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Kapitel 31 [Daisy]

Als ich die Augen aufschlug, wusste ich für einen winzigen Augenblick nicht, wo ich war. Die Decke sah so fremd, so anders aus als Zuhause, der Raum war so viel heller und wärmer als mein Zimmer. Und auch das Knistern des Kamins war mir fremd.

Ich brauchte nicht lange, um mich daran zu erinnern, wo ich war war. Was geschehen war. Wegen mir. Wegen mir.

Ich erhob mich mit einem Ruck, schlüpfte vom Sofa. Ich trug noch die Klamotten vom Vortag, doch das war unwichtig.

Mein Blick schweifte umher, der stille Raum lag in solch einer Ruhe da, dass es mir Angst machte.

Die Ruhe vor dem Sturm, dachte ich und erinnerte mich an das beklemmende Gefühl, das ich verspürt hatte, als ich zum ersten Mal die Praxis von Doktor Sander betreten hatte. Sie hatte mich freundlich angelächelt und mir die Hand gereicht.

„Hallo, Miss García. Ich freue mich Sie kennenzulernen." Und der kalte leere Raum war so unglaublich still gewesen, zu still, als dass ich diese Ruhe als angenehm bezeichnet hätte.

Ohne nachzudenken, in nur wenigen Sätzen, näherte ich mich dem Sofa, auf dem Noah lag.

Juna schien nachts noch einmal den Verband gewechselt zu haben, denn sie lag auf dem Boden vor dem Sofa und war wahrscheinlich kurz nach dem Verbandswechsel auf der Stelle eingeschlafen. Ihre rot geschminkten Lippen waren aufeinander gepresst und ihr flammenfarbenes Haar war zerzaust.

Rasch legte ich ihr eine der Decken über die Schultern und wandte mich an Noah. Ich legte mein Ohr auf seine Brust und lauschte mit klopfendem Herzen. Atmete er noch oder war das mein eigener, gehetzter Atem, den ich in der Stille vernahm?

Immer wieder hallte der Schuss in meinem Kopf, vermischte sich mit Erinnerungen an das dumpfe Krachen, das sich über die Bühne gelegt hatte. So laut, zu laut war diese Stille. Ich hob meinen Kopf wieder und betrachte Noahs Gesicht, das reglos, fast schon friedlich zu schlafen schien.

Seine Wangen waren kränklich blass, doch seine Brust hob und senkte sich zweifellos. Natürlich. So musste es sein. Er konnte schließlich nicht einfach so sterben. Unmöglich.

Ich schüttelte den Kopf und wandte den Blick ab, denn ich ertrug es nicht, ihn so zu sehen, ich ertrug den Gedanken nicht, dass er hier, so, sterben würde.

Würde er es bemerken? Würde er bemerken, wie das Leben aus ihm weichen würde? Oder war es wie, wenn man langsam abdriftete? War es wie, wenn man müde dasaß und langsam, unbewusst, einschlief, ohne es zu bemerken? Fühlte sich so sterben an?

Ich schluckte, Tränen brannten in meinen Augen, doch niemand sah sie, denn die Anderen schliefen noch.

Kai saß halb, er schien versucht zu haben, wach zu bleiben, um Wache zu halten, war letztendlich jedoch mit verschränkten Armen eingeschlafen. Sein Tattoo-Drache sah traurig aus, so verletzt, wie Kais eingefallene Wangen.

Seraya hatte sich auf den Boden gelegt, wo sie auf dem Rücken, mit kraftlosen Gesichtszügen ruhte, ihre Hände waren auf ihrem Bauch gefaltet. Als läge sie in einem Grab.

Mein Blick schweifte fast schon abwesend über Paul, der auf dem hintersten Sofa unruhig schlief, immer wieder wälzte er sich von einer Seite auf die Andere.

Eve und Cuinn saßen aneinander gelehnt auf dem benachbarten Sofa, ich sah, wie Cuinns Lippen im Schlaf leise Worte murmelten, wie er seinen Kopf drehte und in Eves Haaren vergrub, als würde er dort Trost finden. Eves Finger umklammerten seine Hand und ihre sonst ruhigen, eingefrorenen Gesichtszüge schienen verängstigt, so verletzlich, dass mein Herz sich verkrampfte.

Sie hat Angst. Selbst Eve hat Angst. Selbst sie hat die Hoffnung aufgegeben, obwohl sie doch immer eine Lösung hat.

Auf einmal fühlte ich mich kaputt und der Anblick dieser schlafenden, verängstigten Gesichter, die tödliche Stille, sie ließen mich wieder zurück auf mein Sofa sinken.

Mein starrer Blick ruhte auf der Wand, ich nahm kaum wahr, wie nach und nach Leben in die Anderen kam. Meine Augen legten sich abwesend auf die Anderen, während die Stille von leisem Flüstern und Gesprächen erfüllt war.

Juna machte sich gleich dran, den Verband zu wechseln, sie setzte Wasser in der Küche auf und flößte Noah erneut Gemüsebrühe durch seine leicht geöffneten Lippen ein und ich meinte, zu sehen, wie sein Kehlkopf sich hob und senkte, wie er langsam die angenehme Flüssigkeit schluckte.

Ich sah, wie Kai hochschreckte und sich ein wenig desorientiert umschaute, wie Cuinn und Eve verschlafen aufblickten. Sah, wie Eve ein wenig verlegen von Cuinn wegrückte, der ihr ein belustigtes Lächeln schenkte, was sie noch verlegener machte. Wenn ich nicht so hoffnungsvoll und bedrückt wäre, hätte ich vermutlich gelächelt, hätte mir gedacht, was für ein süßes Paar sie abgeben würden, doch all diese Gedanken wurden bloß von einem einzigen übertönt.

Sie werden sterben. Wir alle werden sterben. Diese Liebe wird nicht von langer Dauer sein. Diese Liebe wird ihnen nichts bringen, denn schon bald werden wir alle wahnsinnig, schon bald werden wir einer nach dem Anderen zuerst wahnsinnig und dann sterben wir.

Ich begann zu zittern und, als Juna mir einen erschöpften, besorgten Blick zuwarf, lächelte ich, spannte meinen ganzen Körper an, um das Zittern zu unterdrücken.

Juna war ohnehin zu müde, um sich zu viele Gedanken darüber zu machen, denn sie ließ sich auf einem Sofa nieder, nahm mit einem leisen Dank das Brot von Seraya an, die gemeinsam mit Cuinn Brote geschmiert hatte und an alle verteilte.

Eve reichte jedem ein Glas Wasser und so saßen wir da, aßen schweigend unser Frühstück, hatten weder die Energie zu reden, noch uns umzuziehen.

„Und?", erhob Kai schließlich die Stimme, lehnte sich zurück und musterte uns alle.

„Was, und?", fragte Seraya, ihre braunen Augen schimmerten abwesend und ihre Arme waren um ihren Oberkörper geschlungen, als wäre ihr in diesem geheizten Raum kalt.

 „Und, was tun wir jetzt?", erklärte Kai, der nicht die Kraft hatte, genervt zu klingen. Sein Blick schweifte umher, verharrte einen Moment auf mir, als schien er das Zittern, welches meinen Körper erschütterte, zu bemerken. Doch dann sah er weg. „Tun wir etwas? Oder warten wir darauf, dass wir sterben?"

Eve runzelte die Stirn. Sie hielt ihre Beine umschlungen, während ihr Kinn auf den Knien ruhte. „Ich wäre dafür, dass wir etwas tun", sagte sie bitter. „Das problematische daran ist nur, dass ich keinen Plan habe, was wir tun könnten. Wie sieht's bei euch aus? Hat irgendjemand eine Idee? Einen Geistesblitz?" Darauf wusste niemand eine Antwort und Eve nickte wissend. Ihr aschblondes Haar war zu einem unordentlichen Knoten gebunden.

„Ich wäre dafür, dass wir aufgeben", sagte ich und spürte seltsame Blicke auf mir. Verwirrte, wütende Blicke. Ich schluckte.

„Der Täter will uns in die Verzweiflung treiben. Er will, dass wir uns gegenseitig fertig machen, will, dass wir wahnsinnig werden, unser Vertrauen ineinander verlieren, weil es ja anscheinend einen Verräter unter uns geben soll..."

Meine Worte klangen matt, kraftlos, doch ich war mir so sicher, so sicher, wie noch nie. Ich hob das Kinn. „Ich lass mich aber nicht fertigmachen. Ich werde nicht warten, bis der Täter meine Geheimnisse ausgräbt und sie gegen mich verwendet. Mich zu einer Lügnerin macht." Ich spuckte die Worte förmlich aus. „Und deshalb werde ich euch alles verraten. Jetzt. Hier. Ich erzähle euch alles. Woran ich Schuld bin, was ich vor euch verheimlicht habe."

Meine Stimme zitterte und ich bemerkte, wie Eve sich leicht aufrichtete.

„Ich möchte euch um Verzeihung bitten, dass ich euch so viel nicht gesagt habe", flüsterte ich. „Aber bitte, bitte, versprecht mir, dass wir trotzdem zusammenhalten. Dass wir uns nicht gegenseitig fertig machen, weil das ist genau das, was der Täter will. Wir müssen uns gegenseitig vertrauen."

Ich sah zu Seraya, die mich unverwandt anblickte. „Jedem. Tun wir das, was der Täter nicht erwartet: dass wir vertrauen und erzählen. Er wird unsere Geheimnisse nicht mehr dafür benutzen können, uns gegeneinander aufzubringen. Weil wir ohnehin alles übereinander wissen werden."

Schweigend lauschten die Anderen. „Im Treppenhaus zum Keller hängt ein Foto", sprach ich die Worte aus, vor denen ich mich so sehr gefürchtet hatte.

Mir entging nicht, wie Eves Blick flackerte. Wie sie zu Cuinn sah, der mich mit einem unlesbaren Ausdruck musterte.

Der Täter hat also nicht gelogen. Cuinn und Eve haben das Foto auch gesehen. Und sie kennen ihn auch.

Die Worte sprudelten nur so aus mir heraus. „Da hängt ein Foto von meinem Freund. Ehemaligen Freund", sagte ich.

„Der, der dich immer Schneewittchen genannt hat, richtig?", fragte Eve flüsternd und ich nickte benommen.

Ich spürte seinen Blick auf mir, seinen stechenden, dunklen Blick. Er hatte mich geliebt, oder? So sehr, dass man es fast schon wieder Hass nennen konnte. Das hatte Celine mir immer gesagt. „Daisy, ich mache mir Sorgen um dich. Er ist nicht gut für dich." Und am Ende hatte sie Recht behalten.

„Und er... er hat grausame Dinge getan", sagte ich, meine Worte waren so leise wie der Hauch des Windes. Die Sonne glitzerte durch das Fenster und blendete mich ein wenig. „Er hat grausame Dinge getan. Für mich."

Cuinn lehnte sich leicht nach vorne, seine Schulter streifte Eve und ich sah, wie ihre Selbtsicherheit ihr für einen kurzen Moment entglitt.

„Und heißt... tut mir Leid, hieß dieser Freund so wie ich denke?", fragte er und ich sah in seinen Augen ein seltsames Glitzern. „Hieß er Levin?"

Ich hatte mich darauf eingestellt, seinen Namen auszusprechen, hatte mich fast schon danach gesehnt, es zu tun. Doch ihn aus dem Mund von jemand Anderem zu hören, war wie ein Schlag ins Gesicht.

Ich verschluckte mich an meinen Worten, weshalb ich nur ein Nicken hervorbrachte. Mein Blick schweifte zu Seraya und ihr Gesicht war so blass, dass sie wirkte, als würde sie jeden Moment umkippen. Auch Cuinns Augen ruhten auf ihr.

„Sprich weiter, Daisy", sagte Kai ungeduldig, dem die vielen Blickaustausche nicht entgangen waren. Ich meinte, Schweißperlen auf seiner Stirn zu sehen, meinte in seinen Augen etwas zu sehen, was mich beunruhigte. Die Luft knisterte, war geladen.

„Levin", sagte Kai, als müsste er sich noch einmal vergewissern, dass er sich nicht verhört hatte.

Cuinn legte den Kopf schräg und nickte leicht. „Und du glaubst, das alles hier", er deutete in eine unbestimmte Richtung, doch jeder wusste, was er meinte, „hat mit ihm zu tun?"

„Wieso sonst sollte hier ein Foto von ihm hängen?", antwortete Eve an meiner Stelle, während sie unruhig auf ihrem Platz hin und her rutschte. Sie vermied jeglichen Blickkontakt.

„Levin... er... "

„Ich glaube, hier weiß jeder, was er getan hat", fiel mir Cuinn ins Wort und ich kniff die Augen zusammen, um ihn zu mustern.

Sein aufmerksamer Blick war umhergeschweift, er schien in jedem Gesicht etwas gesehen zu haben, er schien Kais funkelnde Augen und Serayas Blässe bemerkt zu haben, er schien Junas Schweigen und Pauls Zittern gesehen zu haben. Und Eves verletzter Blick schien ihn ebenso wenig zu überraschen.

Ich blickte umher, nicht in der Lage etwas zu sagen.

Sie alle kennen den Namen. Niemand fragt, was er getan hat. Sie alle wissen, was er getan hat. Sie alle... verbindet etwas mit ihm.

Alle Zweifel waren wie weggewischt. An dem Tag, als ich das Foto von ihm entdeckt hatte, hatte ich mich geweigert zu glauben, es könnte etwas mit ihm zu tun haben. Doch nun konnte ich mich nicht länger belügen, ich konnte mich nicht vor der Wahrheit drücken. Ich blinzelte mehrmals, überfordert, verloren, und Eve räusperte sich.

„Er ist aber tot", sagte sie das, was jeder von uns gerade dachte und ihre Stimme klang müde. Flehend.

Cuinn lehnte sich wieder zurück, strich über seinen schwarzen Kapuzenpulli, um ein paar Staubflusen loszuwerden. „Ja. Das ist er."

Ich zuckte beim Klang seiner Stimme zusammen. Sie war so ruhig, und doch hörte ich aus ihr einen unterdrückten Zorn, einen ertränkten Schmerz heraus. Das konnte nur eines bedeuten... .

Ich spürte Junas forschenden Blick auf mir und auch Kais Augen streiften mich mit einem seltsamen Funkeln. Als würden sie mich nun in einem völlig neuen Licht sehen.

„Er hat... es für dich getan?", fragte Kai leise und ich musste heftig schlucken, musste verzweifelt die Tränen zurückzuhalten. Es half nicht, zu lügen. Denn Lügen würden auffliegen, und würden die Wahrheit noch schlimmer machen, als sie es ohnehin schon war.

„Ja", flüsterte ich, ohne den Blick von Kais dunklen Augen zu nehmen. Seine Miene war unlesbar. „Es ist nur wegen mir passiert."

„Nein." Serayas Stimme ließ jeden zusammenzucken. Ihr Gesicht war kreidebleich und ihre Fingernägel bohrten sich in den Stoff des Sofas, auf dem sie saß. Ihre braunen Augen ruhten auf mir und ich konnte nicht sagen, was sie gerade dachte.

„Es ist nicht wegen dir. Er hat es getan. Er alleine."

Ich wollte wissen, was sie mit ihm zu tun hatte. Ich wollte es von jedem hier wissen. Doch ich fürchtete mich davor. Ich fürchtete mich zu hören, was Levin ihnen angetan hatte.

„Jetzt, wo du schon sprichst, Seraya", sagte Cuinn und ich bemerkte, wie Seraya sich versteifte, als sein brennender Blick sie durchbohrte.„Kannst du uns ja eine Frage beantworten." Er lehnte sich leicht nach vorne, die Kapuze seines Pullis rutschte ihm vom Kopf und ließ den Blick auf seine hellbraunen Haare frei. „Wieso kann ich in deinen Augen denselben selbstsicheren Ausdruck gesehen, wie Levin ihn hat? Wieso lächelst du manchmal genauso wie er? Wieso... siehst du diesem Mistkerl so ähnlich?"

Seine Worte hatten keinesfalls einen angreifenden Ton. Es war eher die kühle, ruhige Art, wie er sie aussprach, die mich erschaudern ließen. Ich starrte Seraya an.

Eine Ähnlichkeit zu ihm wäre mir doch aufgefallen. Ich habe ihn jahrelang gesehen. Jeden Tag. Ich hätte doch bemerkt, dass sie ihm ähnelt. Ich hätte es doch...

Serayas Gesicht blieb starr, wurde noch blasser, falls das überhaupt ging. Ich wurde nicht schlau aus ihren Augen, doch schließlich blinzelte sie mehrmals. Und als sich ihre Mundwinkel zu einem ironischen Lächeln verzogen, sah ich es. Dieses leicht schiefe Grinsen. Die leichten Grübchen, die sich in ihren Wangen gebildet hatten.

Genauso wie bei ihm.

Vielleicht lag es daran, dass ich sie nicht so oft lächeln gesehen hatte, oder daran, dass ich sie nicht genau genug betrachtet hatte, denn mir war diese Ähnlichkeit nie aufgefallen.

Sonst sah sie nicht einmal ansatzweise aus wie er, denn ihr rundes Gesicht und ihre Lippen und ihre Augen sahen ganz anders aus. Aber dieses Lächeln. Mir blieb die Spucke weg und mein Herzschlag setzte scheinbar aus.

„Levin war mein Bruder", sagte Seraya ruhig und gelassen und ich konnte es nicht glauben, konnte es nicht fassen.

„Du lügst", sagte ich leise, obwohl mir klar war, dass es keinen Sinn ergeben würde, zu behaupten, man wäre die Schwester eines Mörders. „Er hätte mir davon erzählt, dass er eine Schwester hat."

Serayas Blick huschte zu mir, ihre Augen funkelten und ihre Hände waren zu Fäusten geballt.

„Nein, hätte er nicht", erwiderte sie, fast schon sanft, fast schon mitleidig. „Er hätte dir nie etwas über sich selber erzählt. Über seine Familie."

Doch, wollte ich rufen. Doch, er hat mir alles anvertraut, mir alles erzählt.

Doch das wäre eine Lüge gewesen. Er hatte mir nie irgendetwas über sich erzählt, nie zu seinen Eltern eingeladen, mich nie seinen Geschwistern vorgestellt. Verdammt, er hatte mir nicht einmal erzählt, dass er überhaupt welche hatte. Ein Stechen in meiner Brust ließ mich schnappend aufatmend.

Ich habe ihn nie wirklich gekannt.

„Du bist also seine Schwester", sagte Kai und ich glaubte, in seiner Stimme, etwas verletztes zu hören. Als hätte Seraya ihn persönlich beleidigt. Als wäre es ihre Schuld. Seraya hielt seinem Blick stand.

„Ja", sagte sie schlicht und einzig und allein ihr blasses Gesicht verriet, wie sich sich wirklich fühlte.

Noah murmelte etwas und Juna erhob sich rasch, eilte zu ihm und begann hektisch, seinen Verband zu wechseln und leise auf ihn einzureden, als wollte sie um alles in dieser Welt, diesem Gespräch entkommen.

„Wollen wir noch einmal darauf zurückkommen, wieso wir eigentlich hier sind?", mischte Eve sich ein. „Levin ist tot. Also muss jemand anderes dahinterstecken."

„Es ist doch offensichtlich, wer das ist, oder?", flüsterte Paul. Er hatte geschwiegen, war nervös auf seinem Sofa gesessen und hatte uns gelauscht, doch nun blickten ihn alle an. „Das Motiv ist Rache. Und wer würde wohl am ehesten Rache an Levins Tod nehmen wollen?"

„Ich bitte dich. Sag jetzt nicht, seine Schwester, sonst hau ich dir eine rein", sagte Seraya, doch ihre Worte klangen eher fassungslos als drohend.

Paul blinzelte nicht einmal. „Dann hau mir eine rein", erwiderte er. „Das wollte ich nämlich tatsächlich sagen."

„Paul!", entfuhr es Juna, die gerade Noahs Verband mit äußerst energischen Bewegungen auswechselte und die Wunde anschaute. Sie starrte Paul an. Cuinns Augen glänzten und ich konnte nicht aus ihnen lesen, was er dachte, doch er schwieg. Eve schien mit sich zu ringen.

„Ich habe euch die Wahrheit gesagt", mischte auch ich mich nun ein. „Und ich wollte damit genau das Gegenteil bezwecken. Ich wollte nicht, dass wieder ein Schuldiger und ein Verräter gesucht wird. Wir müssen zusammenhalten, wir..."

„Es ist egal, was du wolltest", unterbrach mich Kai und ich konnte in seinem Blick sehen, dass er mit sich rang. „Aber Seraya ist zufällig die Schwester des Menschen, der dem Rest von uns, etwas angetan hat. Der wegen dieser Tat gestorben ist."

Noah hustete im Hintergrund und ich wollte mich erheben, zu ihm gehen und nach ihm sehen, doch meine Füße fühlten sich wie festgewachsen.

„Lasst Seraya erst einmal etwas dazu sagen, bevor ihr hier irgendwas entscheidet", sagte Eve und Seraya sah sie ein wenig überrascht an.

Cuinn schwieg noch immer und drehte gedankenverloren an den Bändern seines Kapuzenpullis.

„Ich habe genug von Anschuldigungen, bei denen der Beschuldigte nicht einmal angehört wird", fügte Eve hinzu und funkelte Seraya an. „Also. Was sagst du zu den Anschuldigungen?"

Seraya schwieg einen Moment und lachte dann kurz auf. „Was soll ich denn sagen, außer, dass ich nicht wüsste, wofür ich Rache nehmen sollte? Mein Bruder war ein Mörder. Aber macht das mich auch zu einem Monster? Mein Bruder war ein verdammtes Arschloch. Natürlich habe ich geweint, als ich gehört habe, dass er erschossen wurde." Ihre Stimme zitterte leicht. „Aber mir ist klar, dass das die einzige Möglichkeit war. Sonst wären noch mehr Menschen gestorben."

„Woher wissen wir, dass du die Wahrheit sagst?", fragte Paul.

„Das können wir nicht wissen", antwortete Eve anstelle von Seraya und seufzte genervt auf. „Das zeigt ja, wie unnötig die ganze Diskussion ist."

„Nicht ganz unnötig", wagte Cuinn zu widersprechen, woraufhin Eve ihn mit hochgezogenen Augenbrauen musterte.

„Es gibt ziemlich viele Möglichkeiten. Seraya könnte wirklich eine Verräterin sein und ihren Brüder rächen wollen." Serayas Lippen waren fest aufeinander gepresst, doch sie schwieg. „Oder natürlich der Täter hat sie hier reingesteckt, eben damit der Verdacht auf sie fällt. Was hast du vorhin noch einmal gesagt, Kai? Dass Seraya die Schwester von dem Menschen ist, der dem Rest von uns etwas schlimmes angetan hat, oder?"

Kai kniff die Augen zusammen und nickte mit verschränkten Armen.

„Das wissen wir aber nicht", fuhr Cuinn fort und sah sich um. „Vielleicht sitzt hier noch jemand, der Rache nehmen will, von dem wir nichts wissen, weil wir uns zu sehr auf Seraya fokussieren. Um das zu erfahren, müssten wir von jedem hier hören, was er oder sie mit Levin zu tun hat."

„Aber das endet wieder genauso, verdammt", sagte ich wütend und funkelte Cuinn an, der meinen Blick unbeeindruckt erwiderte. „Das endet wieder so, dass wir einen Verräter suchen. Dass wir uns nicht vertrauen können. Das ist doch genau das, was der Täter will! Vielleicht gibt es überhaupt keinen Verräter!"

„Natürlich kann das sein. Es ist sogar sehr wahrscheinlich", erwiderte Cuinn. „Aber was spricht dagegen, dass jeder von uns jetzt von seiner Akte erzählt? Ob es hier einen Verräter gibt oder nicht, Fakt ist, dass das ganze hier etwas mit Levin zu tun hat. Mit dem Anschlag im Ballett vor zwei Jahren, bei dem Daisy die Ballerina und wir Anderen anderweitig involviert waren."

Ich atmete tief durch, spürte, wie mein Herzschlag raste. „Na gut", sagte ich einfach und bemühte mich, ruhig zu bleiben. Ich lehnte mich wieder zurück, versuchte, regelmäßig zu atmen.

Noah murmelte etwas und mein Blick schoss zu ihm, sein fiebriges Gesicht zitterte. „Was ist mit Noah?", hörte ich mich fragen und Juna antwortete irgendetwas unverständliches, während sie ihm kalte Waschlappen um die Waden wickelte.

„Gut", sagte Kai mit gepresster Stimme. „Ich fange an. Ich erzähle, was ich mit Levin zu tun habe. Ich..."

Wir erfuhren nicht, was Kai sagen wollte.

Denn in dem Moment, als er seinen Mund öffnete, erklang ein Rauschen. Ein ohrenbetäubendes Rauschen, das jeden von uns zusammenfahren ließ.

Ich wusste nicht, woher es kam, doch es war laut, so laut. Mit großen Augen presste ich meine Handflächen auf die Ohren, verzog meine Lippen schmerzverzerrt, nicht in der Lage zu schreien.

„Achtung! Achtung", rief eine monotone, rauschende Stimme durch den Lautsprecher. „Sie sind in Sicherheit. Der Berg ist umstellt. Kommen Sie mit erhobenen Händen aus dem Haus. Ich wiederhole."

Niemand von uns rührte sich, wir alle saßen völlig perplex da, zu geschockt, um uns zu freuen, zu misstrauisch, um aufzustehen und der Stimme zu folgen.

Es war das leise Lachen, das die Stimme begleitete, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. „Kleiner Spaß", sagte die Stimme durch den Lautsprecher. Die Stimme, die der Person gehörte, die Noah angeschossen hatte. Und auch, wenn ich ohnehin nicht gewagt hatte, so etwas wie Hoffnung zu verspüren, sank mein Herz, krampfte sich zusammen, schmerzte so grauenhaft vor Enttäuschung, dass ich in Tränen ausbrach.

„Ich hoffe, ihr habt euch nicht zu sehr gefreut. Lasst euch doch nicht so sehr davon runterziehen. Wie wäre es mit einem kleinen Spiel zur Lockerung der Atmosphäre?"

Ich sah kaum, wie Eve aufsprang, und mit zitternden Beinen im Zimmer herumlief, um herauszufinden, wo die Lautsprecher waren, aus denen diese hässliche, grauenhafte Stimme drang.

„Lasst uns Verstecken spielen."

Eve erstarrte mitten in der Bewegung. Langsam drehte sie sich um und in ihren grauen Augen war eine solche Angst, die mich tief in ihre Seele blicken ließ.

„Ihr habt fünf Minuten Weglaufzeit. Ab jetzt. Wer als Erster gefunden wird, hat verloren."

Das Rauschen verstummte so plötzlich, wie es gekommen war, ohne dass Eve den Lautsprecher gefunden hatte, doch in meinen Ohren hallte es noch Stunden später.

Cuinn war der Erste, der sich erhob. In seinem Blick lag nicht nur Furcht, sondern pure Todesangst.

„Ich fürchte, wir haben uns zu viel mit dem warum beschäftigt", flüsterte er. Seine Stimme brach. „Jetzt wird es Zeit, dass wir uns um das eigentliche Problem kümmern: Wie wir dieses Scheißspiel gewinnen. Oder überleben. Wie auch immer. Ich glaube, in diesem Fall ist beides das Gleiche." 

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