13 | Anders als die anderen
Sie waren in eine merkwürdige Routine verfallen. Wann immer sie sich alleine im Schloss begegneten, zog Granger ihn an den nächst besten geheimen Ort. Sie tat es nicht immer, aber oft genug. Dann hatten sie heißen, schweißtreibenden Sex, gefolgt von unangenehmer Stille und einer noch unangenehmeren Verabschiedung.
Sie sprachen praktisch kein Wort miteinander, wenn sie alleine waren. Nur hin und wieder stöhnten sie den Namen des anderen oder gaben sanfte Anweisungen. In der Öffentlichkeit waren sie wieder dazu übergegangen, sich gegenseitig zu ignorieren. Sie lächelte ihn nicht mehr an und er hatte aufgehört, ihr wütende Blicke zuzuwerfen. Das sorgte nebenbei dafür, dass Blaise und Theo ihn nicht länger nervten.
Immerhin hatte Granger auch kein weiteres Flashback oder andere Aussetzer. Seit er wusste, wie empfindlich sie reagierte, wenn sie gegen ihren Willen festgehalten wurde, hielt er sich stark zurück. Er ergriff nie die Initiative für ihre Eskapaden, und er hielt sie nie länger als nötig fest. Auch, wenn sie immer noch nicht wirklich Freunde waren, wollte er trotzdem aufmerksam sein und sie beschützen.
Nur dass sie seinen Schutz nicht brauchte. Finster starrte Draco aus dem Fenster des abgelegenen Korridors. Dort unten lief Granger an der Seite von Ginny Weasley und einer blondhaarigen Ravenclaw-Schülerin Richtung Dorf, als hätte sie keine Sorge der Welt. Sie brauchte ihn nicht. Er hatte gedacht, dass sie ihn brauchte, und es hatte sich gut angefühlt, aber mit jedem Tag, der verging, wurde offensichtlicher, dass es nicht so war.
Und mit jedem Tag, der verging, fand er sich öfter an genau diesem Fenster. Es lag im vierten Stock in einem Korridor, dessen Unterrichtsräume während der Schlacht größtenteils zerstört worden waren, und der deswegen nicht mehr genutzt wurde. Das große Fenster mit der breiten Fensterbank lud dazu ein, einfach hier zu sitzen und hinaus zum Dorf zu schauen. Hier war er wirklich alleine.
Mit geschlossenen Augen ließ er seinen Kopf in den Nacken fallen und lehnte sich an die kalte Steinwand. Er hatte keinen Grund, sich zu beklagen. Er bekam regelmäßigen Sex, ohne sich mit der Anhänglichkeit des Mädchens herumschlagen zu müssen. Jeder andere Mann hätte ihn vermutlich darum beneidet. Er selbst hätte sich das in der Vergangenheit gewünscht, vor allem nachdem Pansy ihn nicht hatte loslassen wollen.
Aber er freute sich nicht. Mit jedem Mal, das sie sich im Geheimen trafen, wuchs die Leere, die er zu füllen versuchte. Blaise und Theo waren gute Freunde, aber am Ende des Tages konnten sie nicht verstehen, was in ihm vorging. Sie wussten nicht, wie es sich anfühlte, für den Tod von Dumbledore verantwortlich zu sein. Sie wussten nicht, was es mit ihm machte, Granger im eigenen Haus am Boden liegend gesehen zu haben. Ihre Schreie gehört zu haben, während seine eigene Tante sie gefoltert hatte. Zu sehen, wie der dreckige Werwolf seine schmutzigen Hände über ihren halbnackten Körper gerieben hatte.
Krieg war nie glorreich. Und auf der Seite der Verlierer zu stehen, bedeutete, dass er für immer so viel Schuld in sich tragen würde.
Er hatte gedacht, dass Granger ihn verstehen würde. Als sie in seinen Armen gelegen hatte, nachdem er sie aus ihrem Flashback geholt hatte, da hatte er so viel Offenheit und Verständnis in ihren Augen gesehen. Sie teilte seinen Schmerz. Sie war nicht gesund aus dem Krieg gekommen. Sie war genauso kaputt und verzweifelt und einsam wie er.
Aber das stimmte natürlich nicht. Er hatte keine Ahnung, was wirklich in ihr vorging. Er hatte nur seine eigenen Gefühle auf sie projiziert und erwartet, dass sie ihm helfen konnte. Granger war eine strahlende Heldin. Sie hatte große Opfer erbracht und viel gelitten, aber es war immer für die richtige, für die gute Sache gewesen. Und sie hatte Potter und Weasley, die alles mit ihr gemeinsam durchgemacht hatten. Sie hatte Freunde, die genau Bescheid wussten.
Mehrfach fuhr er sich mit beiden Händen über das Gesicht. Er hatte in den letzten Tagen immer öfter das Bedürfnis, sich mit den Fingernägeln über die Haut zu kratzen. Da war so viel Energie in ihm, die er nicht rauslassen konnte. Selbst beim Sex hielt er sich immer zurück, um Granger nicht zu verschrecken. Er wusste nicht mehr, wohin mit seiner Wut.
Vielleicht würde es ihm helfen, wenn er Schmerzen spürte. Vielleicht würden Schmerzen ihn ablenken. Und er hatte sie sowieso verdient. Er war zwar nie offiziell für irgendetwas belangt worden, weil der heilige Sankt Potter sich für ihn und seine Eltern eingesetzt hatte. Aber Draco wusste, dass er eine Strafe verdient hatte.
Fluchend richtete er sich auf und presste seine Stirn gegen die eiskalte Fensterscheibe. Er war kein verdammter Teenager, der seine depressiven Phasen in Schmerzen auslebte. Er war ein erwachsener Mann und sollte verdammt noch mal in der Lage sein, seine Impulse zu kontrollieren. Dieser ganze negative Gedankenstrudel war unproduktiv und führte zu nichts. Anstatt im Selbstmitleid zu versinken, sollte er lieber einfach seine Hausaufgaben machen oder mit Blaise und Theo Spaß haben. Genau wie früher.
***
Mit einem Lächeln auf den Lippen verfolgte Hermine die Gespräche um sie herum. Ginny hatte sie nach vielen Wochen endlich davon überzeugen können, mit ihrer Gruppe nach Hogsmeade zu gehen. Wenn sie ehrlich war, hatte sie nur zugesagt, weil Luna auch dabei war, und sie so wenigstens nicht die einzige war, die nicht zu der Clique aufgedrehter Gryffindor-Schülerinnen gehörte. Aber Luna hatte deutlich weniger Probleme, sich mit den anderen zu unterhalten, als sie.
Hermine wusste nicht einmal, worüber die anderen gerade wirklich sprachen. Sie schaute nur hin und her, lächelte, nickte immer mal wieder, und gab sich alle Mühe, den Anschein zu erwecken, bei der Sache zu sein. Sie wollte dazu gehören. Sie wollte locker und lustig und unbeschwert sein.
Aber sie war es nicht.
Je öfter sie sich mit Draco traf, umso leerer fühlte sie sich. Sie hatte gehofft, in ihm einen Menschen zu finden, der sie verstand. Er hatte so gefühlvoll auf ihr Flashback reagiert. Er hatte sie so sachte aufgefangen und sie dann so gekonnt abgelenkt. Aber seit diesem einen Mal hatte sie diese Seite nie wieder in ihm gesehen.
Sie spürte, dass er sich zurückhielt. Sie konnte es in seinem brennenden Blick sehen. In der Art, wie er sie festhielt, spüren. Es war so offensichtlich, dass er nicht länger diese sanfte Seite von sich zeigen wollte. Und so drängte sie ihn auch nicht weiter. Sie genoss den Sex mit ihm zu sehr, als dass sie riskieren wollte, ihn mit unbedachten Worten zu verjagen.
Sie wünschte nur, sie könnte ihn küssen. Wie oft spürte sie dieses unbändige Verlangen, ihn einfach an sich zu ziehen und besinnungslos zu küssen. Aber er musste dazu den ersten Schritt machen. Sie war immer diejenige, die ihn zum Sex aufforderte. Er ließ sich darauf ein, aber sie wollte ihr Glück nicht versuchen.
Deswegen redete sie auch nie mit ihm.
Dabei gab es so viel, was sie ihm sagen wollte.
Danke, dass du für mich da bist.
Du bist verdammt gut.
Lass einfach mal los und fall über mich her. Ich bin nicht zerbrechlich.
Küss mich.
Ich mag dich.
Hermines Lippen begannen zu zittern. Sie fühlte, wie die große Leere in ihr aufstieg. Wie die Realität schon wieder von ihr wich, als würde sich eine Glasscheibe zwischen sie und den Rest der Welt schieben.
Hart kniff sie sich selbst in den Oberschenkel. Schmerz war der beste Weg, um die Leere zu vertreiben. Sie hatte in den letzten Wochen viele Dinge ausprobiert, um dieses Gefühl, alles nur noch wie durch Watte wahrzunehmen, zu vertreiben. Es kam immer plötzlich, unabhängig von der Situation. Es konnte sie jederzeit anfallen. Und es machte ihr Angst.
Manchmal, wenn sie im Unterricht oder beim Essen heimlich zu Draco schaute, bemerkte sie denselben leeren Ausdruck in seinen Augen. Dann fragte sie sich, ob es ihm genauso ging wie ihr. Doch sie fragte ihn nie. Draco Malfoy war ein starker Mann. Er war nicht so schwach wie sie und ließ sich von den Geistern der Vergangenheit runterziehen. Er nahm sich, was er wollte, und verlangte nie mehr.
„Hey, Hermine!"
Mehrmals blinzelte sie. Ihr Lächeln musste versagt haben, den Ginny schaute sie besorgt von der Seite an. Sie zwang es zurück auf ihre Lippen. „Ja?"
„Wir wollen anstoßen", sagte ihre rothaarige Freundin langsam, als hätte sie es schon einmal gesagt. Vielleicht hatte sie das auch.
„Anstoßen?"
Verwirrt schaute Hermine in die lachenden Gesichter um sie herum. Aus irgendeinem Grund trugen alle Mädchen plötzlich einen Haarreif mit Geweih auf dem Kopf.
„Auf den ersten Advent!", erklärte Luna, die offensichtlich begriffen hatte, dass Hermine vorher nicht zugehört hatte. „Hier, willst du auch ein Geweih? Ich hab für uns alle eins mitgebracht."
Mechanisch nahm Hermine Luna den Haarreif ab und setzte ihn auf. Sie spürte Ginnys Blick von der Seite, aber sie hatte keine Lust, sich jetzt eine Blöße zu geben. Ginny würde es sowieso nicht verstehen.
Alle Mädchen hoben ihr Glas mit Butterbier und sprachen lachend einen Trinkspruch für die Weihnachtszeit. Hermine lachte mit, trank mit und schob alle Gedanken an andere Dinge beiseite.
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