Paradies
Das erste, was ich fühle, als ich erwache, sind die Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht. Sie sind warm und weich und friedlich.
Ich habe schon lange keine Sonne mehr auf meiner Haut gespürt. Ich bin die Dunkelheit gewöhnt. Doch jetzt merke ich wieder, welch ein schönes Gefühl es ist. Es erinnert mich an zu Hause. Diese wahre Art von zu Hause, die nicht nur etwas mit einem Dach über dem Kopf zu tun hat, sondern auch mit Liebe.
Die Sonnenstrahlen sind wie Küsse, die der Himmel auf meiner Haut verteilt.
Ich schlage die Augen auf und da sehe ich ihn, den Himmel. Septemberhimmelblau. Meine Lieblingsfarbe. Sanfte Schleierwolken überziehen die Endlosigkeit, als wöllten sie mir weis machen, dass alles doch ein Ende hat. Ist mein altes Leben jetzt zu Ende? Ich weiß es nicht.
Mir wird klar, dass da irgendetwas fehlt. Es fehlt die Erinnerung, wie ich hierher gekommen bin, warum ich hier liege, wo ich hier bin. Es ist als wäre ein Teil meines Kopfes von einem kräftigen Windstoß leer gefegt worden. Und es fehlt noch etwas.
Angst.
Ich hatte immer Angst. Seit ich denken kann. Angst war mein Leben. Lebe ich überhaupt noch? Oder ist das jetzt das Paradies? Ich weiß es nicht. Aber das macht mir keine Angst. Es wäre nicht schlimm, wenn ich tot wäre. Ich würde niemanden vermissen und niemand würde mich vermissen.
Ich wollte nicht sterben. Aber ich habe nichts dagegen. Ergibt das Sinn? Sterben, Sich selbst das Leben zu nehmen, Suizid begehen, bedeutet Aufgeben.
Ich schaue mich um und das, was meine Augen treffen scheint meine Seele zu streicheln, zu liebkosen, zu wärmen. Es ist schön.
Die Sonne vergoldet die Spitzen des grünen Grases und lässt die Halme leuchten. Herbst. Es ist Herbst, denn die orangenen Blätter der Buchen bilden den schönsten Kontrast zum blassblauen Himmel.
Ihre Rinde fühlt sich rau an und gleichzeitig weich. Sie verspricht Geborgenheit. Bäume sind Mütter. Sie haben alles gesehen und alles gehört und alles gespürt. Mit den Rissen und Kerben in ihrem Stamm erzählen sie tausend Geschichten, von Stürmen und Dürren, von Wundern und Tragödien, von Pärchen, die sich hier für immer vereint haben, in der Hoffnung deshalb auch für immer zusammen zu bleiben.
Gibt es 'Für immer'? Oder hat alles ein Ende, selbst das Universum, die Liebe und die Erinnerung? Ist das hier das Ende? Oder der Anfang?
Mein Blick fliegt an den Bäumen vorbei und ich sehe einen Bach. Ich gehe näher und höre das Plätschern und Glucksen des Wassers. Es klingt fast wie ein glückliches Kinderlachen.
An der Uferböschung wachsen zarte gelbe Blumen mit langen Stielen, um ja viel Sonne abzubekommen. Der Wind fährt durch sie hindurch und lässt die gelben Farbtupfer zum Klang des Flusses tanzen.
Ich blicke hinab ins klare Wasser und sehe viele rundgeschliffene Kieselsteine, helle und dunkle, über die winzige Fische mit ungeglaublich flinken Bewegungen um die Wette flitzen. Sie schillern silbern wie polierte Geldstücke.
Als ich hinter mir ein Rascheln höre, schrecke ich hoch. Doch was ich sehe lässt ein Lächeln auf me Lippen entstehen. Ein paar Meter von mir entfernt grasen wilde Ponys in der farbenfrohen Landschaft. Sie sind klein und wuschelig, mit langen Mähnen, weichem, schokoladenbraunem Fell und klugen Augen. Durch meine plötzliche Bewegung erschrecke ich sie. Schnell und wild traben sie davon, ihre Mähnen verwandeln sich im Wind zu Flügeln und erzählen von Freiheit. Ich schaue ihnen nach und lasse meinen Blick weiter gleiten.
Am Horizont richten sich riesige Berge, grau und schroff in den Himmel. Ihre Spitzen sind mit Eis und Schnee bedeckt. Sie sehen kalt aus. Aber auch rein. Als hätte noch nie ein Mensch sie je bestiegen.
Die ganze Landschaft ist unberührt und klar, die Luft kalt und kraftvoll. Alle Geräusche sind volltönig, alle Farben sprühen nur so vor Energie, jedes Leben steht in voller Blüte. Es gibt nichts, was falsch ist.
Wer weiß, vielleicht ist das hier ja doch der Tod.
Das ist mein Beitrag zur 1. Aufgabe beim Schreibwettberwerb von Sprachparadoxon. Ich hatte es leider nicht geschafft, den Text rechtzeitig fertig zu schreiben, deswegen ist das jetzt ohne Bewertung. Ich freu mich trotzdem über Kritik ;)
Ihr solltet euch den Wettbewerb übrigens unbedingt mal anschauen, der ist wirklich toll und sehr kreativ. Außerdem kennt sich Jenny (Sprachparadoxon) mit Kritik sehr gut aus.
Viele Grüße und bleibt gesund!
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