Hermine war überrascht, wie wenig sie von Draco im Verlauf der Woche sah. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er ihre nächtliche Aktivität öffentlich anerkennen würde, aber zumindest ein paar Worte hätte man zwischen den Unterrichtsstunden schon wechseln können. Es war nicht so, dass sie es nicht versucht hätte, doch nach der Tränkestunde am Montag hatte Draco sie nicht einmal mehr angeschaut.
Bereute er, was vorgefallen war?
Nachdenklich tippte sie sich mit der Schreibfeder gegen ihre Lippen. Sie sollte sich auf ihren Aufsatz konzentrieren und die halbe Stunde bis zehn Uhr nutzen, um ihre Hausaufgaben in der Bibliothek fertig zu bekommen, doch ihre Gedanken gingen immer wieder auf Wanderschaft.
Sie war nicht unbedingt erfahren, wenn es um Sex ging, aber sie war selbstbewusst genug, um dazu stehen zu können, dass ihr Sex gefiel. Sie war kein kleines Mädchen mehr, sie war neunzehn Jahre alt und fühlte sich inzwischen als Frau. Sie mochte Sex und sie war sich sicher, dass ihr männlicher Partner den Sex mit ihr auch gut fand. Ron hatte sich jedenfalls nie beschwert, auch wenn er nicht zu experimentierfreudig gewesen war wie sie.
Hatte sie die Situation so falsch eingeschätzt? Sie war sich sicher gewesen, dass Draco ebenso Feuer und Flamme dabei gewesen war wie sie. Immerhin war er auch derjenige gewesen, der den ersten Schritt gemacht hatte.
Seufzend legte sie die Feder beiseite. Sie würde heute eh keine Zeile mehr zu Pergament bringen. Normalerweise versuchte sie immer, alle Hausaufgaben vor dem Wochenende zu erledigen, aber das war diese Woche einfach nicht möglich. Sie war zu abgelenkt. Von Draco Malfoy.
Während sie ihre Sachen zusammensammelte, dachte Hermine noch einmal an den Moment im Bad. Gewiss, Draco hatte danach ein wenig reserviert gewirkt, doch sie hatte das darauf geschoben, dass sie beide nicht wussten, wie sie mit der Situation umgehen sollten. Sie waren ja nicht plötzlich Freunde geworden.
Hatte sie das vielleicht einfach falsch interpretiert? War der Sex für ihn vielleicht doch nicht so erfüllend gewesen?
Sie spürte, wie Kälte sich in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Nein, sie würde nicht zulassen, dass Malfoy ihr Selbstbewusstsein zerstörte. Nicht schon wieder. Sie war nicht mehr zwölf und unsicher, ob sie in die Zaubererwelt gehörte. Malfoy konnte ihr nichts. Sie hatte den Sex genossen. Und er war definitiv genauso gierig gewesen wie sie. Er konnte sich nicht beklagen.
Wie immer um diese Uhrzeit war sie die letzte Person in der Bibliothek. Sie stellte die geborgten Bücher eins nach dem anderen zurück an den Platz und machte dann eine kleine Runde durch die Bibliothek, um die Bücher, die andere Schüler einfach hatten liegen lassen, ebenfalls einzusammeln und wegzustellen. Sie war gerade dabei, die letzten beiden Bücher ins Regal zu stellen, als sie ein leises Räuspern hinter sich hörte.
Für den Bruchteil einer Sekunde wanderten ihre Gedanken zu Malfoy, doch als sie sich umdrehte, fand sie jemand ganz anderes vor sich. „Nott?"
„Ich wusste, dass ich dich hier finden würde", grinste er breit. „Und dass du alleine hier sein würdest."
Unsicher blickte Hermine sich um. Sie hatte nie Probleme mit Theodore Nott gehabt, aber er war ein Slytherin und einer der wenigen Freunde, die Malfoy hatte. Sie stellte ihre Schultasche vor sich auf einem der Tische ab, so dass sie dahinter vor Notts Blicken geschützt nach ihrem Zauberstab greifen konnte. Sie reckte ihr Kinn ein wenig höher und richtete sich auf. „Was willst du?"
Seine Augen wurden groß und er zog beide Hände aus den Hosentaschen, wie um ihr zu signalisieren, dass er unbewaffnet war. „Langsam, langsam, Granger. Wir sind nicht im Krieg."
Hermine ließ sich nicht von seinen freundlichen Worten ablenken. Niemand suchte sie absichtlich zu so später Stunde alleine an einem abgelegenen Ort auf. Zumal jeder wusste, dass die neue Bibliothekarin nach acht Uhr nicht mehr anwesend war. Sie kniff misstrauisch die Augen zusammen, den Stab immer noch verdeckt in ihrer Hand, und wartete auf eine richtige Antwort.
Der hochgewachsene Slytherin-Schüler vor ihr schien zu begreifen, dass sie nicht lockerlassen würde. Er faltete seine Arme vor der Brust und lehnte sich gegen eines der Bücherregale. „Hast du einen Mad-Eye Moody im Ohr, der dir ständig immer wachsam zuflüstert? Entspann dich. Ich bin nicht so lebensmüde, dir irgendetwas antun zu wollen." Seine Worte klangen spöttisch, doch Hermine sah an seinen angespannten Mundwinkeln und der Art, wie sein Blick ununterbrochen auf ihr lag, dass er verstand, dass sie gerade nicht zu Scherzen aufgelegt war.
„Ich verstehe dein Misstrauen", fuhr er betont langsam fort. „Aber wir haben in der Vergangenheit doch schon sehr zivilisiert miteinander geredet. Ich möchte dich nur etwas fragen."
Hermine nahm einen tiefen Atemzug. Vielleicht reagierte sie über. Theodore Nott war in der Tat insbesondere in diesem Schuljahr ein Slytherin-Schüler gewesen, der sich stets als höflich erwiesen hatte. Doch die Angst steckte ihr tief in den Knochen. „Dann frag", zischte sie angespannt.
„Ist irgendetwas zwischen dir und Draco vorgefallen?"
Ihre Augen wurden groß. Damit hatte sie nicht gerechnet, obwohl es jetzt, da er es ausgesprochen hatte, sehr viel Sinn ergab. Natürlich schickte Malfoy seine Freunde vor, um mit ihr zu kommunizieren. Sie hob ihre Hand, die den Stab hielt, hinter ihrer Schultasche hervor und steckte ihn betont langsam in ihren Ärmel.
„Hey, woah", kam es entsetzt von Nott. „Du dachtest wirklich, dass ich dich angreifen will?"
„Ein Jahr auf der Flucht vor Todessern und deren Sympathisanten verändert einen Menschen", sagte sie schlicht, doch sie schaute ihm dabei absichtlich in die Augen. Niemand hier verstand, was sie, Harry und Ron durchgemacht hatten.
„Richtig, ja, okay", murmelte Nott leise. „Vielleicht war es nicht so clever, dir alleine aufzulauern hier."
„Vielleicht", stimmte sie kühl zu. „Also, was soll die Frage nach Malfoy?"
Er stieß sich vom Regal ab und nickte Richtung Ausgang. Mit einem genervten Seufzen folgte sie ihm und wartete geduldig, dass er erklärte, was genau er hier wollte.
„Du warst Samstag ziemlich wütend auf Draco", fing Nott an, während sie gemeinsam den Korridor entlang gingen. „Und er wirkte ziemlich zufrieden mit sich selbst. Dann kommt Sonntag, und er wirkt wütend, während du zufrieden aussiehst. Ich muss kein Genie sein, um zu sehen, dass irgendetwas vorgefallen ist zwischen euch."
„Er ist wütend auf mich?", rief Hermine entrüstet aus. „Was zum ... ugh, unfassbar. Ernsthaft, Nott. Er hat keinen Grund, wütend zu sein."
„Äh, ja, das mag ja sein", kam es zögerlich von ihm, „aber Fakt ist, er ist wütend auf dich."
Mit einem frustrierten Stöhnen blieb Hermine stehen und schaute zu Theodore auf. Er war der letzte Mensch, mit dem sie darüber sprechen wollte, aber er ließ ihr offensichtlich keine andere Wahl. „Okay, die Sache ist die. Dein guter Freund Draco wollte etwas von mir und ich hatte zufällig kein Problem, ihm das zu geben. Aber ich bin zufällig auch nicht bereit, mich dafür zu schämen. Wenn er denkt, er kann meinen Ruf ruinieren, dann soll er das tun."
Sie konnte sehen, dass Nott nach ihrer Antwort noch verwirrter war als vorher. Er hob die Schultern hoch und ließ sie ganz langsam wieder sinken. „Ich will gar nicht wissen, worum es hier eigentlich geht. Es geht mich auch nichts an. Ich sehe nur, dass Draco wütend ist, und das schon seit einer Woche, und ich bezweifle, dass er keinen Grund dazu hat."
Hermine spürte, wie der unfassbare Ärger, den sie zuvor alleine in der Bibliothek verspürt hatte, wieder in ihr hervorbrach. Natürlich stellte Nott seinen Freund nicht in Frage. Natürlich hatte Malfoy alles recht der Welt, auf sie wütend zu sein.
„Weißt du was?", zischte sie. „Du kannst zu Malfoy gehen und ihm sagen, dass er mir mal den Buckel runterrutschen kann. Wenn es nach mir geht, haben wir nie auch nur ein Wort miteinander gewechselt."
„Oooookay." In Notts Stimme schwang seine Verwirrung und Überraschung mit, doch Hermine hatte genug.
Ohne sich von ihm zu verabschieden, stapfte sie die Treppen hoch, die zum Gryffindor-Gemeinschaftsraum führten. Sie konnte nicht glauben, dass Malfoy so ein Drama um die Sache machte und jetzt anscheinend wütend auf sie war.
Worüber war er verärgert? Dass sie sich bereitwillig auf ihn eingelassen hatte? Dass sie versprochen hatte, die Sache geheim zu halten, so dass er nicht von entsetzten Slytherin-Schülern belagert wurde? Oder ging es ihm gegen den Strich, dass sie auch Spaß gehabt hatte?
Wenn sie gewusst hätte, dass er zu so einer Drama-Queen mutieren würde, hätte sie sich nie auf ihn eingelassen. Sie hätte sich mit ihrer Fantasie begnügt und für immer dem Traum nachgehangen, dass Draco Malfoy vielleicht doch ein guter Kerl war. Das war jetzt für immer zerstört und sie wusste, sie würde ihre anregenden Fantasien nicht mehr so wie vorher genießen können.
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