Wahrheit
Eine warme Hand streicht zart über meine Haut und ich wache auf.
Es ist ein schöner Morgen, das weiß ich sogar mit geschlossenen Augen. Die weichen Finger auf meinem nackten Bauch sind genauso sanft wie die Sonnenstrahlen, die durchs Fenster scheinen und mich in der Nase kitzeln.
Ich blinzle und schaue in Finns strahlende, blaue Augen. Sein von der Sonne beschienenes, freundliches Gesicht ruft in meinem Inneren wie immer eine wunderbare Art der Geborgenheit hervor. Doch leider passiert dieses 'wie immer' viel zu selten. Und leider hat uns diese Tatsache kaputt gemacht. Finn weiß noch nicht einmal etwas davon.
Es ist ein Morgen, den man mit warmem Herzen, einer Tasse schwarzem Kaffee mit viel Zucker und einem Teller Croissants beginnen sollte. Ein Morgen für Verliebte.
Und doch verdrängen die dunklen Vorahnungen, die Angst vor der Wahrheit und der Kloß in meinem Hals die Liebe in meinem Herzen, von der ich nicht weiß, ob sie überhaupt noch da ist. Liebe ich Finn?
Gestern Abend, als er aus dem Flugzeug gestiegen ist und wir bei Kerzenlicht in meinem Bett verschwunden sind, habe ich es geschafft, zu vergessen, dass jetzt alles anders ist. Wenn wir zusammen sind, würde ich diese Frage jedes Mal ohne zu zögern mit Ja beantworten. Aber warum tue ich dann solche Dinge, wenn Finn weg ist?
Mir selbst die Antwort zu geben ist einfach. Nur ist es schwer, ihm das zu erklären. Ich weiß, dass er es nicht versteht. Weil es nicht zu verstehen ist.
,,Du bist so schön", flüstert Finn mit seiner rauen Stimme. Vor knapp einem Jahr hat dieses Brummen bei mir noch ein unglaubliches Herzklopfen ausgelöst. Vor einem Jahr schien es auch noch so, als wären wir stark genug für jede Entfernung.
Und nun ist alles anders.
Jetzt sind die Angst, die fiebrigen Überlegungen, wie ich es aussprechen soll und meine feuchten Handflächen wie eine eisige, große Flutwelle, die jegliche Art von Wärme aus meiner Seele vertreibt.
,,Meinst du?", sage ich, nur damit ich etwas sage.
,,Schön und klar - von innen und von außen."
Von außen vielleicht. Von innen auf keinen Fall. Was ich getan habe, ist so falsch, wie auf der Autobahn in die Gegenrichtung zu fahren.
Aber für Finn scheint unsere Beziehung noch vollkommen in Ordnung zu sein. Er macht mir die süßesten Komplimente und genießt diesen kostbaren Moment.
Mit ihm an meiner Seite war auch immer alles in Ordnung. Doch wenn ich dann wieder wochenlang hier am Boden gefangen bin, fange ich an zu zweifeln. Die Zeit wird länger, jede Minute scheint wie zwei und das macht alles nur noch schlimmer. Ich vermisse Finn, hasse seinen Job und denke zu viel. Ich sitze da und warte und hoffe und bin allein. Allein sein ist schwer. Es verleitet einen dazu, Fehler zu machen.
Ich wusste nicht, dass ich es nicht wollte, bis es zu spät war. Ich habe in diesem Moment nicht gedacht, nur getrunken. Es war nicht einmal besonders schön, aber es war leicht. Viel leichter als allein zu sein.
Plötzlich war da jemand, der mir wenigstens ein wenig von dem gab, was ich vermisste. Mein Kopf schaltete aus und die Konsequenzen kamen erst danach.
,,Du übertreibst", antworte ich auf Finns süße Worte. Dabei möchte ich eigentlich etwas ganz anderes sagen. Ich will ihm die Wahrheit erzählen.
Ihn anzulügen ist fast noch schlimmer als ihn zu betrügen.
Weil er der beste Mensch ist, den ich je kennen lernen durfte. Er wartet, drängelt nicht, sagt genau das Richtige, klammert nicht und hält seine Versprechen. Er ist mutig, hilfsbereit, ehrlich und selbstlos. Er liebt aus ganzem Herzen.
Aber er ist eben auch Pilot.
Und ich bin feige und schwach.
,,Das würde ich nie", flüstert Finn und schaut mir tief in die Augen. In diesem Moment liebe ich ihn. Aber diese Liebe scheint zu klein für die Distanz und mein Misstrauen zu groß. Ich zähle nicht mehr, wie oft ich eine von diesen wunderschönen Flugbegleiterinnen mit ihren total lächerlichen und doch entzückenden Hütchen und gespreizten Beinen vor meinem inneren Auge sehe. Und das obwohl ich eigentlich weiß, dass Finn so etwas nie tun würde.
Wieder einmal macht mir der Schmerz in meiner Brust klar, dass ich diesen Mann nicht verdient habe. Er braucht jemanden, der ihn aufrichtig und bedingungslos liebt und nicht aufgibt. Dessen Liebe stark genug ist für jeden Ozean.
Trotz meiner Gedanken erwidere ich seinen Blick und lasse ihn in dem Glauben, alles wäre okay. Es ist falsch, doch ich kann es auch nicht mehr richtig machen. Ich muss es ihm sagen, das weiß ich, aber es funktioniert einfach nicht. Ich möchte nicht das zerstören, was ich schon längst zerstört habe.
Als Finn beginnt meinen nackten Körper mit seinen Augen zu liebkosen, frage ich: ,,Wie lange bleibst du noch bei mir?"
In meinem Kopf lautet die Frage eher: ,Wie lange kann ich den schrecklichen Moment noch hinauszögern, es dir zu sagen?'
,,Bis morgen. Dann muss ich zum Flieger", seufzt Finn.
Ich habe Angst.
Ich möchte den Mann, der mich liebt, nicht verlieren. Aber das werde ich unweigerlich in den nächsten Stunden. Ich weiß, dass mein Fehltritt unverzeihlich ist. Er darf mir auch gar nicht verzeihen. Ich habe den Schmerz der Trennung verdient, weil ich die Schuld trage. Er nicht. Deswegen ist es auch so schwer es ihm zu sagen. Ich will ihn nicht verletzen.
"Vergiss mich nicht", wispere ich mit belegter Stimme.
Ich wünschte, ich könnte einfach so handeln, wie mein Herz es mir sagt, doch die Angst in meinem Kopf ist zu groß. Es wundert mich, dass Finn das laute Klopfen in meiner Brust noch nicht wahrgenommen hat. Ich fürchte mich vor seiner Reaktion, vor den Konsequenzen, vor dem Verlassenwerden, vor der Schuld und vor Finns Enttäuschung. Noch fehlt mir die Kraft, diese Mauer zu durchbrechen. Dazu muss ich erst mich selbst besiegen.
Als Antwort auf meine Lügen verteilt Finn verlangende, heiße Küsse auf meinem Schlüsselbein und meiner Schulter.
Dann haucht er die Worte: ,,Das würde ich nie" so nah an meine nackte Haut, dass sich jeder Muskel in meinem Körper anspannt. Ich weiß nicht, ob die Gänsehaut eine Reaktion auf Finn ist oder von dem kommt, was in mir vorgeht.
Ist es Liebe?
Dieses zeitweise Wohlfühlen, Verlangen und die Hitze, aber auch das Warten, Sorgen machen, Zweifeln, Verzweifeln, Eifersüchtig sein, Misstrauen, Betrügen?
Ich liege da, reagiere nicht auf Finns Berührungen, starre an die weiße Decke und mir wird klar, dass jetzt alles vorbei sein wird. Die Zeit mit Finn, dieses komische Zusammensein, die Fernbeziehung, wie die Leute es nennen. Das Wort klingt viel einfacher und abgestumpfter als es sich in Wirklichkeit anfühlt.
,,Ist alles okay?", fragt Finn plötzlich besorgt und erst da wird mir bewusst, dass lautlos Tränen über meine Wangen fließen, stumme Flüsse der Wahrheit.
Es war ein Fehler. Ein verfickter Fehler.
Es ist heuchlerisch und falsch, doch ich möchte das Gefühl noch einmal erleben. Ein Abschied ist es.
,,Ich liebe dich."
Die Worte sind kaum mehr als ein Atemzug und er hört sie trotzdem. Ich schlinge meine Arme um Finns Hals und lege all meine Emotionen, die ganze Reue in diesen einen letzten Kuss.
,,Ich dich auch", stöhnt Finn und ich weiß, dass wir in diesem Moment beide ehrlich sind. Ohne Vorspiel und Fassade.
,,Aber ich habe trotzdem mit einem anderen geschlafen." Die Mauer ist gefallen, der Kampf ist gewonnen.
Am Ende ist es eben die Wahrheit und nur noch die Wahrheit.
Hallo ihr Lieben,
das ist mein Beitrag zur zweiten Schreibaufgabe von Sprachparadoxon s Schreibwettberwerb. Diesmal bin ich gerade noch rechtzeitig fertig geworden und bin schon ganz gespannt auf die Auswertung xD.
Das wars von mir,
Keep Smiling!
wellenmaedchen
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