stand.
Jona wirkte noch härter als das letzte Mal, wie ich ihn gesehen hatte. Seine Kiefermuskeln waren verhärtet, seine blauen Augen strahlten nicht mehr und seine Haare waren kürzer.
»Warst du beim Friseur?«, platzte die Frage aus mir heraus, bevor ich darüber hätte nachdenken können.
Er sah mich nur weiter ausdruckslos an. Dann ließ ihn etwas aufsehen und er schaute hinter mich.
Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber seine Miene verfinsterte sich noch einmal um das Vielfache. Kurz warf ich einen Blick hinter mich und erkannte Max, der lässig an seinem schwarzen Auto lehnte. Er hatte eine lockere Haltung angenommen, die Hände lässig in den Taschen seiner ausgewaschenen Jeanshose vergraben und beobachtete uns. Jemand anders hätte sicher nicht seine verkrampften Arme, oder die verhärteten Muskeln an seinem Hals bemerkt, aber ich schon. Ich kannte ihn einfach zu gut und wusste, wann er aufgewühlt war.
»Bringst du jetzt schon deinen Lover mit? Das hat aber nicht lange gedauert, bis du wieder mit ihm ins Bett gestiegen bist.«
Mein Kopf schoss zurück zu ihm und mir fiel die Kinnlade hinunter. »Wie bitte?«, fragte ich ihn geschockt. Hatte er das gerade wirklich gesagt? Wie wenig vertraute er mir bitte?
Er ruckte mit dem Kinn zu Max. »Weiß er schon, dass du ein Kind von ihm erwartest?«
Das gab mir den Rest. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und die Nervosität ging in Wut auf. »Du hast mich vor die Tür gesetzt, deine eigene Freundin. Was hätte ich denn machen sollen? Unter einer Brücke schlafen?«
Jona sah auf mich hinunter und zuckte mit den Schultern. Zu gern wäre ich die zwei Stufen zu ihm hinaufgestiegen und hätte ihm eine verpasst. Wie konnte ihn das alles bloß so kalt lassen?
»Und wie oft soll ich dir noch sagen, dass das Kind nicht von Max ist? Es ist deins!«
»Woher soll ich das wissen? Du hast doch auch mit ihm gefickt!«
Seine Worte trafen mich wie ein Schlag ins Gesicht. Mir wurde schlagartig kalt und ich hatte das Gefühl, als würde man mir den Boden unter den Füßen wegreißen.
»Wie kannst du mir nur so etwas unterstellen?«, flüsterte ich, weil ich meiner Stimme nicht mehr vertraute. »Ich habe dich nie betrogen!« Beim letzten Wort brach sie und ich musste mich räuspern.
»Mein Vater hatte recht, sich mit dir zu unterhalten, bringt nichts. Du lügst mich eh nur weiter an.«
»Dein Vater?« In meinen Ohren klingelte es. Dieser Arsch von einem Mann hatte natürlich seine Finger mit ihm Spiel. Ich war nicht gut genug für seinen Jungen, er wollte mich loswerden, erst mit Geld jetzt mit falschen Anschuldigungen und Lügen.
»Ja, mein Vater. Er hat mich vor die gewarnt. Meinte, du würdest nur mein Geld wollen, doch ich habe es ihm nicht geglaubt.« Er schnaubte. »Ich sagte ihm, ich würde dir vertrauen. Aber da wusste ich noch nicht, wer du wirklich warst.«
»Jona, ich ...«
»Nein, Nicky. Verstehst du nicht, wie tief du mich verletzt hast?« Er löst sich vom Türrahmen und stieg die Stufen zu mir hinunter. Endlich waren wir halbwegs auf Augenhöhe und ich musste meinen Kopf nicht mehr in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht zu blicken. »Ich habe dir vertraut. Ich habe dich geliebt und was hast du getan?«
»Du hast ... mich geliebt?« Ich schluckte schwer, seine Worte klangen so endgültig.
Sein Kiefer mahlte und er sah aus kalten Augen zu mir hinunter. »Es ist vorbei, Nicky!«
Seine Worte rammten mir einen Eissplitter ins Herz und ließen es gefrieren.
»Ich habe deine Sachen bereits gepackt. Deine Koffer stehen ihm Hausflur und der Rest ist ja noch im Keller. Du kannst dir die Sachen die Tage abholen. Aber ich will dich nicht mehr sehen.«
Ich schluckte, eine Träne rann mir die Wange hinunter und tropfte mir vom Kinn.
»Jona, ich ...«, stotterte ich. »Dein Kind.« Er musste es doch begreife! Er konnte mich doch nicht einfach so verlassen, ich war doch schwanger von ihm!
»Nicky, hör auf!« Schmerz schwang in seiner Stimme mit. »Mach es nicht schlimmer, als es bereits ist. Nimm deine Sachen und geh zu deinem Liebhaber. Hier hast du kein Zuhause mehr.« Mit diesen Worten wandte er sich von mir ab, betrat den Hausflur und ließ die Tür hinter sich zu schlagen.
Das Geräusch ließ mich zusammenzucken. Ich stand wie paralysiert dafür und hatte noch nicht ganz begriffen, was da eigentlich passiert ist. Das war doch alles ein böser Alptraum. Das konnte doch nicht wahr sein, oder?
Eine Hand legte sich von hinten auf meiner Schulter und Max trat in mein Blickfeld.
»Alles gut?«, fragte er und ich hätte am liebsten gelacht.
Nein, es war nicht alles gut. Mein ganzes Leben war zu einem Scherbenhaufen zersprungen und Jona war gerade mit Freude darauf herumgetrampelt. Doch anstatt ihm das zu sagen, nickte ich bloß.
»Hilfst du mir, meine Sachen in dein Auto zu bringen?«, fragte ich ihn apathisch und drehte mich bereits zur Haustür. Meine Finger fühlten sich taub an, als ich den Schlüssel aus meiner Handtasche fischte. Ich öffnete die Tür und kühlte Luft küsste meine erhitzten Wangen. Mir war gar nicht aufgefallen, wie heiß es heute war. Herrschte doch eisige Kälte in meinem Herzen.
Klägliches Mauzen begrüßte mich und ich stürzte auf zwei Transportboxen zu.
»Hey, Casimir, Lucy«, rief ich atemlos. Meine beiden Katzen begrüßten mich mit einem herzzerreißenden Laut. Jona hatte meine beiden Tiere einfach achtlos in den Flur gestellt, ohne sich darum zu scheren, was mit ihnen passierte. Wie herzlos konnte ein Mensch bloß sein?
»Komm, ich nehme sie schon. Nimm du die Taschen, die sehen leicht aus.« Max schob mich zur Seite und zeigte auf zwei Taschen, die sicher mit meiner Kleidung vollgestopft waren.
Als Max meine beiden Katzen hochhob, wurde das Gejammer nur noch lauter und ich bat ihn hilflos, vorsichtig mit ihnen zu sein. Er nickte mir zu und verschwand nach draußen. Dann hob ich eine Tasche von der Erde auf und schwang mir den Gurt über die Schulter.
Gemeinsam trugen wir meine Sachen zum Auto, wobei Max penibel darauf achtete, dass ich nicht zu schwer hob. Er war so fürsorglich, dass es mir erneut die Tränen in die Augen trieb. Doch diese Mal zwang ich sie zurück und verfluchte die blöden Hormone. So viel wie in diesem Monat hatte ich sicher das ganze Jahr nicht geweint.
Als wir endlich alles im Wagen verstaut hatten, setzte ich mich auf die Rückbank zu Casimir und Lucy und Max fuhr mich zu sich.
Im Kopf ging ich bereits eine Liste durch an Dingen, die ich nun erledigen müsste. Ganz oben stand die Suche nach einer neuen Wohnung. Warum hatte ich bloß meine aufgegeben? Sie war perfekt und würde auch Lucy sehr gut gefallen. Dann kam das Gespräch mit meiner Chefin wegen meiner Schwangerschaft und danach kam ein ausführlicher Brief an Heinrich.
Ich überlegte mir bereits, wie ich ihm dazu gratulierte, dass er es geschafft hatte, Jona und mich zu entzweien. Sicher feierte er seinen Sieg bereits mir einer superteuren Flasche Champagner. Oh, ich hasste ihn. Sein Herz musste kohlrabenschwarz sein, anders konnte ich mir seine kalte und abgebrühte Art nicht erklären.
Bei Max angekommen, stellten wir alles in seine Wohnstube und trotz der Größe wirkte sie plötzlich so klein. Mein Herz wog schwer, wie ich ein weiteres Mal auf all meine Habseligkeiten innerhalb kürzester Zeit blicken musste. Es wirkte so wenig, dabei war das mein Leben. In diesen Kisten und Taschen steckten die letzten fünfundzwanzig Jahre und es sah einfach so verdammt wenig und unbedeutend aus.
Etwas Weiches strich um meine Beine und ich sah nach unten. Der graue Pelz von Lucy tauchte auf und sie mauzte mich herausfordernd an.
»Hey, Kleine.« Ich bückte mich und hob sie hoch. Ich entdeckte auch Casimir, der die neue Wohnung direkt erkundete.
»Tut mir leid. Mein Herz hat es nicht mehr ertragen, sie jammern zu hören.« Max kam aus der Küche und schob sich an mir vorbei. Er trug den Duft von Kartoffeln und Fleisch mit sich und ich sog ihn tief ein.
»Kochst du etwa?«, fragte ich ihn unnötigerweise.
Er grinste mich an und sagte: »Vielleicht kannst du von Licht und Luft leben, aber ich leider nicht.«
Licht und Luft. Eigentlich hieß der Spruch von Luft und Liebe leben, aber ich war ihm dankbar, dass er es für mich umgedichtet hatte.
»Danke«, brachte ich heraus. »Danke, dass du mich aufgenommen hast, danke, dass du die Katzen rausgelassen hast. Danke, dass du immer für mich da bist.« Ich musste es ihm einfach sagen, das war das Mindeste, das ich tun konnte.
Er trat einen Schritt auf mich zu und umschloss mich mit seinen Armen. Lucy drückte ihre Pfoten gegen seine Brust, als würde sie ihn auf Abstand halten wollte.
»Weißt du noch, als ich sagte, dass ich dich liebe?«, flüsterte er.
Mir fiel das Telefongespräch vor ein paar Wochen wieder ein. Es schien eine halbe Ewigkeit her. Da war noch alles in Ordnung gewesen.
Ich nickte.
»Ich habe das ernstgemeint.«
»Ich weiß«, flüsterte ich, weil ich sonst das Gefühl hätte, zu schreien.
Er verzog gequält den Mund zu einem Lächeln. »Nein, Nicky. Du verstehst nicht.« Er kam noch einen Schritt auf mich zu und Lucy verabschiedete sich mit einem Satz. Plötzlich waren wir uns ganz nah und ich konnte seinen Atem auf meinen glühenden Wangen spüren. Sein Gesicht kam meinem gefährlich nahe.
»Nicky, ich liebe dich.«
Ich hielt den Atem am. Verwirrt starrte ich ihn bloß an, war nicht dazu in der Lage, auch nur ein Krächzen als Antwort herauszuwürgen.
Mein bester Freund liebte mich? Wie konnte das sein? Wie waren doch nur Freunde. Hatten alle am Ende recht, selbst Jona? Wie hatte mir diese Tatsache entgehen können?
»Wie lange schon?«, flüsterte ich und biss mir danach auf die Zunge. Was für eine dumme Frage, ich hörte mich am liebsten selbst geohrfeigt.
Aber anstatt mich von sich zu stoßen oder auszulachen, strahlte er von einem Ohr zum anderen und seine grünen Augen leuchteten von innen.
»Schon immer.«
Dann legten sich seine Lippen auf meine und er küsste mich. Nicht wie beim ersten Mal, als wir auf der Couch gesessen und ich geweint hatte. Sondern fest, voller Gefühl und fordernd. Er drückte mich an sich, vergrub seine Hand in meinem Haar und bewegte seine Lippen auf meinen.
Ich versteifte mich, wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Doch alles fühlte sich richtig an. Das Eis um mein Herz schmolz dahin, löste sich in Glückseligkeit auf und in meinem Bauch prickelte es. Ich schloss die Augen und erwiderte den Kuss. Erst zögerlich, dann immer sicherer.
Ich schlang meine Arme um seinen Hals und stellte mich auf die Zehenspitzen. Seine Hände wanderten von meinem Kopf hinab zu meinem Rücken und legten sich um mich. Mit einem Ruck presste er mich noch fester an sich und er presste mir die Luft aus den Lungen. Aber das war mir egal. Nur noch er zählte, er und sein Mund an meinem.
Wir lösten uns voneinander und rangen beide hektisch um Atem. Ich sah ihm in die Augen, bemerkte den Sturm, der in ihnen tobte. Schon immer, hatte er gesagt. Wie konnte mir das bloß entgehen?
Jetzt, da ich die Wahrheit kannte, konnte ich es in seinem Gesicht ablesen. Wie er mich ansah, sein Blick weich auf mir lag, das liebevolle Lächeln auf den Lippen, das sonst so schelmisch aussah. Alles deutete daraufhin, doch mir war es entgangen.
Blind vor Liebe. Wie sehr das doch stimmte. Ich hatte mich blind in den falschen Mann verliebt und nicht gesehen, was schon die ganze Zeit vor mir war.
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