Kapitel 3 [Daisy]
Als die Dunkelheit einbrach war Celine immer noch nicht da. Unruhig saß ich auf einem der Sofas und starrte in die Finsternis, in der ich kein winziges bisschen erkennen konnte außer meinem eigenen Spiegelbild, welches mir mit großen, besorgten Augen entgegenblickte.
Ist sie bei der Wanderung abgestürzt? Der Weg war immerhin nicht leicht.
Ein schlechtes Gewissen breitete sich in mir aus, denn als Celine mich vor drei Tagen gefragt hatte, ob wir zusammen zu dem Gasthaus wandern würden, hatte ich sie gebeten, bereits vor mir zu gehen, weil ich auf dem Hinweg noch meine Eltern besuchen wollte. Wenn ich gewusst hätte, dass sie nicht ankommen würde...
Ich zuckte zusammen, als Juna neben mir eine große Tasse Tee abstellte. Der Tee roch himmlisch und ich schaffte es, meine Sorge etwas in den Hintergrund zu drücken.
Juna ließ sich neben mir nieder und sah mich voller Mitgefühl an. „Du solltest dir keine Sorgen machen. Bestimmt ist ihr Zug ausgefallen oder sie ist wegen einem Vorfall doch zuhause geblieben – Du hast ihre Nachricht einfach nicht erhalten, weil du keinen Empfang hast." Sie schob mir die heiße Teetasse zu. „Los, trink das, das hilft."
Der junge Mann, mit dem Juna heute Nachmittag gesprochen hatte setzte sich ebenfalls zu uns.
„Hey, ich bin Paul", stellte er sich vor und ich schmunzelte ein wenig, als er sich schüchtern durch das braune Haar fuhr und Juna immer wieder nervöse Blicke zuwarf.
Ich beobachtete, wie nach und nach die anderen Gäste eintrudelten und sich auf den Sofas niederließen. Eve hatte sich etwas abseits hingesetzt und war in ein Buch vertieft, während sie an einer Teetasse nippte, und der blonde, unfreundliche Mann, den ich vorhin kurz vor seinem Zimmer gesehen hatte, saß auf einem der Sessel, die vorhin hineingetragen werden mussten, und unterhielt sich mit einem großen, schlacksigen Mann mit funkelnden Augen, dessen Arme von Tattoos übersät waren.
Seltsame Truppe.
„Der mit den Tattoos ist Kai. Der ist ziemlich, wie soll ich das sagen... aggressiv, aber ansonsten eigentlich ganz nett", meinte Juna, die meinem Blick gefolgt war. „Und der Blonde ist Cuinn. Der war einen Tag nach mir da, aber besonders gesprächig ist er nicht."
Ich winkte Noah zu, der ebenfalls den Raum betreten hatte und wohl gerade aus der Küche kam, denn er kaute auf einem Apfel herum und blickte nachdenklich drein. Er lächelte leicht, als er mich entdeckte und kam auf uns zu. „Habt ihr schon Abend gegessen?", fragte er und blickte sich um. „Wir sind nur noch sieben?"
„Seraya ist heute abgereist", erklärte Juna und ich erinnerte mich an die braunhaarige Frau, die vorhin zu uns runter gekommen war, um sich zu verabschieden.
„Und das hier ist also eine Art Jugendherberge für junge Erwachsene?", fragte ich schließlich und runzelte die Stirn. „Mit einer vollgestopften Vorratskammer, in der wir uns bedienen können?"
„Scheint so", erwiderte Noah. „Muss ein Zufall sein, ich erinnere mich nämlich nicht daran, auf der Website mein Alter angegeben zu haben."
Juna nickte zustimmend. „Ja, es ist wirklich seltsam. Aber andererseits auch schön. Ich meine, ich dachte, ich würde hier zwischen irgendwelchen komischen, wanderbesessenen Menschen landen und die zwei Wochen alleine verbringen und stattdessen habe ich hier Freunde gefunden, obwohl ich noch nicht einmal eine Woche hier bin", sie lächelte fröhlich, während sie gedankenverloren begann, ihre roten Strähnen zu flechten. „Es ist wirklich wie eine kleine Jugendherberge mit sieben Personen. Schade, dass Seraya schon weg ist, sie hat tolle Geschichten über Neuseeland erzählt."
„Sie war in Neuseeland?", fragte Paul begeistert, doch ich hörte nicht mehr wirklich zu, sondern starrte ins Leere. Wo ist Celine nur?
Noah schien zu bemerken, dass ich abdriftete, denn auch er hörte Paul und Juna nicht mehr zu, die bereits in ihrem Gespräch über die Sehenswürdigkeiten von Sydney versunken waren.
Ich schüttelte meine Beunruhigung ab und versuchte zu lächeln. „Eve sieht irgendwie so alleine aus", murmelte ich eher zu mir selber, doch Noah folgte meinem Blick zu der lesenden Blondine, die alleine auf einem Sofa saß und ab und zu mit einem unlesbaren Gesichtsausdruck aufschaute.
Noch ehe Noah antworten konnte, erhob Juna sich. „Ok, wollen wir jetzt alle zusammen Abendessen? Wir könnten doch zum Beispiel Nudeln mit Tomatensoße machen, oder? Ich habe vorhin im Vorratsraum eine Packung Spagetti gesehen. Wie wäre es, wenn wir uns mit Kochen abwechseln? Heute melde ich mich freiwillig!"
Kai und Cuinn zuckten mit den Schultern und nickten, während Eve den Vorschlag kaum in Kenntnis zu nehmen schien. Juna strahlte gut gelaunt und machte sich auf den Weg in die Küche, dicht gefolgt von Paul, der es sich wohl in den Kopf gesetzt hatte, ihr beim Kochen zu helfen. Gedankenverloren nippte ich an meinem Tee.
„Du bist doch Tänzerin, nicht wahr?", sagte Noah und ich blinzelte perplex. „Äh...ja, aber woher – "
„Ich habe dich einmal bei einem Musikfestival gesehen. Welche Tanzrichtung tanzt du?", erklärte Noah und seine braunen Augen blickten mich glänzend an. „Alles Mögliche. Ballett, Hip Hopp, ein bisschen Jazz", murmelte ich und versuchte die Gedanken ans Tanzen zu verdrängen.
Drehung. Drei kleine Schritte nach rechts. Und noch eine Drehung. Ein Sprung und...
„Alles in Ordnung?" Noahs Stimme erklang wie aus weiter Ferne, doch ich schaffte es irgendwie benommen zu nicken. Ich konnte ihm ansehen, dass er mir nicht glaubte. „Warst du als Besucher auf dem Festival oder bist du selber aufgetreten?", wollte ich nun wissen, um ihm zu vergewissern, dass mit mir alles gut war.
„Ich spiele Gitarre und bin dort aufgetreten", erwiderte Noah und sein Blick richtete sich auf die Fensterscheibe, durch die nichts als Dunkelheit zu sehen war. „Musik ist so ziemlich das Einzige, was einen niemals enttäuschen wird", murmelte er gedankenverloren und zum ersten Mal fiel mir auf, dass er manchmal auf einmal zusammenzuckte. Nur so leicht, dass man es kaum erkennen konnte und dass es genauso gut Einbildung sein konnte.
„Musik kann einen auch manchmal enttäuschen", sagte ich und erschrak selber über die Bitterkeit in meiner Stimme.
Was tue ich? Ich wollte mich doch einfach nur ausruhen und entspannen!
Noah legte den Kopf leicht schräg, doch hakte nicht weiter nach.
Ein Sprung. Eine Drehung und....
„Urlaub in einem stillen Berghäuschen", sagte Noah leise und seufzte. „Normalerweise fände ich so etwas viel zu langweilig, aber jetzt ist es genau das, was ich brauche."
Ich nickte wie benommen. Versuchte an den richtigen Stellen zu lachen und ab und zu, etwas einzuwerfen. Doch meine Gedanken verstummten nie. Unaufhörlich flüsterten sie.
Vergeben und Vergessen. Vergeben und Vergessen. Vergeben und vergessen.
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