A Light In The Night
Der Schnee fiel so dicht und still vom Himmel, wie er nur am Weihnachtsabend fallen konnte. Die dicken Flocken landeten lautlos auf dem schmuddeligen, marineblauen Mantel des kleinen Jungens, aber er schien sie gar nicht zu bemerken.
Vor nicht einmal zwei Stunden, als die Straßen der kleinen Stadt noch belebt gewesen waren, hatte der Junge seine wenigen Habseligkeiten zusammen gepackt – die alte Spieluhr, das rote Halstuch und der abgewetzte Teddy, dem ein Auge fehlte - und hatte das Waisenhaus verlassen, in dem er die sieben Weihnachten zuvor immer verbracht hatte. Es waren keine schönen gewesen. Doch dieses Jahr, dieses Jahr wollte er Weihnachten feiern, wie all die anderen Kinder, die Eltern hatten und Geschwister. Er hatte geklingelt und geklopft und gefragt – überall. Niemand hatte mit dem kleinen Jungen in dem schmuddeligen Mantel zum Fest einladen wollen.
Nun war die Straße verlassen, alle waren schon in ihre Stuben gegangen, um zu feiern, um Geschenke zu überreichen, um Vanillekipferl und Zimtschnecken zu essen, um mit leuchtenden Wangen auf das Christkind zu warten.
Nur der kleine Junge war allein. Allein mit den Schneeflocken, den schwach beleuchteten Schaufenstern und der riesigen Tanne auf dem kleinen Marktplatz.
Er stand da und fror. Stumme Tränen tropften von seiner Nasenspitze in den blütenweißen Schnee.
Kein Mensch wusste, dass er dort stand. Nur die Spatzen, die dicht zusammen gekuschelt auf den Dächern hockten und ihr weiches Gefieder gegen die Kälte aufgepustet hatte, sahen den kleinen Jungen. Vielleicht fragten sie sich, warum er wohl der einzige kleine Junge auf dieser Welt war, der an diesem Abend traurig war. Vielleicht.
Es war Weihnachten, die Zeit im Jahr, in der doch jedes Kind fröhlich war. Oder?
Plötzlich spitzten die Spatzen ihre Ohren, als leise Schritte durch den Schnee knirschten.
„Hallo, du", sagte das Mädchen, dass aus einer der großen, mit vielen goldenen Lichtern geschmückten Häusern am Marktplatz gekommen war. Sie trug ein schönes rotes Samtkleid unter dem gepflegten Mantel und eine ebenso rote Schleife im lockigen Haar. Sie war fast einen Kopf größer als der kleine Junge. „Warum weinst du? Es ist doch Weihnachten."
„Nicht für mich", schniefte der kleine Junge. „Ich darf kein Weihnachten feiern."
„Natürlich darfst du. Weihnachten ist ein Fest für alle Menschen dieser Erde. An Weihnachten sind wir alle gleich. Wir alle freuen uns und feiern zusammen."
„Nein. Ich bin aus dem Waisenhaus weggelaufen, deswegen machen die Engel jetzt, dass ich nicht mit den anderen Weihnachten feiern darf." Noch flossen die Tränen geradezu aus den Augen des Jungen.
„Weißt du, ich will dir etwas sagen", erzählte das Mädchen. „An Weihnachten ist es egal, was du gemacht hast. Es ist egal, wo du her kommst. Es ist egal, wie du aussiehst, ob deine Haut braun oder weiß oder rot ist. Es ist egal, ob du Eltern hast oder nicht. Es ist egal, ob du reich bist oder arm. Es ist egal, ob du tapfer bist oder schüchtern. Es ist egal, ob du Freunde hast oder nicht. An Weihnachten zählt nur, dass du lebst. An Weihnachten bekommt jeder von uns eine Chance. An Weihnachten hat jeder das Recht fröhlich zu sein. Auch du."
Das erste Mal schaute der Junge auf und blickte in die blauen Augen des Mädchens. In den seinen glänzten noch die Tränen, doch man konnte auch etwas anderes darin erkennen. Hoffnung.
„Komm mit. Ich zeig dir, was es bedeutet fröhlich zu sein."
Da nahm das Mädchen die erfrorene Hand des Jungen und zog ihn hinter sich her zu der Haustür, aus der sie vorhin herausgekommen war. Sie war in einem satten Tannengrün gestrichen, nicht ein bisschen der Farbe blätterte ab. Ein wunderschöner Adventskranz hing über den Köpfen der Kinder, als sie die Türklinke herunterdrückten.
Nun sah man draußen nur noch die Schneeflocken, die dicht aneinander gedrängten Spatzen und das Licht, das aus den Fenstern der Häuser floss und den verschneiten Fußweg glitzern ließ, als bestünde er aus tausend winzigen Brillanten, die die Engel hier hinterlassen hatten. Wer weiß, vielleicht hatten sie ja auch das kleine Mädchen geschickt.
Drinnen, hinter den Fenstern, da erklang das Lachen des Mädchens, ihrer Brüder und Schwestern und – das des kleinen verlorenen Jungen, der doch nicht so allein war, wie er dachte. Sie aßen Bratäpfel und Marzipanplätzchen, sie lauschten den Geschichten des Großvaters, sie teilten ihre Geschenke, sie tanzten und sangen.
Denn an Weihnachten haben wir alle das Recht, fröhlich zu sein.
Ich wünsche euch allen gesegnete und fröhliche Weihnachten!
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