Kapitel 20 [Eve]
Mein Blick klebte förmlich an den Fenstern des zweiten Stockwerks, in denen ich verzweifelt etwas zu erkennen versuchte, doch die Scheiben waren beschlagen und der immer noch stetig tobende Schneesturm gab mir den Rest.
Auf zitternden Beinen erreichte ich nach einer gefühlten Ewigkeit den Rubinpalast, wo ich plötzlich wie erstarrt stehen blieb.
Wenn dort wirklich jemand war, der Cuinn verletzen oder töten würde, und ich noch rechtzeitig ankam, um dabei zu sein...was tat ich dann? Was konnte ich ausrichten? Wie sah mein verdammter Plan aus? Mit weit aufgerissenen Augen stand ich vor der Haustür und realisierte, dass ich keinen Plan hatte. Wie unglaublich vorausschauend von mir.
Ich wollte mich einfach auf den Boden legen und mir die Ohren zuhalten, um nicht mehr das verrückt machende Pfeifen des Windes zu hören, nicht mehr all diesen verfluchten Gedanken zu lauschen, die darauf beharrten, dass ich etwas tun musste.
Und natürlich wusste ich, dass ich etwas tun musste, aber was? Was konnte ich tun?
Erst einmal rechtzeitig ankommen.
Ich nickte und klammerte mich an diesen lächerlichen Ansatz eines Plans: Rechtzeitig bei Cuinn ankommen, bevor er getötet wird.
Doch über das Treppenhaus und den Korridor, würde ich niemals schneller ankommen als der Täter, wenn der Schatten, den Noah am anderen Ende des Korridors gesehen hatte, wirklich der Täter war.
Ich musste handeln, egal wie, aber jetzt, jetzt sofort.
Mein Blick huschte hilflos umher, schweifte über die Fassade des Hauses, während in meinem Kopf eine leise Uhr tickte und mich mit jeder vergeudeten Sekunde nervöser machte.
Ein im Wind schaukelndes, langes Etwas am anderen Ende des Rubinpalasts fing meine Aufmerksamkeit auf, woraufhin ich die Augen zusammen kniff und meine Hände schützend vor das Gesicht hielt.
Mit großen Schritten näherte ich mich meiner Entdeckung, was mich immer näher an den Abgrund führte, der sich direkt hinter der Nordseite des Gasthofs erstreckte. Lediglich ein schmaler, schneebedeckter Pfad trennte den Rubinpalast von der steil hinab fallenden Tiefe. Und direkt über diesem schmalen Pfad hing ein Seil. Es flatterte im starken, unbarmherzigen Wind, wippte tänzelnd vor und zurück und als mein Blick nach oben glitt, stellte ich mit klopfendem Herzen fest, dass es an einem Fenster des zweiten Stocks befestigt war.
Wurden über diesen Zugang zum Haus, die ganzen Anschläge verübt? Wieso haben wir das nicht früher bemerkt?
Ohne darüber nachzudenken, setzte ich meinen Fuß auf den schmalen Pfad, und näherte mich halb rennend und doch vorsichtig auf die Füße blickend, dem Seil. Es waren nur wenige Schritte, doch mein Herz klopfte so laut in meiner Brust, dass ich einen Moment das Gleichgewicht verlor.
Ein panischer Aufschrei, der eher dem Fiepen eines sterbenden Hundewelpen glich, verließ meine Lippen und meine Hände griffen wie wild nach einem Halt, doch sie fassten ins Leere, ruderten wild umher.
Mit allen Mitteln versuchte ich, den Blick in den Abgrund neben mir zu vermeiden, doch meine Augen wurden förmlich von dieser erschreckenden Tiefe angezogen.
Ich keuchte, als mein rechter Fuß abrutschte und den Boden unter sich verlor, und startete instinktiv einen neuen Versuch nach dem Seil zu fassen.
Es war so nah, so verdammt nah.
Auch mein anderer Fuß rutschte instabil über den immer schmaler werdenden Pfad.
Jetzt wird sich herausstellen, ob ich Entfernungen abschätzen kann, dachte ich und stieß mich mit meinem linken Fuß ab, ehe auch dieser den Anschluss zum Boden verlieren konnte.
Meine Finger schlossen sich mit festem Griff um die rauen Fasern des Seiles. Ich schloss die Augen, als meine beiden Beine ins Leere traten und verstärkte den Griff um das rettende Seil, bis ich das Gefühl hatte, das Seil würde sich bereits in meine Haut drücken.
Einige Sekunden hing ich dort in der Luft und starrte mit weit aufgerissenen Augen nach oben, ans Ziel, dort wo ich hin musste, wenn ich jetzt nicht hier hängen bleiben wollte bis meine Hände ermüdeten und ich hoffnungslos in die Tiefe fiel. Ich biss meine Zähne fest aufeinander und ächzte laut, während ich mich Stück für Stück am Seil hochzog.
Was für dämliche, unglaublich dämliche Ideen ich bekomme.
Mein rasselnder Atem ließ meinen Hals brennen und ich spürte bereits, wie meine Finger kraftlos ihren Griff lockerten, doch ich zog mich weiter hoch, wohl wissend, dass wenn ich jetzt los ließ, nicht nur Cuinns Ende sondern allem voraus auch meines gekommen war.
Stevie, schoss es mir durch den Kopf und Tränen bildeten sich in meinen Augen, die starr nach oben, in Richtung Fenster blickten. Ich erblickte den mit Wolken bedeckten, finsteren Himmel, der jeglichen Sonnenstrahl verschluckt hatte. Mein armer, kleiner Stevie. Ich wollte dir doch bloß dabei helfen, du selbst zu sein. Egal, was Mama und Papa gesagt haben. Ich wollte doch bloß, dass du glücklich bist.
Ich presste einen keuchenden Schrei heraus, und blinzelte den Schnee aus meinen Augen, der nun gemeinsam mit den Tränen an meiner Wange hinabtropfte. Woher hätte ich wissen können, dass an diesem Tag so etwas Schlimmes geschehen könnte? Woher hätte ich denn wissen können, dass du am falschen Ort zur falschen Zeit sein würdest?
„Verzeih mir, Stevie", flüsterte ich und zog mich mit einem Schluchzen den letzten Meter hoch, wo ich mich an der Fensterbank des zweiten Stocks festklammerte.
Mit zitternden, geröteten Händen schwang ich mich nach oben und blickte auf die beschlagene Fensterscheibe, die einen klitzekleinen Spalt geöffnet war.
Nachdem ich einen prüfenden Blick in den Korridor geworfen hatte, stellte ich fest, dass das hier genau das Fenster war, welches sich vor Cuinns Zimmer befand und vor dem wir unsere erste Konversation darüber geführt hatten, ob Cuinn nun lüften sollte oder nicht.
Rasch zwängte ich mich durch den Fensterspalt und trat lautlos in den dunklen Korridor. Mein Puls raste, als ich einen Fuß vor den Anderen setzte, um möglichst geräuschlos zu Cuinns Zimmertür zu gelangen, die kaum noch zwei Meter von mir entfernt war.
Der Gang war leer und doch spürte ich ein seltsames Kribbeln in meinem Bauch, ein unangenehmes Gefühl, das sich wie eine dunkle Vorahnung in mir ausbreitete und meinen Atem noch hektischer, noch panischer machte.
Schritte. Dort waren zweifellos Schritte.
Sie waren leise, fast geräuschlos und doch konnte ich in ihnen Eile und Hektik heraushören. Sie näherten sich.
Mit einem großen Satz brachte ich den letzten Meter hinter mich, drückte Cuinns Türklinke runter und schlüpfte durch den leicht geöffneten Spalt, um direkt hinter mir, die Tür zu schließen.
Ich fuhr herum und prallte dabei gegen Cuinn, der über sein Bett gebeugt stand, um in seinem Rucksack nach dem Feuerzeug zu suchen und mir mit weit aufgerissenen Augen entgegen starrte.
„Was machst d...?", setzte er an, doch ich presste ihm meine Handfläche gegen den Mund, sodass seine Frage nur noch ein undeutliches Nuscheln war. „Psst", zischte ich mit klopfendem Herzen und warf immer wieder ängstliche Blicke in Richtung Tür.
Jeden Moment wird jemand hier eintreten. Und wir wissen nicht einmal, was auf uns zukommt. Wird die Person Waffen haben?
Als ich mir sicher sein konnte, dass Cuinn leise war, löste ich meine Hand von seinen Lippen.
„Du bist der Nächste, Cuinn", flüsterte ich völlig außer Atem und blickte ihn eindringlich an. „Und da draußen im Gang ist gerade jemand."
Meine Stimme war kaum hörbar, doch Cuinn verstand jedes Wort und ich konnte erkennen, wie sich sein Gesicht versteifte und seine Augen weiteten. Einen Moment blickten wir uns fassungslos an und ich konnte förmlich seine Angst riechen. Mein Kopf drehte sich leicht und ich fühlte eine plötzliche Kraftlosigkeit, die meine Lider flattern ließ. Was jetzt? Wir waren hier eingesperrt. Es gab keinen Ausweg.
Aber wir haben den Überraschungsmoment auf unserer Seite.
Cuinn hatte sich wieder gefasst und seine Augen wurden schmaler, als er sich mir näherte und mich leicht beiseite schob, um an der Tür zu lauschen. Schweigend horchte auch ich, doch die Schritte waren verklungen und der Korridor lag in einer reglosen Stille da, als wäre nie jemand hier gewesen.
Ist die Person aufgehalten worden? Oder ist es nur Daisy gewesen, die nach Cuinn sehen wollte?
Ich wurde blass, als ich realisierte, dass auch beides gleichzeitig zutreffen konnte. Mein Puls schoss in die Höhe und Cuinn stand wie versteinert da, als wüsste auch er nicht mehr weiter.
Gerade als er sich an mich wenden wollte, erklangen wieder die dumpfen, raschen Schritte auf dem Korridor, näherten sich unserer Tür.
Ich spürte unbändigen Zorn in mir aufflammen. Denn all die Zeit, die wir nun schon hier waren, in Todesangst, verstört von den grausamen Märchen, die an uns ausgespielt wurde, all die Zeit gab es keinen greifbaren Täter, denn es fühlte sich an, als würde lediglich ein schrecklicher Geist umherspuken und unserer Leben zur Hölle machen.
Doch nun war jemand im Flur. Jemand, der für diesen ganzen Scheiß verantwortlich war. Jemand der Schuld war.
Ich spürte den wahnsinnigen Drang, die Tür aufzureißen und den Täter einfach umzurennen, doch zum Glück existierte noch ein letztes Fünkchen Vernunft in mir, das mich davon abhielt, eine Dummheit zu begehen.
Cuinn beugte sich leicht zu mir. „Wenn sich die Tür öffnet, schmeißen wir uns auf drei auf den Täter, ja?", fragte er leise und ich nickte entschieden, ehe ich mich hinter die Tür stellte. Die Person würde nicht erwarten, dass jemand Bescheid wusste, sie würde überrumpelt sein.
Cuinn glitt auf die andere Seite der Tür und presste sich an die Wand. Ich konnte seinen hektischen Atem hören und als ich zu seinen Händen blickte, sah ich, dass sie zitterten.
Um meinen Herzschlag zu beruhigen, schloss ich für einen Moment die Augen und lauschte in die Stille, in der außer Cuinns schnellen Atemzügen und meinem dumpfen Herzklopfen nichts zu hören war.
Wir warteten und warteten und lauschten den sich nähernden Schritten, die schon so nah waren, dass ich das Gefühl hatte, uns trennte nur noch das instabile Holz der Tür von dem Täter. Mein Blick suchte den von Cuinn und wir starrten uns gegenseitig einfach an, versuchten uns gegenseitig mit Blicken zu beruhigen, während wir reglos darauf warteten, dass sich die Tür öffnete.
Doch die Tür öffnete sich nicht. Die Schritte waren verstummt und die Person stand, ohne einen Laut von sich zu geben, vor der Tür.
Nichts geschah.
Cuinns Augen huschten flüchtig umher und ich ballte die Fäuste so stark, dass meine Nägel mir in die Haut bohrten, doch ich spürte den Schmerz kaum.
Die Schritte setzten sich wieder in Bewegung... und entfernten sich langsam.
Verwirrt legte ich den Kopf schief und lauschte fassungslos, wie das leise Auftreten der Schuhsohlen leiser wurde, bis es ganz verklang.
Cuinn wagte es, tief auszuatmen und löste sich langsam von der Wand, an die er sich gepresst hatte, ehe er mir einen fragenden Blick zuwarf und nach der Türklinke griff.
Zweifel machten sich in mir breit. War das einfach nur Daisy gewesen? Aber wieso sollte sie zur Tür kommen und einfach wieder gehen, ohne Cuinn irgendetwas zu sagen oder anzuklopfen?
Auch ich machte einen Schritt von der Wand weg und spürte Cuinns Augen auf mir. Ich wich ihnen aus, ängstlich über die Belustigung oder den Ärger, den ich in ihnen finden könnte, doch als unsere Blicke sich für einen kurzen Moment trafen, wirkte er weder spöttisch noch genervt, sondern lediglich erleichtert.
Er stieß einen Seufzer hervor und näherte sich mir mit einem beruhigten Ausdruck in den Augen.
„Bist du dir sicher, dass...?", begann er, doch ich hörte ihm nicht mehr zu, denn meine Augen weiteten sich fast wie in Zeitlupe, als meine Ohren ein leises Ticken vernahmen.
Kaum hörbar erklang es, doch es war da. Da, vor der Tür.
Und dieses Ticken wurde schneller.
Das kann nicht sein.
Mein Herz setzte aus und ich presste meine Handflächen auf meinen Mund, starrte geschockt zu Cuinn, nicht in der Lage etwas zu sagen.
„Hey, es ist alles gut", meinte er verwirrt über meine plötzliche Furcht in den Augen, doch ich schüttelte panisch den Kopf, suchte in Cuinns Gesicht nach einem verstehenden Ausdruck.
„Mach die Tür auf, Cuinn!", schrie ich, und zuckte selber vom lauten, verzweifelten Klang meiner Stimme, zusammen, die die Stille durchbrach. Cuinns Augen wirkten überrascht und schockiert, doch er tat wie geheißen und riss die Tür auf.
Dort lag es. Vor der Tür. Ein kleines Paket, so klein, dass ich es mit meiner Hand umschließen könnte, und es tickte und tickte, wurde immer schneller.
Unmöglich.
Meine Brust schmerzte von dem plötzlichen Rasen meines Herzschlags, ich wusste auf einmal nicht mehr, wie man lief, wie man Worte formte, denn mein Blick klebte wie erstarrt auf dem kleinen tickenden Paket.
Ich sah nicht zu Cuinn, doch sein gerade noch beruhigter Atem wurde wieder hektisch und panisch, ein erschrockenes Keuchen entwich seinen Lippen.
„Lauf", flüsterte ich kraftlos im selben Moment, in dem Cuinn meinen Arm packte und wir fast gleichzeitig losrannten.
Wir sprangen über das Päckchen, stürmten blind in den Korridor, ohne darauf zu achten, ob wir zu laut waren. Meine Füße zitterten, schlitterten auf dem Boden, doch in einem Moment wie diesem, war das alles egal.
Ein ohrenbetäubendes Krachen erklang hinter mir, dröhnte in meinen Ohren, und eine Druckwelle ließ Cuinn und mich polternd auf den Boden stürzen. Ein kurzes Leuchten erhellte den Gang, ließ mich jedes Detail so unglaublich scharf sehen, dass ich die feinen Spänen der hölzernen Bilderrahmen sehen konnte, dass ich in Cuinns geschockten Augen die feinen, braunen Fasern der Iris erkannte.
Ein stechender Schmerz flammte in meinem Bein auf, als ich dumpf neben Cuinn auf dem Boden landete, ein Schrei entwich meinen Lippen und ich blieb reglos in dem nun wieder finsteren Gang liegen.
Ich spürte den harten, kalten Kachelboden kaum unter meinem schmerzenden Rücken, hörte mein eigenes Wimmern fast nicht, denn das Piepen in meinem Ohr übertönte alles, drang so laut in meinen Kopf ein, dass ich schreien wollte, doch ich konnte nicht, denn mein Hals tat weh, fühlte sich so staubtrocken an, dass ich vermutlich nichts außer einem heiseren Keuchen hervorgebracht hätte.
Kraftlos lag ich da und jede Bewegung schmerzte.
Ich versuchte mich aufzurichten, doch ein Ziehen machte sich in meinem Rücken breit, sodass ich wieder auf den Boden sank und schmerzverzerrt meine Zähne aufeinander presste.
Es tut so weh.
Cuinn regte sich neben mir, rollte sich auf die Seite und blickte mich benommen an.
In seinen Augen glitzerte noch das rote Funkeln der Explosion, die den Korridor für den Bruchteil einer Sekunde erhellt hatte. Ein schmerzerfülltes Stöhnen kam aus seinen Lippen und er schloss die Augen für einen Moment, um sich zu sammeln.
Sein Gesicht war angespannt und seine Augenlider flatterten, fassungslos über das soeben Geschehene. Wir starrten uns gegenseitig an, und ich fühlte mich so kraftlos, dass ich einfach nur liegen bleiben wollte, obwohl der Boden kalt und unbequem war, obwohl wir gerade fast in die Luft gesprengt worden waren.
Langsam, wie in Zeitlupe richtete Cuinn sich neben mir auf, wobei er schmerzerfüllt aufstöhnte.
Seine Arme zitterten leicht, doch sie stemmten seinen Körper hoch, sodass er aufrecht saß. Mein Blick ruhte auf ihm, ich musterte ihn, sah, wie sich seine braunen Augen weiteten, als er in den finsteren Korridor blickte, durch den wir gerade noch gestürmt, um unser Leben gerannt waren.
Ich will es nicht sehen, war alles, was ich dachte, und doch hob auch ich den Kopf, um den Schauplatz der Explosion zu betrachten, denn wir Menschen waren durchschaubare, leicht beeinflussbare Wesen.
Wir wollten immer die Dinge sehen, vor denen wir uns am meisten fürchteten. Wir wurden von Katastrophen, von Grauenhaftem angezogen, denn es war ein Lichtblick in unseren langweiligen, eintönigen Leben. Doch in dem Moment, in dem ich in die selbe Richtung wie Cuinn starrte, wollte ich mich übergeben. Ich wollte schreien.
Wir Menschen finden Katatrophen interessant, absurd, spannend, bis sie uns selber betreffen. Bis wir selber diejenigen sind, die darunter leiden.
Der dunkle Korridor wirkte fast wie immer. Aber nur fast. Einige Meter vor uns, lag Cuinns Zimmer. Oder besser gesagt das, was von Cuinns Zimmer übrig geblieben war. Ich musste blinzeln, denn Staub und Qualm und Dunst biss in meinen Augen, doch ich zwang mich, sie offen zu halten, während ich in den Gang spähte.
Die Tür zu Cuinns Zimmer war durchbrochen, ein Teil der Wand lag in Trümmern, wo nun nur noch ein Loch klaffte. Der Winkel war zu spitz, um zu erkennen, wie es in Cuinns Zimmer aussah.
Wie benommen rappelte sich Cuinn auf und machte ein paar zögernde Schritte in Richtung seines Zimmers, als fürchtete er sich vor dem, was er dort sehen könnte. Zerstörung.
Meine zittrigen Hände umklammerten sich gegenseitig, während ich immer noch auf dem kalten Boden hockte und dem dumpfen, pochenden Schmerz in meinem Kopf lauschte. Alles drehte sich, mir wurde schwindelig und ich hatte das Gefühl nur noch wenig Luft zu bekommen. Meine Augenlider flatterten, doch mein Blick folgte Cuinn, der vor seinem Zimmer stand.
Dort, wo normalerweise die Tür gewesen war, stand er und wagte es nicht, den Raum zu betreten.
Ich wusste nicht, wie viel Zeit verging, doch irgendwann, wandte er sich wieder von dem Anblick ab und sah in meine Richtung.
Die dunklen Schatten der Wände lagen über seinem Gesicht, ließen seine Augen noch dunkler wirken, während sein schwarzes T-Shirt vor meinen tränenden Augen mit den Wänden verschwamm.
Schweigend trat er wieder zu mir, und als er am Fenster des Korridors vorbeilief, fiel ein spärlicher Lichtschein auf seine Augen und ließ seine Augen fassungslos glühen. Mit einem undefinierbaren Blick blieb er vor mir stehen, während meine Gedanken rasten. Tod. Wir wären in dieser Explosion verbrannt, so wie der Standhafte Zinnsoldat.
Langsam streckte Cuinn mir seine Hand entgegen. Sein Gesicht war ausdruckslos und so kalt, wie ich ihn noch nie erlebt hatte.
In seinen Pupillen sah ich mein Spiegelbild, erkannte ich den ungläubigen, den gehetzten Ausdruck, der in meinen Augen lag.
Wie gelähmt starrte ich erst auf Cuinn, dann seine Hand, ehe ich sie ergriff und mir aufhelfen ließ. Ich versuchte, mir meinen Schmerz, den ich bei jedem Schritt verspürte, nicht anmerken zu lassen, doch letztendlich war es sowieso egal.
Ich hatte mein Leben lang kalt und furchtlos gewirkt, damit Leute mich nicht lesen, ausnutzen und verletzen konnten.
Aber was bringt es mir, kalt und furchtlos zu wirken, wenn mich das vor einer Explosion nicht schützen wird? Was bringt mir diese aufgesetzte Stärke, wenn ich um Leben oder Tod kämpfen muss?
Cuinn hatte meine Hand nicht losgelassen, im Gegenteil, er umklammerte sie fest, als wir den Korridor entlang hasteten, in Richtung Treppe, um dem grauenhaften, verbrannten Geruch zu entkommen und endlich wieder atmen zu können.
Meine Lippen verzogen sich bei jedem Schritt, doch ich hielt nicht an, und auch Cuinns Gesicht verriet mir, dass ihm das Laufen wehtat, denn seine Zähne bissen fest aufeinander, als könnten sie den Schmerz aufhalten.
Halb rannten, halb humpelten wir, wurden mit jedem Schritt schneller, denn die Sehnsucht, diesem finsteren Gang, der fast zu unserem Grab geworden wäre, zu entkommen.
Unsere kraftlosen Beine trugen uns sicher und wohlbehütet über die Treppenstufen, durch den Hausflur, bis hin zu der Haustür, die mir auf einmal wie das Tor zum Himmel erschien.
Die Stille war wie die Stille, die sich nach einem Unwetter auf die überschwemmten Landschaften und Städte legte.
Sie war nicht unheilvoll und auch nicht furchteinflößend und doch schmeckte sie so bitter wie die Tränen jener, die neben den Leichen ihrer ertrunkenen Liebsten weinten, so verloren und kraftlos wie die Augen jener, die auf die zerstörte Stadt blickten und sich fragten, womit sie es verdient hatten, alles zu verlieren, was sie sich erbaut hatten.
Als wäre ihr Leben nie mehr als ein Kartenhaus gewesen, das dazu bestimmt war, in sich zu fallen. So zerbrechlich. So unglaublich hoffnungslos.
Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und verstärkte meinen Griff um Cuinns kalte Hand, die in meiner lag.
Und dann traten wir in das helle Tageslicht, ließen dieses verfluchte Haus hinter uns, um wenigstens für einen kurzen Moment zu vergessen, dass wir ihm nicht entkommen konnten.
Denn früher oder später würde es zu unserem Grab werden.
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